Mai 2017 Vilters bis Moskau

 

Gott segne mir die Erde,

auf der ich jetzt stehe.

 

Gott segne mir den Weg,

auf dem ich jetzt gehe.

 

Gott segne mir das Ziel,

    für das ich jetzt lebe.   

 

 

 

Elisabeth S. beschenkt mich mit diesem irischen Reisesegen. Sooou schööön!

 

Am 2. Mai 2017 nehme ich Abschied von meinen Geschwistern und Verwandten in Vilters. Sie sind gesundheitlich Gott sei Dank alle gut drauf. So kann ich auch in dieser Beziehung locker fahren. Tränen benetzen trotzdem unsere Augen. Wir leben ja alle auf Abruf. „Behüte mich, Gott. Ich vertraue dir. Du zeigst mir den Weg zum Leben. Bei dir ist Freude, Freude in Fülle!“ Dieses Taizélied begleitet mich beim Start.

 

Nürnberg liegt schon mal am Weg. Beim Wiedersehn mit meinem Patenjungen Michael und seiner Familie bewundern wir ihre Fotobücher und Reiseziele in der ganzen Welt. Für mich geht es vorerst weiter Richtung Norden.

 

Lenka und Franz Josef überrasche ich in Panschitz-Kuckau. Die zur DDR-Zeit  schwärzliche Altstadt von Bautzen hätte abgerissen werden sollen. Jetzt strahlt sie renoviert aus den alten Gebäuden und hat Charme. Lenka wird nach meinem Grenzübertritt nach China im Juni mit einem Ärzteteam in der Mongolei einfliegen. Zum dritten Mal wird sie für drei Wochen zahnärztliche Arbeit leisten. Viele ältere Menschen in der Mongolei sprechen wegen der damaligen Besatzung noch Russisch. Unter derselben Voraussetzung hat Lenka ebenfalls Russisch gelernt. Die Verständigung klappt wenigstens im saftig grünen Norden des Landes. Im Süden gab es wegen der weitläufigen Verzettelung der Jurten in der Steppe und am Rande der Wüste Gobi keine Schulen, kein Russisch.

 

Als ich bei Lenka erzähle, dass ich morgen eine Familie in Rietschen, an der polnischen Grenze besuchen werde, kichert der kleine Benno. Warum er das lustig findet, erfahre ich erst später. Rietsch ist ein sorbisches Wort und heisst Arsch. Höflicher wäre es zu sagen Rita. Das bedeutet dann so viel wie Ärschchen. Klar, dass der kleine Benno kichern muss, wenn ich so unhöfliches Zeug rede. Aber was kann ich denn dafür. Die Sorben haben dem Dorf diesen Namen gegeben.

 

Meine Bekannten in Rietschen, du erinnerst dich an die Begegnung mit Krankenhausbesuch in Radolfzell a.B. im April-Reisebericht, begleiten mich zum Erlichthof. Eine Art Freilichtmuseum von alten Schrothäusern. Holzhäuser, die dem Tagebau von Kohle weichen mussten und hier wieder aufgebaut wurden. Schrot dürfte in diesem Wort so viel bedeuten wie roh gespaltenes Holz.  

 

Etwas weiter nördlich besuchen wir das wieder aufgebaute Fürst Pückler Schloss von Muskau in dem wunderschönen Naturpark der Oberlausitz gelegen.

 

Berlin Köpenick. Der schelmische Hauptmann bringt mich immer wieder zum Schmunzeln.

 

Maricka und Willi ergattern uns noch einen Platz beim Italiener in Schöneiche b.B. Die Enkelkinder werden mit wunderschönen Quiltdecken von Maricka beschenkt.

  

Patrice und Alyona übernehmen in Köpenick eine feine, selbstgestrickte Decke von Silvia.

 

Benno und Ulrike verbringen mit Nepomuk, Antonin, Julika und mir einen Abend im Biergarten des Köpenicker Hofes, wo mein Womo steht. Der zehnjährige Antonin überrascht uns alle. Er will den Rest der Nacht bei mir im Womo schlafen. Den folgenden Sonntag geniesst er mit mir und kehrt erst gegen siebzehn Uhr mit Bedauern nach Hause, als ich mich für einen nächsten Besuch auf den Weg mache.

 

In der Altstadt von Köpenick geniesse ich das Sitzen am Wasser und später im Kaminraum von Heidi und Martin mit ihren Familien. 

 

Diese Besuche geben mir das Gefühl von altvertrauter Beheimatung. Sooou schööön!

 

Bald werde ich eine neue Beheimatung in mir ziemlich fremden Ländern finden.

 

Von Berlin weg bis quer durch Nordpolen finde ich nach fünfhundert Kilometern in Grudziadz den ersten Mc Donald, um meine Streckenkarte ins Internet zu stellen.  Der Platz ist ausnahmsweise befestigt. Ich werde mir wohl noch Stiefel kaufen müssen. Bei Regen über Land hüpfe ich von einer Pfütze in die andere. Den nächsten Mc Donald, ich mag auch die chicken…., finde ich nach einem weiteren Tagesmarsch von vierhundertachtzig Kilometern über teils schmale Landstrassen in Suwalki vor der Polengrenze zu Litauen. Ich fahre bei sonnigem Wetter, elf Mal unterbrochen durch Graupeln und Schneeschauer am 9. Mai. Der Sensor warnt vor Eisglätte.

 

Östlich von Kaunas gibt es in Rumsiskes das Freilichtmuseum von Litauen. Aus den vier Regionen wurden Häuser von vor der Industrialisierung hierher transportiert,  aufgebaut und ein Dorfplatz geschaffen (Ballenberg in der Schweiz).

 

Nordpolen, Litauen, Lettland, Estland. Die Weite dieser flachen Länder kann ich nur in den Wolkenbildern erahnen. Das Land begrenzt meine Sicht am Horizont. Die weissen Wolken hingegen ruhen über dem Land bis zur schieren Unendlichkeit. Auch dort liegt noch flaches Land.

 

Störche nisten oft bei den Bauern und picken beim Pflügen hinterher. Vereinzelte Kranichpaare haben es vorgezogen den Winter hier zu überstehen. Einzelne Rehe weiden. Noch sinkt die Temperatur nachts unter den Gefrierpunkt. Die Natur liegt gegenüber der Schweiz drei Wochen zurück.

In Jögeva, Estland, sind die Eltern von Aimar zu Hause. Aimar arbeitet in Finnland, Katy, seine Frau, in Tallin. Viele Esten suchen Arbeit mit Erfolg nur im Ausland. Aimar tut das seit Jahren. Früher in Irland, jetzt in Finnland. Hartes Brot. Obwohl ich Maree und Rein überrasche, erfinden sie sofort ein Programm, mir Naturschönheiten wie den mythischen Hügel von Kassinurme Mäed zu zeigen. Sooou schööön!

 

Auf dem City Camp in Riga (Lettland) treffen immer wieder andere Fahrzeuge mit dem Aufkleber „Seidenstrasse“ ein. Sofort entwickelt sich ein wohlwollendes Wiedersehn nach den gemeinsamen Vorbereitungstagen im Februar in Gau Algesheim. Nach weiteren zwei Tagen Instruktion fahren wir am 17. Mai zur estnisch-russischen Grenze. Höchste Zeit, die kyrillischen Schriftzeichen zu repetieren, um die Strassenschilder lesen zu können.

 

Auf zwei Dinge muss ich mich nach fast sechs Jahren erneut einstellen. Erstens: Ich werde ein halbes Jahr lang täglich ziemlich genau im Voraus wissen, wo ich abends Marschhalt mache. Zweitens: Ich werde hundertsiebzig Nächte lang mein Wohnmobil auf freiem Feld oder einem Parkplatz neben den neunzehn anderen parken und dieselben zirka fünfunddreissig Leute antreffen. Die Tagesetappen werde ich allerdings mausalleine fahren und gestalten. Sooou schööön!

 

In Misso Estland sammeln wir uns in der Gruppe zum gemeinsamen Grenzübergang nach Russland. Ich bin auf der Gästeliste die Nummer 1 und werde zuerst über die Grenze geschickt. Das dauert gerade mal zweieinhalb Stunden. Bis alle Dokumente ausgefüllt und dann im Computer von den Beamten noch in die kyrillische Schrift übertragen sind. Die Beamten sind durchweg sehr freundlich und tun ihre nicht einfache Arbeit gelassen auf eine vorzügliche Weise. Respekt. Unser letztes Fahrzeug kommt nach viereinhalb Stunden durch. Die Warenkontrolle geht ganz flink und man lässt mir Schnaps und Wein und alle möglichen Sachen im Kühlschrank. Sehr vornehm. Bei der Personenkontrolle finden sie meinen Wohnort Rotkreuz nicht im Computer. „Nennen sie uns eine andere grosse Stadt“. „Zug heisst unsere Kantonshauptstadt.“ „Finden wir auch nicht“. Dann fragt ein weiterer Beamte kann es auch Zürich sein?“ „Ja, bitte, schreiben Sie Zürich“. Zwei Beamte und eine Beamtin, die meinen Fall zu klären versuchen und gern sachlich ernst bleiben, lachen darauf mit mir zusammen hell heraus.       

 

Die Reiseleitung hat uns ein paar tausend Rubel zugesteckt. Damit können wir tanken und einkaufen. Den Liter Diesel bekomme ich für 38 Rubel. Das sind  0,70 Franken.

 

Ausserhalb von Pskow parken wir bei einem Kaffee, wo sich vor hundert Jahren deutsche und russische Soldaten gegenübergestanden haben. Statt einander den Schädel einzuschlagen, haben sie aber friedlich Zigaretten und Schokolade geteilt. In Erinnerung an diesen Frieden zwischen den ehrbaren Soldaten hat der Besitzer des Landes hier ein Kaffeehaus mit festlichem Garten gebaut. Demnächst wird er ein vollmodernes Camp eröffnen und hofft auf Besucher auch aus dem Westen.

 

Eine Elchkuh sucht sich ein paar Kräuter im lichten Wald. Sonst sind Tiere entlang den Autostrassen und zu meinen Fahrzeiten selten zu sehen.

 

In Welikiye Luki warten Offizielle, um uns auf ihrem Sportareal zu begrüssen. Dass sie eine Sportstadt sind, zeigen uns die Jungen beim Skaten, BMXen und an verschiedenen Sportgeräten im Freien. Eine Deutschlehrerin bringt die Kinder und Jungen mit uns ins Gespräch. Sie benehmen sich höchst anständig und bedanken sich für verschiedene Wohnmobilführungen.

 

Als die Besuchergruppen sich auflösen gibt es doch noch Aufregung. Ein Mädchen kommt dahergelaufen und benimmt sich auffällig neben den Schuhen. Zwei Junge geraten ihretwegen verbal aneinander. Ein Kollege, der den russischen Kampfsport Samba lernt, das ist Verteidigung ohne Waffen,  mag seinen Kollegen, den Boxer, mit Armgriffen nicht mehr zurückhalten. Der Boxer streckt den verbalen Wüstling mit einem Blitzschlag nieder. Darauf hilft das angeblich beleidigte Mädchen ihrem Beleidiger aus Mitleid auf die Beine und führt es zu mir, um sein heftiges Nasenbluten zu stoppen. Eine Rolle Küchenpapier genügt. Das Mädchen reisst mir zum Dank eine Seite aus ihrem Skizzenbuch. Ein Zeichentalent hat sie. Einige Zeit später schleichen der Sambasportler und der Boxer mit geduckten Köpfen vorsichtig um mein Wohnmobil. Sie wollen über den Vorfall mit mir reden. Sooou schööön! Ich ziehe Arthur als Übersetzer bei. Dieser unkontrollierte  Wutausbruch des Boxers beschäftigt mich die ganze Nacht. Toll ausschlagen kann der Junge. Wer aber wird ihm helfen, sich selber in den Griff zu bekommen, bevor er das Leben anderer und sein eigenes zerstört?

 

Rund fünfhundert Kilometer fahre ich meist durch Waldschneissen. Du weisst schon, das langweilt mich nicht. Ich spreche mit den Bäumen. Ich singe Taizélieder. Ich nehme ein Taxi zu Hilfe, um mich zum Camping Plus zu führen. Wahrscheinlich habe ich die Koordinaten falsch eingestellt. Nach fünfhundert Kilometern will ich das jetzt aber nicht als Erstes klären. Das Reiseleiterteam lädt nämlich alle zum Grillfest in Moskau ein.

 

  

 

2017  Juni Teil 1 Russland

 

Ich weiss nicht, warum mich in Wotkinsk die Führung in Tschaikowskys Haus so sehr berührt. Die Familie war sehr reich und trotzdem glücklich. Vielleicht ist es das. Als Dreikäsehoch wollte Piotr Klavier spielen. Sass er am Klavier, wurde er sehr nervös und aufgeregt. Er höre dauernd die Melodien in seinem Kopf, die er rausbringen müsse. Um ihn zu beruhigen, sperrten die Eltern das Klavier ab! Er spielte auf dem Fenstersims weiter und zerbrach einmal dabei sogar eine Scheibe! Vielleicht ist es das, was mich so berührt. Nach acht Jahren zügelte seine Familie von Wotkinsk nach Petersburg. Piotr musste von seiner geliebten Erzieherin Abschied nehmen. Vielleicht ist es das. Seine Mutter schenkte ihm in Petersburg einen Flügel. Er war zwölf. Vielleicht ist es das. Seine Mutter starb, als er vierzehn war. Das hat ihm ein Leben lang wehgetan. All das berührt mich sehr. Tschaikowsky war ein sehr fühlender, hochbegabter junger Mensch.

 

Zwei Musikstudentinnen geben im Tschaikowsky Museum ein Klavierkonzert. So eine gediegene Führung habe ich noch nie miterlebt. Sooou schööön!

 

Einen Papa mit Kleinkind, das ein grosses Interesse am Womo zeigt, lade ich ins Innere ein. Papa telefoniert mit seinem Bruder, er solle sofort kommen. Er könne was ganz Ausserordentliches erleben. Cool, wahnsinnig, quittiert dieser! Am Abend bringt mir Uschi Geschenke vom Jungen mit. Er wolle sie für Lorenz mitgegeben, der schon weitergefahren sei. All das macht die Müdigkeit von vierhundert anstrengenden Kilometern vergessen. Sooou schööön!

 

Am Stausee an der Isset in Ekaterinburg flanieren die Russen und da steht auch mein Womo. Für mich heisst das „Tag und Nacht der offenen Tür“! Die Menschen sind so was von dankbar, so ein kurioses  Womo von Innen zu sehen.

 

Ekaterinburg, die viertgrösste Stadt Russlands, war bis 1991 für Ausländer eine verbotene Stadt! Rüstungsindustrie der Zaren und Kommunisten. 

 

Kurz vor Ekaterinburg liegt die Grenze zwischen Europa und Asien. Hier „erhebt“ sich der Ural nach Norden und Süden. Ich muss mein Wissen von Landkarten und Atlanten der Natur anpassen. Der Ural ist Hügelgebiet. Nur weit im Norden erreicht der höchste Punkt 1895m. Nicht der Rede wert. Und doch hat ein Wissenschaftler nachgewiesen, dass es eine Wasserscheide gibt. Die Flüsse im europäischen Teil fliessen nach Süden ins Schwarze Meer. Die Flüsse im asiatischen Teil nach Norden ins Polarmeer. Die Flora soll in West und Ost teils verschieden sein. Für meine Wahrnehmung ändert sich vorerst nichts. Tausende Kilometer zwischen einhundert und dreihundert Höhenmetern! Schier unendliche Grünflächen.

 

Bis zur Europa-/Asiengrenze bin ich 6180 Kilometer gefahren. Ausser dem kühlmüden Kühlschrank, der nach ein paar Tagen und verdorbenen Esswaren wieder prima kühlt, gibt es keine besonderen Vorkommnisse, am Womo nicht und nicht an mir. Sooou schööön!

 

Ich frage mich dauernd, wie die Landbevölkerung in ihren windschiefen Hütten den Winter übersteht. Holzspalten tun sie wie verrückt. An Stadträndern steht gespaltenes Holz auf kleinen Lastwagen zum Kauf bereit. Die kleinen SchülerInnen müssen an Tagen ab Minus sechsundzwanzig Grad nicht zur Schule. Die Mittleren ab Minus achtundzwanzig nicht. Die Grossen ab Minus dreissig nicht, falls ein Wind weht!

   

„Warum seid ihr hier alle so blass im Gesicht? Habt ihr keinen Sommer? -- Doch, doch, schon, aber an diesem Tag habe ich gerade gearbeitet!“ Es soll nur vierzehn Tage lang einen T-Shirt Sommer geben, meint ein Medizin-Analytiker.

 

In der Stadt Ekaterinburg gab es einst ein Kaufmannshaus, in dem die Zarenfamilie der Romanows mit vier Angestellten unter Hausarrest standen. Man hat sie in den Keller geführt, um ein aktuelles Foto zu schiessen. Geschossen wurde mit scharfer Munition. Die Leichen in Decken gewickelt und ein paar Kilometer ausserhalb der Stadt in eine Minengrube geworfen. Nach der Wende wurden die Skelette exhumiert und nach St. Petersburg gebracht. Um die Minengruft herum wurde ein Männerkloster mit sieben orthodoxen Kirchen erstellt. Das Kaufmannshaus wurde abgerissen und an der Stelle anno 2003 die sogenannte Blutkathedrale errichtet.

 

Das sind jedoch nicht die letzten politischen Morde. Aber vielleicht die letzten Gedenkstätten.

 

Ausserhalb von Tjumen wurde nach Öl gebohrt. Gefunden wurde in über tausend Meter Tiefe ein unterirdischer Heisswassersee. Der bleibt angezapft, gezähmt und in ein Thermalbad geleitet.

 

Die Russen sind einfach umwerfend gastfreundlich. Schranke hoch zum Empfang! Die Regierung erlaubt uns auf dem Fünfsterneplatz im Park vor der Kremlmauer in Tobolsk zu stehen! (Da kann die Schweiz nicht mithalten!)

 

Noch bis 1988 hat man die Ankömmlinge, die in Ketten gebunden zu Fuss heranwankten, unsanft empfangen. Die Zaren unterhielten hier dreitausend Kilometer weit weg von Moskau ein Gefängnis für Kriminelle und freidenkende Intellektuelle.

Zar Nikolaus II. wurde von den Kommunisten selber in den Hausarrest von Tobolsk geschickt. Die Kommunisten haben das Gefängnis bis 1988 weiter betrieben.

 

Rasputin ist aus dieser Gegend. Das Leben und Sterben (von wem genau und in wessen Auftrag er erschossen wurde) des rätselhaften Heilers aus dem tiefen Sibirien bleibt ungeklärt. Jedenfalls musste er oft von Petersburg nach Tobolsk fliehen, weil es am Hof Gerüchte um ihn und die Zarin gab und er gegen den Krieg wetterte.

 

Mein Womo schwebt über Felder und Auen hinweg. Viele davon stehen grastief unter Wasser. Die Flüsse selbst fallen während den dreitausend Kilometern bis zum Polarmeer nur um fünfzig Höhenmeter ab! Landunter! Mücken raus!

 

Den Kuckuck höre ich über tausende von Kilometern Fahrt morgens und abends in allen Wäldern Russlands und Sibiriens. So anmutig! Sooou schööön!

 

Probleme bieten nur die Durchgangs- und Seitenstrassen in Städten und Dörfern. Die Schnellstrassen sind ab Moskau Richtung Osten immer perfekter asphaltiert. Wo die Strassen noch etwas ruppig sind, wird heftig gebaut. Zäune und Leitplanken braucht es keine. Es gibt weit und breit keine Rehe, Hirsche, Elche, Wölfe, Füchse oder Hasen zu sehen. Ein Jammer für mich, der ich kilometerweit ins Hinterland nach diesen Tieren spähe.

 

Das Ackerland ist dermassen weit, man könnte die gesamte Anbaufläche der Schweiz in ein einziges sibirisches Feld verlegen. Die grossen Kornspeicher und Mühlen stehen entlang der seit 2003 gänzlich elektrifizierten Transsibirischen Eisenbahn. Um ein solches Riesengebäude zu sehen zweige ich sechs Kilometer nach Tatarsk ab.

 

Die Schnellstrasse, deren Bau erst in den 1990er Jahren begonnen wurde, verläuft zwar parallel aber meist einige Kilometer von den Gleisen entfernt.

 

Mein Bild vom endlosen sibirischen Waldschneisen-Fahren korrigiere ich umgehend. Äcker, Felder, Waldpartien, Sümpfe weit und breit. Sooou schööön! 

 

Novosibirsk präsentiert einen prächtigen Bahnhof mit vornehmer Wartehalle. Die Stadt ist erst 124 Jahre alt. Sie wurde zum Bau der Transsibirischen Eisenbahn gegründet und ist heute schon eine Millionenstadt mit hundertzwanzigtausend Studenten verschiedenster Fakultäten.  

 

Nach der Stadtbesichtigung tummle ich auf dem Markt und will zu Fuss zum Womo. Orientierung total verloren! Kein Handy dabei, keine Adresse nur den Namen alte Deutsche Botschaft. Nach zwei Stunden herumwackeln, es gibt weit und breit keinen Polizisten, den ich fragen könnte, gehe ich ins Hilton Hotel. Die Dame googelt und erklärt mir den Weg auf der Karte, die sie mir mit auf den Weg gibt. Sie beschenkt mich obendrein mit einem warmen Kecks!

 

Etwas später: die Adresse ist falsch. Ich stehe vor der aktuellen Deutschen Botschaft. Nach zweieinhalb Stunden sichte ich eine Polizeipatrouille. Die schämen sich, nicht English zu sprechen. Warum schäme ich mich eigentlich nicht, nicht russisch zu sprechen? Helfen können mir die Polis nicht. Die alte Deutsche Botschaft kennt niemand.

 

Drei Jungs beobachten mich und die hilflosen Polizisten. Als Letztere gehen, kommt einer der Jungs auf mich zu: „Wie kann ich helfen?“. Er nimmt sein Handy, findet mit Googeln viele verdächtige Adressen. Keine aber stimmt. Wir fragen eine alte Dame. Die hat schon mal was davon gehört. Weiss aber nicht, wo das Gebäude steht.

 

Die Jungen sind noch nicht weg, stoppt ein Auto. Zwei Damen steigen aus. Die Jüngere fragt: „Wie kann ich helfen?“. Ihr Mann steigt aus. Googelt. Findet auch nichts Passendes.

 

Sergej, so heisst der junge Mann, lässt seine im Dezember angetraute Frau und seine Schwiegermutter auf der Strasse stehen und zu Fuss nach Hause gehen, damit er mich in der Stadt (Millionenstadt) herumfahren kann. Er werde so lange fahren, bis ich mich an die kleine Strasse abseits erinnern könne. Wir fahren ausgiebig in den Quartieren herum. Immerhin erkenne ich nach einigen Kreuz- und Querfahrten eine Katholische Kirche und eine Synagoge. Wir können nicht weit weg vom Ziel sein. Schliesslich googelt er nochmals und findet die Adresse auf Russisch. Nach drei Stunden bin ich Dank Sergej im Womo!

 

Diese Hilfsbereitschaft der Russen mitten in Sibirien in einer Millionenstadt ist gewaltig! Um diese Erfahrung zu machen, bin ich im Nachhinein gern drei Stunden im Leerlauf durch die Stadt „getrottelt“. So viel  Hilfsbereitschaft! Sooou schööön!

 

Die Kioskangestellte in der Gefangenengedächtniskapelle in Mariinsk erlaubt mir zu singen. Sie greift sofort zum Handy und zeichnet auf. Aus der Krypta kommt ein kleiner Junge, lächelt und streckt den Zeigefinger nach oben. Ein Mädchen folgt etwas später und dann noch der Pope, der Vater der Kinder. Der Pope guckt mich erst erstaunt an, dann hebt auch er den Finger zur Anerkennung. Ich habe gewonnen. Er bittet mich die Ikone zu küssen und pinselt mir danach mit Öl den Segen auf die Stirn. Ausserhalb der Kapelle folgt er mir, um ein ukrainisches Ikonenbild zu schenken. Mit den Kindern begleitet er mich zum Womo und segnet alle umstehenden Fahrzeuge. Mit zwei Mars in den Händen tanzt der Knabe fröhlich zur Kapelle zurück, um der Mutter sein Geschenk zu zeigen. Sooou schööön!

 

Ein Polizeioffizier besucht unsere Gruppe auf der grünen Wiese und beantwortet Fragen zum Verkehr. Der Chef auch zum Thema Jugendkriminalität und Morde. Die Morde seien merklich zurückgegangen, seitdem es der Bevölkerung wirtschaftlich etwas besser gehe. Nach seiner Erfahrung müsste man bei den Jugendlichen schon bei harmloseren Erstvergehen konsequenter durchgreifen, um sie vor grösserem Schaden zu schützen. Es gebe keine schwererziehbare Jugendliche nur unfähige, dumme Eltern.

 

Die Polizeibeamten habe man in den vergangenen Jahren besser ausgebildet, unfähige Elemente  entfernt. Der Korruption dadurch einen Riegel geschoben, dass die Einsätze und Vergehen gefilmt werden müssen. So können sie bei korrumpierenden Leuten nicht einfach die hohle Hand hinhalten, um die Sache „gütlich“ zu regeln.

 

Seit einhundertfünfzig Kilometern vor Mariinsk kommt Bewegung ins Cockpit. Einige Kurven und ein Auf und Ab von einhundertfünfzig auf dreihundertfünfzig Höhenmeter! Hügellandschaft. Wohltuend.

 

Über die Brücke des Yenisey und gleich runter auf die kleine Insel. Camp hinter dem Stadion. So freundlich beherbergt uns die Industriestadt Krasnojarsk.  

   

 

 

2017 Mai Teil 2 Russland

 

Moskau macht sich schön. Der Bürgermeister hat beschlossen, damit basta! Er wird sich einst brüsten: „das sind meine Strassen“. Bis zur Weltmeisterschaft 2018 soll der grösste Teil fertig sein. Bürgersteige werden erneuert, für gehschwächere Menschen zugänglich gemacht, Knochenbrecher behoben, Parks neu eingesäumt. Dadurch werden Strassen zum Teil verengt, was den Verkehr drosselt. Trotzdem können kaum mehr Menschen zum Benutzen der Metro auf den 350 Kilometern aufgerufen werden. Zu Werkstunden ist sie bereits überfüllt. Zwölf Millionen Menschen krabbeln in der Stadt. Ein grosser Vergnügungspark entsteht nahe dem Kreml. Unser Camping liegt bereits an einem riesengrossen Naturpark im Nordosten, dem Sokolniki, in dem ich zweiundzwanzig Cafés zähle.   

 

Die Russen sind sich bei den Regierenden aller Zeiten, seien es Fürsten, Zaren, Parteibonzen oder Präsidenten der Föderation, gewohnt, dass - wo auch immer –auf einsamen Befehl hin abgerissen und Neues aufgebaut wird. Historisches verschwindet. Neue Selbstverwirklichungen nehmen Platz. Warum auch nicht? Die historischen Bauten waren genauso Selbstverwirklichungen früherer Zeiten. Zum Beispiel die Erlöserkirche, die wichtigste in Moskau.

 

Um diese Kathedrale nahe dem weltlichen Machtzentrum, dem Kreml, zu bauen, wurde ein bestehendes Frauenkloster abgerissen. Die Äbtissin warnte, das werde Unglück bringen! So geschah es. Das mächtige Gebäude wurde 1883 als Kathedrale der russisch orthodoxen Kirche eingeweiht, vornhin dem Zaren, der zur Einweihung auch gleich hier gekrönt wurde, ein stattliches Denkmal gesetzt. Stalin hat zuerst das Denkmal dann die ganze Erlöserkirche während der kommunistischen Diktatur als widerliche Zarenverehrung abreissen lassen. Die Kathedrale war aber dermassen gut gebaut, dass sie am 5. Dezember 1931 brutal gesprengt werden musste. Was für ein Schmerz für die Bevölkerung vor der Weihnachtszeit! Ein Jahr lang war man damit beschäftigt, den Schutt abzutragen.

