Bald geht`s los.

 

Am 29. Oktober 2019 fliege ich von Zürich nach Madrid, dann Rio de Janeiro - Iguacu - Buenos Aires. Im Hafen von Buenos Aires Zaraté werde ich am 7. November mein Womo in Empfang nehmen und dem Meer entlang bis nach Feuerland Ushuaia fahren. Darüber im November-Bericht. 

November 11 2019 T1

 

In der Nähe des Airport Zürich verbringe ich eine Nacht im Hotel, um das Flugzeug am Dienstag, 29. Oktober 2019 nicht zu verpassen. In Glattbrugg empfängt mich Albert, ein ehemaliger Studienfreund aus der Gymnasialzeit am Bahnhof und fährt mich zum Abendessen ins Hotel. Eine in letzter Zeit wiederbelebte Freundschaft. Sooou schööön!

 

Der Zubringerflug von Zürich nach Madrid ist mit gut zwei Stunden kurz und bekömmlich. Der nächste Flug zwischen Madrid und Rio de Janeiro hat für mich besonders zwischen der fünften und siebten von elf Stunden seine reueerweckenden Längen. Aber wie komme ich sonst zu meinem Wohnmobil, das seit rund einem Monat auf dem Atlantik unter mir schippert.

 

Unter mir! Es ist für mich immer noch erstaunlich, wenn so ein grosser Vogel, in dem ich mit hunderten Leuten - zugegeben geringen - Platz finde, mich auf 11582 Meter Höhe trägt, 8157 Kilometer weit fliegt und das mit einer konstanten Geschwindigkeit von 831Kilometern pro Stunde und auf einer aus der Vogelperspektive gesehen kurzen Piste sicher landet!

 

Die Sicht auf die im Abendrot bunt glitzernde sechs Millionen Stadt Rio de Janeiro ist fantastisch.

Nach einem vierundzwanzig Stunden Tag geniesse ich auf der Hotel Excelsior Terrasse an der Copacabana zusammen mit meinen Reisefreunden zwei Bier. Es schmeckt in dieser nächtlichen Wärme, am Tag waren es vierunddreissig Grad in Rio, wirklich sehr gut.

 

Unser Reiseleiter in Rio, Walmir, der uns auf den Christusberg Corcovado und an der Copacabana führt, zeigt uns von oben, in welcher Favela er vaterlos  aufgewachsen ist. Er erzählt uns glaubwürdig, wie ganz Rio nur funktioniert durch die Arbeit der Menschen aus den Armenvierteln, von denen es über dreissig gibt. Sie vollbringen in Dienstpersonal verkleidet alle Arbeiten, von denen auch wir im besten Hotel profitieren. Ihre Arbeitswege sind meist nicht weit. Gleich hinter den Luxushotels, wo sie arbeiten, hausen diese beflissenen Leute hangaufwärts in Hüten. 

 

Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder an eine Privatschule, wo sie den ganzen Tag über betreut und unterrichtet werden. Andere müssen ihre Kinder in die öffentlichen Schulen schicken, wo sie nur während viereinhalb Stunden pro Tag bleiben. Sie haben meist keine guten Chancen auf Universitäten.

 

Tausende von Fans tanzen in kunstvollen Gewändern in je einer Sambaschule auf der 700 Meter langen Tribünenstrasse am Carneval mit. Ihre Kostüme müssen sie selber bezahlen. Für die Kreationen der Geschichten, die Ausarbeitung der Kostüme, Musik und Wagen kommen Sponsoren auf. Für die Sicherheit sorgen 17000 Polizisten.

 

Der Name Copacabana tönt in touristischen Ohren verlockend. Der Strand ist es aber nicht. Er reicht gerade mal für Fussball, Volleyball und Strassencafés. Eine breite Strasse trennt die eintönigen Hochhäuser vom Strand. Was die auch im Innern fade Stadt reizvoll macht, ist ein Blick von Weitem, vom Corcovado (Christusberg) und dem Zuckerhut auf die Buchten und Stadtquartiere. Rio bräuchte ein Facelifting.

 

Das Fussballstadion wurde zu „König Peles“ Zeiten für 160 000 Zuschauer gebaut. Die Fiva musste das Stadion aus Sicherheitsgründen auf 80 000 beschränken. Ich verstehe das nicht: 80 000 Fussballbegeisterte und nur ein Ball im Feld!

