2013 APRIL - MAI

In Vilters sage ich allen meinen Geschwistern und Verwandten Ende April „A-dieu“. Am 22. April 13 verlasse ich mit 220 Liter frischem Vilterser Quellwasser im Tank das Dorf. Ohne zu wissen, wie weit ich fahren kann, mache ich nach vierhundert Kilometern am Nachmittag Halt in Nancy und bleibe eine Nacht in Toul. Hier erinnert ein riesiger Soldatenfriedhof an die schreckliche Dummheit der Menschen hüben und drüben. Angrenzend an den Friedhof breitet sich das ebenso riesige Kasernenareal mit den brutalsten Waffen auf den Plätzen aus. Hier werden die heutigen jungen Männer und Frauen in bester Verfassung auf die kommende Dummheit vorbereitet. Der Ort sagt mir paradoxerweise: „Schau nach vorn. Du wirst dem Tod nicht entrinnen“.

 

In „Krieg und Frieden“ schreibt Lew Tolstoi: „Könnte der Mensch einen Zustand finden, in dem er müssigginge und doch dabei das Gefühl hätte, ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu sein und seine Schuldigkeit zu tun, dann hätte er damit ein Stück der ursprünglichen Glückseligkeit wiedergefunden“. Lieber Lew Tolstoi, zu dieser ursprünglichen Glückseligkeit habe ich seit meiner Pensionierung zurückgefunden. Und als wüsste Tolstoi, dass ich eben an der Militärakademie von Toul vorbeikomme, schreibt er im nächsten Satz weiter: „Und eines solchen Zustandes, in welchem der Müssiggang pflichtmässig ist und keinem Tadel unterliegt, erfreut sich ein ganzer Stand: der Militärstand. In diesem pflichtmässigen tadelsfreien Müssiggang hat von jeher die hauptsächliche Anziehungskraft des Militärdienstes bestanden, und das wird auch allzeit so bleiben.“

 

Diesmal ist es nicht meine Dummheit, die mich ohne Diesel im Tank auf der Autobahn fast hat stehen lassen. Bei der ersten Tankstelle funktioniert das Tanken nicht. Bei der Zweiten, einem Neubau, ist das Dach über der Zapfsäule für mein Womo um fünf Zentimeter zu niedrig. Die dritte Tankstelle finde ich nach einem fluchtartigen Abgang von der Autobahn auf dem Dorf. Ein netter Franzose sagt: „Folgen Sie mir!“ Und führt mich da hin. Das Vehikel säuft die Rekordmenge von 87,6 Litern. Soviel passt eigentlich gar nicht rein! Wer hat denn so viel Glück wie ich? 

 

In Reims campe ich wieder wild auf einem Fabrikareal. Irgendwie gefällt mir der Platz, nachdem ich mit meinem kleinen Reisbesen die weissen und grünen Glasscherben weggewischt habe. Ob die Franzosen mich hier in Ruhe lassen, kann ich dir erst Morgen berichten. Die Nacht steht noch bevor.  Es ist halb neun und noch kein Sonnenuntergang zu sehen. Um acht Uhr morgens – ich habe total gut geschlafen - stellt sich ein riesiger Lastwagen aus Ungarn neben mich vor einen zerrütteten Liefereingang. Lädt Ware in diese Rockytocky-Halle, die ich für geschlossen halte. Es würden noch mehrere Transporte kommen. Es sei besser, ich würde mir einen anderen Tagesstellplatz suchen. Den finde ich in der Nähe bei der kleinen Kirche Sainte Thérèse. Ein Vollbekiffter  aus diesem Quartier nennt mir auf der Busfahrt zum Centre alle Namen der Plätze, die wir durchfahren.

 

Nicht etwa in Paris, sondern in Reims wurden die meisten Könige seit 1027 geweiht. In Reims wurde König Chlodwig vom Heiligen Remigius getauft. Mit dem Hinweis auf Chlodwigs Taufe liessen sich viele Könige in Reims krönen. Mit dem Bau der riesigen Kathedrale, in der sich heute auch Fenster von Marc Chagall gemalt befinden, wurde im Jahre 1026 begonnen. Ludwig der Heilige wurde im Jahre 1226 mit 12 Jahren in der noch immer unfertigen Kathedrale in Reims gekrönt. 1962 haben sich hier Konrad Adenauer und Charles De Gaule zur Besiegelung des deutsch-französischen Friedens die Hände gereicht. Daran erinnert eine grosse Steintafel vor der Kathedrale. Am 24. April 2013 bin ich da. Das wird in keinen Stein gehauen!

 

„Bienvenue chez les Ch`tis“. So heisst der lustige Film von Dany Boon über einen Postboten, der statt an einen Lieblingsort in Südfrankreich in den nördlichsten Zipfel Frankreichs versetzt wird. Im Laufe der Ereignisse lernt er die Leute mit ihrer seltsamen Sprache und unbefangenen Festfreude lieben. Diesen Film habe ich anfangs Jahr mit Stefan in Tenero gesehen. Auf seinen Wink hin bin ich jetzt in Bergues am Filmort angekommen. Wie damals der Postbote fahre ich mit dem Fahrrad alle Strassen dieses hübschen Städtchens ab. Ein liebliches Glockenspiel kündet jede Viertelstunde nach meinem Gefühl nicht die Vergangenheit, sondern das Hier und Jetzt an. Mit der Bevölkerung ist der Postbote erst nach langer Zeit warm geworden. Diese Zeit verkürzt mir der Film in Wirklichkeit nicht.