 

Die Stalinregierung befahl ein neues Zeichen zu setzen, einen „Palast der Sowjets“. Das Gebäude wurde bis zum sechsten Stockwerk gefertigt. Dann setzte man den zweiten Weltkrieg in Gang. Stalin starb 1953. Die Bauerei wurde eingestellt.

 

Die Bauruine 1960 zum Freibad Moskau umgewandelt! Seit den 1990er Jahren rief die Bevölkerung nach einem Wiederaufbau der Erlöserkirche. Boris Jelzin hat dem stattgegeben. Banken, Versicherungen und Private haben den Wiederaufbau der Erlöserkirche nach alten Plänen finanziert (ich vergleiche sie mit der Frauenkirche in Dresden). Der Wiederaufbau dauerte nur von 1995 bis 2000.

 

Wozu dient die Kathedrale? Für seltene Festgottesdienst wie heute am 21. Mai, wo ganze Strassen für Parkplätze gesperrt werden. Sonst dient sie meist zur Attraktion von Millionen Touristen. Eintritt frei. Beten oder Stille unmöglich. Was meint wohl die  Äbtissin dazu? Im neunzehnten Jahrhundert verstorben schweigt sie wie ein Grab.

 

Moskau ist Bahnverkehrszentrum. Es gibt sieben Sack- und zwei Durchfahrtsbahnhöfe. Entferntere Bahnhöfe erreicht man mit der Metro. Die Metrostationen, die bis zu siebzig Meter unter dem Boden liegen, hat Stalin mit politischen und Kriegs-Gefangenen bauen lassen. Die Russen haben inzwischen die Bildnisse Stalins meist ersetzt und nennen die Metrostationen die „Kathedralen Stalins“. Zwei Millionen Menschen benutzten täglich die Metro! Darunter soll es auch solche geben, die versuchen, einem tief in die Taschen zu greifen. Aufgepasst.

 

Die Popen und Gemeindemitglieder fangen am Sonntagmorgen in der Christi Erscheinungskirche zu singen an. Der fromme Sound fährt mir angesichts der herumtappenden, kerzenopfernden, ikonenverehrenden Mütterchen und Väterchen sofort unter die Haut. Sooou schööön!

 

Es gibt in Moskau siebenhundertelf orthodoxe Kirchen und Kapellen. In sechshundertdreiundvierzig davon wird wieder gefeiert!

 

1989 wurde der erste McDonald in Moskau eingerichtet. Menschen standen Schlange, um dieses Westerlebnis so fast wie food einzufahren.

 

Auf drei Quadratkilometern liegt die tausendjährige Geschichte von Suzdal, zweihundert Kilometer östlich von Moskau auf dem goldenen Ring. Goldener Ring wird dieser weite Umkreis um Moskau genannt, wo viele orthodoxe Zentren mit ihren Zwiebeltürmen sich befinden. In Suzdal recken sich sechzehn Glockentürme, unüberschaubar viele Sommer- und Winterkirchen, Kapellen, fünf Klöster. Ein orthodoxes Zentrum. Auch das hat seine Blüte hinter sich. Der Kreml (Burg, Schloss mit hübschen Kirchen) wird durch das Weltkulturerbe der UNESCO restauriert. Das einstige Kulturzentrum der Orthodoxie ist heute ein Tourismuszentrum.

 

Auf dem neu errichteten Campingplatz, es wird der letzte auf russischem Gebiet entlang unserer Reise sein, wohnen fünf Eulen. Mein Herz schlägt schneller, als ich sie entdecke, denn so freilebende Tiere gibt es nur selten zu sehen. 

 

Mein Herz schlägt auch schneller, als es der Gruppe Uslada gelingt, mich zum hemmungslosen Tanzen zu bringen! Ihre russischen Gesänge und Tanzspiele greifen. Sooou schööön!

 

Ein Lastwagenchauffeur muss sein Gestänge für die Zeltbahnen schweissen lassen. Sofort kommt er zu meinem Womo gelaufen, um es aus der Nähe zu bewundern. Er hat ein hübsches Gesicht. Leider blinkt nur noch ein einzelner Goldzahn aus seinem Mund, als er sich lächelnd für die Führung bedankt.

 

Auf der immensen Treppe von der Wolga zum Kreml in Nizhniy Novgorod stellen sich Schüler zum Abschluss ihres Schuljahres in Fotoposen. Ich fotografiere sie ebenfalls, was ihnen sehr schmeichelt. Die Wohnmobilbesichtigung finden sie superläss.

 

Oben auf der Treppe vor dem Kreml fotografiere ich ältere Studenten. Sofort stimmen sie in ein Kriegsgeschrei ein. Ich werde umzingelt. Sie wollen eine Menge über mich und mein Leben wissen. Alles, was dir schon bekannt ist. Dann wird es intim.

 

Naschta (Name geändert) erzählt, sie möchte gern an Gott glauben. Sie habe aber schon zu viele Sünden begangen. Was ich dazu meine? „Gott ist Liebe. Jesus sagt zu dir: was war, das war. Du kannst dich jetzt auf der Stelle oder weil du noch so jung bist, später entscheiden, welches Leben du wählen willst. Eins, das dir vorgaukelt das wahre Leben zu sein, oder eins, das dich innerlich ruhig werden lässt und du dich und andere dich lieben. Vergiss bei deinen Zweifeln nicht: Gott ist Liebe, er nimmt dich so an, wie du bist, egal welche dummen Wege du schon gegangen bist. Er möchte nur, dass du einen erfüllenden Weg findest.“ Naschta bedankt sich sehr herzlich für dieses Glaubensgespräch. Sie wünscht, dass ich noch lange in der Stadt bleiben werde.

 

Kyrill lebt sein Leben in Russland. Er ist unzufrieden. Weiss aber nicht so recht warum. Sein Vater lebt in Griechenland. Kyrill ruft unvermittelt seine Mutter an und bittet mich, ihr auf English hallo zu sagen. Ich schildere ihr, was für tolle junge Frauen und Männer ich hier in Novgorod antreffe. Kyrill hat typisch zwei Seelen in seiner Brust, eine in Griechenland, wo er jeden Sommer seinen Vater besucht, aber vor der kalten, süffisanten Art der Bänker zurückknallt und eine Seele hat er in Russland, wo er studieren sollte, aber das Land sogar hasst. Er weiss nicht warum. Zu wenig Künstlerfreiheit, wie mir scheint. Er möchte Maskendesigner werden. Am liebsten in Europa.

 

Daniel beteuert, er liebe seine Heimat Russland und wolle immer in Nizhniy Novgorod bleiben. Welche russische Stadt mir denn bisher am besten gefallen habe. Ich erkläre ihm, dass ich keine Raster „schön, oder weniger schön“ anlege, sondern es in jeder Stadt, in jedem Land darauf anlege, mit Menschen wie ihm zu sprechen. Über Politik will Daniel nicht sprechen, weil er davon zu wenig verstehe, lautet seine ehrliche Antwort.

 

Die Studentinnen und Studenten staunen über mein hohes Alter, schätzen mich viel jünger ein. Im Chor bestätigen sie, ich sei ein verdammt cooler Typ und entschuldigen sich gleich wieder für die groben Worte. Nach einer Stunde Unterhaltung hin und her wird es für sie Zeit, nach Hause zu fahren, um ihre schicken Kleider zu wechseln. In der Nacht geht in Privathäusern die Party ab. Aber aufgepasst mit zu viel Alkohol. Eine Woche nach Schulabschluss müssen diese liebenswürdigen, achtzehnjährigen Frauen und Männer zu verschiedenen entscheidenden Examen antreten. Sie wünschen mir gute Reise und ich bedanke mich für die vielen Gespräche, wünsche von Herzen ein gutes weiteres Studium. Gott beschütze euch! Diese Begegnungen stellen mich auf, sind sooou schööön!  

 

Auf den Strassen gibt es zahlreiche Geschwindigkeits- und Verkehrskontrollen. Nach meinem Empfinden hat sich dadurch der Verkehr beruhigt. Viele Russen mögen darum ihren Staatspräsidenten, weil er für sie das Leben nach den turbulenten, teils schurckenhaften Neunzigerjahren sicherer macht. Ich fühle mich auf dem Land und in den Städten sehr wohl.

 

Die häufigste Anschrift entlang den Strassen heisst Schinomontage, Riefenwechsel. Tatsächlich stehen viele Autos und Lastwagen bei dieser Arbeit am Strassenrand. Bei anderen steht der Motorhaubendeckel offen. Der Motor lechzt entweder nach Wasser oder nach Öl.

 

Es stimmt schon. Es ist nicht das Land des Lächelns. Die Russinnen und Russen machen verdammt ernste Gesichter. Das fällt all jenen Russen sogar selber auf, die  Gelegenheit haben, irgendwo in Europa zu reisen. Hin und wieder gelingt es mir, mit einem Zuwinken ein Lächeln abzurufen.

 

Die Strasse von Nizhniy Novgorod führt der Wolga entlang. Den riesigen Strom kann ich aber erst von einem Aussichtspunkt aus sehen. Am gegenüberliegenden Ufer sonnt das Alexander Newski Kloster.

 

Die Einfahrt durch die Alleen und über die gepflegten Strassen verheisst eine schöne Stadt: Tscheboksary, die Hauptstadt der Teilrepublik Tschuwaschien. Noch nie gehört, aber eben darum reise ich. Die neunzehn Wohnmobile dürfen direkt vor dem Staats-Opernhaus stehen.

 

Zwei Studenten, ein Elektro- und ein Bauingenieur, bringen mich zum Nachdenken. In meinem Womo fragen sie mich nach meinem Beruf. Nach einer Weile fragt einer: „Wo sind denn die Ikonen, wenn du Pfarrer bist?“ Ich kann mir wirklich keinen orthodoxen Popen ohne Ikonen vorstellen. So sind auch diese Studenten geprägt. Die russisch Orthodoxen leben eine veräusserlichte Frömmigkeit mit Ikonen und Ikonostasen, allerdings auch im ergreifenden Gesang. Viele theologisch altertümliche Texte übersetzt man besser nicht. Tradition geht vor. Mein religiöses Verhalten ist anders. Verinnerlicht. Da fragt mich zum Beispiel Dima hoch über der mächtigen Wolga: „Was denkst du, wenn du hier sitzt und meditierst?“ Ich singe ihm zur Antwort: „Ich lobe meinen Gott, von ganzem Herzen“.

 

Seit Moskau die erste Stadt, wo es ausser auf Kirchen Hingucker auf gut erhaltene, ältere Gebäude gibt. Sie heisst Kasan und ist wegen Ölvorkommen die vermögende Hauptstadt der Republik Tatarstan. Um siebenhundertdreissig lebten hier erst die muslimischen Tataren und siebzig Jahre später zogen die christlich-orthodoxen Russen unter Iwan dem Schrecklichen ein. Noch leben hier vierzig Prozent Tataren. Kasan rühmt sich eine Vielvölkerstadt mit religiösem Frieden zu sein. Erst 2005 wurde die moderne Kul-Scharif-Mosche im Kreml gebaut, unweit von der orthodoxen Kathedrale. Katholische und Evangelische Kirchen gibt es auch. 

 

 

Östlich von Kasan bis Izhevsk wogt das Land über unendlich sanfte Hügel. Braunerdige Äcker und saatgrünes Erwachen. Sooou schööön! 

2017 Juni Teil 2 Russland

 

Krasnojarsk war im 19. Jahrhundert bekannt als Goldrauschort mit Holzhütten. Später Handelshäuser und seit 1835 erstmals per Eisenbahn zugänglich. Wegen des Aluminiumvorkommens wurde zur Produktion der damals grösste Stausee der Welt gebaut. Dreihundertfünfzig Kilometer weit wurde das Wasser zurückgestaut.

 

Weil das Wasser in der unteren Schicht des Stausees mit einer generellen Temperatur von 4 Grad durch die Turbinen fliesst und weiterfliesst, gefriert der Jenissei Fluss auf zweihundert Kilometern flussabwärts nicht mehr!

 

Krasnojarsk war bis in die 1980er Jahre wie viele sibirische Städte eine verbotene Stadt. Selbst für Einheimische gab es Sperrgebiete wie Krasnojarsk 26 wegen Plutoniumabbau zur Waffenproduktion und Krasnojarsk 45 wegen Urananreicherung. Die ausländischen Touristen in der Transsibirischen Eisenbahn durften sich auf dem abgeschlossenen Bahnsteig grad mal zwanzig Minuten lang die Beine vertreten.    

 

In der historischen Apotheke von Krasnojarks kriege ich die modernste Waffe für die Stichpflege: Fenistil. Die Verkäuferin sucht ihr Schuldeutsch zusammen, „Ich erinnern Lied“. Auf der Stelle singen wir beide die erste Strophe von Stille Nacht, Heilige Nacht. Sooou schööön in dieser einstmals verbotenen, kriegshandwerktreibenden Stadt.

 

Junge speedclimber (Schnellkletterer, in fünf Sekunden die senkrechte Wand hoch) bitten ein Foto mit uns Alten machen zu dürfen, bloss weil wir zuschauen! Was genau dabei in ihnen vorgeht, können wir mit unseren mangelnden Sprachkenntnissen nicht klären. Holger, ehemals aus der DDR meint, diese Kontakte hätten damals Zugang zu einer für sie nicht erreichbaren Welt bedeutet. Das wird es auch heute für die Russen sein. Was an neureichen Russen in Europa Imageschaden anrichtet mag Abschaum sein, jedenfalls nicht die russische Bevölkerung wie ich sie erlebe!   

 

Mich treiben lassen in dem breiten, vielfältig mäandernden Fluss Berjusa bei Tayshet. Bei achtundzwanzig Grad Lufttemperatur in Sibirien werde ich zur Wasserratte. Das Treiben wiederhole ich gern auf dem nächsten Camp in der Iya bei Tulun. Beide sind Nebenflüsse vom grossen Yenisey, der meinen Schweiss bis ins Polarmeer schwemmen wird. Sooou schööön!

 

Die russischen und sibirischen Holzhäuer geben in allen Dörfern auf der ganzen Weite von Pskow bis Irkutsk dasselbe gleichmässige Bild ab (in der Schweiz hat jeder Kanton einen eigenen Baustil). An den dunklen, kleinen Holzfassaden sind die Fenster jeweils mit Holzwerk kunstvoll eingerahmt und bunt bemalt als sei das Wichtigste im Leben der frohe Ausblick. Jedes Haus hat zur Strasse hin seinen oft bunt umzäunten Garten, hinten raus den Gemüsegarten. 

 

Am 2. Mai bin ich in Vilters/SG gestartet. Am 18. Juni fahre ich nach 10173 Kilometern im Hinterhof des Hotels Irkutsk in Irkutsk ein.

6837 Kilometer davon innerhalb Russlands von Pskow bis Irkutsk.

Eigentlich sind wir in Irkutsk bereits am Ende der Welt. Doch von Moskau bis Vladivostok ist dies nur die Hälfte.

 

Am Ende der Welt ist eh falsch ausgedrückt. Die Sonne brennt mich zonenweise schon sechs Mal eine Stunde früher aus dem Bett.

 

Die Russen bleiben von Moskau bis Vladivostok Europäer. Weit um den Baikalsee herum aber leben die mongolisch stämmigen Burjaten. 

 

Östlich von Irkutsk kontrolliert eine Staumauer mit Kraftwerk das Abfliessen der Angara aus dem Baikalsee. Die Wassermasse wird über sechzig Kilometer zurückgestaut. Den Wasserspiegel des Baikalsees soll dieses künstliche Bauwerk nicht beeinflussen. Die Angara ist der einzige Ausfluss des Baikalsees gegenüber dreihundertsechzig Zuflüssen.

 

Bezüglich Kampf gegen Napoleon meint Ludmilla: „Die Russen hatten eine Geheimwaffe, die Filzstiefel. Die Franzosen hatten nur ungeeignetes Lederzeug.“ Ferner witzelt sie, „sind die Russen gut trainiert, schlecht zu leben.“

 

Auch Ludmilla: „In den schrecklichen Neunzigerjahren wurde mir drei Mal das Portemonnaie geklaut. Heute können Sie sicher durch den grossen Markt gehen. Diebe sind selten und Alkoholiker sind weg von der Strasse. Wir lieben Putin deshalb, er hat uns wieder Arbeit und mehr Wohlstand gebracht.“

 

Die Regale in den riesigen, riesigen Kaufhäusern und Märkten sind übervoll. Ein unerwartetes Bild.

 

Es ist einfach einzukaufen, auch wenn man nicht russisch versteht. Zum Beispiel sind auf einer Packung Kartoffeln abgebildet. Der Inhalt fühlt sich pulverig an. Also kaufe ich gleich zwei Packungen Kartoffelpurée. Mit Butter und Milch, Salz und Muskat in der Pfanne bleibt beim Schwingen der Besen im Brei stecken. Ich habe Kartoffelstärke für Hemdenkragen und Servietten erwischt! 

 

Die slawisch-kirchliche Sprache in den gesungenen Gebeten der orthodoxen Liturgie ist seit tausend Jahren unverändert. Es ist wie eine Märchensprache. Die Russen verstehen sie. Die theologischen Bilder und Gesten bleiben über tausend Jahre unverändert. Tradition steht über der theologischen Entwicklung!

 

Die Gouverneursbrüder aus Bulgarien, Kyrill und Method, haben die Schriftzeichen für die slawische Sprache erfunden. Method nannte sie seinem Bruder Kyrill zu Ehren die kyrillische Schrift.

 

Meine Gäste heute Abend sind zwei Maurer und Maler aus Nordkorea im Hotel Irkutsk. Sie wohnen in einer schaurigen Hütte, einem Hühnerstall ähnlich, im Hinterhof, wo wir mit unseren Nobelkarossen stehen. Die Beiden wissen viel über die geografischen und staatlichen Verhältnisse in Europa. Im Oktober werden sie wieder in ihre Heimat zurückkehren. Ein Foto von ihnen zu machen wehren sie mit der Hand vor dem Kopf bittend ab. Vater.., Präsident.. eine verständliche Erklärung fällt unserer Sprachbarriere zum Opfer. Ihre ernsten, erschrockenen Gesichter halten mich sofort vom Fotografieren ab. Sie bestaunen Bilder aus der Schweiz und Einzelheiten von Nordkorea, die ich ihnen auf Google Earth zeige. Was für eine andere Welt, in der wir leben!

 

Nordostwärts über Irkutsk jauchzt meine Seele über die herrliche Weite der Taiga. Der Ausläufer des westlichen Baikalgebirges lässt das Womo auf neunhundert Höhenmeter schnauben. Unmittelbar vor der Küste gibt das Gebirge den Blick auf den ruhig schimmernden Baikalsee frei! Er ist sich seiner majestätischen Grösse bewusst und döst nach der langen Winterstarre vor sich hin als geniesse er erst grad die wärmende Sonne auf seiner Haut. Das Echo an der Steilküste gibt meine lauten Rufe „sooou schööön!“ wieder!

 

Wladimir ist dabei an der Küste mitgebrachtes Holz zu hacken. Wir teilen uns die Arbeit. Kühlung bringt mir öfter mal ein Bad im Baikalsee. Oben auf der Steilküste weiden meine hundertsiebzig Pferde während vier Ruhetagen.

 

Burjaten errichten am Ufer mit Bretterschwarten, Plexiglas und einem Holzofen mit Kamin eine geniale Sauna, nach Lust und Laune über vierundzwanzig Stunden offen.  

Zeit, auf den umliegenden Hügeln die Beine zu vertreten und die Aussichten zu geniessen. Die Stille der Natur lässt mich schweigen.

 

Über die Entwicklung des Schamanismus weiss Sascha, eine Burjatin, nichts  Erhebendes zu berichten. Schamanen seien nicht mehr durch ihre Spiritualität berufen, Schamane zu sein.  Die Oberschamanen seien dem Geld verfallen. Sie raten Männern Schamane zu werden, um Missgeschick und Unglück von sich und ihren Familien abzuwenden. Dazu müssen sie bloss die Gewänder und Utensilien kaufen und sich einem Ritual unterziehen. All das schwemme den Oberschamanen Geld in ihre Tasche.

 

Suche man Hilfe beim Schamanen könne der nach seinem Gutdünken Sitzungen unkontrolliert fortsetzen, solange Geld fliesse. Mit Androhungen von Unheil, die nur der Schamane „kenne“, liessen sich die Menschen zu immer neuen Opfern erpressen.

 

Selbst in Sachen Umweltverschmutzung wissen die Schamanen sich einen Vorteil zu verschaffen. Statt dass sie die Plastikgeneration dazu erziehen, den Müll zu entsorgen, orakeln sie aus dem Verhalten von Wotka und Tierknochen über dem Feuer, eine Ururururgrossmutter sei darüber erbost, dass ihre Nachkommen alles wegwerfen. Um sie wieder gütig zu stimmen und Unheil vom Dorf abzuwenden, müssen sie materielle Opfer in die Tasche des Schamanen bringen (statt den Müll sammeln).

 

Früher hätten Schamanen mit grossem Kräuterwissen selbstlos geheilt und geholfen und ihre Rituale unentgeltlich durchgeführt.

 

Die Autorität der Schamanen bröckelt bei der jungen Generation. Schaman? Scharlatan? Sascha wird von ihrer Mutter gedrängt, vor ihren grossen Reisen einen Schamanen zu befragen, ob alles gut gehen werde und welche Opfer sie vorher zu erbringen habe. Davon will Sascha nichts wissen. Sie will unbeschwert reisen! 

 

Ältere Kapitäne sollen sich dagegen hüten in See zu stechen, wenn die Oberschamanen ihre gemeinsamen Rituale unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf den Schamanenfelsen über dem Baikalsee ausüben! 

 

Bei Folkloreaufführungen staune ich über den Hang der Burjaten zu bunten, reichverzierten Gewändern. Entspringen solche Sehnsüchte und Ideen doch aus Träumen von Frauen in sehr einfachen Behausungen.

 

Im Baikalsee Museum in Listwjanka, dem Auslaufgebiet des Baikalsees in den Angarafluss erfahre ich von durchsichtigen Fischchen, die nachts an die Oberfläche des Sees als Krebs- und Robbenspeise aufsteigen, tags sich aber in tausendsechshundert Metern Tiefe bei 4°C aufhalten. In dieser Tiefe bleibt der See kalt. Süsswasserrobben soll es noch hunderttausend geben. Die Wasseroberfläche gefriert jeden Winter teils spiegelglatt, teils mit verwehtem Schnee überlagert. Im Februar und März ist der See sicher begehbar. Der Omul ist ein endemischer Fisch, der also nur im Baikalsee vorkommt.

 

Arshan liegt am Ausläufer Sayen des Altaigebirges. Die Burjaten betreiben hier einen langgezogenen Markt. Leere Wasserkanister werden an die Touristen verkauft, damit sie sie mit dem Heilwasser füllen. Bäder und Kliniken sind um dieses Wasser entstanden.

 

Der Ort Babuschkin am Baikalsee hat den Namen vom ermordeten Revolutionär Iwan W. Babuschkin erhalten. Babuschkin wurde zusammen mit Kumpanen beim Waffenschmuggel aus China erwischt und am 31. Januar 1906 mitsamt seinen Kumpanen ohne Gerichtsurteil auf dem Bahnhof Myssowsk erschossen. 1941 wurde Myssowsk in Babuschkin umbenannt.

 

Ulan Ude ist die Hauptstadt von Burjatien und der Transsibirischen Eisenbahn. Hier wurden bis zur Krise der Neunziger Jahre Lokomotiven gebaut. Ab 2000 dann nur noch Ersatzteile hergestellt und Lokomotiven repariert.

 

Stalin hat damals seltsamerweise dem Bau eines buddhistischen Klosters in Ulan Ude zugestimmt. Man vermutet, weil es eh auf dem Gebiet der Verbannung in Sibirien liegt und zweitens weil er seinen Ruf für die Handelsbeziehungen mit China verbessern wollte.

 

Ulan Ude ist der östlichste Punkt auf meiner Reise durch Russland. Von Vilters bis zur Grenze zur Mongolei bin ich 11800 Kilometer gefahren.  

 

Ein paar generelle Beobachtungen zu meiner Reise durch Russland

Russland auf der Längsachse von Pskow bis Ulan Ude und runter zur russisch-mongolischen Grenze (8800 km) zu bereisen ist definitiv kein extravagantes Abenteuer mehr. Die Hauptstrassen sind alle gut, oder im Bau. Praktisch jede Abzweigung von der Hauptstrasse weg führt aber sofort auf löcherige, gerippte, zerfurchte Naturwege. Die Strassen in allen Dörfern sind erschütternd für Fussgänger und Autos. Auf der ganzen Strecke dasselbe traurige Bild.

 

Die dörflichen Häuser sind überall mit den bunten, schmucken Fensterumrahmungen versehen. Auf der ganzen Strecke (8800 km) dasselbe fröhliche Bild.

 

Auf der ganzen Strecke (8800 km) fehlen die wilden Tiere! Dasselbe leere Bild.

 

Das Benzin- und Dieselnetz der Hauptachse entlang ist total genügend ausgebaut. Meine Mastercard wird beim Bezahlen nirgends abgewiesen.

 

Beim Einkaufen in grossen Städten vergreifst du dich im Überangebot. Notwendiges bekommt du im Tante Emma und Amali Johann Laden unterwegs. Auch da bezahlst du bequem mit Karte! 

 

Beim Fussgängerstreifen wird in allen Städten „erst Fussgänger, dann Autofahrer“ respektiert.

 

Die Russen geben gerne Auskunft. Wenn du auf Schweizerdeutsch höflich sagst: „I verstoh di nöd“ wiederholen sie ihre Erklärungen bis zum Ladenschluss.

 

Die Mape Source Strassenkarten sind sehr genau und arbeiten perfekt mit GARMIN.

 

Internet mit der russischen SIM-Card im handy ist billig und funktioniert (fast) überall!

 

Ich bin mit dem Anliegen losgefahren zu hören, was Putin in den Augen des russischen Strassenvolkes gut macht und ob es das gibt? Putin hat seit 2000 nach den neunziger Krisenjahren wieder Arbeit, mehr Wohlstand, Sicherheit und Selbstvertrauen gebracht. Die Russen, die ich auf Strassen und Plätzen antreffe, sind ihm dankbar dafür.

 

 

2017 Juli Teil 1 Mongolei

 

Es gibt nur sehr wenig Grenzverkehr. Trotzdem, die Ausreise für unsere neunzehn Wohnmobile aus Russland bei Kiachta dauert eine Stunde. Die Einreise bei Altanbulag in die Mongolei  zwei Stunden.

 

Die Reiseleitung macht ihre Aufgabe super. In der Mongolei kommen uns bereits Mende und Baira entgegen. Sie erledigen die Zolldeklaration für die Wohnmobile, die obligatorische Haftpflichtversicherung. Sie bringen uns „Begrüssungsgeld“ im Wert von hundert Euro, das sind immerhin 265000 Tugrik. Jetzt weisst du, womit ich es in den nächsten achtzehn Tagen zu tun habe. Die SimCards, wir sind im fortgeschrittenen Alter alle geil darauf, bringen die Beiden ebenfalls mit und sofort bin ich wieder online, um dir die Fotos und Reiserouten zugänglich zu machen. Wir erhalten Roadatlanten, damit wir den Weg finden können.