 

Der Iguazù-Fluss fliesst breit, brav und untief daher, bevor er in die spektakuläre Arena der Wasserfälle abbricht! So gewaltig! Sooou schööön!

 

Zierliche Mauersegler durchschiessen mancherorts die Wasservorhänge, um Nester zu bauen und ihre Jungen hinter den Wassermassen versteckt zu füttern. Wieviel Wagemut brauchen diese Jungen, flügge geworden, den nassen Vorhang vom feuchten, kühlen Nest aus in die heisse, gleissende Welt zu durchstossen. Sooou verwunderlich!

 

Die Iguazú-Wasserfälle bestehen aus 20 größeren sowie 255 kleineren Wasserfällen auf einer Ausdehnung von 2,7 Kilometern. Einige brechen bis zu 82 Meter, der Großteil bis zu 64 Meter über die Basaltkanten in die Tiefe.  

 

Der Paranà-Fluss wird durch den riesigen Stausee Itaipu unterbrochen. Nach dem das Wasser die zwanzig Turbinen durchpresst hat, fliesst es nach Süden weiter und endet bei Buenos Aires im Atlantik, da, wo mein Womo seit Sonntag, 3.November 2019 wartet. Südlich des Stausees Itaipu stürzt vom Osten her der Rio Iguazù (Grosses Wasser) über die Wasserfälle und mündet im Paranà.

 

Buenos Aires, die Hauptstadt von Argentinien, an der Mündung des Paranà zum Atlantik gelegen, gefällt mir mit seinen vielen Grünanlagen und der modernen Skyline. Auch ist das bunte Altstadtviertel Boca am Tag reizvoll. Des Nachts soll man sich allerdings nicht zu tief in dieses kriminelle Viertel vorwagen. Vor zwanzig Jahren begann hier wegen der Überfälle das Beizensterben. Ab sechs Uhr abends sei alles geschlossen. In der übrigen Stadt bewegt man sich in gewohnter Sicherheit.

 

Papst Franziskus, der in dieser Stadt gelebt hat, geniesst bei unserem Stadtführer und wohl bei vielen Argentiniern keinen guten Ruf. Er habe mit den Kirchners/Peronisten unter einer Decke gesteckt und durch den Vatikan kistenweise Geld gewaschen. Über die Beziehung des Papstes zu der jetzt mitregierenden Tochter Perons gibt es in den Medien widersprüchliche Darstellungen. Die katholische Kirche habe in Argentinien an Bedeutung verloren, sagt der Guide.

 

Evita Peron, die zweite Frau des damaligen Präsidenten, werkte als Prostituierte, machte sich an den Präsidenten heran, trat als grosse Wohltäterin auf und wird von vielen als Heilige verehrt. In Wirklichkeit hat ihre „Stiftung“, wie unser Guide aus eigener Erfahrung erzählt, vielen Unternehmen das Genick gebrochen, indem die kriminellen Eintreiber monatlich vorgefahren sind, um unter Drohung die „Sozialabgaben“ einzutreiben. Evita hat sich an dieser „Stiftung“ auch selber bereichert. Die Sozialdiktatur hat in siebzig Jahren das ganze Land in den Dreck gefahren. Heute sind nach vier Jahren Unterbruch die Peronisten wieder an der Macht.

 

Das Warten im Hafen von Zaraté bei 32°C ist sehr anstrengend. Schliesslich kann ich mein Womo unversehrt, und offenbar nach dem Ausschiffen im Hafen von Zaraté mit Klebestreifen plombiert, in Empfang nehmen und nach acht Stunden Warten in der Hitze zum ersten Camp in San Antonio de Areco fahren.

 

Mal gucken, was alles fehlt. Bei mir stehen alle Türchen offen. Einiges ist aus den Kästen herausgefallen. Geklaut hat man offenbar bei mir nichts. Die Verstecke haben nichts hergegeben. Bei anderen Mitreisenden fehlt dies und jenes. Die Ratten haben zugeschlagen. Einer steht ohne Hosen da. Seine Frau ohne Schuhe…und vieles mehr.