 

Noch dreissig Kilometer bis Calais FR. Am Hafen ein Ticket bei MyFerryLink für 123.75 Euro für mich und das Womo kaufen und ab zum Gate 124. In eineinhalb Stunden trägt mich die Fähre bei ruhiger See und Sonnenschein am 27. April 2013 die nur 33 Kilometer nach Dover GB. Ab von der Fähre und ab jetzt immer schön links fahren. So will es die Königin von Grossbritanien. Das muss ich mir einbläuen! Bei Folkstone frage ich drei englische Ladies, die vom Spaziergang am Meer kommen und trotzdem farblich geschmückt sind wie englische Patisserie, nach dem Weg zum CampingLittle Switzerland. Das ist meine erste Begegnung auf englischem Boden. Die sind so nett und lustig. Ich könnte stundenlang mit ihnen plaudern. Vor einer Brücke über mir, die sich um die Kurve aus meinem Gesichtsfeld davonzieht, mache ich Halt. Ich will nicht unter der Brücke stecken bleiben. Winkt mich ein alter Asthmatiker zu sich und erklärt, am Meer unten gibt’s auch noch einen Camping. Ich gehe zu Fuss weiter, um die Situation unter der Brücke zu checken und mache noch ein paar Schritte bis anfangs Camping. Ok, da kehre ich wieder um. Auf dem kurzen Rückweg holt mich der Campingwart per Auto ein und frägt, ob alles iO sei? Ich erkläre ihm meine Vorsicht. Wellcome! Jetzt hänge ich hoch über dem Meer auf einem kurzen, schmalen Kreidefelsplateau wie in einer Hängematte. Und das bei hellem Sonnenschein über dem Ärmelkanal mit Sicht auf die Küste von Frankreich. Die Bäume und Sträucher wagen ihr zartes Frühlingsgrün trotz sonnigem Wetter noch nicht zu entfalten. Hier will ich mich etwas entschleunigen.  Soooou schöööön!

 

Mai 2013                                                                                                          

 

Schön links fahren! Ich montiere mir eine Rolex an das linke Handgelenk, damit ich öfter mal nach  Links schiele und sie mich nach Links zieht.

 

Erst mal will ich die Südküste von England abfahren. Nach Eastbourne wandere ich auf den Kreidefelsenklippen „Beachy head“. Jetzt erwacht am ersten Mai auch die Natur an der Südküste. Zartes Blattgrün, muntere Blumen. Eine liebliche Landschaft mit schier endlosen Feldern, auf denen weit verstreut tausende wachsame Schafe weiden. Es ist Zeit für muntere Lämmer. Für Hasen mit Nachwuchs auch und prächtige Fasane. Wo die Weiden nach Süden die höchste Höhe erreichen, fallen sie über senkrechte Kreidewände ins Meer ab. Dieses Juwel soll über Kilometer hinweg in einem weiten Saum unbebaut bleiben.

 

Übrigens: Dachse gibt es auch viele. Sie sind nachtaktiv. Am Tag liegen sie wie tot am Strassenrand.

 

11`6“ Kannst du damit was anfangen? Zwei Mal zucke ich unterwegs zusammen, weil Brückenhöhen nur in feet und inches angegeben sind. Trotzdem erreiche ich Worthing. Nach einem vierstündigen Ausritt mit dem Architekten Hary in seinem Womo – ich nehme diese spontane Einladung an - hat er mir nun die Höhe meines Womos umgerechnet: 11`6“. Brückenhöhen, die unter diesem Mass liegen, machen sich bei meinem Womo krachend bemerkbar. Bei Hary gucke ich das englische Kreiselfahren ab. „Nicht einfach vor die Schnauze fahren, sondern dem sich auf dem Kreisel Befindenden - wie ein Gentlemen - an der Haltelinie den Vortritt lassen.“  In der Schweiz erlebe ich das Kreiselfahren als so eine Karussel- und Autoscooterfreude. Wer hockt wem auf? Wer quetscht sich noch schnell rein? No go in GB!

 

Portsmouth versucht sich mit dem Spinnaker-Tower attraktiv zu machen. Winchester hat für mich mit der Kathedrale (Grundsteinlegung 1079 und Bauereien bis ins 14.Jh.) mehr zu bieten. In der Kathedrale von Salisbury erlebe ich eine Konzertprobe von 150 Kindern und Jugendlichen aus zwei Schulen und einem Orchester. „God save the Queen“. Die Dirigentin erklärt: „Ihr müsst jedes Wort einzeln singen, so dass man glaubt, dass ihr das sagen wollt!“. Für mich als Aussenstehender nicht ganz eindeutig, was sie den Kindern sagen will. Die Stadt Salisbury wurde um 1220 von Old Sarum (ein paar Kilometer weiter nordöstlich) hierher verlegt. In kurzer Zeit (von 1220 bis 1266) wurde die riesige Kathedrale nach einem erstmals einheitlichen Gesamtplan der englischen Gotik gebaut.