 

Nach achtunddreissig Grad Sommerhitze geniesse ich nachts kühle Drinks mit Eis (der Kühlschrank und Tiefkühler funktionieren) und ein herrlich abkühlendes Gewitter lässt mich träumen. Sofort Stimmungsumschwung….

 

Ehrlich, in mir steigt eine seltene Wehmut auf. Im Neudorf St. Gallen wird die Aussenrenovation der Kirche zusammen mit dem hundertjährigen Jubiläum der Gemeinde mit Gesängen von Peter Roth am Vorabend und Bischof Markus als Zelebranten im Festgottesdienst gefeiert. Alexander, der Singkreisdirigent von Halden, wird an diesem Wochenende nach zwölf Jahren Arbeit verabschiedet. Beides verpasse ich schmerzlich, möchte ich doch den teams und den Gemeinden, die ich immer noch sehr schätze, nahe sein. 

 

Zeit, meiner Wehmut entgegenzuwirken. Ich zünde eine Osterkerze an um mitzufeiern. Und Peter Roth musiziert dazu „Du häsch s`ganz All und d`Sterne gmacht, d`Sonn för dä Tag, de Mond för d`Nacht. Du bisch bi üs i üsere Freud du tröschtisch üs im tüüfschte Leid…. Vo din`re Liebi simmer treit, jetzt immer und i Ewigkeit. Hilf, dass mer d`Liebi wiiter gend. Und dich i allne Mensche gsend.“ Das gilt für mich auch in der Mongolei. Sooou schööön!

 

Beim Fahren öffnet sich mein Herz wieder für die Schönheit der sanften Hügel und wechselnden weiten Horizonte der Nordmongolei und den Duft des Thymian in den Feldern. Und ich darf da durch! Sooou schööön!

 

Es gebe auch böse Menschen in der Mongolei, warnt man.

 

Es gibt um die grösseren Ortschaften herum Strassen-Zahlstellen, offenbar um die mörderischen Löcher in den Strassen zu stopfen.

Für einen Strassen-Abschnitt bezahle ich 3000 Tugrik. Bei der zweiten Zahlstelle muss ich gleich einen grossen Zwanzigtausender hinstrecken. Der Zöllner nickt, das sei in Ordnung so. Ich strafe ihn mit einem zornigen Blick und einem lauten „Hei!“ Darauf rückt er mit den Siebzehntausend raus. Demonstrativ lasse ich die Autos hinter mir warten und zähle das Bündel nach. Von dem lasse ich mich um keinen Tausendstel bescheissen. Jetzt stimmt das Retourgeld und ich bin stolz, auf diesen jesuanischen Zöllner nicht hereingefallen zu sein. Im Namen Jesu, er ist auch nur ein Mensch!   

 

Die Zivilisation hat die touristische Idylle vom Nomadenleben in der Mongolei verändert. Wer nach einem Nomaden sucht, der seine Herde auf dem Pferd zusammentreibt und nicht mit dem Motorrad, der zum Einkauf mit dem Pferd galoppiert und nicht mit einem schicken Auto, der seine Jurte auf Jacks verteilt und nicht auf einen kleinen Laster bindet, gleicht einem Touristen in der Schweiz, der nach einem steinbedeckten Haus ohne fliessend Wasser und Elektrizität sucht. Das gibt’s noch, aber so selten wie den klassischen Nomaden in der Mongolei!

 

Die Nomaden wechseln möglicherweise drei Mal im Jahr den Futterplatz und ziehen sich dann wieder in das Wintercamp zurück. Zum Weiden braucht es keine Zäune, wohl aber werden die Ziegen, Schafe, Kühe und Pferde nachts in eine Koppel getrieben.

Die Reitpferde vor den Jurten sind wie an einer Wäscheleine festgezurrt. Ein lustiges Bild.  So kann der Reiter das Pferd vom Sitz aus an- und losbinden.  

 

Eineinhalb Millionen Einwohner von drei Millionen Menschen in der Mongolei leben von der Viehzucht. Sie hüten insgesamt sechzig Millionen Tiere auf der kargen Weide. Das Fleisch ist trotzdem teuer. Es bedeutet das Einkommen einer reichen Mittelschicht, der Viehhalter.

 

Ökologisch dürfte das intensive Abätzen der Weiden bald zu einem riesigen Problem werden. Ist es schon, sagen Einige.

 

Der Bereich um den Ofen mit dem Kamin in der Mitte ist der heilige Ort jeder Jurte. Die Männer sitzen links, die Frauen rechts. Man streckt seine Füsse nicht gegen den Ofen! Brennstoff an diesem heiligen Ort ist der zu Fladen verarbeitete, getrocknete, jurtenförmig aufgeschichtete Viehmist. Nein, der Mist entheiligt weder den Ort noch den Zweck.

 

Es gibt keine Toiletten bei den Jurten, also sagt man auch nicht: „Ich geh mal auf die Toilette!“, sondern: „Ich geh mal nach den Pferden schauen!“.  

 

Meine Toilettenentlüftung lüftet plötzlich in den Innenraum! Ja, Ausfälle gibt’s in der Steppe!

 

Das Fenster auf der Fahrerseite lässt sich nicht mehr öffnen und schliessen.

 

Der Frischluftventilator hat sich bei 28° C und 40° im Innenraum schlafen gelegt.

 

Die Musikanlage ist verstummt.

 

Auf der Ratterpiste unterbricht die Elektronik sekundenschnell das Laufen des Motors. Das Womo stockt im Sand! Zugang zu Beratung und Hilfe gibt es weder via Internet noch Telefon. Was ich aber überall in der Steppe rieche ist Thymian und Hoffnung! Wir müssen jetzt beide einfach durchhalten, das Womo und ich. Abenteuerliche Tage!

 

Das war der Anfang. Nach zwölf Kilometer Sand- und Ratterpiste stockt der Motor öfters und erholt sich aber nach einer halben Sekunde wieder. Ich komme bis zum Stellplatz vor dem Hustain Naturpark.

 

Am andern Morgen bringt es Hans S, fertig das Radio und die Ventilation wieder in Gang zu setzen. Beim Seitenfenster wird es kniffliger. Hans nimmt den Schalter auseinander und studiert die Logik. Peter I assistiert mit Überlegungen. Sie finden schliesslich das Übel. Sie überbrücken das versteckt defekte Elektrokabel mit einem provisorischen Draht von der Sicherung bis zum Schalter! Bravo. Das Fenster öffnet und schliesst. Sooou schööön!

 

Ich mache den Test zum Vorabend, ob der Motor noch anspringt? Keine Chance.

 

Ararat sucht nach allen möglichen Ursachen. Sicherungen werden überprüft, Relais ausgetauscht. Ararat hängt Kabel und Leitungen ab, hängt an. Filter werden aus- und eingebaut. Claus R. assistiert mit Wissen und Werkzeugen. Kostya, der mit seiner Truppe von China herfährt, stellt sofort seinen Anhänger ab und versucht mit seinem Fahrzeug anzuziehen. Weitere Hilfe durch Telefonate oder e-mails gibt es nicht. Keine Verbindung in der mongolischen Steppe. Nach sieben Arbeitsstunden ist mal Schluss für heute. Nichts geht mehr.

 

Die Mitreisenden kommen begeistert von ihrem Ausflug in den Khustayn (Hustain) Nationalpark zu den Hirschen und den Przewalski, den asiatischen Wildpferden, zurück. Das habe ich wegen meiner Panne verpasst. Sehr schade.

 

Am Abend kommt die ganze Gruppe von Kostya, dem Chef von Abenteuer Osten auf dem umgekehrten Weg auf diesen Stellplatz. Der Chef Detlef Heinemann von Seabrigde fährt als Teilnehmer mit. Die ganze Prominenz kümmert sich um mein krankes Wohnmobil. Ein riesiges Frühstücksbuffet wird für beide Gruppen hergestellt. Ganz feine Leute auch diese Oberbossen Kostya und Detlef. 

 

Beide Gruppen verlassen nach und nach den Stellplatz in Richtung Karakorum, bzw Ulaan Baatar. Für mich wird ein Traktor organisiert, um mich fünfzehn Kilometer weit zur asphaltierten Strasse abzuschleppen und dort einem asphalttauglichen Schlepper zu übergeben. Wie das bloss gehen soll? Eine Stange liegt bereit, keine Bolzen, mein Abschleppseil auch. Jetzt habe ich wirklich Kummer um mein schönes Teil. Die Front wird zerquetscht werden.  

 

Ich bringe den Abfall von Kostya weg und kehre auf den Platz zurück, da fährt mir mein Wohnmobil entgegen!  Ist es meines? Ich traue meinen Augen nicht…. Holger hat ein ungewöhnliches Summen gehört und Ararat aufmerksam gemacht. Der hat sich sofort hinters Steuer gesetzt, den Zündschlüssel gedreht und siehe da…. Sooou wunderbar! Sooou schööön!

 

Wir beschliessen die fünfundachtzig Kilometer nach Ulaan Baatar zu fahren, um eine Werkstätte aufzusuchen. Oweh! Unterwegs auf der Ratterpiste muss Ararat aussteigen und an dem Hauptkabelstrang zerren, während ich den Motor starte. Und das auf fünfzehn Kilometern fünfzehn Mal! Später auf dem Asphalt nur noch fünf Mal. Ist mir alleweil lieber als abschleppen!

 

Wenigstens kann Ararat beim Auto Service Center in Ulaan Baatar klar definieren, wo der Hund begraben liegt.  Die Mechs gehen auf Intervention von Ararat um vier Uhr sofort an die Arbeit, statt eine Stunde später. Sie bauen die Batterie und Allerhand aus, um zu diesem Kabelstrang hinter der Batterie zu gelangen. Der alte Elektromech geht nicht auf Ararats Hinweis ein und baut die totale Sicherungsboxe unter dem Steuerrad aus. Checkt alles, um am Ende doch nichts anderes zu finden. Um halb Sieben erklärt der Alte, er gehe jetzt nach Hause. Ararat stellt den Chef und bietet dem Alten zusätzlich einen halben Stundenlohn. Nach einer halben Stunde wird der handlungseinig. Bloss, wie flott und perfekt er alles wieder einbaut oder reinpfuscht? Das ist mein Problem.

 

Ararat ist ein Hüne aus Armenien, ein seelenguter Mensch. Er verhandelt notfalls knallhart. Meine Rettung. Sooou schööön an Ararats Seite zu sein.

 

Nach acht Uhr abends ist die Arbeit beendet. Ararat will noch zur Gruppe in zweihundertfünfundachtzig Kilometern aufschliessen. Das dauert bis nachts um halb zwei. Die Reiseleiter sind erlöst, dass wir wieder da sind. Sie hatten mit zwei weiteren Ausfällen von Fahrzeugen im Sand zu kämpfen. Am Morgen werde ich von der Gruppe bei den Sanddünen von Els aufs Herzlichste wieder willkommen geheissen.

 

Am Lager in Karakorum bietet uns die Khara Korum Group wunderbare mongolische Gesänge in Ober- und Tieftönen, begleitet von ihren einfachen, wohlklingenden Instrumenten. Ein zehnjähriges Mädchen tritt als Schlangenfrau in Vollendung auf. Eine wunderbare Abendstunde. Soou schööön!

 

Das Volk fiebert dem Naadam Fest entgegen, dem Volkssportfest aller Art. Heute sind die sechsjährigen Kinder dran. Nach achtundzwanzig Kilometern heissem Galopp stieben sie auf das Ziel zu. Die Knirpse reiten und knallen mit den Peitschen, als wären sie auf dem Pferd geboren. Meine Sympathie und Empathie treibt mir Tränen in die Augen. Sooou feucht!

 

Der erfahrene Abenteuer Ost Chef, Kostya, sagt: „Mit deinem Fahrzeug würde ich da nicht rüberfahren“. Seine Teilnehmer wenden ein, dass wir den kleinen Pass zum Ogii Nuur ja von der Gegenseite her angehen. Nun, in meiner Verwegenheit stehe ich jetzt oben!

 

Auf der Anhöhe vor dem Ogii Nuur gibt’s eine herz- und sinnenerweiternde Sicht in die grünblau schimmernde Ferne. Die schiere Sanftheit. Augenblick verweile!

 

Beim Abstieg über den ausgewaschenen, steilen, schrägen Naturpfad stehen die Fahrzeuge beinahe Kopf und halten auch in Schräglage durch. Einige Teilnehmerinnen wundern sich, dass auch ich heil heruntergekommen bin und nun seelenvergnügt im Ogii Nuur ein Bad nehme.

 

Die weiten Hochebenen der Mongolei (meist 1000-1500 MüM) sind in der Ferne gesäumt von Hügel- und Gebirgszügen. Meine Seele jaucht über die Weiten hinweg, wo so viele Schafe, Pferde, Ziegen ihr Futter suchen!

 

Kurz vor einer Strassenzahlstelle knoble ich die zweitausend Tugrik aus dem Beutel. Plötzlich sehe ich die Hand nicht mehr. Nebelrauch im Cockpit! Ich greife zum Feuerlöscher neben mir. Durch mein vernebeltes Hirn saust „Motorbrand“. Noch beim Gump aus dem Womo berühre ich das auf einen Meter Länge gleichzeitig geschmolzene Kabel. Zum Glück hängt es provisorisch wie eine Wäscheleine im Auto. Wegreissen. Es ist das Kabel, das wir zum Heben und Senken der Fensterscheibe improvisiert haben. Bis anhin hat es gut funktioniert!

 

In meiner Erleichterung vergesse ich bei der Zahlstelle, das Ticket zu verlangen. Der Zöllner winkt mich gekonnt schnell durch, bevor ich denken kann. Er steckt das Geld in seine Tasche!

 

Ulaan Baatar heisst „der schöne Riese“. Ein bisschen schön zeigt sich die hässliche, streckenweise autoverstopfte, einskommavier Millionenstadt erst vom Hotel Continental aus, auf dessen Hinterhof wir uns zusammendrängen.

 

Es ist Naadam Fest. Tausende Städter zieht es aufs Land hinaus, an einen See, an einen Bach, in eine Jurte, vor allem ins eigene Zelt.

 

Die Stadt ist wegen der Landflucht, ausgelöst durch Katastrophen in der Viehzucht wegen Dürre im Sommer und Kälte im Winter, explosionsartig gewachsen. Riesige Quartiere erscheinen in demselben Baustil.

  

Hans S. wagt sich nochmals an das mysteriöse Kabel und ersetzt es mit einer eigenen Sicherung hinter dem Fensterschalter.

 

Ararat schabt einen Metallstreifen von einem Wotkadeckel kahl und setzt ihn als Verdickung bei der dauernd versagenden Minusklemme an der Batterie ein.

 

Zur Eröffnung des Naadam Festes in Ulaan Baatar haben sich die Organisatoren eine tolle geschichtliche Show mit vielen Choreografien einfallen lassen. Ringen, Bogenschiessen und Knochspicken sind die anschliessenden Disziplinen. 

 

Von Ararat, meinen Mechaniker in Russland und der Mongolei, verabschiede ich mich unter Tränen. Ararat sagt: „Du bist nicht einfach Freund, du bist mir ein Vater-Freund“. Als armenischer Christ meint er damit auch den Priester.

 

Das grosse Pferderennen geht erlebnismässig im Verkehrstau bei der dreissig Kilometer langen An- und Rückreise völlig unter. Ich bin eh fernglasweit von den Ereignissen weg. Auch in der einheimischen Bevölkerung kommt auf dieser Anhöhe keine Stimmung auf.

 

Mit einem erklärenden Video über das Reiten, Ringen, Bogenschiessen und Knochenspicken wäre man bei diesem Hauptanlass nach der Eröffnungsfeier bestens bedient.

 

 

 

 

2017 Juli Teil 2 Mongolei – China

 

Das Konzert mit traditioneller Musik, mit traditionellen Instrumenten und Stimmen macht mir die Hauptstadt der Mongolei Ulaan Baatar kurz vor dem Abschied total sympathisch. Wenn ich dir in Kürze die Mongolei näher bringen soll, werde ich mit dir nach Ulaan Baatar fliegen und dieses Konzert sehen und hören und noch ein Stück in die Steppe hinausfahren. Ich bin begeistert!

 

Östlich von Ulaan Baatar faszinieren mich die Felsformationen im Terelj Nationalpark und unser Stellplatz auf einem sanften Hügelzug. Sooou schööön muss ich rausschreien!

Im Dorf Bahabangaj kann ich Mitfahrenden die leeren Wasserkanister volltanken. Vor mir macht das Klaus. Weil ich schon hinten anstehe, fährt er nur ein wenig rückwärts und dreht dann nach vorn ab. Den Betonklotz übersieht er und knallt ein Fünfliber grosses Loch in die Ölwanne unter dem Motor. Alles Motorenöl raus. 

 

Unser Mechauto kommt nach einer halben Stunde nachgefahren. Ölwanne ausbauen, zu einem Privaten in ein anderes Dorf bringen. Aluminiumschweissen. Dichtungsmittel beschaffen und Motorenöl. Eine schwierige Aufgabe. Es ist Samstag nach dem Naadam Fest. Eigentlich ist alles geschlossen bis am Dienstag. 

 

In der Zwischenzeit bleibe ich bei Klaus und Telse und koche uns und unserer Dolmetscherin Baira ein Risotto. Später spiele ich Frisby mit der Dorfjugend. Sechs Stunden dauert das ganze Prozedere. Jetzt liegen noch zweihundertdreiunddreissig Kilometer bis zum Stellplatz nahe Ayrag in der Steppenwüste Gobi  vor uns. Das heisst ein Teil wird wiederum zur Nachtfahrt. Das Motto von Seabrigde bewährt sich wirklich: „Jeder für sich, keiner allein“. 

 

Ich kann keine passenden Worte finden, dir die Weiten der Steppenwüste Gobi zu schildern und auch nicht für mein Glücksgefühl, sie zu erleben. Sooou schööön!

 

Am 18. Juli schaffen wir das fast unmögliche Grenzprozedere aus der Mongolei raus und nach China rein in sechs Stunden. Das ist durchaus eine schöne Rekordzeit für neunzehn Wohnmobile im Konvoi.  Die Grenzstadt der Mongolei heisst Zamin Üüd. Staubpisten mitten in der Stadt. Die Mongolen benutzen den Grenzübergang täglich mehrere Male mit ihren Schlotterkistenjeeps für den Einkauf gleich über der Grenze in der chinesischen Stadt Erenhot. Sie drängeln sich zu hunderten rücksichtslos durch die stehenden Kolonnen. An drei unserer Fahrzeuge entstehen Spiegel und Blechschäden. Sie stossen sich Stossstange an Stossstange weiter, egal ob ein Fahrer am Steuer sitzt, oder zur Meldung grad zum Zollamt eilt. Ihre leeren Jeeps werden gegen Schmuggelware nach China rüber gründlich untersucht. Ein fürchterliches Chaos, was diese Kleinhändler hier anrichten.

 

Die Stadt Eren Hot sollte man durchaus mit h schreiben. Diese gepflegte auffallend saubere, breitstrassige, neuhäusige Stadt macht den Chinesen alle Ehre.

 

Den mongolischen Lotterkisten macht die chinesische Regierung ein Zugeständnis wegen der eigenen Wirtschaft. Diese Wackelbennen dürfen auf den Markt und zu den umliegenden Geschäften fahren um einzukaufen. Keinen Kilometer mehr, sonst wird die Karre beschlagnahmt und der Fahrer kommt in die Kiste. Dieser „Schwarzmarkt“ bringt der chinesischen Regierung viel Geld. Die Ware wird in den Grenzort Zamin Üüd gebracht und von dort mit strassentauglichen Autos und Lastwagen durch die Mongolei bis nach Russland verschleppt.

 

Sechs Stunden dauert der physische Übertritt. Nach weiteren vierundzwanzig Stunden warten im Zollhotel wird die Erlaubnis zur Weiterfahrt erteilt. Jetzt bin ich also mit meinem eigenen Womo in China angekommen Dank der alten und neuen Crew und den zwei chinesischen Reiseleitern. Sooou unwirklich, sooou schööön!

 

Mit Abstechern irgendwo durchs Land ist es in China vorbei. Alle meine Routen sind vom Reiseleiter mit der Polizei und dem Militär festgelegt und akzeptiert. Keine Abweichungen sind erlaubt. Das für die nächsten neuntausend Kilometer. Zoll und Polizei macht Fotos von unseren Wohnmobilen und meldet uns bei den Maut- und Polizeistellen, damit wir flüssiger durchkommen.

 

Die Orte und Strassen im Atlanten zu finden, bereiten anfangs Kopfzerbrechen. Auf den Strassen bin ich eh verloren chinesisch zu lesen. Jetzt hilft nur ein Griff zu Map Source, um dem GPS die Route exakt vorzugeben. Zum Glück arbeitet Map Source online ohne internet. Technik ist gefragt. Sooou hilfreich!

 

Wie könnte ich sonst das Feld bei Zhangbei finden, auf dem ich stehen darf? Oder bald ein Feld vor Guyuan?

 

Die Hochebenen (1350-1400 MüM) in der autonomen Inneren Mongolei sind sehr fruchtbar für jede Menge Gemüse und Kartoffeln. Handarbeit beim Anbau und bei der Ernte. Sooou schööön!

 

In Zhangbei erstehe ich mir ein paar Kleinigkeiten zu Essen. Die Verkäuferin und ihr Sohn, zwei Lastwagenchauffeure, ein Polizist, der auch grad einkauft, besuchen mich im Womo. Der Polizist erkundigt sich nach meinem Ziel. Nach Guyuan! „Du kannst mir folgen. Ich fahre voraus,“ bedeutet er mir. Unsere Unterhaltung geht auch ohne Sprache. Er schwingt sich aufs Motorrad und gibt mir ein Zeichen beide Blinker einzuschalten, dann heult seine Sirene auf und ich folge ihm auf der dritten Spur durch die Stadt. Gekonnt pufft er alle Autos zur Seite. Jetzt kommen wir! Woher nimmt er die Befugnis, die Sirene zu gebrauchen?

 

Nach vierzig Kilometern biegen wir wie geplant auf die Panoramastrasse der Chinesischen Mauer ab, über Berge und Hügel auf engen Strassen hinweg. Kurzer Orientierungshalt. Ok. Eskortiert weiter. Nach zehn Kilometern halten wir nochmals seitwärts. Ich könne gern mal Fotos machen von dem Riesenzirkus, den die Chinesen wie einen Kilometer weiten Jahrmarkt auf allen Hügeln veranstalten. Reiten, Quadfahren, Schiessen, Essen, in Blumengärten aus Plastikpropellern spazieren und fotografieren.

Ob er mit mir nach Guyan fahren könne. Er wohne dort. Soweit muss ich zwar nicht. Ist mir auch verboten, mich so weit vom Camp zu entfernen, wo ich nicht einmal weiss, wo es heute sein wird. Diese Bedenken kommen mir zu spät! Ich tue das doch gern für meine Eskorte. Er zieht seine Polizeijacke und Hemd aus. Überreicht sie einem Offizier auf schwerem Motorrad und steigt zivil in mein Womo. Und sein Motorrad? Das lässt er bei einem Budenbesitzer stehen.

 

Ob er selber ans Steuer dürfe? Nein, ich habe keine Versicherung für dich! Ok, akzeptiert. Kaum unterwegs kratzt meine vergessen ausgefahrene Treppe (das Warnsignal warnt schon seit drei Wochen nicht mehr und niemand kann es flicken) in einer engen Kurve einem Drahtzaun entlang. Das Verdeck und die untere Stufe reissen ab. Polizei an Bord! Wir fahren auf den nächsten Parkplatz. Dort nimmt mir mein Poli Eisensäge und Rohrzange aus der Hand und demontiert und biegt die hängenden Reste.

Weiter geht’s auf dem hundert Kilometer langen Bergundtalpfad der Chinesischen Mauer entlang, die hier allerdings zerfallen ist. Eine seltsame Fülle an Windmühlen. Wunderschöne Sicht in die tiefliegenden Täler.

 

In einer Ortschaft halten wir für Wässerchen. Mein Poli fragt mich wieder, ob er fahren darf. Ich erkläre ihm nochmals, dass das wegen der fehlenden Versicherung nicht möglich ist. Haben wir uns verstanden? Er bedankt sich und setzt sich ans Steuer. „Ok,“ denke ich sofort, „das gehört nun mal zu meinen Erlebnissen. Ich liebe es, dir solche Geschichten zu erzählen. Ich sehe dein Kopfschütteln.

 

Unterwegs halte ich bei Kollegen am Wegesrand und bitte sie, dem Leitungsteam nichts von meinem Fahrer zu erzählen, damit sie wegen meiner Frechheit, einen Poli fahren zu lassen und ohne Erlaubnis weit ins Zentrum der Stadt hinein zu fahren nicht in Schwierigkeiten geraten und mich in Zukunft an kurzer Leine halten.

 

Während ich mit den Kollegen spreche hält ein moderner Reisecar. Mein Poli unterhält sich mit dem Fahrer und einem Gast. Er habe gerade unsere Story seinem Bruder erzählt, berichtet er stolz.

 

Die Koordinaten für das freie Nachtcamp habe ich noch nicht erhalten. Die Crew ist immer noch am Suchen. Zwölf Kilometer vor Guyuan biegen wir in einer Kurve rechts ab, während im selben Moment meine Crew ebenfalls nach rechts in meine Strasse abbiegt. Meine Geheimhaltung platzt aufs Perfekteste!

 

„Gleich fünfhundert Meter von hier haben wir ein Feld für ein Camp gekriegt“, meldet Arthur erleichtert. „Entschuldigung, Arthur, mein Fahrer hier ist ein Polizist. Er hat mich den ganzen Tag begleitet. Ich habe ihm versprochen, ihn nach Guyuan nach Hause zu bringen. Darf ich das noch machen?“ „Wenn du selber wieder hierher findest, gern,“ meint Arthur grosszügig.  

 

Mein Eskortenpolizist, dessen Namen ich immer noch nicht aussprechen kann, bedankt sich aufs Herzlichste. Seine Einladung zum Essen bei sich und zum Ausgang kann ich leider wegen der Gruppenerwartung nicht annehmen. Ich solle nächstes Jahr zu ihm kommen. Er habe mir so Vieles zu zeigen. Wie wir den ganzen Tag kommunizieren? Sofern Hände und Füsse mit Zeichen und Skizzen nicht reichen, schwatzt er auf Chinesisch in sein Handy und reicht mir die englische Übersetzung zum Lesen. Umgekehrt spreche ich Englisch darauf und er liest Chinesisch. So völkerverbindend ist die verdammte Technik! Sooou schööön!

 

Regen in der Nacht. Die Gemüsegegend ist damit reich gesegnet. Unsere Pisten aus dem Feld verschlammen beim Wegfahren von Fahrzeug zu Fahrzeug mehr und mehr. Dieser und jener bleibt hängen. „Rippenbleche“ aus Plastik von Bruno und Uschi wirken Wunder. Dank Differenzialsperre fährt mein schweres Gerät durch, schlittert aber an einem Schräghang seitwärts bedrohlich weg in Richtung Baum.

 

Die Autobahn von Guyuan bis Cheng De ist so neu, dass sie das GPS noch nicht wahrnimmt. Von 1500 MüM fällt sie durch grosszügige Tunnels auf 500 MüM ab. Nach dem Gemüseanbau in den Hochebenen erscheinen Maisterrassen und Maisfelder in tieferen Regionen. Die Gemüse- und Maisbauern und Bäuerinnen arbeiten von Hans sehr hart. Durch Tunnel und über Brücken geht es so weiter bis zum Gelben Meer südlich von Qinhuangdao.

