2014 APRIL MAI

 

Theres und Hans beehren mich mit einer Woche Tessin. Campofelice. Im Calancatal verpassen wir unseren Bergfreund Hermann und Regula um einen Tag. Ende Mai wird Hermann auf seiner Hütte im Scandalasc seinen 75. Geburtstag feiern. Er wird unsere Grussbotschaft vorfinden.

Vom Marktdörfchen Sonogno weg begleitet uns ein junger, „schnussiger  Vierbeiner“. Er driftet nur weg, wenn er Murmeltiere erblickt. Und die erblickt er, bevor wir sie sehen. Bei den Höhlen-Entrées bleibt er schnüffelnd stehen, wälzt seine Duftmarke auf den Erdhügel und nimmt das Déodorant der Murmeltiere auf. Zurück im Dorf blufft er vor seinen Kollegen: Riecht mal, wo ich war?

 

Per Postreisecar kommt ein fünffacher Besuch aus Vilters über den San Bernardino nach Locarno gefahren. Der riesige Trödlermarkt auf der Piazza Grande findet Käuferinnen unter uns.

 

Beat schlägt mit Jasmin und Timo für zwei Nächte ein Zelt neben uns auf. Die Kinder geniessen nebst Fahrrad- und Canufahren ihren Nini und ihre Nani vor Ort.

Am 12. Mai 2014, exakt ein halbes Jahr nach der Operation, führe ich meinem Chirurgen in Cham mein Knie vor. Die metallenen Teile im Knie sitzen total gut. Wir beide sind sehr zufrieden und stolz auf unser gemeinsames Werk. Ich habe also eine bestens funktionierende Knietotalprothese eingebaut und bin wieder auf den Beinen. Auf dem Monitor sieht der Chirurg normalerweise havarierte und operierte Knochen. Heute ist das anders. Er zeigt mir herrliche Ferienfotos über Kanada. Soooou schööön. Da möchte ich auch mal hin.

 

Ein halbes Jahr habe ich auf das Unterwegssein verzichtet. Nun geht es wieder los. Stefan steigt in Vilters zu. Er fühlt sich in meiner Kartause zu Hause. Wir rattern über den San Bernardino, durch die Poebene bis Nähe Florenz. Am zweiten Tag erst kommen Feriengefühle auf.  In Civitavecchia steht ein grosses Fährschiff. Wir kennen weder den Fahrplan noch haben wir gebucht.  Nach nur einer Stunde wird die Vertäuung gelöst. Womo und Personen an Bord! In zwölf Stunden laufen wir nach einer ruhigen Nacht in Cagliari, der Hauptstadt im Süden von Sardinien ein.

  

Kornel und seine Kinder haben uns die ihrer Erfahrung nach schönsten Stellplätze im Südwesten der Insel genannt. Und wirklich! Der Strand von Chia, der weisse Strand an der hellblauen Costa del Sud, die azzurofarbene enge  Bucht Cala Domestica, der Reiskorn-Kieselstrand von Is Arutas sind phänomenal. Baden wollen wir nicht. Es weht ein heftiger Wind.

 

Kennst du die Nuragher auf Sardinien? Nie davon gehört? In den Ausgrabungen von Tharros, im Museum von Cabras und im UNESCO geschützten Su Nuraxi in Barumini lernen wir sie kennen. Es sind die Ureinwohner von Sardinien (in ihrer Blütezeit um 1700-1500 vor Christus). Ihre Dörfer bestehen aus trutzigen Basalt-Steinrundbauten. Rund um den Hauptturm sind weitere Kreisbauten angeordnet. Sehr wehrhafte, dickwandige Bauten. Ganz Sardinien ist von diesen Steinbauten überzogen, ca 6500 zählt man bisher. Weil die Nuraghie-Kultur aber ohne Schrift war, wird an Hand dieser Bauten und zierlichen Bronce -und bemalten Keramikfundstücken über ihre Herrschaftsstruktur, ihre Lebensphilosophie und Religion gerätselt. In Gigantengräbern wurden die Gebeine der Verstorbenen beigesetzt. Die Nuragher waren im Handel mit Mykenern, Phöniziern und Puniern. Leider gibt es auch aus diesen Handelsbeziehungen nur sehr spärliche schriftliche Hinweise über die Nuragher.

 

Punta la Marmora ist mit 1834 Höhenmeter der höchste Berg mitten auf Sardinien. Vier Stunden über Stock und Stein, rauf und runter, ist die erste kleine Bergtour, die mein Knie bestens mitmacht. Aufsteigender Nebel verdeckt uns westwärts die Sicht. Wir geniessen die Aussicht in die Hügel und Täler der anderen Himmelsrichtungen. Wilde, bogengehörnte Mufflon-Schafe rennen vor uns weg.