 

Wo liegt denn Stonehenge? Diese Kultstätte der „hängenden Steine“ bei Amesbury ist zwar ausgeschildert. Überall fehlen aber klare Meilenangaben. Wie man mit Fotos täuschen kann! Ich hörte bezüglich Werbung mal den Satz: „Es gibt nichts Subjektiveres als das Objektiv!“ Anhand von Fotos habe ich mir die Anlage viel imposanter vorgestellt. Die Lage überrascht mich ebenso. Stonehenge liegt nicht etwa auf dem höchsten Punkt eines Hügels oder auf einer schier unendlichen Fläche, sondern seitlich an einem sanften Hügelzug. Ein natürlicher Talgraben, hunderte von Metern von der Kultstätte entfernt,  um gibt diese mit einem ruhigen Kreis. Das scheinen die Touristen nicht zu entdecken. Was wieder den Atem verschlägt ist die Geschichte von Stonehenge. Um 3000 vor Christus wurde mit der Arbeit begonnen. Seit 1500 v.Chr. hatte Stonehenge den heutigen Ausdruck. Dazu wurden bis zu sieben Meter hohe, fünfundzwanzig Tonnen schwere Megalithen aus 35 km Entfernung herangeschleppt! Bis zu vier Tonnen schwere „Blausteine“ wurden sogar über 385 km mit Schlitten und Flossen transportiert. Die Portale sind auf Sonnenaufgang und Sonnenuntergang der Sommer- und Wintersonnenwende ausgerichtet. Was Stonehenge kulturell bedeutete bleibt Spekulationen offen. Heute ein Tummelfeld für Esoteriker.

 

Es ist wirklich schwierig im Süden von England einen wilden Campingplatz einzurichten. Du kommst nicht von der Strasse ab, es sei denn mit Wucht über den Strassengraben und durch die Hecke. Alles ist eingezäunt, mit dichten Hecken be-haagt. Überall, wo ich eine Nische entdecke, droht ein klares Verbot zu bleiben. Die grossen Parkplätze vor Einkaufszentren sind mit hässlichen Höhenlimiten wie Fussballtore beschränkt. Sind sie mal offen zugänglich, genügen aufdringliche Verbotstafeln, mich zu verscheuchen. Umso mehr erstaunt mich: Womos dürfen die Nacht an der Umzäunung von Stonehenge verbringen. Bin gespannt, was mir die Urahnen von den „hängenden Steinen“ nach fünftausend Jahren in dieser Nacht an ihrer heiligen Stätte zu sagen haben.

 

Die Kathedrale von Exeter (Bauzeit 1257 bis 1369)übertrifft nach meinem Empfinden alle bisher in England gesehenen. Englische Hochgotik. Ein Wunder an baulicher Reinheit, an Helligkeit und Leichtigkeit im Innern. Das anmutige Rippengewölbe, das sich über 96 Meter dahinstreckt, dürfte das längste Rippengewölbe der Welt sein.

 

So viele Engländer sind überfett! Hässliche Bilder. Auf den offenen  Jahrmärkten werden elektrische Rollstühle zum Kauf angeboten, um diese Kolosse zu befördern. Auf einem kreisförmigen Betonsitzblock sitze ich mit vier weiteren Personen. Den Block von gleicher Grösse nebenan füllt eine einzige junge Frau!

 

Nach ein paar sehr engen Kratzhecken-Kilometern öffnet sich über weite Hügellandschaften hinweg das braune Hochmoor, das Dartmoor. Da wachsen keine Hecken. Hier gibt es endlich genügend Ausstellplätze, um die mythisch, sagenumwobenen Moor-Täler und -Hügel zu bewundern und auch Wanderungen zu den herausragenden Granitformationen zu unternehmen. Granit und Moor! Seltsam.

 

St. Ives liegt am äussersten Südwestzipfel von England an einer sandigen Meeresbucht. „Lands end“ nennen sie das. Nieselregen am Tag! Windstürme stülpen Vorzelte wie Duschhauben über die Dächer von Wohnwagen. Die Tate of West ist die dritte Dependance der Tate Gallery in London. Ein willkommener Höhepunkt am Ende der Welt. Viele Maler und Malerinnen haben sich in diesem Städtchen niedergelassen und führen ihre Galerien.

 

Alles gepackt und kontrolliert. Motor starten. Hilfe! Kein Brummen, kein Licht auf dem Display. Nothing is going on. Das zusätzliche Display sagt, die Batterie ist geladen. Nach fünf Stunden kommt, via TCS Schweiz organisiert, Andy von der Cornwall-Patrouille. Vielleicht sitzt der Flansch an einem Pol der Batterie zu wenig satt. Andy zieht ihn an und los geht`s! Wie weit? Egal. Hauptsache, ich parke mein Womo immer in Abschlepprichtung mit frei zugänglicher Motorhaube.

 

Von Lands end drehe ich der Westküste entlang nach Norden. In Widemouth bei Bude lande ich auf einem einsamen Camp am Meer. Da blase ich nicht Trübsal, sondern Saxophon.

 

Im modernen römischen Bad in Bath verbringe ich ein paar Stunden in der Bäder- und Massagewelt. Nebenan gibt es noch viel vom historischen Bad zu sehen, wo schon die Römer hierzulande das vierundvierzig Grad heisse Wasser für Bäder und Waschanlagen benutzten. Es soll das einzige Mineralbad mit heissen Quellen in Grossbritannien sein. Das Becken war grösser als jedes Bad jener Zeit in Rom.