 

Vor dem Meer trifft es mich knallhart. Ich gerate auf zehn Kilometer Länge durch Dörfer auf die hässlichste Strasse der Welt. Mit vier bis fünf Stundenkilometern Tempo windet sich mein Womo wie mein Magen und mein Gehirn. Die Nachbarn überlegen sich, ob sie sich an den offenen Stromleitungen über die Strassenlöcher zum Nachbarn hinüberhangeln, oder ob sie den Besuch doch um drei Wochen verschieben. Was die Leute über Jahre hinweg auf sich nehmen, bis die Regierung sagt, diese Strasse wird jetzt saniert! Strassenbau ist Monopol der Partei.

 

Wir parken auf einer wohlkontrollierten Meeresbadebucht nahe von erheblichen Sanddünen. Dreiundzwanzig Grad warmes Meerwasser. Trotzdem ist das die ersehnte Abkühlung von vierunddreissig Grad Lufttemperatur. Die Bucht ist der östlichste Punkt unserer Abenteuer Ost Reise: N 39° 33.610`E 119° 16.379`! 15210 km bin ich ab dem 2. Mai 2017 von der Schweiz aus gefahren. Das feiern wir mit einem vielgängigen chinesischen Grillen von Seabrigde.

 

Von nun an geht es, die aufgehende Sonne im Rücken, westwärts, doch noch lange nicht zurück in die Schweiz.

 

Die Chinesen kennen das Wort Käse. Was sie unter diesem Namen verkaufen, gleicht in Etwa dem Gummibärli.

 

Im Konvoi der neunzehn Fahrzeuge bin ich total überrascht, wie flüssig und unkompliziert die Einfahrt während den letzten dreissig Kilometern in das Herz der Millionenstadt Peking verläuft.

 

Richtig, ich bin jetzt in Peking! Dir wie mir ein Rätsel, wie ich da hingekommen bin.  Beijing heisst „nördlicher Mittelpunkt“. Von den 1,4 Milliarden Chinesen leben 23 Millionen mit mir in dieser Stadt. Für die Weltmeisterschaft im Jahre 2008 wurden Wohnungen von 1,5 Millionen Pekinesen abgerissen und egal in welcher Himmelsrichtung mindestens dreissig Kilometer weiter aussen angesiedelt. Das für den Strassenbau und für Grünanlagen in der Stadt. Das Elektrovehikel boomt. Der Gestank ist weit geringer geworden.

 

Ich habe bereits die Pekinger traditionelle Oper besucht und freue mich nach bald drei Monaten über ein Zimmer im Hotel Dongfang für die nächsten vier Nächte. 

 

Der Himmelstempel wurde im Jahre 1420 vom Kaiser der Ming Dynastie gebaut. Er betrachtete sich als Sohn des Himmelsgottes und zuständig für das Gebet um gedeihliches Wetter und gute Ernte.

 

Die jungen Trupps leisten Grossartiges in der Akrobatik Show. Gewagte Szenen vor hübschem Hintergrund. Atemberaubend.

 

Es gibt eine zwei Kilometer lange Bankenstrasse! Damit die Angestellten rechtzeitig zur Arbeit kommen, gibt es für sie mit Ausweis eine zehn Kilometer lange unterirdische Autobahn.

 

Das Wasser beziehen die dreiundzwanzig Millionen mitsamt Industrie zu fünfzig Prozent aus dem Grund, zu fünfzig Prozent aus den fünf Stauseen. Eine Wasserleitung ist fürs Abkochen und Duschen, eine Wasserleitung mit Gebrauchtwasser fürs WC und Ähnliches. Für Superreiche gibt es eine dritte Wasserleitung. Zehnfach gereinigt und trinkbar!

 

Von Ost - nach West Peking fährst du hundertdreissig Kilometer. Von Nord nach Süd hundertfünfzig Kilometer. Die U-Bahn verbindet bereits fünfhundertachtzig Kilometer Stadtgebiet. Bis 2020 sollen es tausend Kilometer sein.

 

Von sieben Millionen Autos sind dreieinhalb Millionen ein Parkplatz in den Wohnsilos zugeteilt. Die restlichen dreieinhalb Millionen Autos und deren Besitzer müssen täglich selber einen Parkplatz finden.

 

Die ungleichhohen Tritte auf der Chinesischen Mauer fünfzig Kilometer ausserhalb der Stadt fordern endlich meine Beinmuskeln. Eine Wohltat! Studenten aus Washington DC wollen ebenso ein Foto mit mir, wie die allseits freundlichen Chinesen sich ein Foto mit der Langnase wünschen. Sie sind nicht aufdringlich. Ich muss sogar den ersten Schritt auf sie zu machen, dann aber sind sie sehr herzlich. Sooou schööön!

 

Als ein Grossvater mich beobachtet, wie ich zwei Kindern nach der Fotosession eine Mandarine schenke, schenkt er mir einen Kühlfächer, womit ich meinerseits wieder viele Frauen aus meiner Reisegruppe wiederbelebe.

 

Höchste Konzentration der Kämpfer in der Kung Fu Show. Erstaunliche Fertigkeiten in Bewegung und Kraft. Ich bin aber nicht zum Kämpfen aufgelegt. Bin sehr friedvoll gestimmt. 

 

 

Auf dem Platz des „Himmlischen Friedens“ und in der „Verbotene Stadt“ begegne ich endlich den oft beschriebenen Menschenmassen. Ich pflücke mir einzelne Begegnungen raus, sei es mit Kleinkindern, Schülern, Studenten, Erwachsenen. Sie alle öffnen ihre hübschen Gesichter meist erst, wenn ich sie anspreche. Sie sind dann aber sehr angetan und wollen zusammen mit mir ein Foto machen. Leider fehlt mir die Sprache für Tiefergehendes. Aber alleweil: sooou schööön!  

2017 August Teil1 China

 

Bei der Ausfahrt  aus der dreiundzwanzig Millionenstadt Peking – wir fahren nicht im Konvoi - gibt es praktisch keine Lastwagen auf den Strassen. Wie zum Teufel versorgen die die Innenstadt mit Gütern, die es überall zu kaufen gibt? Reicht es nachts? Die zweispurige Autobahn G6, der ich dreihundert Kilometer folge, ist praktisch ohne Lastwagen. Sie fahren auf der meist parallel verlaufenden G7. Dieser chinesische Verkehrsminister müsste mal Europa neu konzipieren!

 

Überholen rechts ist erlaubt und wird auch auf Pannenstreifen praktiziert. Eine Schnellspur links gibt es nicht. Also auch mitten durch überholen. Bitte am Steuer nicht träumen. 

 

René bemerkt dazu: „Eigenartig, die Chinesen leben in einer Diktatur. Wenn die Partei sagt, so ist es, dann ist es so. Auf der Strasse aber herrscht totale Willkür. Die Polizei fährt mit und kümmert sich überhaupt nicht um Verkehrssünder.“ Überall sind so viele Kameras am Leuchten und Blitzen wie in keinem mir sonst bekannten Land. Die können mir sagen, an welchem Tag, zu welcher Zeit, wie schnell ich welche Strasse gefahren bin. Aber wozu diese millionenfachen Aufzeichnungen?

 

Mit Blick auf die Personenwagen möchte man meinen, in Japan oder Deutschland zu fahren. Beste Erzeugnisse all überall! Was hat doch China in den achtzehn Jahren, wo ich nicht mehr da war, für Fortschritte gemacht. Gigantisch!

 

Die Beschriftungen auf den Autobahnen sind meist auch auf Englisch in Lateinischer Schrift. China öffnet sich immer mehr. So bequem!

 

Landschaftsgärtnerisch wird das Gebiet westwärts vom Grossen Mauer Gebirge wieder spannend. Berge, Maisterrassen, ausgewaschene, kunstvoll geformte Wasserfurchen durch die Hänge bis zu tiefen Tälern. Erosion zwar, aber fantasievoll wie jede naturbelassene Gestaltung.

 

Bei Datong gibt es in Sandstein gehauene Grotten mit Buddhastatuen aus der Wei Dynastie (5.Jahrhundert).

 

Beim Wegfahren entdeckt Hans meine platte Luftfederung. Schon seit Ulaan Baatar kriege ich keinen Strom mehr auf die Fernbedienung. Allmählich haben sich die Luftbalge entleert. Jetzt ist die Luft ganz raus! Klaus und Tsieren sind zur Stelle. Sie messen und testen, studieren die Schemata und experimentieren, hantieren unter dem Auto, im Auto und beim Motorblock. Ein Relais, eine Sicherung, ein Wackelkontakt? Das Womo kriegt den Hintern wieder hoch! So hilfreich die Beiden! Klaus ist ein Deutscher und Tsieren ein Sibirier. Warum ich das erwähne? Heute ist der 1. August, Schweizer Staatsfeiertag, und Menschen anderer Nationen helfen mir aus der Patsche. Da muss ich erwähnen, wie die Chinesen die Schweiz benennen: Schönes Land, Land der Tugenden! Sooou schööön!

 

Um die Altstadt von Pingyao gibt es eine jahrhundertealte Stadtmauer an der wir vorzugsweise parken dürfen. Gegründet wurde die Stadt vor Christus. Ein quirliger Tourismus ist im Gang. Wie auf Pingyao wird auf den Autobahnen (wie in Europa) mit braunen Schildern auf viele Sehenswürdigkeiten hingewiesen.

 

Und jetzt das Gegenteil von Lastwagenfreier Autobahn. Tausende Lastwagen stehen still. Zeitweise kann ich auf der linken Spur vorfahren. Als sich nach einer Stunde an den Lastwagen vorbei bin und der Stau sich auflöst, geht es mit allen Lastwagen rein in einen brandschwarz vernebelten Tunnel. Da drin wäre es mir zu dreckig und finster um zu sterben! 

 

493 n.Chr. wurde mit dem Bau Longmen Grotten (Drachentor) bei Luoyang begonnen und vierhundert Jahre fortgesetzt. Unglaublich eindrücklich tausende von Grotten im Kalkfelsen und ungeschützt in der freien Natur.

 

Im Shaolin Kloster (seit 496 n.Chr.) wurde der Kung Fu Wettkampf weiterentwickelt. Ein Kaiser liess das Kloster aus Angst vor der Kampfkraft der Mönche zerstören. Andere Kaiser stellten sie in ihren Dienst. Nach der Roten Armee Zeit wurde das Kloster mit heute dreihundert Mönchen wiedereröffnet. Kung Fu wird zu ihrem Leidwesen in der wachsenden Stadt von privaten Schulen kommerziell unterrichtet. Es gibt in derselben Stadt Schulen für dreihunderttausend Schüler von sechs bis achtzehn Jahren. Meist schicken Eltern ihre Jugendlichen während der zweimonatigen Sommerferien in die Kung Fu Schule.

 

Mittelchina ist in dieser Gegend sehr fruchtbar. Die Bauern ernten zwei Mal auf demselben Acker. Im Juni Weizen, im Oktober Mais. Die Jungen aber ziehen in die Städte. Den Bauern bleiben weniger Kräfte zum Anbau. Darum hat die Regierung für sie Steuern erlassen, damit sie weiterhin existieren können. Das Land gehört eh alles dem Staat. Die Bauern pachten das Land.

 

Die an sich grüne Gegend liegt im Hitzedunst. Täglich bis vierzig Grad heiss. Keine befriedigenden Fotos möglich.

 

Megagigantisch sind die Bauvorhaben in den Städten. Gleichzeitig für zwanzigtausend oder zweihunderttausend Menschen Wohnungen zu schaffen ist für die Chinesen kein Problem! Allerdings werden die Wohnungen nur im Rohbau mit Elektro und Wasseranschluss gebaut. Die Innenausstattung wie Böden, Wände, Decken, Kücheneinbauten etc wird eigenhändig via „Baumart“ eingebaut.

 

Mit Erlaubnis der Regierung sind die 1,4 Milliarden Chinesen im Laufe ab sofort und in den nächsten Jahrzehnten dabei, ein zweites Kind zu machen. Da müssen Wohnungen her!

 

Dreissig Kilometer ausserhalb von Xi`an steht die gigantische Terrakotta Armee. Zwei Männer sind 1974 beim Brunnengraben auf diese Figurengruben gestossen! Zweitausend Jahre lang waren sie verschollen.

 

Am freien Tag wird mein Gemüt erprobt. Während Kollegen sich lautere Hupen einbauen lassen, um auf den Strassen gehört zu werden, kriegt meine Fernbedienung für die Luftfederung keinen Strom. Eine Weiterfahrt ohne Luftfederung ist unmöglich.

Werkstattbesuch. Die Mechs kriegen das hin. Arthur fährt mein Womo von der Garage zum Hotel zurück, während ich die Terrakotta Armee und Stadt besuche. Fein! Dann Strom wieder weg! Ich bespreche mit der Reiseleitung notfalls einen Tag länger in Xi`An zu bleiben, während die Gruppe weiterfährt. Ein vom Staat verordnetes Begleitfahrzeug müsste ich dann bezahlen. Ein Elektrikerchef einer zweiten Werkstätte erscheint auf dem Parkplatz vor dem Hotel. Herumzerren an den Elektrodrähten. Licht an! Welche Freude und Vereinfachung für mich! Licht aus! Jetzt kriege ich einen seelischen Wackelkontakt. Mal Freude, mal Enttäuschung, das wohl fünf Mal. Tsieren definiert mit Klaus den Fehler haarscharf. Die Elektriker wollen an dem Stecker, wo drin die 7,5 Ampère Sicherung wackelt, nichts auswechseln. Es sei zu kompliziert. Tsieren bedeutet mir: „Schluss der fachlichen Hilfe. Wir improvisieren das, sobald es aufhören wird zu regnen, selber!“ Bevor sich der zweite herbeigerufene Elektrochef verabschiedet, gibt er mir die hundert Euro, die er für die dreiviertelstündige Anfahrt und das kurzfristig erfolgreiche Herumzerren an den Drähten bekommen hat, wieder zurück. Geld zu kassieren ohne wirkliche Hilfe geleistet zu haben, geht gegen seine Ehre!

 

Eine megafarbige Tanzshow zur chinesischen Geschichte bietet das Grosse Opern Haus. Zuvor gibt es achtzehn Gänge mit kleinen Maultaschen! So fein und sooou schööön!

Den Ausgang aus der Achtmillionenstadt Xi`An (mit Vorstädten) lässt sich Dank GPS gut finden.

 

Die fruchtbare Gegend um Pingliang ist durch die Wasserabgänge kräftig zerfurcht. Die Bauern stemmen mit Terrassen gegen die Erosion und freuen sich über die Fruchtbarkeit ihrer Äcker in der Talsohle.

 

Fünfzehn Kilometer westlich von Pingliang besuche ich den Höhlen- Tempelberg Kontong. Seit dreitausend Jahren leben Mönche auf diesem Berg und haben unzählige Tempel und Tempelchen errichtet. Dazu die Aussicht hoch über den Tälern! Eine mystische Stimmung!  Und ganz schön beschwerlich, bei Hitze alle diese (zwar perfekt gebauten) Steilstufen rauf- und runterzusteigen. Sooou schöön!

 

„He Kleiner, es tut mir sehr leid, dass ich heute so kurz zu dir war. Klaus arbeitete an meinen Kühlschrankventilatoren, Tsieren und Hans gleichzeitig an der Fernbedienung der Luftfederung. Allen musste ich assistieren. Da bist du mit Mama und Papa zu mir gekommen. Wolltest dich mit den herzigen Kinderschuhen als Geschenk für deinen gestrigen Besuch in meinem Wohnmobil bedanken. Sooou liäb! Ich habe nur schnell ein Foto mit dir und Mama machen können und dein Geschenk bewundern. Ich war so hektisch. Entschuldige. Das tut mir sooou leid und weh.“ 

 

Mein Weg führt über Hochebenen auf zweitausend Metern. Ein Höhenweg führt sogar über zweitausendsechshundert Meter. Ein unglaubliches Erlebnis über diese Terrassengebiete runter zu schauen. Dauernd eröffnet sich während der Fahrt ein weiteres Tal mit grünen Terrassen und braunen Abhängen. Was für eine menschliche Überkraft hat den Naturhängen diese Terrassen abgerungen. Chinesische Zähigkeit! Ganze Familien ernten noch heute mit wenig Mitteln meist von Hand und buckeln und schleppen.

 

Das Labrang Kloster finde ich im hintersten Hinterland bei Xiahe (2934 müM). Berühmt ist es für die tibetische Naturmedizin. In diesem Seitental bei den Ausläufern des Himalaja Gebirges wohnen Tibeter. Eine Minderheit.

 

Man betont, dass es in China Religionsfreiheit gibt. Und es stimmt. Die Buddhisten, die Lamaisten, die Taoisten, die Konfuzionisten, die Christen, die Muslime – eben habe ich vor dem tibetischen Gebiet ein muslimisches Gebiet der Minderheit von Hui-Chinesen durchfahren, eine Mosche nach der anderen -, dürfen ihre Religion ausüben, solange sie alle nicht politisch agieren.

 

Der Rummel um das tibetische Kloster ist chinesisch, will heissen gigantisch. Es sind Sommerferien. Die Chinesen reisen sehr gern. Ein paar Europäer auch. 

 

Auf der G212 schwebe ich auf 2500 Metern wieder über diese unendlichen Terrassenlandschaften bis nach Lanzhou, wo der Gelbe Fluss durchzieht. Ab hier beginnt westwärts die Steppe. Ein paar Bäuerinnen und Bauern versuchen den Äckerchen am Wegrand noch etwas Getreide und Gemüse abzuringen. Karges Ergebnis. Die Lastwagen, auf der Landstrasse bezahlen sie keine Abgaben wie auf der flotten Autobahn, brummen, pusten und stäuben die Fussgänger, die Fahrräder und Dreiräder an den Strassenrand. Ein verstaubtes Dasein in den Dörfern. Die Bevölkerung versucht sich mit hohen Ziegel- und Lehmmauern zu schützen.

 

Die Reiseetappen führen immer noch auf zweitausend Höhenmetern durch die Steppe und immer wieder enden sie in Millionenstädten.  

 

Meinen Geburtstag eröffne ich mit einem Marktbesuch in Jinchang. Am Abend helfen mir ein paar unserer lieben Frauen nach einer Fahretappe in Zhangye, einen üppigen Fruchtsalat für die Gruppe herzurichten. Sooou schööön!

 

Vierzig Kilometer abseits von Zhangye leuchten die farbigen Berge atemberaubend schön. Immer neue Formationen und Farben in den Seitentälern. Sooou schööön!

Das alte Pneu-Zerfetzproblem taucht wieder auf. Kollegen beraten mich. Radlager? Achsengeometrie? Schlechter Pneu? JongZhe schlägt vor, mir 380 Kilometer weiter westlich eine Garage zu buchen. Nebenbei erzähle ich es Klaus. Der guckt sich die Sache an. Diagnose: zu wenig Druck im Reifen. Tsieren greift zu seinem Compressor. Nun mal hoch von 4,8 auf 7! Das Problem ist gelöst. Dieser Klaus ist für mich, für unsere ganze Gruppe unbezahlbar. Sooou clever und sooou dienstbereit!

 

Fairerweise muss ich sagen, mein Womo feiert heute in Dunhuang seinen zweihunderttausendsten Kilometer. Dafür kriegt es einen halben Liter Motoröl. Du weisst nicht, wo Dunhuang liegt. Das Womo weiss es. Es hat es auf eigenen Rädern dahin geschafft. Dunhuang liegt in der Steppe. Kurz vor der Wüste Taklamakan. Taklamakan heisst in etwa übersetzt: Wer da rein geht, kommt nicht mehr raus! Das werden wir beide überprüfen.

 

Inzwischen haben die Chinesen auch die Seidenstrasse geteert, damit der Handel nach Westen wieder aufblüht. Schwitzen wird das Womo schon. Mir geht’s dabei bequemer. Der Kühlschrank kühlt nach dem Reinigen des Brenners wieder. Die Klimaanlage kliemt nach Zugabe von Kühlflüssigkeit. Also packen wir es an!

 

 

2017 August Teil 2

 

In Jiayuguan steht das westlichste Tor der Chinesischen Mauer. Wer durch das Tor hinausschreitet, geht historisch zurückblickend ins chinesische Ausland und bekommt keinen Schutz mehr von der Dynastie. Es muss für die Händler ein eindrückliches, mitunter beklemmendes Gefühl gewesen sein, die Sicherheitszone des Handelspartners zu verlassen und sich Begleitern anzuvertrauen, hinaus in die Steppe und nördlich oder südlich der Taklamakanwüste entlang.

 

Bei Dunhang hat 1920 ein Wandermönch in der Wüste verschollene Felshöhlen mit religiösen Statuen und Wandmalereien entdeckt. Heute werden sie täglich von sechstausend Menschen besichtigt. So die Kontingentierung! Mein Ticket wurde von der Reiseleitung zwei Monate im Voraus bestellt. Ausgehändigt wird es nur gegen Vorweisen des Passes, um den Schwarzmarkt mit überzogenen Preisen zu verhindern. Auch beim Eintritt müssen Einheimische wie Ausländer sich mit Pass und persönlichem Ticket ausweisen. Erst damit ist der Zwischenhandel ganz unterbunden. So kriegt man ein Milliardenvolk in den Griff. Wenigstens in Sachen Korruption bei den Kleinen.

 

Ab Dunhang reisen Bärbel und Hans für zirka zehn Tage mit mir. Nach einigen Werkstattbesuchen in verschiedenen Städten scheint das Problem mit der Kupplung an ihrem Womo in Lanzhou lösbar. Ersatzteile müssen eingeflogen werden. Fiat leistet es sich trotz genauesten Angaben über den STRADA, falsche Ersatzteile zu schicken. Erneut in Lanzhou auf Ersatzteile zu warten ist ausgeschlossen. Bärbel und Hans würden nicht mehr rechtzeitig mit uns zur Ausreise aus China an der Grenze in Kashgar eintreffen. Das aber ist unabdingbar. Darum müssen die Ersatzteile nach Bishkek, Kirgisien, geschickt und ihr Womo über dreitausend Kilometer westwärts huckepack mit Tiefenlader dorthin abtransportiert, über die Grenze geschupst und nach der Grenze noch hundertsechzig Kilometer weiter ins kirgisische Landesinnere abgeschleppt werden. Ob es dann funktionieren wird? Der Ärger, der Erlebnisverlust, die Enttäuschung, die Unkosten sind enorm. Ihr Schicksal macht viele in unserer Gruppe mitleidend. So stark sind wir in der Halbzeit unserer Reise zusammengewachsen. Das ist die schöne Seite an uns. „Jeder für sich, keiner allein,“ wie Kostya sagt.  

Der nördlichen Seidenstrasse folgend gibt es bei HaMi die süssesten Honigmelonen. Bei Turfan (Turpan) die süssesten Trauben. Mit künstlicher Bewässerung aus dem Boden wachsen die Früchte und Bäume in Oasen. Die Trauben werden Mitte August unter dem grünen Blätterhimmel geerntet und in garageähnlichen Gebäuden zum Lufttrocknen aufgehängt. Die Dörrgebäude sind aus Lehmziegeln mit lauter ziegelgrossen Luftschlitzen gebaut. Das Dach mit runden Holzsparren und Lehm bedeckt. Die Trauben werden an raumhohe, senkrecht aufgerichtete, am Dach verankerte Holzstangen gehängt. Die Trägerstanden sind von oben bis unten mit Löchern durchbohrt. In diesen Löchern stecken durchgehend kleine Holzstäbe, an denen etwa zwei Traubenhangeln auf einer Seite Platz finden. Köstlich und sooou schööön!

Interessant ist das Bewässerungssystem, Karez genannt. Im Boden wurden über zehn Kilometer unterirdische Kanäle gezogen. Die Lehmkübel wurden über Dreibeinumlenkrollen durch Kühe oder Ochsen durch Schächte nach oben gezogen. Um die Richtung im Innern zu definieren, wurden oben zwei Seile mit einem Holzstab verbunden an ein Holzgestell gehängt. Der Stab wurde in die Richtung des zu errichtenden Kanals gedreht. Die zwei Seile wurden durch einen Schacht freihängend in die Tiefe gesenkt und im Hohlkanal ebenfalls mit einem Richtungsstab verbunden. So wurde die Richtung vom oberen Stab auf den unteren übertragen. Sooou clever.

Die östlichen Ausläufer des Tien Shan-Gebirges mit seinen schnee-und eisbedeckten Bergen beschenken die Region Dank den Kanälen mit Wasser.

Reichlich Erdöl wird aus dem Boden gepumpt. Das Tarimbecken (bis zu hundertzwanzig Meter unter dem Meeresspiegel) zählt zusammen mit dem Toten Meer und dem Death-Valley zu den niedrigsten Stellen der Welt.

Die ausgegrabenen Ruinen der alten Garnisonstadt vor zweitausendzweihundert Jahren machen einen gewaltigen Eindruck. Vierzigtausend Menschen haben damals in der Stadt gewohnt. Die Mongolen haben die Decken der Lehmbaustadt vor siebenhundert Jahren niedergebrannt. Die Stadt wurde nie wieder aufgebaut, die Ruinen versandeten.  

Die Regierung pumpt jede Menge Geld in die Uigurenstadt Turfan, damit die muslimische Minderheit sich ruhig verhält. Kilometerweise werden gleichzeitig die alten Häuser abgerissen und neue gebaut. Wo kommen plötzlich all diese tausende Bauarbeiter her? Wo gehen sie nach der Fertigstellung der Bauten hin?

In dieser grossen uigurischen Provinz (auch die Türken sind Uiguren) fahren wir in sehr viele Militär- und Polizeikontrollen hinein. Wir kommen flott durch. Vor allem die einheimischen Uiguren müssen sich ausweisen, Kofferdeckel und Motorhaube öffnen. Die Angst vor Terrorismus geht um. Vor Kraftstoff- und Gas-Tankstellen gibt es eine Barriere. Polizei. Die Mitfahrenden müssen aussteigen und bei der Ausfahrt warten. Manchmal muss der Tankende sogar den Pass vorweisen. Erstmals höre ich weiter südlich Kampfflugzeuge am Himmel über China.

Das Ausmass des Windparks südlich von Turfan wirkt gigantisch. Tausende Windräder stehen und viele drehen in der Wüstensteppe.

Gigantisch ist auch die Autobahn durch das Gebirge bis auf tausendsiebenhundertsechzig Meter. Zweispurig führt sie durch dieses Tal über hundert Kilometer nur in südlicher Richtung und ohne einen einzigen Tunnel. Die Autobahn in nördlicher Richtung führt durch ein anderes Tal!

Viele Sanddünen rieseln in die Schluchten. Nach dem Aufstieg und Abgang sind die Füsse sandgestrahlt sauber.

Die Polizei will uns nicht auf dem Parkplatz in der Nähe der  Wüsten-Stadt. So muss unser team schleunigst einen neuen Platz finden. Am späten Nachmittag erhalten wir die Koordinaten auf der südlichen Seite des Boston Sees. Reichlinge sind dabei, zwanzig  Kilometer von der Durchgangstrasse weg ein Ferienidyll zu bauen. Den Parkplatz vor dem künftigen Yacht-Club-Hotel dürfen wir benutzen. Sooou schööön über dem See mit grünem Ufer gelegen. Im Rücken wartet das Tarimbecken mit der Taklamakanwüste, die sucht, wen sie verschlinge.

Und wieder etwas Gigantisches. Durch die schier endlose Sandwüste Taklamakan haben die Chinesen eine Autostrasse geteert. Es gibt in der Wüste viel Erdöl. Deswegen! Beidseits der Strasse gibt es einen Grünbereich, von Menschenhand gepflanzt und künstlich bewässert. Wasserhäuschen und Leitungen gibt es in regelmässigen Abständen, meist von Ehepaaren gehütet. Fünf Kilometer weit hat ein Paar die Bewässerung zu betreuen. Dann kommt die nächste Pumpstation. Fünfhundertsechzig Kilometer weit, quer durch die Wüste von Norden nach Süden für der Wüsten Highway.