 

Von Tortoli bis Dorgali an der Westküste zieht sich auf neunhundert bis eintausend Meter Höhe eine Alpenstrasse über die Hochebenen und Täler. Eine Wonne, diese Aussichten auf der sechzig Kilometer langen Strecke zu erleben. Das Vieh, die Ziegen und Schafe und auch Schweine bewegen sich frei auf Weiden und zwischen Büschen.

Tiscali lag unter einer Felskuppel von einhundert Metern Durchmesser. Vierzig Nuragher-Familien samt ihren Steinhäusern fanden darunter ein Versteck. Das Höhlendach ist eingestürzt und hat fast alles unter sich begraben. Nachts rufen die Zwergohreulen in diesem Naturreservat und tags die Kuckucks.

 

Stefan erklettert die Gola Su Garrupu Schlucht. Es soll die tiefste Schlucht Europas sein. Diesen anstrengenden Zugang mute ich meinem Knie nicht zu. Mit Recht, sagt Stefan, als er zurückkommt.

 

Hübsche Tierformen sind im Laufe der Gesteinserosion am Capo d`Orso (dem Bären), am Capo Testa (am Nordostkap),  und bei Castelsardo  dem Roccia dell`Elefante entstanden. Am Capo Testa macht uns besonders das freie Herumklettern und Entdecken interessanter Gesteinsformationen Spass.

 

In Alghero, einer Touristenstadt im Westen, sind die Ateliers voll echter und unendlich vieler unechter Korallenanhänger. Was die Tropfsteinhöhle Grotta di Nettuno am Capo Caccia nach einem Abstieg von 652 Treppenstufen auf Meereshöhe zu bieten hat, ist Natur pur.

 

Nach zwei Wochen mit bestem Schlaf gesegnet, schlafen wir auch in einer Koie die ganze Nacht durch ruhig, während das Wohnmobil im Schiffsbauch dahindöst. Die Fähre befördert uns von Porto Torres nach Genua.

 

Auf den gewaltigen Reisfeldern im hinteren Teil der Poebene wachsen bereits zarte Pflänzchen. Über den Grossen St. Bernhard hat schon Hannibal mit Elefanten übergesetzt. Mein Womo schafft das spielend. Eine Verbindung zu den Menschen auf Sardinien und einen Abschluss voll Dankbarkeit über unsere Reise finde ich in der Abendmesse bei den Benediktinern, wo der Prior in lebendiger und „glaubwürdiger“ Weise vom Menschen als dem Abbild Gottes spricht. Und so ein Abbild hat mich während vierzehn Tagen in Stefan begleitet.

 

Es bleibt noch Zeit, das mittelalterliche Städtchen Gruyère kennen zu lernen, bevor Stefan sich in Bern zu seiner Familie absetzt.

 

Vor der Lorrainebrücke in Bern, wo ich schon manche Nacht und Tagesstunden ohne behelligt zu werden geparkt und geschlafen habe, kommt eine Polizeipatrouille gelaufen. Sie nehmen keine Notiz von meinem parkwidrigen Verhalten. Das wundert mich und gehe - mein Schicksal herausfordernd -auf sie zu. „Mit dem Parken haben wir nichts zu tun, wir sind von der Drogenpolizei“, sagen sie. Mit Drogen habe ich nichts zu tun. Eine harte Sache denke ich, und frage: „Wie viele Jahre lang müssen sie diese harte, deprimierende Arbeit tun. Wünschen Sie sich nicht manchmal einen anderen Job?“. „Nein“, sagt der ältere von den jungen Beamten, „ich tue diese Arbeit schon zwölf Jahre lang und möchte keines dieser Jahre missen. Die Drögeler sind meist feine Leute. Wir erleben Schönes und Aufsteller. Schwierig sind die Alkoholiker.“  Mit einem raschen Blick auf eine absteigende Treppe zur Aare verabschieden sich die Polizisten unvermittelt, aber doch mit einer Entschuldigung: „Michi geht gerade konsumieren. Wir müssen zu ihm“. Mein gesetzeswidriges Parkverhalten  an der Lorrainebrücke bleibt wie immer ungelöst und ungeahndet und ich verbleibe im Frieden mit der Polizei.

 

Kaum bin ich vor Pfingsten in Vilters angekommen rufen Sibille und Ernst die Geschwister und Verschwägerten zum Essen zusammen. Aus Wiedersehensfreude oder wegen des baldigen Abschiedes? Wohl wegen beidem. Nach Pfingsten geht`s gleich weiter! 

 

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