 

Wäsche waschen ist für mich kein Problem. Ich wechsle alle zwei Tage… das Camp, nicht das Hemd. Das ist verantwortbares, dosiertes  Verteilen von Nebengerüchen auf die Umwelt.

 

Um die Innenstadt von Chester herum benutze ich den bequemen Gang auf der Stadtmauer. Sie ist rundum erhalten. In der Innenstadt überraschen mehrere Dutzend von Riegelbauten in Schwarz-Weiss. Die kunstvoll geschnitzten schwarzen Balken fassen auch Erker und Balustraden ein. Die Architekten und Bauleute übertrafen sich in fantasievoller Gestaltung der Fassaden.

 

In Liverpool besuche ich erst mal den Cavern Club. In diesen Kellergewölben haben die „Pilzköpfe“, wie sie in den 60er Jahren von leicht zu schockierenden Menschen despektierlich genannt wurden, erst mal musiziert. Nach ihrem Vorbild sind unter anderen Gewölben solcherlei Musikgruppen zu Hauf entstanden.  Abertausende von Jugendlichen haben sich damals mit der Langhaarmode durchgesetzt. Wer spricht heute noch davon.  1965 wurden die „Pilzköpfe“ von den Royals geehrt.

 

Haben eigentlich jene Jugendliche, die heute auf der ganzen Welt mit dem Hosenbund knapp über dem Zenit der  Arschbacken provozieren, auch irgendwelche Vorbilder? Ich weiss es nicht. Wollen sie einfach nur sagen: „Blas` du mir..“ und „Leck`du mir…“.

 

Aus dem Hafen von Liverpool ist 1912 die Titanic zur Jungfern-Todesfahrt ausgelaufen.

 

Englands grösster Schrotthaufen verbreitet sich über zehn Kilometer dem Meer entlang. Es ist die grösste Vergnügungsmeile Englands in Blackpool. Alles abreissen wird zu teuer sein. Das einzig kostbare an der Stadt: Von der Strasse zum Meer hin ist ein breiter Saum unbebaut und hübsch gepflegt.

 

Der Lake District nordwestlich von Kendal ist wunderschön, „hügelbirgig“. Die weiten Weideflächen und -hänge nun nicht mehr mit Hecken umzäunt, sondern mit anmutigen, intakten, meterhohen Steinmauern. Eine Jahrhundertearbeit bis die Weiden steinfrei abgetragen und die Mauern errichtet waren. In dieser herrlichen Gegend in der Nähe von Keswick verbringe ich Pfingsten.     

 

Heute begegne ich Kaiser Hadrian von Rom. Hat er doch quer durch ganz Grossbritannien ab 122 n.Chr. gegen die Kelten (Pikten und Scoten) eine Mauer bauen lassen von Carlisle bis Newcastle upon Tyne. In zehn Jahren wurde diese 118 km lange Mauer von drei Meter Dicke und sechs Meter Höhe mit unzähligen Kastellen, Kasernen und Wachtürmen erbaut. Um 410 n.Chr. endete die Herrschaft Roms in Britannien. Die heutige Grenze zu Schottland verläuft nur geringfügig nördlicher von dieser römischen Hadrian`s Wall. Zwischen Glasgow und Edinburgh wurde um 145 n.Chr. ebenfalls eine Verteidigungsmauer gebaut und kurz darauf wieder aufgegeben! Die Antonine Wall. Auch sie reicht vom West- zum Ostmeer und ist trotzdem nur 62 km lang. Hier also liegt die Wespentaille von Grossbritannien. Mit zwei Meter auf viereinhalb Meter ist sie nicht so wuchtig wie die Erstere.

 

 

Was ich erstmals wahrnehme: Grossbritannien reicht geografisch auf dem Breitengrad im Süden runter bis fast nach Mainz und hört im Norden vor Oslo in Schweden schon wieder auf zu sein! Ich bin bass erstaunt! Ich habe die Insel in Gedanken viel mehr nach Norden geschoben als sie tatsächlich liegt. Natürlich habe ich dies auf dem Globus schon öfters gesehen, aber kapiert habe ich es erst jetzt.

 

Ich fühle mich so reich beschenkt, durch diese herrlichen, hügeligen Gegenden von England zu fahren. Über die saftigen Weiden und die braunen Moor- und Heidelandschaften. Sooou schööön! Die meisten Leute sprechen nur von Schottland nicht von England? Was kann Schottland noch mehr bieten?

 

In England gibt es so viele Schafe, man könnte alle Engländer in Schafpelze stecken. In Schottland treffen 6,9 Millionen Schafe auf 5,2 Millionen Einwohner. 3,8 Prozent der Erwachsenen sind dem Kokain verfallen. Also gibt es in Schottland noch weit mehr Schafsköpfe wie Köpfe an Schafen. Die Schafwolle wird gesponnen und teilweise zu Kilts verarbeitet. Ein Kilt braucht eine Stoffbahn von sieben bis acht Metern Länge. Auch für meinen Durchmesser. Nimmt mich Wunder, wie der gewickelt wird.

 

Schottland erreiche ich über den Northumberland Nationalpark von Hexham nach Jedburgh. Noch so ein englisches Traumland. Und dann bin ich drüben. Auf dem 418 Meter hohen „Carter Bar“ verläuft die Grenze zu Schottland. Ein Dudelsackpfeifer mit geschwelgter Brust und im Kilt lässt die schottische Seite der Grenze ertönen. Um keinen Ärger zu bekommen, gebiete ich den Beatles, die sich bei mir auf einer  CD ohne Ende drehen, für den Moment zu schweigen.