Das ist ultimativ das grösste zusammenhängende Sanddünengebiet, das ich je durchquert habe. Man könnte die Schweiz mehrmals da reinpacken. Dauernder Wechsel an Formen, Höhen und Tiefen. Auf hohen Dünen sind rundum nur endlos Sanddünen am Horizont zu sehen. Sooou schööön!

Der Sand liegt fest gepresst. Nicht ein Schritt vor und zwei zurück, sondern Schritt für Schritt über den Sand hinweg. Mein Gott, wie schön! Weit in den Dünen drin in Mulden und Tälern die Stille hören. Auf den Höhen stehen und mit den Augen die Formen nachzeichnen. Kleine Sandlawinen auslösen und die Aktivität des Sandes bewundern, wie sie die Oberfläche des Sandes abtastet und Gebirgszüge und Täler entstehen lässt. Darüber Staunen, dass ich das in der chinesischen Taklamakan Wüste erlebe. Aus Dankbarkeit und Ergriffenheit Lieder singen. Sooou schööön!

Minfeng ist wieder eine riesige Stadt am Wüstenrand. Selber noch voll im Feinstaub. Die Strasse von Minfeng bis Hotan und weiter nach Kaschgar (Kaschi) ist die südliche Seidenstrasse. Quer durch die Taklamakan von Nord nach Süd, von Hami nach Minfeng, wie ich das gefahren bin, ist kein Teil der Seidenstrasse. Da war in früheren Zeiten kein Durchkommen für Handelsleute und Krieger. Wüste ohne Wiederkehr. Heute bequem in zwei Tagen. Die Strasse soll bald noch breiter ausgebaut werden.

Eigentlich müsste es in den letzten Tagen im Wüstengebiet fürchterlich heiss sein. Über vierzig Grad. Davon spüre ich nichts. Der Himmel ist meist bedeckt. Höchsttemperaturen dadurch um dreissig Grad. Sehr bekömmlich. 

In Kaschgar treffen wir wieder mit Zhang und Tsieren zusammen. Die mussten ihr FührungsWomo ebenfalls Huckepack hierbringen lassen. Ebenfalls wegen der Kupplung. Ersatzteile im Anflug! Und Glück im Unglück! Die falschen Ersatzteile von Hans`und Bärbel`s STRADA passen auf das Seabridge Fahrzeug. Das Womo mit unserem Mechaniker Tsieren kann wieder mit uns fahren!

Vor drei Jahren wurde in Kashgar ein grosser Teil des Altstadtviertels mit zweitausendjähriger Geschichte abgerissen und nach altem Stil historisierend wieder aufgebaut. Viertausend Menschen leben jetzt sozusagen im Museum. Keine gute Idee nach meinem Geschmack.

Jeweils sonntags gibt es einen grossen Tiermarkt fünfzehn Kilometer ausserhalb von Kashgar. Eine ziemlich brutale Angelegenheit. In Europa ist diese Schlächterei längst versteckt, aber eben nur versteckt. Falls dich meine Fotos schockieren entschuldige ich mich. Ich will dir eben nur zeigen, wie sich das Leben in China in Wirklichkeit abspielt. Auf dem Land wie eh und je.

Kashgar soll in Zukunft immer bedeutender werden. Die Stadt ist Knotenpunkt zur Seidenstrasse und dem neulich von China gepachteten Hafen in Paktistan. Der notwendige Erdölimport nach China ist damit garantiert.

Ich bin vielen, vielen Menschen in China für einen kurzen Moment begegnet. Hang Chinesen wie Uiguren und anderen. Strassenarbeiterinnen, Dienstmädchen, Leuten von der Strasse, Beamten und Polizisten habe ich einen Blick in mein Womo ermöglicht. Sie haben diese Geste immer als Geschenk angenommen. Mit allen BesucherInnen habe ich eine grosse, gegenseitige Herzlichkeit und Freude ausgetauscht. Ich verlasse China nach so kurzer Zeit in bloss sechs Wochen Durchfahrt nicht gerne. Ich würde mich noch lange Zeit sehr wohl fühlen. Leider kommt aber wieder die Zeit des Abschieds. Heute Abend verabschieden wir uns von Arthur, Zhang und Jongshe bei einem sehr feinen chinesisch-uigurischen Essen. Dankbarkeit und Herzlichkeit verschenken wir an diesem Abend in gebührend reichem Mass. Diese AbenteuerOstTeams von Kostya sind umwerfend kompetent und dienstbereit. Wir feiern gleichzeitig den Geburtstag von Bruno, einem Berner Reiseteilnehmer, der vor zwanzig Jahren hier in Kashgar mit Uschi, mit der er auch jetzt reist, seinen ersten Hochzeitstag gefeiert hat. Sooou schööön!

 

 

2017 09 SEPTEMBER  KIRGISTAN

 

Am 28. August reizen wir (wir? Die ganze Womogruppe muss geschlossen über die Grenzen) nochmals die Grenzen und Polizeistationen in der uigurischen Jin Jiang Provinz aus. Ein Bus bringt uns ins Gebirge auf dreitausendsechshundert Meter Höhe bis hundert Kilometer vor der Pakistanischen Grenze. Hautnah sind wir an Tajikistan ran. China versteht sich sehr gut mit Pakistan. Am Karakuli See bewundern wir die schneebedeckten Siebentausender. Der Kumlun bringt es zu 7719 MüM. Sooou schööön!

 

Am 29. August fahren wir um zehn Uhr von Kashgar aus an die chinesische Grenze bei Torghat Port. Erst um zehn, weil drüben in Kirgistan die Uhr zwei Stunden nachgestellt wird und die Grenzer erst um acht Uhr beginnen. Die Motornummern sind für die Ausfuhr überprüft. Das geht sehr flott. Dann aber…Der Grenzcomputer will nicht starten. Wir bleiben vier, fünf, sechs, neun, zehn Stunden lang hängen, bis die erste Stelle auf der chinesischen Seite passiert werden kann. Hundert Meter nach der Zollstation gibt’s Stau wegen einer erneuten Passkontrolle! Du greifst dir wortlos an den Kopf. Nach vierzig Kilometern nochmals, obwohl wir auf einer Strasse fahren, zu der man durch kein weiteres Seitental herfahren kann. Es regnet, schüttet zum Teil. Ein paarmal fahren wir durch Wassersteinkiesbetten. Die dritte chinesische Grenzkontrolle sperrt nach 95 Kilometern. Diese Stelle auf 3510 Metern erreichen wir nachts um halb Elf. Kein Durchkommen.

 

Die Kontrollstelle benötigt Internetkontakt mit der Hauptzollstelle einhundert Kilometer zurück und dieser PC Kontakt funktioniert nicht!

 

Es wird kalt im Zollgebäude. Zollbeamte schleppen Bänke her und legen ihre warmen Aussendienstjacken darauf. Tee wird verteilt. Warten. Warten. Warten. Weiter geht’s auf 3752 m auf den Turugartpass (Grenzpass). Kilometerweise Niemandsland. Das Wetter will uns wie schon seit Anfang der Reise wohl. Um diese Jahreszeit könnten wir bei einem Wetterwechsel auf dieser Höhe toll eingeschneit sein.

 

Dann die kirgisische Grenze. Die Kirgisin Irina holt uns da ab, hat alle Stunden hier auf uns gewartet. Erst geht es flott. Dann nochmals verlorene Zeit für nichts. Für die  hundert Kilometer vom chinesischen Hauptzoll bis zum kirgisischen Hauptzoll inklusive Grenzprozedere benötigen wir also siebzehneinhalb Stunden. Nach siebzehneinhalb Stunden stehen wir auf dem Hochplateau bei stockdunkler Nacht. Gerädert.

 

Aber niemand flippt aus, obwohl einige nahe dabei sind. Sooou kontrolliert unsere Gruppe. So viel nehme ich auf mich, um dir meine aktuellen Reiseberichte zu schreiben.

 

Am Morgen erwache ich am Chatyr-Köl an einer Wasserquelle in einer weiten Hochebene (3200m), weit weg umkränzt von hohen Bergen, die mühsamen Zollstunden vergessend. Sooou schööön!

 

Was mir sofort auffällt: Die penetranten chinesischen knallroten Schrifttafeln verwüsten hier weder Dörfer noch Landschaften. Natur pur bei den Kirgisen.

 

Uns wird sofort eingebläut: Viel Polizei wird in bewohnten Gegenden auflauern. Die werden keine Menschen sehen, sondern Dollar und Euro! Also Geschwindigkeiten plus neun km/h Toleranz einhalten (kein Freipass für ausländische Nummernschilder wie ihn China), angurten, null Prozent Alkohol im Blut!

 

Seit dem 2. Mai 2017 habe ich das Womo auf 22475 Kilometern be-wegt und auch be-unwegt. Davon 8435 Kilometer in China. 

 

Die Menschen in Kirgistan sind so offen und liebenswert wie ich sie in Russland, der Mongolei und China erlebt habe. Einem Jurtenwirt und seiner Partnerin zeige ich auf dem Rückweg nach fünfzehn Kilometern Schotterstrasse von einer Karawanserei das Innenleben meines Wohnmobils. Darauf will Susha mir ihre einfache Konteinerwohnung zeigen. Sie laden mich zum Frühstück ein mit Pfannkuchen, Brot, Käse und Tee. Dem Wirt habe ich zuvor offenbar Eindruck gemacht, wie ich recht flink über Grashänge mit lauter verblühten Edelweiss und Stengel Enzianen und anderen verblühten Blumen zu den Felsen hochgestiegen und zurückgekehrt bin.

 

Ein Auto überholt mich nach langem Hinterherfahren. Einige Hände winken aus den offenen Fenstern. Ich bedeute mit Licht- und Blinksignalen anzuhalten. Das tun sie. Ein Elternpaar und vier Buben steigen aus und bei mir ein. Oh, oh, oh sagen sie jedes Mal im Chor, wenn ich ihnen eine neue Türe oder Schublade öffne. Papa schickt einen Buben weg. Der kommt mit einer Kanne Airak zurück und Papa füllt mir meinen Becher mit feinster Yogurtmilch. Sooou schööön!

 

Auf Pizolhöhe (2800m) wird Gras geschnitten und das Heu zu Ballen gepresst, wird Korn angesät und Weizen geerntet!

 

Nach einem Einkauf in Naryn, wir finden hier nach der erfolglosen Suche in China richtigen Käse. Wir? Bärbel und Hans fahren wieder mit mir. Sie haben ihr la strada mit viel Zittern, ob sie irgendwo wieder sitzen gelassen werden, von Kaschgar bis nach Naryn gefahren. Hier wird das Womo nach Bischkek abgeschleppt, um diesmal vielleicht die richtigen Ersatzteile, die Holger, unser Reiseleiter ab Kirgistan, mitgebracht hat, in Bischkek einzubauen. Ob das Abhilfe schaffen wird und sich ein Gang jederzeit einlegen lässt, bleibt aber ungewiss und darum sind Bärbel und Hans nach Tagen der Unsicherheit seelisch total gerädert. 

 

Das Womo wird zwar am Donnerstag abgeschleppt. Daran wird aber bis Montag nicht gearbeitet. Warum? Dazu später.

 

Kurz nach dem Dolonpass (2750m) stehen unsere Wohnmobile verstreut in der Bergwelt an einem frischen Bach. Kleine Hügel erklimmen. Sooou schööön!

 

Die letzten hundert Kilometer zum Stellplatz am Militärsanatorium bei Tosor (1625m) am südlichen Ufer des Yssikul Sees strapazieren Wellen und Löcher das Womo und meine Aufmerksamkeit. Ich bin froh, zwei volle Tage an diesem blauen See auszuruhen. Stille. Nichts unternehmen. Wunderbare Sonnenuntergänge über dem See und dem nördlichen Teil des Tien Shan Gebirges erleben und das Farbenspiel über lange Zeit bis zur vollständigen Dunkelheit beobachten. Sooou schööön!

 

Die sechs Millionen Kirgisen (eineinhalb Millionen davon leben in Bischkek) feiern am 30. August (seit 1991) den Befreiungstag aus der Klammer der Sowjetunion. Seither regiert ein gewähltes Parlament. Je nachdem, welche Partei gewinnt, lässt sie die Arbeit der Vorgänger verkommen. So den grossangelegten Festplatz für die Nomadenspiele am Yssikul See.

 

Die ausländischen Investoren hüten sich davor, in Kirgistan zu investieren und so bleibt die wirtschaftliche Entwicklung zurück. Ich staune zwar wieder, wie viele Audis, BMWs und Mercedes nebst Hondas hier verkehren. Das seien aber fünfzehn bis zwanzig Jahre alte Modelle, wissen meine Mitfahrenden aus dem Herkunftsland der meisten Autos im Osten.

 

Am Donnerstag ist Befreiungstag. Am Freitag Sonntag für die achtzig Prozent der kirgisischen Muslime. Am Samstag und Sonntag eh frei wie die übrige Welt. Jetzt hoffen wir sehr, dass sie am Montag das Womo von Bärbel und Hans wieder flott kriegen.

Bisher ist die kirgisische Bevölkerung auch den Minderheiten im Land gegenüber sehr tolerant. Vermehrt aber gelingt es Muslimen aus dem Ausland ihre religiös Verbündeten zu radikalisieren. Opfer sind auch hier junge Muslime und Christen. Spannungen gibt es zwischen Nordkirgisen und Südkirgisen. Die Südkirgisen um Osch sind strenggläubiger. Es leben mehr Usbeken im Süden von Kirgistan. Da flackern nationalistische Tendenzen auf.

 

Die Kirgisen sind stolz auf ihre bis zu siebentausend Meter hohen Berge des Tien Shan Gebirges. Viele Männer tragen daher hohe weisse Hüte oder Dunkle mit schneeweissen Spitzen.

 

Es gibt sehr viele Arbeitslose in Kirgistan. Die tun einem in der Regel nichts. Viele von ihnen tragen aber eine Uniform mit der Aufschrift Police. Sie benehmen sich wie Wegelagerer. Springen zu Unzeiten aus ihren Verstecken, salutieren, reichen einem die Hand und kassieren gnadenlos. Mich erwischen sie wie Einheimische. Ich bezahle zweitausend Som. Der Officer im Fond des Polizeiwagens nickt zufrieden. Ich nicht! Ich verlange eine Quittung! „Problem“, sagt der auf English mit einem hilflosen Achselzucken. „Kann ich nicht geben.“ Mit einem eindeutig lauten, langen, verächtlichen „Haaa“ gebe ich zu verstehen, dass ich sein Wirtschaften in die eigene Tasche wohl verstehe! Für dies Mal lasse ich die Sauerei in persona entkommen.

 

Auf der Weiterfahrt überlege ich mir, sollte mir nochmals sowas passieren, dem Korrupten ein Angebot zu machen: „Entweder du machst fifty fifty mit mir und ich werde schweigen, oder ich mache ein Foto von dir und dem Polizeiauto und werde meinen Freund, den Polizeioberkommissar an deinem Hauptsitz fragen, ob das korrekt ist, was du da tust“. Bei solchen Schweinereien seitens der Polizei lasse ich mich eben zu solchen Schweinereien meinerseits hinreissen. Siehst du, ich bin um kein Haar besser wie sie.  

 

Eine halbe Stunde später holt mich erneut eine Streife raus. Der Poli salutiert und reicht mir die Hand. Er schleicht um mein Auto. Ich öffne die Seitentüre und sage wie zu jedem Besucher: „Komm rein!“  Der kommt rein, guckt kurz um, dann frage ich: „Was ist jetzt das Problem?“ „Kein Problem,“ erwidert er, „nur Neugierde!“ Ich zeige ihm alles und dann kommt die obligate Frage: „Was kostet so ein Ding?“. Das wird das Stadtgespräch sein unter Polizeibeamten. Wahrscheinlich wird ihm sein Kollege erzählen: „Du Dummkopf, dem habe ich zweitausend Som abgeknöpft und der Idiot hat bezahlt“.

 

Fünfhundert sei der höchste Betrag in meinem Fall mit sechzehn Kilometer Überschreitung abzüglich neun Toleranz, erklärt mir am Abend die Reiseleiterin in Bishkek. Zu spät!

 

Bärbel und Hans fahren und bangen wieder in ihrem eigenen Womo. Es ist zwar nicht geflickt, die Ersatzteile bringen nichts, aber Tsieren hat ein paar Tricks auf Lager, wie sie den störrischen Esel wieder zum Laufen bringen. Glück auf!

 

Die Wut flammt nach einem guten Schlaf am Morgen sehr früh in mir wieder auf.  Diese Wegelagerer machen mir den tollen Eindruck von einem an sich schönen Land mit lieben Leuten mächtig kaputt. Kannst du meine Schimpfwörter hören? Sie sind zu hässlich, um sie dir vor Augen zu führen! Fünf Polizisten stehen an jeder Kreuzung in der Stadt und zwei an jeder Seitenstrasse. Zu Tausenden stehen sie müssig rum. Einfach penetrant abschreckend, auch wenn sie sehr gutmütig sind.  

 

Frau J. schreibt an Frau N. in der Schweiz und das tut mir gut zu lesen: „Was für ein Bericht! Lorenz hätte Schriftsteller, Reiseführer oder Berichterstatter werden können! Er bevorzugte jedoch Korrespondent von Gott und den Mitmenschen zu werden, - wunderbar, dass ich Anteil nehmen darf an all seinen Verwirklichungen seiner "Träume," denn hätte er diese Sehnsucht nach Abenteuer nicht in sich, er könnte all diese Strapazen nicht so froh und mit Herzblut verwirklichen.“ Danke! Sooou schööön!

 

Ich Bishkek kann ich beim besten Willen nichts Fotogenes finden. Die Sowjetunion behauptet sich optisch noch mit kolossalen Gebäuden. Was Irina erzählt sind die Demonstrationsgeschichten auf dem grossen Platz, wo die Demonstranten mit Alkohol gefügig und nationalistisch gemacht wurden. Chaos pur nach der Auflösung der Sowjetunion und den ersten gewählten, korrupten Regierungen. Kein Wunder, dass auch Kirgisen viel von Putins Durchgreifen halten.

 

Westwärts ausserhalb von Bishkek verschwinden die Polizeiwegelagerer urplötzlich. Eine Wohltat.

 

Die Hochebene zwischen dem Too Ashuu Pass (2564m) und dem Alu Bel Pass (3184m) lässt mich vor Schönheit jubeln. Hunderte Jurten und Bauwagen zur Seite. Tausende Pferde, Schafe und Ziegen besiedeln die Hänge über zweitausend Meter Höhe. Andauernd Sonnenschein und bis über dreissig Grad am Tag. Nachts kühlt es auf angenehme unter zwanzig Grad ab. Regen muss ich nie erwähnen. Sooou schööön!

In der Chichkan Schlucht werden frische Forellen zubereitet und Berghonig in Gläsern und Flaschen verkauft.

 

Das Gelände um den Toktogul See fällt in den stillen See ab. Herrlich zu schauen. Weiter südlich fahre ich durch das Fergantal und dann immer schön der usbekischen Grenze entlang, um nicht zu früh in dieses Nachbarland zu geraten. Die Menschen kauern in der Hocke oder liegen auf dem Feldbett im Freien, um ihre Melonen und Tomaten anzubieten. Wie viele verkaufen sie wohl pro Tag? Die grossen Haufen scheinen gegen Abend nicht kleiner zu werden. Einfachheit und Armut in ganz Kirgistan.

 

Osch bietet als Attraktion den Salomonsberg. Den haben die Menschen einigermassen begehbar gemacht. Ein heiliger Berg für Muslime. Frauen, die den Berg nicht schaffen gelten als den Männern untreu. Eine weitere Attraktion ist der Bazar, an dem seit Jahrhunderten nichts verändert wird. So sieht es da wie auf allen Bazaren des Landes auch aus.

 

Bis zur kirgisisch-usbekischen Grenze sind es für uns nur sieben Kilometer. Wir sind gleich nach dem Grenzübergang in Dostill auf einem Parkplatz verabredet, um die Nacht hier zu verbringen. Die Grenzübergänge können aus Erfahrung sehr lange dauern. Die hundert Meter von einer Grenze zur andern schaffen wir in der Rekordzeit von vier Stunden! Die Ersten von uns brauchen gar nur eineinhalb Stunden. Super!

 

Der usbekische Präsident hat vor ein paar Tagen in Bishkek eine Menge bilaterale Verträge mit Kirgistan abgeschlossen. Die Staudämme der Kirgisen waren bisher Grund zum Streit. Ferner dürfen die Usbeken jetzt in Kirgistan, in kirgisischen Osch leben über 50 Prozent Usbeken, ihre Verwandten unter erleichterten Umständen besuchen. Bei unserem Grenzübertritt ist es der dritte Tag seit der Gültigkeit dieser Vereinbarung. An der Grenze drängeln und treten sich hunderte für den tröpfchenweisen Übergang. Uns Touristen nimmt man auf die Seite, um diesem Gedränge zu entgehen.

 

Der Kamchil Pass (2267m) will auf dem vierhundert Kilometer langen Weg von der Grenze bis nach Taschkent überwunden werden.

 

Usbekistan ist erst mal eine flache Baumwollgegend. In wenigen Jahrzehnten wird hier sehr wasserintensiv die vierfache Menge Baumwolle angebaut. Die übermässigen Baumwollebnen wirken trotz der kleinen weissen Blüten monoton, ziemlich seelenlos.

Die Strassen in Uzbekistan sind fast durchwegs für Gumpesel gedacht. In den Dörfern verkehren viele Eselkarren. Wasser gutscht aus dem Becher in der Halterung und bewässert mir den Monitor der Rückfahrkamera. Kein Bild mehr. Ararat, der wieder zu uns gefunden hat, Samarqand ist seine Wohnstadt, will mir einen neuen Monitor beschaffen. Ob das gelingen wird?

 

Die allzu schwach bemessenen Schrauben zur Kühlschrankverankerung reissen aus. Eine bricht ab. Der Kühlschrank kippt mir entgegen.  

 

Der usbekische Reiseleiter ist heilfroh, dass seine Regierung den „arabischen Winter“, so nennen sie den amerikanisch-europäischen, verheerenden „arabischen Frühling“, verhindert hat. Die Amerikaner hätten hierzulande kräftig Einfluss nehmen wollen und verloren. Darum hätten sie den Frieden im Land. Lediglich gegen die Islamisten (IS), die versuchen ins Land einzudringen, werde alles unternommen. Religionsfreiheit bestehe, aber Missionieren sei verboten.

 

Beim Erdbeben vom 26. April 1966 wurden neunzig Prozent der Häuser in Tashkent,  will heissen: 36000 Häuser zerstört. Eine Menge Hilfe von Russland und dem übrigen Ausland machte einen raschen Wiederaufbau möglich. Breite Strassen wurden angelegt, viele Grünparks mit dichtem Baumbestand kühlt im heissen Klima. Moderne Bauten noch und noch. Ein total neues, modernes Städtegefühl in Mittelasien.

 

Nach den Hoppelstrassen sehne ich mich wieder nach „Ruhe in der Stadt“. Samarqand zeigt sich gefällig. Der Registanplatz mit seinen drei historischen Medresen (Universitäten ohne Koranschule) fasziniert. Auch die Mausoleen aus früheren Jahrhunderten. Viele Grünparks erhöhen die Wohnqualität.

 

Bukhara (Buchara gesprochen, Boxoro geschrieben) geht mir total in die Hose. Ab zwei Uhr morgens versuche ich keinen Gang zur Toilette zu verpassen. Lopéramide hilft beruhigen. An der Stadtbesichtigung kann ich nicht teilnehmen. Sehr schade! Aber nach viereinhalb Monaten reisen und Nichts verpassen, ist das ein kleiner Wermutstropfen.

Und das Gute dabei? Ararat beauftragt einen Mech, meine beiden Batteriepole zu sanieren. Den Monitor zur Rückfahrkamera bringt er zum Flicken auf den Bazar! Kurzschluss aushebeln. Schliesslich lässt er mir das Auto waschen! Tsieren flickt mir die Elektroverbindung zum Seitenfenster, damit ich es wieder heben und senken kann! Ist doch allerhand, was die Leute für mich tun. Auch der Kühlschrank sitzt Dank Hans, Tsieren und Klaus wieder fest.   

 

In Uzbekistan erhalten wir unser eigenes Diesel kanisterweise angekarrt. In der Baumwollerntezeit soll Diesel beschränkt da sein. Wohl während dem ganzen Jahr. Sehr viele Tankstellen sind verwaist. Die Uzbeken haben auf eigenes Methanol umgestellt. Schlecht für Touristen. Es gibt zahlreiche, grossangelegte Methanoltankstellen. Bei vielen ist aber ebenfalls Nichts zu haben.

 

 

Schön sind die Strassen in Uzbekistan nicht, auch nicht die eintönig flachen Baumwollfelder, schön aber sind die Menschen mit ihrer Neugierde. Immer gilt: Wo ich mich öffne, verwandelt sich der erst glotzend verwunderte Blick in den Augen der Einheimischen zu einem erheiternden Freudestrahlen. Uzbeken, 31,5 Millionen, freundliche, hübsche Menschen: Sooou schöön! 

2017 09 September Teil 2

 

Schon seltsam, in Uzbekistan von zwei Turgauer Motorradfahrern überholt zu werden. Felix und Matthias aus Bischofzell halten, tauschen aus und verzehren ihr Mittagessen bei mir. Brot und Schokolade. In zwei Monaten sind sie über zwanzigtausend Kilometer gefahren. Sie sind noch jung. Ihr Finanz- und Zeitbudget zwickt sie umzukehren.

 

Was sich heute als Wüste ausbreitet, war vor zweitausend Jahren fruchtbares Land, bis sich der riesige Fluss, der Amurdar`ja, ein neues Bett gewaschen hat und die Gegend am alten Bett austrocknete. Weiss man das nicht, greift man sich an den Kopf, warum es in der Wüste eine solch grosse Festung gibt, die Ayoz Qala Festung.  

 

Nachts kratzen sich die Kamele an den Ecken meines Womos hinten und vorn und wecken mich mit ihrem Gerüttel. Selber schuld. Ich habe beim Sonnenuntergang mit diesen Damen mit den grossen Augen zu lange geflirtet.   

 

Die Altstadt von Chiva wird rundum von einer Stadtmauer eingefasst. Etwas inszeniert im Innern, nachts mit viel orientalischer Beleuchtung, denn man baut Chiva als Juwel an der Seidenstrasse wieder auf. Ok, was ohne Pflege geschieht, habe ich gestern an der zerbröckelnden Ayoz Qala Festung gesehen.

 

Nachtrag zu Kirgisien: Lisa schickt mir ein Gebet der Kirgisen. In den Baumwoll- und Wüstenebenen von Uzbekistan und Turmenistan erinnere ich mich gern zurück an die hohen Pässe und jurtenbesetzten Hochtäler in Kirgisien. Das Gebet kopiere ich dir als Rückblick auf jene wundervolle Berggegend. Ein Gebet an die  Geister vor „Abreise in die Sommerlager“: „Wir schwören euch: auch wir lieben diesen Himmel, den Pass und die Berge. Wir möchten hinauf zu den frischen Wiesen und den klaren Flüssen und das Licht der Welt erblicken. Lasst uns, die Kinder und das Vieh den Weg gesund beenden und behütet unseren Weg zurück ins  Winterlager. Lasst alle Nöte unten zurück. Schenkt den Tieren das Glück, die Wiesen unterm Himmel zu sehen. Wir sagen Dank dem Schöpfer Tenir, dass es diesen Weg über den Pass gibt.“

 

Manche Leute meinen, ich sei auf dem Heimweg. Das kann ich nicht so nachempfinden. Wer geht denn auf dem Heimweg noch schnell nach Turkmenistan, in den Iran, nach Armenien oder Georgien. Wer war schon auf dem Heimweg noch schnell in der Türkei? Nein, bis im November folge ich immer noch dem Projekt Seidenstrasse, das für mich am 2. Mai begonnen hat. Heimweh und Heimweg gibt es nicht. Ich werde eines Tages in der Schweiz ankommen, hoffe ich, dann wird das Projekt Seidenstrasse beendet sein.  

Nicht so schnell.

 

Der Grenzübergang von Uzbekistan zu Turkmenistan dauert für mich als drittes Womo vier Stunden. Nach insgesamt acht Stunden sind alle neunzehn Fahrzeuge durch. Mit den Zöllnern lässt sich jede Menge Spass machen, aber sie können halt nicht flinker arbeiten, weil das Ausfüllen von einem Wisch Zetteln lange, lange dauert. Die Beamten schreiben eigenhändig.

 

Ein Zollbeamter meint mir gegenüber: „Die Russen haben uns den Umgang mit den vielen Zetteln gebracht. Seit dem sie gegangen sind, zeigt uns niemand, wie man auf diese Bürokratie verzichten kann“. In der Regierung sitzen noch viele aus dem alten Kader. Junge Menschen aber ticken anders. Die Veränderung ist im Gang.

 

Der junge Zollgüterinspektor heisst mich zu einem vertraulichen Gespräch in meinem Womo, mich zu setzen, während fünf (!) seiner menschlichen Spürhunde gleichzeitig hinter alle Türchen in die Schränke und Kasten gucken. „Du bist Pope. Was ist die richtige Religion?“ „Jene, welche dir Kraft im Leben gibt“, antworte ich. „Für mich ist es das Christentum. Für dich vielleicht der Islam. Das Fatale daran ist, dass es in jeder Religion Fanatiker gibt, die den jeweiligen Weg der Religion entstellen“. Wir hätten einander noch viel zu sagen, spüren wir, doch es warten noch sechzehn weitere Womos auf seine Inspektion. Schade, dass wir uns bei acht Stunden Grenzaufenthalt nicht mehr Zeit für solche Gespräche nehmen können, weil wir in den Schreibstuben festgekritzelt werden.  

  

In Turkmenistan (die erste Nacht, zehn Kilometer nach der Grenze in Dashoguz) sind wir eingekeilt. Ein Schattenfahrzeug fährt voraus, eines hinter uns her. Im lockeren Konvoi fahren. Von der vereinbarten Route abweichen ist streng verboten. Am Abend Essen gehen oder einkaufen am Tag geht nichts ohne staatliche Begleitung! So eng haben uns nicht einmal die Chinesen behandelt. (Felix und Matthias, die Turgauer, haben sie mit ihren Motorrädern gar nicht erst ins Land einreisen lassen).

 

In Konye Urgentsch stehe ich mausallein auf dem mit Koordinaten bestimmten Stellplatz. Eine Viertelstunde später kommen Bärbel und Hans. Wir staunen, wo unser Vorfahrer mit dem Rest der Gruppe geblieben ist. Ich bin zwar nicht vom Weg abgekommen, aber von Hinterherfahren keine Spur.

 

Die Verständigung unter den Reiseleitern ist schwierig. Zwischen Altstadt und alte Stadt verstehen wir im Deutschen Unterschiedliches. Vermeintlich brechen wir am Abend in die Altstadt auf, landen aber in der ruinenflachen alten Stadt. Auch  interessant, was ich da über eine tausendjährige Geschichte höre, aber eben ohne quirliges Altstadtleben.

Ich habe früher mal den Ausdruck gebraucht: Die hässlichste Strasse der Welt. Dieses Attribut habe ich zu früh vergeben. Die Wüstenstrasse von Konye Urgentsch bis Darvaza übertrifft alles Bisherige. Einfach marternd. Seit der Selbständigkeit von Turkmenistan wurden viele schicke Bauten in den Grossstädten gebaut. Die Überlandstrassen fürs Volk sind sie andernorts am Ausbauen.

 

Die Leute sind mit ihrem Schicksal zufrieden. Eine Vierzimmerwohnung kostet vier Franken im Jahr. Gas, Strom, Wasser inklusive. Der Liter Diesel kostet mich dreissig Rappen. Einheimische kriegen von siebenhundert Litern bis tausendvierhundert Liter Benzin oder Diesel pro Auto gratis. Autos hat jede Familie mindestens zwei.

 

Das Tor zur Hölle haben die Russen bei Gasbohrungen erschlossen. Über einer Fundstelle wurde eine Pumpanlage gebaut. Als viel Gas abgepumpt war, ist eine Kaverne von siebzig Meter Durchmesser mitsamt der Station zwanzig Meter tief eingestürzt. Seit vierzig Jahren lodert im Krater das Feuer Tag und Nacht. Spektakulär bei Nacht.

 

In Ashgabat finden gerade die fünften, asiatischen Sportwettkämpfe statt. Ashgabat organisiert sie zum ersten Mal. Die Sicherheitsvorkehrungen halten alle Unbezeichneten von der Innenstadt fern. Keine individuelle Bewegungsfreiheit für uns während der zehn Wettkampftage. Eine irre Welt in der irren weissen seelenlosen Hauptstadt. Ich bin da vom Tor der Hölle aus der Wüste grad direkt in die Hölle geraten. Die Stadtgestalter und Präsidenten haben hier freie Fahrt, ihre perversen Ideen und Selbstdarstellungen zu verwirklichen. Italien hilft noch so gern mit Marmor. Ein Graus! Die Guides benehmen sich staatshörig. Eine schlechte Mentalität für uns. Die drei Tage in Ashgabat bringen mich sehr weit von der freundlichen Bevölkerung weg. Schade um die netten Menschen.

 

Aus Turkmenistan raus geht es ziemlich flott. Der iranische Zoll grenzt unmittelbar an. Die Zöllner beiderseits können sich Granatäpfel zuwerfen, im Kriegsfall auch Granaten.

 

In den Iran rein zu kommen, dauert zwar auch seine handgeschriebenen zwei Stunden an fünf Schaltern, aber ich fühle mich sofort wohl. Ein Zollbeamter verpasst es, mir einen Zettel zu geben, den ich beim nächsten Posten vorweisen muss. Bevor der Fünfte mich zurückschickt, kommt der Mann von Posten Vier, entschuldigt sich, das sei sein Job, ich solle mich setzen. Ich setze mich bei Fünf. Sofort teilt der Zöllner Fünf sein Brot mit Marmelade mit mir und bietet Tee an bis der Vierte mit dem weissen Zettel zurückkehrt. Na sowas am Zollamt! Dann schlägt Zöllner Fünf ein Buch auf mit sage und schreibe einer Spannweite von Ein-Meter-Sechzig. Meine Daten und die vom Womo stehen nun in persischer Schrift von Rechts nach Links da drin!   

 

Schon auf dem Parkplatz des Grenzdorfes Bajgiran/Iran fühle ich mich wohl. Endlich kann ich wieder frei fahren und die Strecke und Nebenstrassen nach Lust und Laune einteilen. Die Beobachterschatten sind verschwunden! Sooou schööön!

 

Nachdem ich den Kamin vom Fühlschrank als Kaminfeger mit Leiter gefegt habe, kühlt der Kühler wieder cool kühl.

 

Schon zwanzig Mal habe ich in den letzten Tagen die Kühlerhaube geöffnet, an den Batteriekabeln herumgezerrt und bin dann gestartet. Zieren baut mir endlich die Motor-Batterie aus und fixiert den Minus und Plus Pool mit Bierbüchsenblech!

 

Die Iraner sind im Trauermonat um die Toten. Schwarze Fahnen. Oft gibt es dazu Feiertage und Prozessionen.

 

Unsere Frauen tragen Kopftücher und knöchellange Kleider, wir Männer lange Hosen und langärmlige Hemden, da wo wir in der Öffentlichkeit IranerInnen begegnen. Es fällt uns dies nicht schwer aus Achtung vor den freundlichen Einheimischen. Bei der Moschee allerdings geht es im Gefühlshaushalt bei Manchen drunter und drüber. Die einheimischen Frauen kommen alle in Schwarz, unsere Frauen doch recht carnevalhaft bunt in ihren geliehenen, obligaten langen Roben.

 

Die Millionenstadt Maschad stellt eigentlich keine Sehenswürdigkeiten. Erst wenn ich im Zentrum das Tor zum Schrein des Imam Reza durch- und weitergehe, eröffnet sich eine immense Moscheenanlage mit zehn riesigen Plätzen. Wenn die muslimischen Pilger Alles füllen, passen zwei Millionen Menschen in die Moscheen und auf die Versammlungsplätze. Ich bewundere kostbarste Architektur und Fliesenarbeit an den Gebäuden. Werde nur durch die wissbegierigen Jungen und Einheimischen durch ihre Fragen abgelenkt. Herzliche willkommen im Iran, sagen sie dann.

 

Heute ist die Fahretappe nach Tabas etwas lang. Fünfhundertfünfzig Kilometer am Stück. Aber entschädigen tut die Wüste mit ihren gewaltigen Ebenen und hohen Bergen. Das Wüstengebiet liegt zwischen neun- und zwölfhundert Metern. Da und dort gibt es kleine Oasen. Tabas bildet sogar eine städtische Oase.

 

Unterwegs grüssen mich viele Autofahrer mit Lichthupen und Winken. In den Dörfern drehen sich die Köpfe wie schon seit Russland, der Mongolei, China, Kirgistan, Uzbekistan, Turkmenistan nach meinem Gefährt. Besucher lade ich immer noch fleissig zur Besichtigung meiner Luxuszelle ein. Dürfen wir Fotos machen? Mit Dir? Oft kriege ich spontan kleine Geschenke wie Melonenschnitze, Trauben, Süssigkeiten, aber immer viel Dankbarkeit. Die Iraner sind wirklich äussert liebe Menschen. Sooou schöön!

 

Nur jene mit den grossen Turbanen und den satten Ranzen seien nichts wert, meinen Bauern im Norden Irans mit unmissverständlichen Handzeichen. (Glücklicherweise trage ich im Moment meinen blauen Turban nicht. Ich muss ihn erst einmal waschen.)

 

Es sind im September noch Trauertage, wo ziemlich fröhlich und mit viel Paukenlärm, , der Toten gedacht wird. Männer und Frauen und Kinder in Schwarz Die Kinder schreien in Prozessionen ihr Lob auf Allah, Mohamed und die Imame. Sich geisseln sich in den Prozessionen nach alter Tradition. Aber ziemlich schmerzfrei, wie ich sehe.  

 

Die schönsten Wüstenabende vergällt mir das Womo, das immer wieder an Stromkabeln kränkelt. Klaus bemüht sich mit Messgeräten dem Kabelleck auf die Spur zu kommen. René berät mit Klaus. Das gelingt. Tsieren legt Hand an. Letztlich liegt nach drei Stunden bei finsterer Dunkelheit ein Kabel aussen über das Dach verlegt von der Front bis zur Garage hinten. Die Batterien werden beim Fahren wieder geladen. Was für Könner stehen mir doch dauernd wieder zur Seite! Sooou schööön!

 

In Chakchak soll sich vor tausend Jahren eine Prinzessin vor dem Übergriff der Muslime versteckt haben. Für die zweihunderttausend Zoroasten weltweit ist es ein heiliger Ort, wo sie ein kleines Holzfeuer und Öllichter pflegen. Das Lied „Im Dunkel unserer Nacht, entzünde das Feuer, das nie mehr verlöscht, das niemals mehr verlöscht“ lasse ich in der Höhle ertönen.

 

Zwei Studentinnen und ein Student lernen sich auf einem Camp kennen. Sie ziehen per Autostopp während einer Woche, wohin die Fahrer sie mitnehmen und absetzen. Von Chakchak nach Yazd sind sie meine Gäste. Nein, sie würden nur noch wenige Studentinnen kennen, die sowas machen. Aber immerhin. Die Iranerinnen entwickeln sich. Sie würden sonst auch ganz bunt gekleidet daherkommen, wenn nicht gerade der Trauermonat anstehe.

 

Alle Religionen mit dem abrahamitischen Eingottglauben, also auch die Christen, seien im Iran staatlich anerkannt. Die Religionsvertreter belegen Sitze in der Regierung. Unbedeutend aber doch…

 

 

Es gibt zwei Hügel bei Yazd, die mir imponieren. Auf den Erdhügeln legten einst die Zoroasten ihre Toten in einem grossen, kreisrunden Turm zum Frass der Geier aus. Nach ihrem Reinlichkeitssinn verdrecken die Toten die Erde. Heute legen sie die Toten nicht mehr zum Frass der Geier aus. Um die Erde aber nicht zu verunreinigen, betonieren sie den Grabboden in der Erde. 

2017 Oktober Teil 1

 

Die Menschen im Iran begegnen mir an mehreren Tagen alle kohlrabenschwarz angezogen. Jetzt, am 2. Oktober ist die offizielle Trauerzeit um die Toten und die Revolution des Imam Husein vorbei.

 

Unglaublich, wie tief dieses Brauchtum über das ganze Land hinweg sitzt. Imam Husein hat um 680 n.Chr. zum Kampf für Recht und Gerechtigkeit gegen den selbsternannten Kalifen aufgerufen, der grausam regierte und siebzig Frauen und Kinder in der Wüste verdursten liess.

 

Ich will dir gerne Fotos von René und Heike in die Website stellen, um dir mehr Einblick zu geben. Die Beiden werden am Rande einer Stadt von Mädchen zu den Prozessionen entführt und kommen randvoll mit bewegenden Erlebnissen zurück. Ich habe leider das Glück nicht, diese Zeremonien, Umzüge mit historischen Darstellungen, die weinenden Menschen, die Massenverpflegungsstände selbst zu sehen. Die Läden aber bleiben geschlossen. Niemand muss heute verdursten. Es gibt überall Stände mit gratis Tee. 

In Kerman gibt es ein grosses Eishaus, das in einem hohen gewölbten Rundturm Eis birgt. Das Eis wird im Winter in einem dreihundert Meter langen Kanal schichtweise herangebildet. Eine hohe, lange Mauer bietet dem Wasserkanal im Winter Schatten. Das Eis wird gebrochen und im Eispalast schichtweise zwischen Stroh gelagert. Das Eis steht dann bis zum Sommer zum Verkauf bereit. Kluges Mittelalter. Kerman mitsamt der Wüste liegt auf tausendsiebenhundert Metern Höhe.

 

Viele Ruinen von Karawansereien liegen an der Strecke zum Persischen Golf. In den Bazars werden Prokat- und Seidenstoffe, Teppiche, Uhren und Schuhe, Nüsse und Gewürze verkauft. Ein paar mitreisende, mitreissende Frauen helfen mir Baumwollstoff für den Turban zu kaufen. Gar nicht so einfach. Aber mit viel Eifer doch machbar. Ich werde den zugeschnittenen Stoff in einer der nächsten Städte borden lassen. Hier finden wir derzeit keine Möglichkeit. Der einzige Näher, der über die Mittagszeit am Bazar arbeitet, hat nur weissen Faden eingespannt und kann das nicht ändern. Mein Turban aber ist blau!

 

„Nein, die allermeisten iranischen Frauen sind unzufrieden mit dem staatlich verordneten Schleierzwang und den Kleidervorschriften für Frauen und Männer“, sagt mir eine intelligente Übersetzerin. Sie möchten auch frei entscheiden können, was sie anziehen. Natürlich gebe es Regierungsanhängerinnen mit allen Privilegien, die das Kleidergesetz nicht hinterfragen. Sie haben zu viel zu verlieren. Frauen in offiziellen Berufen müssen den Mund halten, sonst sind sie gleich arbeitslos. In der Presse gibt es über dies und andere Themen nichts zu lesen. Die Zeitungen sind staatlich zensuriert. „Ich möchte dich gern zu mir nach Hause einladen. Bist du dazu frei oder darfst du das nicht annehmen?“ möchte sie wissen. Wie immer das gemeint ist, ihrerseits staatlich oder meinerseits persönlich, ich bin dazu frei. Kein Problem! Ihr Mann möchte gern wissen, wie man im Ausland über die Iraner denkt. „Über die Regierung wissen wir viel, weil wir aus verschiedenen Medien vergleichend unsere eigene Meinung machen können. Was aber die freundlichen, gastfreundlichen, interessierten Menschen all überall betrifft, darüber werde ich in meiner Webseite und in Gesprächen begeistert erzählen.“ Der Mann ist sehr froh über meine Antwort.

 

Ob wir in Europa das Gewässer an der iranischen und saudiarabischen Küste Arabischer oder Persischer Golf nennen, will er wissen. „Persischer Golf“. Hier spürt man die Besorgnis der Iraner gegenüber den Arabern.

 

Ich zeige den Beiden auf meinem Laptop, wie ich mit VPN die staatlichen Barrieren überwinde und mich in alle europäischen und internationalen Programme einlogge. „Unser Sohn benutzt das VPN auch!“ gibt sie zur Antwort. Also leben die Iraner trotz Zensuren nicht im einflussfreien, uninformierten Ghetto.

 

Ein iranisches Auto darf das Land nicht verlassen. Wenn es aus einem wichtigen Grund doch geschehen sollte, muss der Fahrer im Iran eine spezielle Nummer fürs Ausland beantragen, was kaum jemand macht.

 

Damit ich den Iran mit meinem Womo durchfahren darf, brauche ich ein Carnet de passages. Dazu muss ich beim TCS in der Schweiz dreissigtausend Franken hinterlegen, die ich wieder zurückbekomme, nachdem ich den Ausreisestempel aus dem Iran und den Einreisestempel in der Schweiz habe eintragen lassen.

 

Eine Autowaschanlage finde ich unter freiem Himmel in Kerman. Ich reisse meine Teppiche raus. Sie sind durch die vielen Gäste – auch mit Ölschuhen an den Tankstellen - strapaziert und durch meine verschütteten Säfte versaut. Der Waschmann bewundert mit zwei Kollegen das Innere des Womos und zeigt sich sooou dankbar!

 

Die iranische Büschel- und Steinwüste durchfahre ich in Hochform. Einerseits, weil mir die Menschen so zugetan sind, anderseits, weil ich mit Dixi aus den USA lautstark durch die Gegend sause. Dixi darum, weil mich die Natur bisher sehr an die Route 66 in Amerika erinnert.

 

Nachts kühlt die Temperatur auf angenehme dreiunddreissig Grad Celsius ab. Kühler wird es nur während der Fahrt mit Klimaanlage, die auch bei mir seit den findigen Mechanikern in Peking wieder funktioniert. Sooou schööön! Meistens. Oft knallt die Sicherung durch, so zwei Mal am Tag. Unglückselige Verknüpfung: Wenn die Sicherung der Klimaanlage durchknallt, geht auch das Seitenfenster nicht mehr rauf und runter! Doppeltes Pech!

 

Der bisherige Weg (dreitausendundachtzig Kilometer) vom Nordosten des Iran bis Bandar Abbas ist nicht der Weg durch das Paradies. Es ist der Weg durch die Büschel-, Kies-, Steinwüsche. Ziemlich gleichmässig karg. Ein paar Oasen und Oasenstädte. Der Zugang zum Persischen Golf ist hier mit einer vierzig Kilometer langen Naturbaugrube aus Stein und Fels versperrt. Bandar Abbas wird es nie schaffen, eine Touristenstadt zu werden. Will es auch nicht. Es ist der Industriegüterumschlagplatz des Iran. Gewaltig, verstaubt, heiss,  feucht. Manche Iraner finden das Klima erträglich oder finden hier einfach Arbeit und nehmen sie an.

 

Eine Abkühlung ist das Bad im Persischen Golf  westwärts von Bandar Abbas bei Dezhgan und Moghdan nicht, aber die Industrie ist aus dem Blickfeld.

 

An der Ostseite des Iran und der Südseite entlang am Persischen Golf und wieder hoch bis fast Shiraz im Mitteliran liegt ein riesiger Sand- und Kieskasten für Erdgiganten. Morsches Geröll. Klare tektonische Schichtung. Nein, das Paradies sind diese Wüsten nicht, auch die Städte darin sind gleichermassen verstaubt und vom gleichfarbigen Lehm überzogen. Alleweil interessant für einen Reisenden wie mich. Ich will die Welt sehen, nicht das Paradies. Die Menschen sind nach wie vor von einfacher Herzlichkeit. Winken, wenn ich vorbeifahre oder wenn sie mich überholen. Lastwagen- und Carchauffeure hupen zum Gruss. Alle heben sie die offene Hand nach oben, um zu sagen: Sooou schööön!

 

(Den Daumen nach oben soll man im Iran als Zeichen für schön, gut, super nicht zeigen. Die Iraner deuten den einsamen Daumen nach oben als Bastard! In Amerika würde man sagen: fuck you!)

 

Die zwei Polizisten im Streifenwagen, die mich entlang der kilometerlangen Ölraffinerien zum Anhalten begleiten, kann ich heute gewinnen. Der Erste wedelt mit Strafzetteln. Bis er es sich zurechtgelegt hat, wie er mir das Vergehen beibringen und ahnden kann und der Zweite aussteigt und mir dreimal mit einem Zeichen schräg über die Brust hinunter das Gurtenvergehen klar macht, habe ich ihnen bereits die ganze Reiseroute vorgelegt und sie zur Seitentüre begleitet und geheissen einzusteigen. Nur gucken! Das tun sie gern. Vergessen sind die Strafzettel. Man muss halt auf die Leute zugehen können!

 

Beeindruckt bin ich von der Arbeit vor zweihundert Jahren, als die Spiegelmoschee in Shiraz ausgeschmückt wurde. Millionen kleinster Spiegelteilchen wurden dreidimensional zu Mustern aufgesetzt. Die sogenannten Paradiesgärten sind nach meinem Geschmack zu geometrisch angeordnet. Vielleicht ist das der Gegenzug von Wüstenbewohnern, dass sie gern mal was Symmetrisches, Geometrisches sehen. Ich bewege mich aber auf viertausendjährigem Geschichtsboden. Zwei grosse Königshäuser herrschten von Shiraz aus. Die antiken Achämeniden (559 bis 330 v. Chr.) und die Sassaniden (224 bis 651 n.Chr).

 

In PersePolis (griechisch: Stadt der Perser) werde ich von Latein- und Griechischlektionen aus meiner Studienzeit eingeholt. Der Achämeniden König Dareios I. hat Persepolis als eine Präsentationsstadt um 520 v.Chr. bauen lassen. Die Bauleute wurden bezahlt. Zum persischen Neujahr sollen alle achtundzwanzig zum Reich gehörenden Völker durch ihre Herrschenden dem persischen König eine Aufwartung machen und Geschenke bringen. Xerxes, Artaxerxes I. und Artaxerxes II. haben Persepolis mit Palästen weiter ausgebaut. Vermutlich hat Alexander der Grosse bei seiner Eroberung Persiens um 330 v.Chr. diese Anlage niedergebrannt. Wenn das stimmt, hatte der Dummkopf doch keine Ahnung von UNESCO-Welterbe, was es heute ist. Das gute am Brand. Dreissigtausend Tontäfelchen wurden durch die Brandhitze gehärtet. Sie haben sich darum über zweitausendfünfhundert Jahre gehalten und geben Auskunft über historische Details. Z.B. dass ein medischer Steinmetz für seine Arbeit zwei Ziegen und dreissig Liter Bier pro Monat bekommen hat. Heute würde ich den grieschischen und lateinischen Texten über das Perserreich mit noch mehr Interesse begegnen wie damals. Immerhin huscht mir an dieser Stätte ein Schauer über den Rücken, diesen Ort zu sehen und zu betreten. Zweitausendfünfhundert Jahre… Fünfhundert Jahre bevor der Zimmermannssohn Jesus ein paar Dachbalken für ein kleines Wohnhaus gespalten hat, haben die Perser hier tonnenschwere Steinblöcke aufgeschichtet und enorm hohe Säulen errichtet, gleich hunderte davon.   

 

Schlafen tue ich am Grab von König Kyros II. in Pasargad. Hätte nicht Alexander der Grosse das Grab geplündert, hätten es andere getan. Was bleibt ist ein leeres Grabdenkmal. Darum herum einst ein bewässertes Traumland mit blühenden Gärten und Palästen. Der Fluss liegt seit Jahrhunderten trocken bis auf wenige Tage im März.

 

Die Einfahrt beim Einnachten in Isfahan verläuft spektakulär. Durch die dichten Baumalleen zu fahren wirkt düster. Die Autos drängen ohne Hetze schon mal fünf nebeneinander, wo drei vorgesehen sind. Mein Womo schleicht da einfach mit und findet zentimetergenau überall durch. Buschauffeure, und nicht nur sie, zeigen helle Freude an mir und dem Womo. 

Nach dem Abendessen im Luxushotel Abbasi fusse ich noch auf den grossen (es sei der zweitgrösste Platz der Welt) Platz in Isfahan und steure eine Nachtaufnahme gegenüber der Privatmoschee an, die sich im windstillen Wasser spiegelt. Den Fotoapparat führe ich schon in Aufnahmerichtung, als ich gleichzeitig Schweizerdialekt neben mir höre. „Du bist es, Petra!“ „Lorenz!“ Wir fallen uns bei dieser unvorstellbaren Fügung in die Arme. Vor vier Tagen hat mir Bruno geschrieben: „Falls du meinst, irgendwo im Iran Petra zu sehen, dann ist   voneinander zu wissen, wo wir stecken. In Isfahan leben immerhin 1,9 Million solcher Wesen wie wir es sind (Petra arbeitet als Theologin in St. Gallen/St. Fiden).

Isfahan ist so gross und so baumbewachsen und gartengrün, dass ich vergesse, dass es auch nur eine dieser Oasen in der Wüste ist, die den ganzen Iran überzieht.

Ich würde die Atomforschungszentren in der Wüste zwischen Isfahan und Teheran übersehen, wenn sie an der Autobahn nicht mit absoluten Halteverboten gekennzeichnet wären.

Fünfzig Kilometer vor der Hauptstadt beginnt die Strassenbeleuchtung in der Wüste!

Es ist eine weitere Oasenstadt, die Hauptstadt Teheran. Obwohl ich ihm keineswegs die Ehre erweisen will, stehe ich am Südrand der Stadt auf dem Gelände des Führer-Schreins. Er selber soll sich ein einfaches Grab gewünscht haben. Was aber gebaut wurde, ist mehr wie Vergötterung auch im Islam. (Ich nenne den Namen nicht, damit ich nicht aus dem Netz herausgefiltert werde.)

Der Parkplatz weit ausserhalb der Stadt mit Metrostation kommt mir entgegen. So brauche ich nicht weiter ins Innere der Zehnmillionenstadt (ca 18 Millionen mit der Agglomeration) vorzudrängeln.

Im Sommerpalast des Shahs Pahlavi und der Farah Diba fühle ich mich wohl. In den Prunkgemächern wie in der natürlichen Grünanlage und den verschiedenen Gebäuden weit verstreut im Wald. Unglaublich, dass Farah Diba, die noch im Exil lebt, ihre damalige Residenz auch als Touristin nicht mehr besuchen darf.

Die Stadtrundsicht über Teheran ist vom Fernsehturm aus grandios.  

In allen bisherigen Büschel-Steinwüsten, ausser unten am Persischen Golf, bewege ich mich auf über tausend Höhenmetern. Nach Teheran fahre ich über den Kandovan Pass (2670m) im Alborz-Gebirge und hinunter nach Chaloos am Kaspischen Meer. Der bewohnte und beackerte Landstreifen zwischen dem Alborz-Gebirge und dem Kaspischen Meer ist relativ schmal. Während achtzig Kilometern Fahrt kann ich nur ganz selten einen Blick aufs Meer erhaschen. Entlang der achtzig Kilometer langen Strasse, die dicht am Meer liegt, ist auch zum Meer hin alles überbaut.  