 

Melrose liegt noch ca 50 km südlich von Edinburgh entfernt. Ich mag noch nicht in die Stadt. Die drei Berge von Melrose und die Abbey begeistern mich.Die Dryburgh Abbey erreiche ich  mit dem  Fahrrad. Diese Ruine liegt an einem breiten Flusslauf mit stillem, klarem Wasser. Einsame Ruhe. Ich nehme nur kleine Schritte, um diese Ruhe nicht zu stören und schenke mir zwei Stunden im weiten Park mit einfachen Grünanlagen und mächtigen Bäumen verschiedener Art.

 

Bei einer Metzgersfrau will ich ein grosses Stück Fleisch kaufen und zeige ihr gleich welches. „Geht nicht,“ sagt sie, „dafür brauchen Sie eine Pfanne!“  Ups!!!

 

Noch weigert sich Etwas in mir, die Stadt zu befahren. Ich weiche nach Nordosten aus und juble bald über North Berwick, die rote Ruine des Tantallon Schlosses auf der Klippe, umgeben von grünen Weiden und dem leuchtend gelben Raps in Blüte. Aus dem Meer ragen der Bass Rock und weitere Felsformationen. Der Bass Rock sieht aus wie leicht verschneit. Zwanzigtausend Paare Seevögel (elegante Basstölpel mit 180cm Flügelspanne)decken ihn mit ihrem Gefieder wie mit einem weissen Schleier!  Firth of Forth heisst die gewaltige Bucht, wo das Meer an Edinburgh vorbei bis tief ins Landesinnere greift. North Berwick liegt am Anfang dieser Bucht zum offenen Meer hin. Zwei Bootsstunden weiter draussen trotzt die Insel May allen Stürmen des Meeres und des Windes. Dort hausen die lustigen, tollpatschig treuen, rotschnabeligen, schwarzfrackigen, gelbflossigen, zutraulichen Papageientaucher, die ich von Island her kenne. Ein trolliges Volk.

 

Jeden Tag erlebe ich wunderbar. Wind hin oder her. Regnen tut es eh selten, da wo ich bin. Jeden Morgen, an dem ich mich ans Steuer setze, kribbelt mich die Abenteuerlust. Jeden Abend lege ich mich glücklich und zufrieden hin. Millionen von Bildern von sich nicht wiederholenden  Augen-Blicken lagern als kostbarer Schatz auf dem Grund meiner Seele. Ich fühle mich unheimlich privilegiert und dankbar auf dieser „never ending tour…“. Soooou schöööön!

 

Juni 2013                                                                                                          

 

Freitagabend, Bankholiday. „Kein Platz mehr, wir sind voll besetzt“. „Bitte schicken Sie alle weg und lassen Sie mich da bleiben. Ich erwarte morgen einen Freund am Flughafen.“ Die Dame vom Empfang funkt in der Gegend herum. „Ok, Sie können auf Platz 78 parken“. Wau! Und das am Stadtrand von Edinburgh, nur zwölf Kilometer vom Flughafen entfernt. Dominic landet, von der Schweiz dahergeflogen, am 1. Juni und wird mich eine Woche lang begleiten.

 

Das Schloss Edinburgh thront auf einem der sieben Hügel. Man erreicht es auf einer ansteigenden Rampe, an der beidseitig würdige Altstadthäuser, Staatsgebäude, Kirchen, Kilt- und Whiskyläden grüssen. Ausruhen kann ich mich mit Blick auf das Schloss und die Altstadt im gepflegten Grün des Princes Street Garden.  

 

Die Roslin Kapelle, 27 Kilometer südlich von meinem Camp in Edinburgh entfernt, fesselt Dominic durch die Filmaufnahmen von „Sacrileg - Da Vinci Code“. Von aussen ist die Chapel im Stil von verschnörkelter Gotik recht hübsch. Die Templer sollen hier den „heiligen Gral“ vergessen haben. Das Innere der Chapel bleibt uns leider verwehrt. Eine Taufe hat Vorrang vor gaffenden Touristen.

 

Auf dem Weg Richtung Glasgow besichtigen wir das FalkirkWheel. Schiffe werden über fünfunddreissig Meter gehoben, bzw gesenkt. Sie schweben dabei wie in einer Gondel an einem Riesenrad. Die zwei Gondeln  befinden sich immer im Gleichgewicht und werden mit einem Minimum an Energie durch Zahnräder bewegt.

 

An Glasgow fahren wir nördlich vorbei zum Loch Lomond (Loch heisst übersetzt See) über wunderschöne Loch- und Hügellandschaften bis Oban. Von Oban am Atlantik wieder nordöstlich hoch, bei Fort William am Ben Nevis (1343 m, dem höchsten Berg von England und Schottland) vorbei. Den ganzen Graben hoch über Fort Augustus. Hier werden die Boote über sechs nacheinander liegenden Schleussen ca 34 Meter auf die Höhe von Loch Ness gesenkt. (Es gibt viele Nessies in den Läden. Ein besonders schnulliges Exemplar wird Dominic seinem älteren Töchterchen schenken.) Wir fahren den Graben zu Ende bis Inverness an der Nordsee.