Ein Hotel bietet in Charboksar ein Stück Camping, die einzige Möglichkeit zum Meer zu gelangen. Baden ist nicht möglich. Die Fischer ziehen mit Traktoren ihren Fang über den langen Flachstrand an Land.

Zwischen dem Gebirge und dem Meer liegen die Reis-, Tee- und Zitrusplantagen. Der Nordabhang des Gebirges ist dicht bewaldet und auch über der Ebene regnet es oft. (Regentage gab es vor meiner Ankunft. Bei mir immer Sonnenschein. Einen Tag nach meiner Abfahrt erleiden sie hier Hochwasser.) Der Baustil der Häuser hat von Flachdächern auf Giebeldächer geändert. Lehmziegel taugen hier nichts und Flachdächer auch nicht.    

Für Astara am Kaspischen Meer habe ich die Koordinaten flasch eingegeben. Ich gerate in die Altstadt und finde nur um eine rechtwinklige Abbiegung wieder heraus. Zentimeterarbeit zwischen Mauer, Randstein und Anzeigetafel. Komme heil durch!

action. Vom Kaspischen Meer durch das Gebirge führt ein kurviger Weg durch die Bewaldung von Meereshöhe bis auf 2600 Meter und runter nach Ardabil. Da fühlen wir uns zu Hause, das Womo und ich.

Die Blaue Moschee in Tabriz (1,5 Mio Einwohner) wurde im 19. Jahrhundert durch schwere Erdbeben zerstört und wieder aufgebaut. Nur fehlen meist die dunkelblauen Plättchen in Mosaikarbeit.

Das historische Museum in Täbriz ist eine Fundgrube für siebentausend Jahre alte Gegenstände einer hochentwickelten Kultur. Vieles wurde in früheren Jahrzehnten wild ausgegraben und nach Europa und USA verschleppt. Leider.

Ein muslimischer Verein hat Tabriz für das Jahr 2018 als Kulturstadt gewählt!   

Touristisch ist man in vielen Städten Irans bald durch. Moscheen, Bazars. In den Büschel- und Steinwüsten im ganzen Land liegen die Oasenstädte Dank künstlicher Bewässerung aus fossilem Wasser, Grundwasser und aus Stauseen. Die Umweltverschmutzung durch Wegwerfware ist im ganzen Iran gigantisch. Vereinzelte Bewusstmachungsprojekte sind im Gang.

Die Freundlichkeit, Herzlichkeit und Aufmerksamkeit der Iraner ist sooou schööön!

Viele Iranerinnen und Iraner würden gerne reisen und der Trend zu einer modernen Lebensgestaltung ist in Millionenstädten sichtbar und spürbar. Nur die Regierung will das nicht und setzt sich mit Macht durch. In dieser Hinsicht fühlt sich die Bevölkerung unfrei und unzufrieden. Schade um die herrlichen Menschen! 

 

2017 Oktober Teil 2

 

5182 Kilometer bin ich im Iran gefahren (33180km von Vilters bis Batumi, Georgien). Die Strecke von Tabriz zur iranisch-armenischen Grenze bei Meghri wird immer spannender. Ein Übergang von der Büschel-, Steinwüste zu grünen und bewaldeten Gebieten. Sechzig Kilometer dem Grenzfluss entlang durch ein Felsental. Sooou schööön!

 

Das Warten an der Grenze sind wir uns gewohnt. Bis wiederum siebzehn Womos durch sind, dauert das Abschreiben der Dokumente fünfeinhalb Stunden. Die Fahrzeugkontrolle besteht im Wundern des Zollchefs höchst persönlich über mein grosses Gefährt. Er liebt es. 

 

In Armenien empfängt uns Diran mit Wodka und Bier, was uns im Iran drei Wochen lang verwehrt blieb. Diran, ein sehr intelligenter, vielberuflicher, offener Mann ist unser armenischer Reiseleiter. Als Armenier in Istanbul geboren, lebt er heute in Armenien. „Der Präsident von China und Armenien treffen sich zum Bankett. Klagt der Chinese, es sei sehr schwierig, eine Milliarde Menschen zu führen. Klagt der Armenier, es sei noch viel schwieriger, drei Millionen Generäle zu führen.“ Damit charakterisiert Diran die eigenwillige, armenische Mentalität.

 

Um von der Grenze ins Landesinnere zu gelangen, führen kurvige Bergpässe bis auf 2540 Meter. Auf dieser Höhe begegne ich auf dem ersten Pass einem Goldminenbesitzer. Pro Tonne schürft er fünf bis sechs Gramm Gold. Weniger bedeutet Bankrott.

 

Postsowjetzeit: Autos, Fabriken und Häuser haben den Schrottwert verpasst. Die Strassen aus der Sowjetzeit vergammeln. Rillen, Löcher, Gräben und das Gefälle lassen die vielen Lastwagen kriechen. Postsowjetisch traumatisierend.

 

Der erste Eindruck die Armenier auf mich machen: ernst, abgelöscht, das Leben ignorierend vegetieren. Hoffentlich bleibt dieser Eindruck nicht bis zum Verlassen des Landes bestehen.

 

Lass mich testen:

Den Tankwart lade ich nach getaner Arbeit mit vier weiteren Gästen zur Womobesichtigung ein. Sie nehmen gerne an. Ein kurzes, leichtes, fast unsichtbares Lächeln der Dankbarkeit entgeht meiner diesbezüglichen Aufmerksamkeit nicht und ihre Daumen gehen zwei Mal fast unmerklich hoch.

 

Die Verkäuferin macht ein ernstes Gesicht, schaut nicht auf. Reicht stumm eine Tüte für die Trauben. Auf meine Zeichen hin auch noch eine Tüte für Tomaten. Auf ein weiteres Zeichen hin schneidet sie mir ein Häppchen Salami zum Kosten. Ich finde ihn gut und kaufe. Für alles zusammen sagt sie ohne Gesichtsveränderung ein einziges russisches Wort: Spasiba! Danke! Genügt, oder?

 

Der Polizist bleibt ernst, trocken. Erst erklärt er den Weg zum Bankomaten. Dann deutet er trockenen Ernstes, er fahre gleich vor, sobald sein Auto gewaschen sei. Mit Blau- und Rotlicht fährt er ohne Eile den Weg zum Geldziehen. Er kommt noch einmal zurück, um zu fragen, ob alles geklappt hat. Ja, alles OK. Auf ein Lächeln seiner Zufriedenheit für den getanen Dienst warte ich vergebens.

 

Die Wälder nehmen die Herbstfarben an. Die Täler leuchten bunt. Die Berggipfel empfangen Schnee. Sooou schööön!

 

Riesengrosse Fabriken stehen still, lottern und fallen in die Knie. In der Sowjetzeit wurden sie gebaut. Dem Land ging es materiell gut. In den verschiedenen Satellitenstaaten wurden jeweils Teile zum Ganzen hergestellt und hin und her geschickt. Nach der Auflösung der Sowjetunion blieben diese Zulieferungen völlig aus und die Fabriken entleerten sich. Armenien könnte die Teile von Russland wieder bekommen, aber nur zu heutigen Westpreisen!

 

Das historische Museum in Erivan (1,5 Mio) begeistert mich total. Da möchte ich spontan nochmals herfliegen (Hamburg – Erivan direkt), um mich in die wunderhübschen Gegenstände und in die Geschichte Armeniens zu vertiefen.

 

Die Russen haben den Sevansee ziemlich ausbluten lassen. Das Gute daran: Im trockengelegten Gebiet kamen Gegenstände aus einer hochstehenden Kultur aus nunmehr fünftausend Jahren zum Vorschein.  

 

Die Armenier wurden im Laufe der Geschichte von den Persern, den Griechen, den Römern, den Mongolen und von anderen Eroberern kleingeschlagen. Das heutige Armenien ist flächenmässig nur noch ein Zehntel von dem, was es zu Blütezeiten war. Eine hochspannende Geschichte und dazu der Genozid durch Verhungernlassen im ersten Weltkrieg.

 

Armenien hat ausser der für mein Empfinden hübschen Stadt Erivan und deren Museen fast nur noch armenische Kirchen im ganzen Land zu bieten. Die Apostel Judas Thadäus und Bartholomäus sollen Armenien besucht und erste christliche Gemeinden gegründet haben. Darum nennt sich die Armenische „apostolische Kirche“. 301 n.Chr. anerkannte Armenien das Christentum als Staatsreligion. Das ist also weltweit die erste staatliche Anerkennung.

 

Komm mit auf den Kirchentripp!

 

Zum Kloster Tatev gelange ich via eine horizontal gespannte Seilbahn in elf Minuten, statt über die tiefen Taleinschnitte runter und rauf zu fahren.

 

Beim Kloster Noravank imponiert die Lage hinter einer Felsenschlucht in einem Bergkessel. Stille und Einsamkeit wie gewünscht. Pfarrer Isaak, der sehr schöne Fotografien verkauft, lernt vom Hören Deutsch, weil ihm die Sprache so viel Spass macht.

 

Erivan wird im Jahr 2018 zweitausendachthundert Jahre alt. In der Nähe steht das Kloster Hripsime. Eine Weile lausche ich mit den Mitreisenden der armenisch gesungenen Liturgie. Sooou erhebend!

 

Wenige Kilometer ausserhalb von Erivan schreite ich durch das neuerbaute Tor von Etschmiazin. Auch hier wird gerade wohltönende Liturgie gefeiert.

 

Fremd erscheint mir der Sonnentempel Gharni in dem westlich gelegenen Arattal. Ist er auch. Nach römischem Vorbild für den Armenierkönig nach seinem Besuch in Rom gebaut. Ob dieser Tempel je funktioniert hat, oder eben nur als „Mitbringsel“ errichtet wurde, weiss kein heutiger Mensch.

 

In den vielen errichteten und zum Teil in Fels gehauenen Kirchen (Höhlenkirche) von Ghera am Ende des Aratals tönt es in einer Felsenkirche besonders wohl beim Singen. In allen Kirchen singe ich Taizélieder. Hier aber gelingt es mit den Mitreisenden spontan das „Oh, Christe, Domine Jesu..“ zu singen. Unseren Reiseleiter Diran kann ich auch zum Singen bewegen. Er hat eine ausgebildete Stimme und gibt dann und wann Konzerte. Diese Höhlen-Klosteranlage ist atemberaubend: Sooou schööön! 

 

Ghera heisst Lanze. Nach armenischer Tradition wird vermittelt, dass in dieser Kirche die Lanzenspitze, die Jesu Herz durchbohrt hatte, hier aufbewahrt wurde.

 

Die Klosteranlage Sevanavank auf der Halbinsel im Sevansee stand bis zur Sowjetzeit auf einer Insel. Auch hier singt Diran und singe ich zur Erbauung. Sooou schööön!

Nach Sevanavank erreiche ich am selben Tag das Kloster Haghpat und singe noch vor Sonnenuntergang in den verschiedenen nahe zueinander gebauten Klosterkirchen. Mein Herz schwingt mit. Das Kloster wurde im 10. Jahrhundert gebaut und fasste zu Blütezeiten fünfhundert Mönche und Studenten.

 

Armenier-Test mit Polizisten. Sind verschlossene Armenier zu knacken? Blaulicht! Kurze Polizeihupe. Die armenische Polizei hält immer hinter dem Übeltäter. Es geht offenbar eine Weile, bis ich den Streifenwagen wahrnehme und anhalte. Ich bin mir keiner Schuld bewusst und die Papiere sind in Ordnung. Meine Straftat ist das unbekümmerte Weiterfahren. Der 3Sterne General fragt mich, ob er einen Strafzettel schreiben soll? „Du bist das Gesetz. Was fragst du mich, ob du einen Zettel schreiben sollst? Schreib ihn einfach, wenn ich schuldig bin.“ Er zögert. 

2Stern schreibt auf einen Zettel, das kostet „40000“ Dram (fast 50 Schweizerfranken). Da werde ich zornig und schreie mit rollenden Augen zum 3Stern ins Auto: „Das ist nicht korrekt.“ 3Stern will mich beruhigen und die Hand reichen. Ich zücke die 40000 Dram und schmeisse sie durchs offene Fenster ins Polizeiauto: „Mit euch will ich nichts zu tun haben.“ Ich laufe weg und steige in mein Womo.

2Stern folgt mir sofort mit den 40000 Dram und streckt sie mir entgegen. Geht dir ein Licht auf? Seit wann gibt die Polizei das Strafgeld zurück, sobald der Täter aufheult? Ich nehme das Geld nicht, worauf er es in meinem Womo deponiert. Ich muss nochmals zurück, um den Führerausweis abzuholen! Den reisse ich dem 3Stern aus der Hand und deponiere erneut die 40000 Dram im Polizeiauto.

Die Polis wollen wissen, wo ich hinfahre. „Zum Kloster Haghpat“.  2Stern zeichnet mir ungefragt die Wegstrecke auf ein Blatt Papier und will mir die Hand reichen: „Du Bruder, ich Bruder“. Ich trotze und reiche ihm die Hand erst beim dritten Mal „Bruder, Bruder, Bruder“. Ob ich beim Kloster im Hotel wohne, fragt 3Stern? „Nein, im Womo. Das ist mein Hotel.“ Nun ist es Zeit, mich zu versöhnen. Ich befehle dem 3Stern, um meine starke Position nicht zu verlieren mit rabiatem Ton, auszusteigen und mit 2Stern mein Hotel zu besichtigen. Sie sind begeistert und wollen den Preis wissen. Jetzt relativiert sich in meinem Bewusstsein mein Strafgeld gegenüber möglichen Handschellen. Wir verabschieden uns als Brüder, nein, besser als schräge Vögel. Ich habe die Polizei überlaut angeherrscht. 2- und 3Stern haben privat kassiert. Möge ihnen der Whisky schmecken.

 

Jörn, mein Reiseleiter, klärt mich am Abend auf. Die Polizei darf gar kein Bargeld annehmen. Hätte der Poli aber einen Strafzettel geschrieben, hätte ich zur Bank gehen und einbezahlen müssen, dann mit der Quittung zur Polizei. Das wäre für mich in diesen Bergtälern ein ziemlicher Aufwand. Also, Ende gut fast alles Gut.

 

Armenien ist ein Gebirgsland. Die Menschen sind Bergvölker. Mein erster Eindruck von Armeniern bestätigt sich von der Südgrenze Iran - Armenien bis hin zur Nordgrenze Armenien – Georgien: Die Armenier bleiben zugeknöpft, lethargisch, uninteressiert. Es ist mühsam, sie für Kontakte aufzubrechen, also lasse ich es lustlos bleiben. 

 

Bergtäler und Pässe entlang dem Kaukasus, jetzt in den Herbstfarben, gefallen mir sehr. Erivan ist für jedes Geschichtsinteresse einen Städteflug wert. Sooou schööön!

Siebenhundertsechzehn Kilometer bin ich durch Armenien bis zu den hintersten Krachern auf vielen Bergstrassen, wo die Klöster erhaben stehen, gefahren. Armenien behalte ich als Land der Klöster in Erinnerung, auch dank Diran, dem lebendigen Erklärer.   

 

Das Prozedere am Grenzübergang Armenien – Georgien dauert zusammen gerade mal zwanzig Minuten! Es geht also auch so! 

 

In Tiflis sind viele der 1,1 Millionen Bewohner aufgestellt, aufmerksam. Hoch über der Hauptstadt von Georgien liegt unser Stellplatz am Schildkrötensee. Die Altstadt ist zwar dem Untergang geweiht, in den Beizengassen jedoch täuschen die Strassenbestuhlungen darüber hinweg.

Georgien hat auch so eine überrumpelte Geschichte auf dem Buckel. Da sind die Perser und bauen die Festung Narikala über der Stadt. Im fünften Jahrhundert befreit der georgische König Tiflis aus Perserhand. Die Römer kämpfen danach mit den Persern und sacken auf dem Weg noch Tiflis ein und machen Tiflis zur oströmischen Provinzhauptstadt. Im siebten Jahrhundert erobern die Araber Tiflis. Danach halten wieder die Perser die Hand darauf, dann die Byzantiner und 1068 die Seldschuken. 1121 wird Tiflis wieder georgische Hauptstadt, blüht an der Seidenstrasse gelegen wieder auf. Kannst dazu Marco Polo fragen. Im dreizehnten Jahrhundert wird die Stadt von den Choresmiern verwüstet. Du kennst diese Wüstlinge nicht? Mir sind sie fremd. 1386 bis 1402 gehört Tiflis zum zentralasiatischen Reich von Timur Lang. Im 17. Jahrhundert sagen die Türken, Tiflis gehört uns. Aber nicht lange! Der georgische König Irakli II. erobert sie zurück. Im achtzehnten Jahrhundert beissen die Türken wieder zurück, fliehen aber 1735 als Nadir, der Schah von Persien seine Zähne zeigt. Die Perser setzen dies Mal aber den Georgier Theimuras als König ein. Der hat einen ganz gefitzten Sohn namens Irakli. Die Stadt blüht prächtig auf. Der persische Schah Aga Mohammed Khan, riecht den Braten und marschiert 1795 in Georgien ein. Was sagst du dazu. Es kommt noch schlimmer. Tiflis wird kurz und klein geschlagen und abgebrannt. Noch schlimmer: zweiundzwanzigtausend Menschen werden als Sklaven abgeschleppt. Nein, nein, es geht noch weiter. 1799 besetzt der russische Generalmajor Lasarus die Stadt. Was hatte er bloss davon? Von der Stadt hatte er nur die Ruinen, aber damit ab 1801 auch ganz Georgien besetzt. Noch schlimmer: In der georgisch-orthodoxen Sioni-Kathedrale zweingt der russische General Knorring am 12. April 1802 die georgische Aristokratie und Geistlichkeit mit Waffengewalt zum Eid auf die russische Zarenkrone. Dank Steuererleichterung blüht die Stadt wieder auf und auch die Bevölkerung blüht und knospet von 8500 im Jahr 1811 auf nahezu 30000 im Jahr 1825. Nach dem der russische Zar Kopf und Krone verloren hat, wird Tiflis am 16. Mai 1918 Regierungssitz der Demokratischen Republik Georigen. Nicht lange. Am 25. Februar 1921 marschiert die Rote Armee in Tiflis ein und schwups gehört Georgien zur Sowjetrussland. Das Schauerliche an der Geschichte: Stalin, dieses Scheusal, stammt aus Gori, der georgischen Nachbarstadt von Tiflis. Ein echter Georgier. 1956 demonstrieren Studenten und Schüler in Tiflis. Mindestens 80 davon bleiben beim Massaker von Tiflis liegen. 1989 gibt es eine Demo gegen die Kommunistische Partei für staatliche Unabhängigkeit. 20 Tote. Es ist Zeit für den Zerfall der Sowjetunion. 1991 wird Georgien unabhängig. Man putscht 1991 und 1992 noch hin und her. Erst nach der Samtenen Revolution, der Rosenrevolution 2003 gibt es eine reformerische Wende bis zur heutigen Entwicklung, wo ich Tiflis ohne Unruhen geniessen kann. D.h. vor dem alten Regierungsgebäude sind etwa zehn Stühle aufgestellt. Mit warmen Decken überzogen. Vier noch wohlernährte Menschen hocken da und hungern gegen den Präsidenten, derweil: Der lässt es sich gut gehen.  

 

Eine französische Filmequipe ist gerade dabei, einen Dokumentarfilm über Klöster in ganz Europa zu drehen. Ausstrahlung soll im 2019 sein. In Tuffstein gehauene Höhlen sind mit Tunneln, Treppen, Terrassen verbunden. König Georgi III. plante diese Höhlen als Festungsanlage gegen die türkischen Seldschuken. Seine Tochter liess sie zu einer Felsenstadt mit Wohnungen, Kirchen, Bädern, Apotheke, Bäckereien und Küchen im Kriegsfall für bis zu fünfzigtausend Menschen ausbauen. Die Königstochter lebte selber von 1193-1195 in dieser Felsenstadt namens Vardzia. 1283 wurden viele Teile durch ein Erdbeben zerstört. Eine der Kirchen hat immerhin eine innere Höhe von zirka fünfzehn Metern. Gruselig schön durch die Gänge zu buckeln. Heute leben wieder vier Mönche in Vardzia.

 

Die letzten zweihundert Kilometer zur Grenzstadt Batumi sind zäh und wecken das Gefühl, nicht voranzukommen. Fast die ganze Strecke führt durch Dörfer und Städte. Auf den Strassen tummeln sich Hunde und Katzen, Gänze, Hühner, Schweine, Pferde, Kühe und Kälber. Ein Lastwagen schlägt im Vorbeifahren einem Rind ein Horn ab. Das Rind taumelt zu Boden. Ein grosses Loch klafft im Schädel. Alle Kühe in der Nähe laufen zu dem verletzten Rind hin, aus Solidarität meine ich. Wie hilflos müssen sie sich fühlen, noch hilfloser wie ich mich fühle. Der Bauer, dem ich das Geschehen zurufe, bleibt apathisch hocken.

 

Das Monatsgehalt eines Georgiers liegt bei 200-300 Dollar! So niedrig, wie ich es schon in fünf Staaten vor Georgien erfahren habe. Was bin ich für ein Millionär!

 

Batumi überrascht mich nach dem bitteren Weg dahin sehr angenehm. Südtropisches Klima. Auch im Winter kaum mal gefroren. Verschiedene Baustile und Kulturen je nach Besatzerzeit zanken miteinander. Am Strand gibt es eine sehr hübsche achthundert Meter lange Promenade. Der ganze Stadtstrand zieht sich über sieben Kilometer hin. Wirklich hübsch. In der Altstadt gibt es auch hübsche Winkel. Ich entscheide mich trotz gelegentlichem Regen noch eine Nacht in Batumi zu bleiben.

 

 

Ein Teil unserer Reisegruppe setzt sich von Poti aus mit der Fähre nach Odessa ab. Ein Teil ist zur Reparatur nach Istanbul gehetzt. Andere sind gemütlich in der Türkei unterwegs. Ich werde am 31. Oktober 2017 die Grenze von Georgien zur Türkei queren. Vorausgesetzt, das Womo springt ohne Mechanikerhilfe wieder an. Denn just nach dem alle weg sind, steht das Womo am Strand von Batumi bockstill!  

 

2017 November Teil1

 

Das Starten am Strand von Batumi (Georgien) zeigt wieder das alte Batteriekontaktproblem. Das kann ich meistern. Rütteln am Negativpol hilft. In der ersten Nacht, wo ich allein stehe und alle Mitfahrenden weggefahren sind, bricht das Energiesystem vom Womo vollends zusammen. Beim Seitenfenster der Schlafstelle links tropft das Regenwasser rein. Die Mängelliste baut sich täglich aus. Der allwissende und allhabende Mitreisende Klaus fehlt mir am ersten Tag! Trotzdem, mein persönliches Energiesystem bleibt intakt und das Womo werde ich irgendwie weiterbewegen.

 

Mangels Strom geht die Abluft vom WC nicht und nicht das Spülen. Der Kühlschrank fällt aus. Ich schaue im Motorraum nach der Sicherung. Da ist gar keine Sicherung drin. Nach dem Schaltereinbau in der Garage habe ich vergessen, die Sicherung vorn einzusetzen. Selber schuld, selber gebangt, selber behoben!

 

Seabridge und Kostia von Abenteuer Osten eröffnet mir das Reisen in fernöstlichen Ländern, die ich allein nicht bereisen würde und könnte. Russland-Mongolei-China-Kirigstan-Usbekistan-Turkmenistan-Iran-Armenien-Georgien. Dafür bin ich Abenteuer Osten besonders dankbar.

Für die jeweiligen europäischen Teams - Für die  Bereitstellung der einheimischen meist sehr kompetenten ReisebegleiterInnen - Für das elektronische Kartenmaterial im GPS - Für das papierene Kartenmaterial - Für die exakt gewählten und eingehaltenen Reiseetappen und Anlaufziele innerhalb eines Landes und von Land zu Land - Für die aktuellen Roadbocks mit Beschreibungen der Zwischenziele und Ziele - Für das Vorbereiten und Mithelfen bei den Zollübergängen - Für das Bereitstellen des Begrüssungsgeldes in der jeweiligen Landeswährung und das Geldwechseln in allen Ländern, wo es für meine Karten keine Geldautomaten gibt. Seabridge erspart mir den Weg zur Bank. - Für das Bereitstellen der SIM-Karten und Nachfüllen von Gigas in jedem Land - Für die zwei Begleitfahrzeuge - Für die Begleitung der Mechaniker in verschiedenen Etappen - Für die Mithilfe bei Pannen am Motor und am Womo - Für die Koordinaten zum Tanken und die Hinweise zu den unterschiedlichen Tankabläufen - Für das Organisieren sicherer Stellplätze innerhalb und am Rande von Millionenstädten und in der freien Natur – Für das Auffinden von Wassertankstellen - Für die Städtebesichtigungen per Bus mit einheimischen ReiseleiterInnen - Für die Koordinaten oder Haltestopps bei Einkaufszentren und –möglichkeiten - Für das Auffinden von Wäschereien und Waschmöglichkeiten in Hotels - Für die Essensorganisation zu Seabrigde Festzeiten und bei Geburtstagen. -Für die Folklore- und Musikergruppen. - Die Jungs und Mädels leisten eine Menge wertvoller Arbeit.

 

Es interessiert dich, wie man so eine aufwändige und strapaziöse Reise im Rollstuhl und im umgerüsteten Cockpit meistern kann? Und das mit Bravour? Walda und Walter zeigen dir das. Öffne mal die Website von www.walti-rauber.ch und du wirst staunen. Beiden gelingen diese Abenteuer mit Freude nur, weil sie menschlich hervorragende Typen sind. Meia und Peter sind zudem ihre treuesten Reisebegleiter in ihrem „Chischtli“. Ein unschlagbares Viererteam.

 

Das Schwarze Meer buckelt und bäumt sich auf. Es will wahrscheinlich die Last des Fährschiffes von Batumi nach Odessa abwerfen. Ein Teil unserer Reisegruppe schaukelt darin. Mögen sie heil ankommen.

 

Die Grenze Georgien – Türkei dauert für mich zwanzig Minuten. Stempel in Pass. Fahrzeugausweis. Grüne Versicherungskarte. Alles klar! Heftig trifft es meinen Guide Holger, der als Letzter von Batumi wegfährt. Er bleibt fünf Stunden am Zoll hängen. Warum? Sein Womo gehört eigentlich Arthur. Arthur aber ist auf einer anderen Tour in China Richtung Laos unterwegs. Ohne ein spezielles Formular, das es gar nicht gibt, ausgefüllt zu haben, bleibt das eine kriminelle Tat. Arthur hätte sein Fahrzeug selber ausführen müssen und nicht Holger, sein Mitarbeiter. Schliesslich kostet es Arthur eine Stange Geld, die Holger bezahlt, um das Womo frei zu bekommen! Na dann, gute Reise!

 

Holger und seine Partnerin Frederike lade ich zu einem Risotto am Schwarzen Meer ein. Während sie anreisen, bereite ich alles vor. Es ist Zeit, die Bouillon zu erhitzen. Wie peinlich! Beide Gasflaschen sind leer. Klar doch. Ich wollte eben beide leersaufen, um in der Türkei qualitativ besseres LPGas zu tanken. Jetzt brauche ich mehr Glück wie die törichten Jungfrauen, die kein Reserveöl dabei haben. Ich packe die Bouillon und verschiedene Zutaten in die Ausgussschüssel und fahre ins Ungewisse! Nach siebenhundertfünfzig Metern kann ich Diesel und LPG an derselben Stelle tanken und noch Trinkwasser dazu kaufen. Mein Dinner ist rechtzeitig gerettet!

 

Aus vielen Seitentälern fliessen Bäche und Flüsse aus dem Gebirge ins Schwarze Meer. An den Mündungen der Bäche haben sich die Menschen in Städten und Dörfern niedergelassen.