 

Der Aldi Manager von Inverness, der selber dabei ist, Gestelle  mit Kostbarkeiten zu füllen, findet es selbstverständlich, dass wir die Nacht auf seinem Parkplatz verbringen dürfen. Absolute Nachtruhe dicht am Zentrum. Am Morgen parkt auf dem weiten, leeren Platz ein Milchlieferwagen dicht neben uns. Sonderbar! Ohne ein Wort zu sagen, stellt der Milchmann vier Literflaschen feinster Milch in unseren offenstehenden Wohneingang und verschwindet wieder. Soooou schööön!

 

Das Donrobin Castle bei Golspie an der Nordsee ist unser nächstes Ziel. Die Landschaft entlang des Weges dahin ist einfach umwerfend schön und wird noch übertroffen von der Querverbindung von Dornoch nach Ephin und runter bis Ullapool wieder am Atlantik. Über die äussersten Küstenstrassen driften wir nach Süden. Oft sind es nur einspurige Strassen mit Ausstellplätzen. Die selten, aber doch mal entgegenkommenden Autos, nutzen die Ausstellplätze gern fluchtartig. Sobald ich aber kurz vor ihnen den Fuss vom Gas nehme, winken sie uns freundlich zu. Vielleicht auch deshalb, weil sie die Schweizer- und St. Galler- Aufkleber vorn bei der Nummer entdecken. Dominic hat sie mir mitgebracht. So erkennen mich die Leute von „Vornherein“, nicht erst zum „Nachhinein“. Das wirkt! Als Schweizer bin ich ein Exot unter den fast ausschliesslichen GBs und SCOs. 

 

Die kargen Berglandschaften, braun getrocknete Erikasträucher, dann wieder fruchtbares Grün mit Waldbestand, die immer wieder überraschenden Lochs und Meeresarme, das tiefblaue Wasser unter dem weisswolkigen blauen Himmel, die Blütenpracht des überall sich verbreitenden Ginsters, die lustigen Friesen, die die trockenen Hartgrassbüschel den grünen Wiesen aufsetzen, die Bäche und Flüsse, die noch mäandern dürfen wie sie wollen, die frische Luft, die wir einatmen, die menschenleere Einsamkeit an selbstgewählten Aussichtspunkten, die vielen Ausstellmöglichkeiten, die wir dauernd benutzen, das Kräftemessen bergauf und bergab auf dem Bike steigern wirklich alles bisher Erlebte. An so einem Höhepunkt sind unsere Tränen, unsere Umarmung und unser Schweigen die dankerfüllte Antwort auf die Schönheit dieser Schöpfung. Zu schön, für ein noch so lautes: „soooou schööön!“

 

Von Gairloch runter bis Dornie und wieder ostwärts bis zum Lochness-Graben, verneigen wir uns bei Gairlochy wieder vor seiner Majestät, dem Ben Nevis.

 

In Gairlochy werden wir morgens überraschend von Midges angegriffen. Ureinwohner des Hochlands! Das sind 1,4 Millimeter grosse Mücken, die morgens und abends in Myriaden ihre Schlachten führen. Gemeinsam sind wir stark, Dominic und ich. Wir verschliessen alle Ein- und Ausgänge unserer Burg und zerquetschen Dutzende von den eingedrungenen Midges. Die Schwerter dieser winzigen Kämpfer kann man nicht sehen, aber spüren.

 

Sehen kann man die Schwerter und Speere, die Brutalitäten von Menschen im schottischen Kultfilm von und mit Mel Gibson „Braveheart“, den Dominic hierzulande nur mit Mühe und Ausdauer auftreibt. William Wallace heisst der schottische Held, der sein Barfüsserheer mehrmals in Kriegen gegen die sich überheblich fühlenden Engländer  anführt. Am Ende wird er verraten, gefangengenommen, gefoltert, geköpft und in Einzelteile zerlegt in verschiedene Städte verschickt. Die Selbstverteidigung und das Selbstbewusstsein der Schotten gegen die Engländer bleibt heute noch wach! Seit 1999 führen die Schotten ein eigenes Landesparlament. Ebenso Wales.

 

Wir setzen durch die Grampian Mountains wieder über, am Blair Castle vorbei, bis Perth. Von Perth bis Edingburgh bleibt zwar die Natur wunderbar, wie sie ist, aber die Hektik und die sture Linienführung der Autobahn raubt uns, wie überall auf solchen Strecken, das Empfinden für die Naturschönheiten.

 

Der letzte Reisetag für Dominic mit mir. Wir sichern uns am Nachmittag einen Platz auf dem Camping von Edinburgh und fahren sofort los zur Kapelle von Roslin. Jetzt schauen wir auch das Innere der im 15. Jahrhundert gestifteten Kapelle, überreich an kunstvollen Steinmetzarbeiten und allegorischen Skulpturen. Die Prentice Pillar, eine spätgotisch reich verzierte Säule wurde von einem Lehrling hergestellt. Der Meister ist auf diesen Lehrling und sein Meisterwerk so neidisch, dass er den Lehrling mit einem Hammer erschlägt. Warum zerschlägt er nicht bloss die Säule? Sein Ärgernis bleibt uns so erhalten. Dominic betrachtet erstmals in seinem Leben Stein für Stein, von den Kommentaren des Audio Guide gebannt, ein historisches Werk! Ihn packt die totale Faszination. Da Vinci Code sei Dank. Soooou schööön! 

 

Dominic ist weg! Heute ist mir schwindelig. Ist es Abschiedsschmerz? Einsamkeit? Auch, aber ich  habe in den letzten Tagen die tolerierbare Menge und Mischung von Schmerzmitteln und Whisky verkannt.

 

Das andauernd schöne Wetter zieht mich nochmals nach Norden von Schottland. Es gibt noch viele bezaubernde Wegstrecken. Von Edinburgh über Perth (nicht attraktiv wegen Autobahn, die übrigens in ganz GB kostenlos befahren wird) direkt nach Norden bis Braemar.

 

Vor Braemar gibt es ein Skigebiet, die „Glenshee Ski Arena“. Schneekanonen stehen bereit, den auch in Schottland wenigen Schnee zu sichern. Schade für mich. Die sanften Berge wären ein unendliches Skitourengebiet! Nachdem ich dicht an der Strasse versteckt einen Hirsch mit Kuh entdecke, werde ich aufmerksamer auf die Tierwelt. Kurz danach beobachte ich ein Rudel von sieben Tieren zwischen dem Braun und Grün des Hügelzuges.

 

Ich fahre wieder östlich Richtung Aberdeen bis Aboyne. Weiter zum Crathes Castle und nördlich zum Craigievar Castle. Die Strassen sind sehr eng, mit nur einem Rucksack auf dem Rücken käme man trotzdem gut durch! Durch die Grampian Mountains, diesmal ganz östlich. Durch das Glen-Whisky-Distillery-Gebiet nach Findhorn. „Findhorn blüht“, hat mir ein junges Heilerpaar, das mit zwei Kleinkindern herumvagabundierend nach Auskommen und Heimat sucht, vor einer Woche in Inverness verraten.

 

Jetzt habe ich sie aber erwischt, die gute Alte. Ich bin zufällig gleichzeitig mit ihr aufgestanden. Sie haltet sich nicht mehr an meine Ost-West-Regel. Sie kürzt den Weg ab und geht dabei noch langsamer. Sie lacht länger. Da wo ich jetzt stehe, in Findhorn, drehe ich meinen Kopf von Sonnenaufgang zum Untergang fast nur in einem rechten Winkel.

 

In Findhorn, etwas landeinwärts vom Fischerdorf an den Dünen, lebt seit fünfzig Jahren eine Gemeinschaft, die verkürzt gesagt mit Meditation und Händearbeit Gemüse und Gemeinschaft auf Sand aufbaut. Und beides wächst. In Gemeinschaft leben, sein Leben vertiefen oder gar ändern, steht hinter jedem Angebot, eine Zeit in Findhorn zu verbringen. Ich will mich weder radikal ändern, noch schauen wie der Kohl wächst. Ich bleibe auf dem Solotrip und ziehe weiter nordwärts.

 

Das bekommt mir gar nicht gut. Drei Mal startet das Womo bei Aussichtspunkten nicht mehr! Ich öffne dann die Motorhaube und zerre an den Batterie-Kabeln. Drei Mal hilft das Prozedere von Gairloch bis Ullapool. Hier warte ich einen Tag und eine Nacht auf den Bosch-Garage-Termin. Bin termingerecht da. Ok, wir gehen gleich an die Arbeit, trinken aber erst eine Tasse Tee. Einverstanden. Offenbar war der Tee sehr heiss. Nach 35 Minuten kommen die Arbeiter zurück.

 

Ihr schottenglisch kann ich nicht verstehen. Sie deuten jedes Wort nur an, indem sie mit der Stimme an- und abschwellen als müssten sie von einem Hartgrassbüschel zum andern hopsen. Versuch mal Folgendes hüpfend halblaut auszusprechen : hab stun ar, ni gfu! Das heisst: Halbe Stunde Arbeit, nichts gefunden! Genauso tönt das. Du kannst dir jetzt einen Kilt umhängen. Du hast den Slang der Unverständlichkeit drauf!

 

Übrigens, die Schotten sind verschwenderisch. Ich habe dir schon gesagt: ein Kilt benötigt sieben bis acht Meter Stoff! Wozu das? Vorn wird er platt angedrückt und eine Minisatteltasche vorgehängt. Hinten wird er, und das braucht sehr viel Stoff, in Falten gelegt, damit er sich der Anatomie des schottischen Mannes hinten anpasst und die Aufmerksamkeit auf diesen meist sehenswertesten Teil lenkt. Schön finde ich die Schotten…..hinten und vorne nicht. Aber sie sind zäh. Ihr Land wunderschön.

 

Ok, ich fahre voll Vertrauen weiter ins Outback seaside der Westkünste entlang hoch zum nördlichsten Zipfel!  Auf einem Zettel mache ich Striche für jeden problemlosen Start! Jeder Strich bedeutet ein Stossgebet. Ich zähle fünf Striche ohne Stossgebete, dann bockt die Zündung wieder. Keine Panik, kann ja damit umgehen! Wiederum freue ich mich über eine elegante Wegfahrsperre. Mit diesem Womo haut mir keiner ab. Das Geheimnis weisst nur du und ich.

 

Am Ort der „Glückseligkeit“, wie Dominic jenen namenlosen, mystischen Aussichtspunkt nennt, beobachte ich diesmal Robben und Delfine. Soooou schöööön!