 

Wo ich im 2012 teilweise noch die linke Spur fahren musste, um nicht ins Schwarze Meer abzustürzen, führt heute eine zweispurige Autostrasse mit Mittelstreifen und U-turns. Das Ufer dem Schwarzen Meer entlang ist meist unbebaut. Ich kann sozusagen mit dem Womo auf den Wellen reiten. Auch im Häuserbau modernisiert  sich die Türkei völlig.

 

Auf dem 1820 m hohen Pass fragen mich zwei Jungs aus Bayburt um einen Schraubenzieher. Sie ersetzen die alten Rückspiegel mit nicht ganz neuen. Auf der Windschutzscheibe steht: „ich liebe dich“. Coole Jungs.

 

Das enge Seitental von Trabzon landeinwärts D-885 wird zur Zeit mit einer Schnellstrasse kräftig ausgebaut. An der engsten Talstelle überrascht die Stadt Gümüshane mit einer grossen Universität. Moderne Universitäten wachsen in der Türkei überall aus dem Boden.

 

Uncool. Zwei Stunden bin ich beschäftigt mit dem Abbauen und Austrocknen des Gasherdes, der wieder einmal unter Wasser steht. Selber schuld. Ich habe eine Colaflasche nicht fachgerecht verstaut. Die hat während der Fahrt den Wasserhahn geschupst. Bis ich es merke, sind beide Ablaufbecken, die Herdvertiefung, eine Schublade und die zwei Teppiche voll Wasser. Jetzt strahlen die drei Kochstellen wieder blitzblank. Die Teppiche müssen noch in der Garage trocknen. Nachts fällt die Aussentemperatur unter den Gefrierpunkt.  

 

Immer wieder führt mich der Weg nach Sivas über mehr wie zweitausend Meter hohe Passstrassen und auf siebzehnhundert Meter gelegenen Plateaus. Die Natur wartet in einem trockenbraunen Kleid auf den Winter. Die höchsten Gipfel reden davon. Sooou schööön!

 

Veli ist Englishlehrer in Sivas. Ihn kenne ich seit 2012, als er mit seiner damaligen Freundin und zwei Kollegen per Autostopp in meinem Womo für vier Tage mitgereist ist (siehe Fotos Türkei Juni/Juli 2012). Jetzt verbringe ich vier Tage bei Veli, seiner Touristikfachfrau und ihrem Mädchen in Sivas. Vor fünf Jahren konnte Veli mit Religion nichts anfangen. Heute betet er fünf Mal am Tag. Nicht fanatisch, aber selbstverständlich. Er guckt echt viel besser drein wie früher. Nach meinem Besuch hier will er am 5. November 2017 mit Rauchen aufhören! Welche Ehre! Er möchte so gesund leben wie ich es tue.

 

Nachts hängt Veli mein Womo mit einem langen Kabel vom Balkon herunter an den Strom an. Meine Elektroanlagen, die mich total vom Stromnetz unabhängig machen sollen, sind total kaputt. Sooou saublöd!

 

Die Vorderreifen sind echt platt gefahren und wieder einseitig abgewetzt wie seit Geburt des IVECO. Es gibt zig Reifenhändler in Sivas. Veli führt mich zu einem Freund. Erst setzen sich alle Mitarbeiter an einen Tisch. Tee wird aufgetragen. Ein Mitarbeiter trägt von seiner Frau selbstgebackene Köstlichkeiten auf. Sie sind alle angetan, dass sie in mir einen religiösen Menschen am Tisch haben. Sie selber sind auch religiös. Für alle gibt es eine Womobesichtigung. Das Womo finden sie sehr schön, meine Offenheit, ihnen alles zu zeigen, noch schöner. Sie verströmen alle Herzlichkeit.

 

Den grossen Rest von den Köstlichkeiten gibt mir der Mitarbeiter als Wegzehrung mit. Ich lege die Tüte für einen kurzen Moment auf den Boden in meinem Wohnmobil, so auf Brusthöhe von aussen gesehen. Der Mitarbeiter reklamiert sofort, bei Türken wird kein Brot auf blossem Boden deponiert! Sooou schööön!

 

Den Wassertank gefüllt und neubereift fahre ich neubeseelt zu Velis Wohnhaus. Unvergesslich, diese Türken und Freundschaften. Sooou schööön! 

 

Sind die Chinesen dreckig? Das will Emre (14jährig) wissen. Viele Türken tragen dieses Bild von den Chinesen in sich: Die essen Hunde- und Katzenfleisch. Bei denen kommt alles in die Pfanne. Ich beteure, dass es in China heute sehr viele Hunde und Katzen auf der Strasse gibt, denen nichts angetan wird und wie mir die zwanzig Sachen auf dem runden Tisch in Restaurants jeweils gut geschmeckt haben. Du malst mir wirklich ein anderes Bild von den Chinesen, meint auch Veli. Bei 1,4 Milliarden Menschen an der Zahl sollten wir aufhören „die Chinesen“ zu sagen. Auch im Einandernäherbringen von Völkern hat sich meine Reise auf der Seidenstrasse gelohnt.

 

Die Türkei ist voller historischer Plätze. Das fasziniert mich total. Die Seldschuken bauen die Blaue-Medrese (1271, Uni), die Heilungs-Medrese (1218, Uni), die Medrese mit doppeltem Minarett (1271, Uni), die grosse Moschee von 1196. Die Osmanen erobern das Gebiet und bauen 1573 eine Karawanserei und die krumme Brücke über den roten Fluss(1573). 1576 ein Hamam, ein Bad.

 

Veli lädt mich an die Privatschule zu einer Englischstunde ein. Er hat das mit dem Eigentümer und dem Manager abgesprochen. Wir rechnen mit fünf bis zehn Studenten. Veli lässt ein Whats up an weitere Studenten laufen. Im Aussichtscafe der Privatschule hoch über der Stadt teilt man mir mit, es gäbe eine kleine Verspätung. Der Konferenzraum müsse noch hergerichtet werden. Als wir die Türe zum Konferenzraum öffnen, hocken über achtzig Studenten, junge Frauen und Männer, da! Verrückt! Die jungen Leute sind hungrig nach einer Möglichkeit zu reisen. Ich hoffe, ihre vorläufige Träumerei wird Wirklichkeit und ihre Sprachkenntnisse sollen Frucht tragen. Die Leute wollen aufbrechen. Let`s go! So wichtig. Sooou schööön!

 

Die Schulleitung gerät kurz vor meinem Auftritt in Krise als sie erfährt, dass ich katholischer Pfarrer bin. Sie haben Angst vor einem Skandal der Missionierung. Veli legt für mich die Hand ins Feuer. Ich werde über meine Reise erzählen, nicht missionieren. Ein Student fragt dann aber tatsächlich, was ich von den Muslimen halte? Meine Antwort: „Ich habe in der Schweiz gute Beziehungen zu Muslimen gepflegt. Dass wir in der Welt verschiedene Religionen haben und uns manchmal nicht verstehen, das ist nicht das Problem von Gott, der versteht uns nämlich alle, sondern das Problem von uns Menschen.“ Auf diese Antwort kriege ich achtzigfachen Applaus.

 

Paulus applaudiert ebenfalls. Er ist eben toleranter geworden, seitdem er beigott eine totale Übersicht gewonnen hat. Petrus findet keine Worte. Er reisst einfach alle Vorhänge auf und begleitet mich mit seiner Sonnenseite weiter durch die Türkei.

 

Fotos zum Speaking https://www.facebook.com/britishtimesivas/

 

Ein spontanes Fernsehinterview kommt wegen der kurzfristigen Anfrage des Schulbesitzers am Sonntag beim türkischen Fernsehen nicht zustande.  

 

Veli nennt mich wie vor fünf Jahren „Boss“. Bei Veli bedanke ich mich für sein Engagement. Er hat mir in vier Tagen sehr viel Aufmerksamkeit, Hilfe und Herzlichkeit geschenkt und zu so vielen kostbaren Menschen geführt. So sind sie, diese Türken.

 

Samet ruft mich abends um zehn an, ob er morgens um sechs vorbeikommen dürfe, um Tschau zu sagen. Er müsse dann zur Schule. Tatsächlich klopft er am andern Morgen an! Er hat mich jeden Tag mit seinen Freunden auf seinem Weg zur und von der Schule besucht. Samet ist Vierzehn.  

 

Die Zuckerrübenernte ist voll im Gang. Die Bauern fahren die Rüben mit Traktoren zu einem offenen Sammelplatz, wo sie per Förderband zu riesigen Hügeln angehäuft werden. Das Ernten ist mühsam und die Strassen sind erdig, weil es vorher geregnet hat. Die Landschaft präsentiert sich mit ihren braunen Hügeln und schwarzen, frisch bearbeiteten Äckern wunderschön.

 

In Sebastopolis bleibe ich etwas hängen, weil hier Ausgrabungen aus der Römerzeit im Gange sind. Zwei Männer werden im Cafe herbeigerufen. Sie beide haben in Deutschland, der Schweiz und in Österreich in ihren jungen Jahren geschuftet. Jetzt frischen sie ihre Deutschkenntnisse und Erinnerungen mit mir auf. Wir finden das gegenseitig faszinierend und doch wartet jemand in dreissig Kilometern auf mich. Nach dem vierten angebotenen Tee muss ich diese Männerrunde leider verlassen.  

 

F`rat und Seher begrüssen mich  aufs Herzlichste mit einem reichen Dinner in Kadishehiri. F`rat ist der zweite Autostopper von 2012. Er arbeitet inzwischen auf der Post und ist mit der Lehrerin Seher verheiratet. Seher ist so eine offene, spontane Frau, wie ich sie in der Türkei noch nicht erlebt habe. Um besser kommunizieren zu können haben sie Ali, den Postschef, zum Dinner eingeladen.

 

Ali öffnet das Postamt heute später, weil wir um neun Uhr erst noch in seinem Postamt frühstücken! Die ganze Crew steht um den Tisch und isst mit, während ich mich setzen kann.

 

Auf 1680 Metern mache ich unter dem Erciyes Dagl südlich der Millionenstadt Kayseri Halt. Weit herum flankieren nur Hügelzüge. Der Erciyes aber ist einsame Spitze mit 3917 Metern. Er hütet für mich das Geheimnis der stillen Einsamkeit. Sooou schööön!

 

Am Morgen kommt die Polizei angefahren, ob ich Probleme hätte? „Nein, danke, keine Probleme. Ich fahre noch zur Talstation hoch und nachher besuche ich in Kayseri unten das Seldschuken Museum. Danke für die Nachfrage, liebe Polis!“ Nach dem zweiten Mal am Negativpol rütteln startet der Motor. Ich habe mich an dieses Glück schon gewohnt, muss ich doch diese Übung tatsächlich bei jedem Zwischenstart wiederholen (Und Klaus ist nicht mehr bei mir!).

 

Ich bin jetzt in einem grossen Skigebiet von meinem wilden Schlafplatz (1680m) zur Talstation (2100m) unter dem majestätischen Erciyes hochgefahren. Leider liegt noch kein Schnee und auch die Schneekanonen arbeiten nicht. Es würde mich freuen, dir von einem Skitag zu berichten.

 

„Rien ne va plus“ heisst zu Deutsch „Nichts geht mehr“. So ist es! Nur drei Arbeiter sind dabei, die Bahn für die nächste Saison zu prüfen. Ufuk nimmt sich meiner an. Er lässt das Womo rückwärts den Berg runterrollen und wirft den Gang ein. Der Motor startet. Ufuk telefoniert mit seiner Mutter, die in Deutschland gearbeitet hat. Sie spricht sehr gut Deutsch. Er erklärt ihr meine Panne. Beide helfen mir den Weg zu Harun zwanzig Kilometer von der Talstation der Bergbahnen durch die Millionenstadt Kayseri hindurch zur Garage zu finden. Harun ist der Bruder von Ufuk. Da fahre ich gerne hin!

 

Eine Batteriemessung ergibt, sie ist tot. Das glaube ich nicht. Harun wechselt sie gegen eine Neue. Kein Erfolg. Er wechselt sofort die alte Batterie zurück auf diesem verdammt engen Motorraum. Ein Mitarbeiter von Harun kriecht unter das Womo und klopft mit einem Hammer an den Startermotor. Der Dieselmotor springt an. (Du erinnerst dich, schon andere Leute haben mit einem Hammer auf andere Teile am Womo eingeschlagen und es hat geholfen.) Noch drei Startversuche und die Sache ist für die Mechs klar. Der Startermotor soll und kann repariert werden. Ein Sachverständiger einer anderen Garage, es gibt dutzende Garagen in diesem grossen Industriegebiet, wird das Teil reparieren, damit ich später ruhig weiterfahren kann.

 

Der Mech bittet, das Womo vorne mit den Stabilisatoren anzuheben, damit er mehr Platz hat, das Teil auszubauen. „Geht leider seit Wochen nicht mehr, aber ich kann es ja versuchen!“ Schon wieder ein Wunder. Die Stabilisatoren fahren aus!

 

Wer bin ich denn, dass ich auf der Stelle wieder so viel Glück habe an der rechten Stelle die Panne zu provozieren und unmittelbar die rechten Leute zu finden! Da müssen eine Menge hilfreiche Engel, wie manche sagen, mir dauernd nachjagen!

 

Harun sieht meine Fotos mit den einseitig abgewetzten Reifen. „Ist das Problem behoben oder sind nur die Reifen gewechselt?“ „Wir haben nur die Reifen gewechselt!“ „Willst du das Problem hier lösen?“ „Ja gern, in der Schweiz haben sie das Problem bisher nicht dauernd lösen können.“ „Wir werden den Startermotor einbauen und nachher geht’s ans Richten der Räder“. Da bin ich ja gespannt. Morgens um elf kam ich bei der Garage von Harun an. Knapp vor sechs fährt Harun mit mir zu nächsten Garage. Um sechs sind die Räder gerichtet. Ufuk kommt auch noch angefahren, um mich so herzlich wie Harun es tut, zu verabschieden. Harun schenkt mir zum Abschied eine Kappe, eine Jacke und eine Hose. Ein Trinkgeld nimmt er auf keinen Fall an. Er hoffe auf den Segen Allahs (das ganze Prozedere in drei Garagen kostet mich lediglich siebzig Franken, Material inklusive). So sind sie, diese Türken.

 

Anderseits hat die Regierung Wikipedia, mein gewichtfreies Nachschlagewerk im Internet, gesperrt. Auch die unterirdischen VPN Tunnels dorthin zu gelangen, die ich in allen übrigen Ländern erfolgreich benutzt habe, stehen unter Wasser. Kein Durchkommen in der Türkei! So ist sie, die Regierung.

 

Die Steinwohnungen im Zelve Tal in Kapadokia sind eindrücklich. Auch hier gab es Kirchen, eine Mühle, eine Weinkelterei in Stein gehauen. 

 

Ich verbringe die Nacht auf einem Abhang. Unter mir liegt Göreme in einem Talkessel voller Steintürme. Morgens um halb sieben, eine Stunde vor Sonnenaufgang, dröhnt es über Göreme wie wenn ein grosses Passagierflugzeug zum Start ansetzt. Achtzig Heissluftballone werden gleichzeitig aufgeplustert. Eine halbe Stunde später starten sie mit ihren Gästen fast gleichzeitig zum Sonnenaufgang über Göreme. Es ist windstill, die Ballone treiben nur langsam westwärts.

 

Quer durch Ankara erblicke ich viel Neubauquartiere. Lustigerweise führt meine Strasse über einige steil ansteigende und steil abfallende Hügel. Das mir bekannte Ehepaar weilt in den Ferien in Marmaris, wo ich sie vor fünf Jahren getroffen habe. Der Überraschungsbesuch scheitert. Ihr Sohn Mart findet nur wenig Zeit für mich.

 

Herbstnebel und Smog liegen in vielen Gebieten bis am Nachmittag. Die Tage sind von halb acht bis halb sechs Uhr kurz geworden.

 

So komme ich etwas schneller Richtung Istanbul voran. Die Verstädterung um Istanbul ist gewaltig. Ich entscheide mich nach einigem Stottern auf der Autobahn zu fahren. Das Navi kennt sich nicht mehr aus. Die neue, gewaltige Autobahn führt mich zu der neuen Brücke der NordOst-Überführung über den Bosparus. Da komme ich ohne Stau sehr schnell voran. Dann aber stockt die Fahrt wieder im Nordwesten von Istanbul. Das kann noch nicht die Lösung sein. Menschenverachtend, wie wir uns durch alte Quartiere drängen und die Leute fast erdrücken. Scheusslich. Sie fahren alle Merkels Autos, von ihr aber halten sie nicht viel. Schizophrene Realität. Wegen den Wartezeiten ist es inzwischen dunkel geworden. Ich lege mich auf einem Autobahnrastplatz zur Ruhe. Bin einfach froh, die Stotterei durch diesen kleinen Teil von Istanbul hinter mir zu haben. Die Türken aber drängeln sich millionenweise durch die Stadt und durch die Nacht.

 

Ich mache ein schönes Nickerchen auf einem einsamen Parkplatz, dreissig Kilometer vor Edirne. Tagtagtagtag! Kein Starten. Ich suche mir die Daten für ein Telefonat mit dem TCS Schweiz hervor. Laut Budenbesitzer gibt es keine Hilfe heute. Es ist Sonntag. Telse meldet sich mit Klaus aus Mailand. Von Klaus kommt also keine Hilfe, aber ein guter Lehrmeister ist er.. Ich bewaffne mich mit einem 10er Schlüssel und drehe wie ein Kenner die Befestigung am Batteriepluspol. Start! Die Batterie war in Kayseri zu locker befestigt worden. Die setze ich jetzt für immer fest. Es ist immer noch Sonntag. Ich kann weiterfahren… und lande in Edirne direkt neben der Sultan Salim II. Moschee, in der letzten grossen türkischen Stadt vor Bulgarien. Sinan heisst der bedeutende Architekt. Er hat diese Moschee 1569-1575 n.Chr gebaut. Sein Meisterwerk.

 

So nah an der Moschee erschrecke ich jeweils wegen dem Gebetslärm aus den Lautsprechern.

 

Mein Gebet frei nach einem irischen Reisesegen verrichte ich still und leise jeweils beim Fahren:

Gott segne die Welt, in der ich stehe.

Gott segne den Weg, den ich jetzt gehe.

Gott segne das Ziel, für das ich lebe.

 

Gott segne mich, damit ich andere Menschen segne. 

 

2017 November Teil 2

 

Der Grenzübergang dauert gerade mal zwanzig Minuten aus der Türkei raus und nach Bulgarien rein. Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Lastwagen über den türkisch-bulgarischen Zoll und umgekehrt. Auf jeder Seite stehen je dreihundert Lastwagen in Langewarteposition.

Über zweihundert Kilometer zieht die Autobahn durch riesiges, hübsch kultiviertes, flaches Ackerland. Achtzig Kilometer vor Sofia erfreut mich der herbstbunte Mischwald auf den Hügeln und Bergen. Die Autobahn ist von der türkischen Grenze bis nach Sofia hinein ausgebaut. Auf den vierzig Kilometern bis zur serbischen Grenze führt noch eine gut ausgebaute Hauptstrasse. In fünf Jahren hat sich in Bulgarien viel getan. 

Sofia beeindruckt mich am Tag. Nachts wirkt die Stadt düster. Immerhin finde ich bei McDonalds WiFi. Der Luxus von der landeseigenen SIM Card und dem Arbeiten im Womo ist jetzt wegen der kurzen Aufenthalte pro Land vorbei.

 

Auf dem Weg gibt es praktisch keine Kontakte, weil die Autobahnen fern der Dörfer und Städte verlegt sind. In so vielen Ländern zuvor, führten die autobahnähnlichen Strassen direkt durch bewohntes Gebiet. In Bulgarien erregt mein Womo nur noch selten Interesse. Fast alle Bulgaren fahren Merkels Autos.

 

Schon hüpft mein Womo über die nächste Grenze. Bulgarien – Serbien / Belgrad. Hier bräuchte es der Natur wegen keine Grenze. Ackerbau, Waldhügel. Nur vor Nisch, dem Geburtsort Kaiser Konstantins, zwängen die Strasse und die Eisenbahn sich durch eine schmale Felspartie. Von Nisch nordwärts erhebt der Kaiser auf einer gut ausgebauten Autobahn seinen Strassenzoll.

 

In Bulgarien habe ich mich noch eine Stunde vor den Schweizern aus dem Bett gezwängt. In Serbien hört das nun auf. Gleiche Urzeit. Die neun Stunden Zeitverschiebung seit China habe ich wieder sukzessive zurück erschlafen.

 

Da es unter der Bewölkung schon um vier Uhr Nacht wird, entschliesse ich mich, an den kommenden Städten wie Zagreb in Kroatien, Ljubljana in Slowenien vorbei zu flitzen und sie auf einer nächsten Reise anzuschauen. In Slowenien habe ich das Gefühl, im Berner Jura anzukommen. Satteldächer, Walmdächer und ein Häuser- und Stallbaustil wie in der Schweiz. Einfach auffallend.

 

Die Autobahnraststätten und Parkplätze sind alle vollgestopft mit LKWs. Auch die rechte Fahrspur gehört lückenlos ihnen. Mangels Schlafplätzen schaffe ich es achthundert Kilometer westlicher seit dem Grenzübertritt von Serbien nach Kroatien, durch ganz Slowenien und über die Pooebene in Italien hinweg bis Verona West.

 

Um sieben Uhr abends lege ich mich den Atem vorsichtig verringernd schlafen. Es stinkt bei diesem Cafe Müllcontainer grauenhaft. Um Mitternacht erwache ich, setze mich ins Cockpit und entfliehe dem Gestank Mailand umfahrend bis nach Tenero TI, Schweiz, wo ich mich morgens um vier Uhr beim gastfreundlichen Coop wiederum schlafen lege. Brausen doch am Morgen Walda und Walti, Mitfahrende auf der Seidenstrasse, an mir vorbei. Das letzte Mal haben wir uns in Batumi, Georgien, gesehen. Leider sehe ich sie zu spät!

 

Auf dem Miralagocamp in Tenero, wo Walda und Walti grad weggefahren sind, lasse ich mich nieder. Drei Waschmachinen und zwei Trockner bewältigen meine Wäsche fürs Erste, während ich die Betten sonne und den Halbjahres-Wüstenstaub ausklopfe.

Spontan kommt Stefan von Bern über Domodosola und verbringt einen Tag mit mir. Als ich am Samstag vom Camp wegfahren will, entdecken mich Brigitte und Hansjörg, Mitarbeiter von St. Gallen Neudorf. Auf einem Parkplatz an der  Gotthardautobahn fluten Chinesen aus einem Reisebus direkt in mein Womo. Sie sind mir nicht mehr fremd, die Chinesen. Die Womotüre bleibt wie in Peking so auch in der Schweiz weit offen. Sooou schööön!

 

Theres und Hans laden mich zum Bolschoi Don Kosaken Konzert in der Jesuitenkirche in Luzern ein. Opernsänger treten als Solisten auf. Klasse.  Da bin ich also wieder, wo die sechseinhalb Monate dauernde Reise begonnen hat, in der Schweiz und musikalisch, gesanglich, melodisch in Russland. Die Reise kann wieder beginnen! In meiner Erinnerung. Sooou schööön!

 

Immerwährende freundliche Hilfe, konstante Gesundheit, trotz Nichtstun genügend Fitness, einundsiebzig Jahre alt und immer noch Schutzengel an meiner Seite, ungebrochenes Menschen- und Gottvertrauen! Freude an Natur und Menschen. Die Welt so sehen, wie sie ist. All das erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit. „Danken will ich dir Herr, meinem Gott, der neues Leben schafft. In deiner Kraft erneuerst du die Erde!“ Sooou schööön!

 

Was ich anders machen würde? Einzig die Teppiche würde ich zu Hause lassen und sie mit Gummimatten ersetzen, damit hunderte von Menschen mir die Teppiche mit ihren Öl-, Morast-, Dreck- und Staubschuhen nicht verdrecken und ich noch offener wäre, weitere hunderte von Menschen von der Strasse weg einzuladen. Ansonsten gibt es nichts zu rütteln. Das Womo und ich, wir beide sind zurechtgerüttelt. Die Reise ist für mich Dank Seabridge/Abenteuer Osten, ihren Mechanikern und den mitreisenden, hilfsbereiten Könnern perfekt verlaufen. So gering sind meine Probleme!

 

Statistisch gesehen bin ich 37548 Kilometer durch zweiundzwanzig Staaten in sechseinhalb Monaten gefahren und komme glücklich in Vilters an. 5776 Kilometer pro Monat.

 

Und weil mich viele Leute fragen: Es gab für mich bei verschiedenen Fahrstils und engstem Verkehr nie eine brenzlige Situation im Strassenverkehr, weder dass ich noch andere sie verursacht hätten! Ich habe nie Kriminalität erlebt! Nie ist mir was aus dem Womo geklaut worden!

Holger, ein Reiseleiter, meint: „Du hast die Leute mit deiner Offenheit so sehr überrascht, dass sie gar nicht auf den Gedanken kommen konnten, dich zu beklauen!“ 

 

Was treffe ich „zu Hause“ an?

 

Leider liegt unsere fünfundachtzig jährige Schwester Margrith im Sterben.

 

Unser Schwager Sepp liefert sich wegen öfters auftretender Atemnot selber im Spital in Walenstadt ein und wird nach drei Tagen wieder entlassen.

 

Die Schwägerin Betty will ihre Rückenstauchung ohne Arzt ausheilen lassen und stellt sich nach einer Woche trotzdem dem Arzt.

 

Unsere Schwester Theres verzweifelt schier, einen Hausarzt in Rotkreuz zu finden und schafft es doch, ihr blutunterlaufenes Knie zu zeigen.

 

Die Dorfmusik spielt unserer Schwägerin Sibilla sehr lockere Weisen zum achtzigsten Geburtstag. Am Sonntag danach feiern wir ihr Leben in ihrem Heim-Torkel in Jenins.

 

Nach Abschluss der Geburtstagsfeier bin ich mit Theres verabredet, Margrith im Kantonsspital in Chur zu besuchen und setzen uns ins Auto. Im selben Augenblick telefoniert Marco, Margrith sei vor zwei Minuten verstorben. Ihre engsten Angehörigen waren bei ihr. Unsere Schwester Margrith stirbt eine Woche nach meiner Rückkehr am 26. November 2017. Sie wünscht eine Abschiedsfeier im engsten Familienkreis.

 

Unsere Cousine Rösli wird mit einundneunzig Jahren im Juni 2018 ihre Wohnung, wo sie noch allein haushaltet, verlassen müssen. Grund: Totalrevision des Wohnhochhauses. Wir beschäftigen uns mit der Suche nach einem Platz in einem Altersheim.

 

Hans verpasst meinem Womo massgenau den gewünschten Bodenbelag, damit ich wieder ungeniert Gäste empfangen kann. Im Womo tropft Regenwasser herein. Provisorisch verkleben.

 

Ein Diagnose-Termin bei CCC Carthago Arbon und bei IVECO Fürk AG St. Gallen ist auf den 1. Dezember bereits gesetzt.

 

Persönlich stelle ich mich am 29. November dem Zahnarzt, um einen Termin zu vereinbaren, denn irgendwo in Mittelasien hatte ich einen Klumpen Gold ausspuckt. „Nehmen Sie bitte gleich Platz. Jemand hat einen Termin abgesagt.“ Eine Stunde später verlasse ich die Zahnarztpraxis mit einem neu aufgebauten Zahn!

 

 

Das sind vorläufig Ereignisse, die mich seit der Heimkehr umtreiben! Später, ungewiss später, wenn ich selber über meine Zeit werde verfügen können, werde ich alle meine Freunde und Bekannten besuchen! Alle? Liegt das überhaupt drin?