 

Nach eineinhalb Monaten Sonnenschein um mich herum, regnet es endlich einmal. Eine faszinierende Erfahrung. Aus den Schleiern um die Berge herum üben Feen ihren sanften Augenaufschlag. Hexen schielen aus dem Gestrüpp an den Bachläufen. Trolle winken aus dem Wurzelwerk der Eichen und Birken. Ein vergnügtes Volk. Wenn ich anhalte, verschwinden sie nicht sogleich. Unmerklich verwandeln sie sich, bis sie Steinen, Felsbrocken, Grasbüscheln, Ästen und Wurzeln gleichen. Kneife ich meine Augen zu, sind sie wieder da, die „kurligen“ Gestalten. Die Nixen baden auch mal gerne im Süsswasser. Sie schütten ihren Badezusatz in die Lochs. Die tiefblauen, mit gelbem Ginster umrandeten Seen verwandeln sie rasch in silberglitzernde Badebecken. „Nix wie los!“, kichern die Nixen und tauchen ab. Ich bin vergnügt im Regen.

 

Jetzt habe ich es bergauf und -ab auf Einbahn-Ausstellsträsschen bis nach Durness geschafft. Das ist das nördlichste Dorf im Nordwesten von Schottland. Am Riff draussen steht die historische Balnakeil Kirche. Was hindert es Gott und mich, dass das Dach fehlt. Ich habe eine schwere Ladung Dankesgepäck bei mir. Dieses Gepäck deponiere ich hier, auf dass es Gott zu sich hole. Er hat es verdient. Er kann ja nichts dafür, dass ich immer hartnäckigere Startprobleme kriege.  Am äussersten Zipfel auch, wo kein Huckepack-Lastwagen mehr wenden kann! Würde ich mich über diese Krüppelmontage von IVECO und Carthago aufregen, wäre das schade um die atemberaubende Landschaft. Also lasse ich das sein.

 

Die Meeresbuchten von Durness der nördlichen Küste entlang sind traumhaft. Ab Tongue folgt ein schier unendliches Hochmoor. Thurso ist der östlichste Punkt, den ich im Norden anstrebe. 

 

Nachdem ich in Ullapool keine Starthilfe bekommen habe, versuche ich es in Thurso. Geht nicht, fahren Sie weiter bis Inverness. Inverness kann nicht helfen. Fahren Sie nach Perth. Die IVECO Garage wechselt auf meinen Hinweis das ECU-Interconnectiongerät aus. Insgesamt fahre ich heute 445 km um das Problem zu beheben und lande in Edinburgh. Hier bekomme ich um acht Uhr abends den zweitletzten Aussenvor-Stellplatz. Das Camp ist voll. Mir genügt der Ort. Hauptsache ich muss nicht weg! Seitdem sich die Misere in Gairloch eingestellt hat, bin ich hilfesuchend 1447 km, die Hälfte davon im Outback, gefahren. Jetzt hoffe ich aber sehr, dass mein Einsatz belohnt wird. Aber von wem nur?

 

Godby Edinburgh und Schottland! Am 17. Juni 13 fahre ich in Newcastle upon Tyne über die Fährbrücke ins Innere eines grossen Fährschiffes. Wo ich ankommen werde, kann ich dir erst sagen, wenn ich an Land gehe. Vielleicht erwische ich ja das falsche Schiff!

 

Falls du in Schottland reisen willst: Midges waren nur einmal schlachtbereit. Wahrscheinlich bekommt ihnen das sonnige Wetter nicht. Du kommst in Schottland auch mit einem PW und Bed&Brackfast oder Zelt fein durch, brauchst dir kein Womo kaufen. Königlich fein wird`s nur in meinem Womo sein. 

 

Juni T2, Juli 2013                                                                          

 

Wie soll ich denn das im IVECO neu eingebaute Teil mit Starten testen. Die IVECO-Garage macht ohnehin gleich dicht. Feierabend. Wochenende!  Also führe ich den Test wieder im Ernstfall durch. Auf der Strasse. Einfach viel Vertrauen und losfahren, wie nichts gewesen wäre. Das klappt! Ich nehme von Edinburgh die Küstenstrasse südwärts, schaue nochmals bei den Basstölpeln auf dem Bassrock vorbei, bis Newcastle upon Tyne. Jeder Start gelingt an einsamsten Orten auf Anhieb. Die defekte ECU-Interconnection ist zu Recht ersetzt.

 

In Newcastle uT gibt es ein Ferry-Zeichen am Strassenrand. Keine Ahnung, welche Fähren dort verkehren. Ich fahre zur Erkundung drauflos. Vor den Gates noch keine Hinweise. Rein in das Abfertigungsgebäude. Nach Funkklärungen lassen sie mein  Wohnmobil als allerletztes noch rein. Nachher sei Schluss! Was hab` ich wieder für einen Dussel. Alles geht glatt und in zwei Stunden ist Abschiffen auf dem riesen DFDS Seaway nach IJmuiden-Amsterdam. So schnell wollte ich eigentlich gar nicht sein. Fünfzehneinhalb Stunden dauert die Fahrt mit feinem Abendessen, Schlafkabine mit fünf Schlafstellen für mich allein und Frühstück. Alles für 373 Schweizerfranken. Nein, das ist ein fairer Preis. Auf dem Landweg müsste ich dieses Geld in Diesel und die kurze Fährenfahrt von Dover nach Calais und wer weiss, in welche Reparaturen stecken.

 

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