Ein Tanklastwagen fährt auf das Camp, um unsere Flaschen und meine Flaschentanks mit Gas zu füllen. Wegen des Verschiffens mit Grimaldi musste ich mir neue absolut leere Tanks einbauen lassen. Die Schläuche passen nun hinten und vorne nicht. Was im Handumdrehen erledigt sein könnte, scheitert an Schlauchanschlüssen (schweizerisch, deutsch) die nicht zueinander passen. Walter und Claus, das Universalgenie, wissen Bescheid und Claus leitet mich an, überhöhte Metallteile abzuschleifen, damit die Dichtungen zum Zuge kommen. Das kostet Claus viel Zeit, klappt und beschäftigt mich den ganzen Vormittag. Diesel, Wasser und Lebensmittel kriege ich in Areco. So bin ich nun gerüstet für den Trip nach Süden.

 

In S.A.d.Areco findet ein Gaucho-Pferdevolksfest statt. Stundenlang galoppieren immer wieder neue Gauchos mit Pferdegruppen vor die Richter und drehen im Kreis oder im Achter sehr aufmerksam hintereinander her. Sooou schööön! Das für mich unglaubliche Verhalten dieser Pferde: ob sie sich präsentieren oder unter tausenden auf der Weide herumziehen, sie verlassen nie ihre Gruppe. Wenn Eines doch einmal abgedrängt wird, gerät es in Panick.

 

Weideland, Weideland, Weideland! Unendliche, grüne Flächen. Stunden- und tagelang durchfahre ich die Ebenen auf zirka zweihundert Metern über Meer. Vereinzelt Viehherden und Pferdekoppeln. So weit! Sooou schööön!

 

Gelegentlich entgegenkommende Busfahrer grüssen mit Winken oder Lichtzeichen. Achtzig Prozent der Lastwagenchauffeure hantieren am Handy. Einer kriegt sein kurvendes Gefährt vor mir gerade noch auf die Reihe.

 

In Monte Hermoso liegen wir zum ersten Mal am offenen Atlantik an einem wunderbaren Dünenstrand. Die Polizei weist uns freundlich auf einen Abschnitt mit hartem Grund, damit wir anderntags wieder starten können. Es regnet bei der Ankunft und während der ganzen Nacht, was mich nicht abhält, am Strand zu spazieren und Bekanntschaft zu machen. Ein Stuhl und Matetee wird mir bei einem einsam stehenden Landrover angeboten. Das enteneiergrosse, gallertartige Ei mit gummizäher Aussenhaut sei von einer faustgrossen Schnecke, erklären sie mir.

 

„Motor kontrollieren lassen“. Das ist eine unangenehme Meldung. Nach achtzig Kilometern erreiche ich Bahia Blanca. Beim Walmart kommt ein junger Mann angefahren, dem das Womo sehr gefällt. Ich lasse ihn seinen Traum von Innen schauen. Danach frage ich, ob er eine IVECO-Werkstätte kennt. „Bei denen habe ich bis vor vier Jahren gearbeitet. Folge mir, ich führe dich dorthin.“ Dreissig Minuten dauert die Abkürzung in rasantem Tempo durch die Stadt. Bei der Werkstätte sagt er: „Frag`nicht wann und warum!“ und reicht mir die Hand zum Abschied. Schon ist er weg. Ein unglaublicher Typ. Der junge Mechaniker bei IVECO verständigt sich mit dem Handyübersetzer. Die Fehlermeldung heisst: „Der Schlüssel ist blockiert!“ Dabei arbeitet er andauert einwandfrei. Fehlmeldung! Sämtliche Mechaniker, der Werkstattchef, der Kassier und schliesslich noch der Boss. Alle nehmen sie eine Womo Innenbesichtigung mit grossem Interesse dankend an.

 

Beim Empfang an der Steilküste von El Còndor empfangen uns tausende farbige Felsensittiche auf den Netzdrähten. Ihre Nester haben sie in die Steilküste geschlagen. Unaufhörliches und lautes Gekreische. Ob man je ihre Sprache mit dem handy wird übersetzen können? Die Felsensittiche finden ihren Brutplatz auch im dichten Nebel, der ab und zu vom Meer her aufzieht.  Sooou schööön!

 

Beim Einfahren auf die Halbinsel Valdez begrüssen mich bereits die ersten, flinken, „lamaähnlichen Tiere, Guanacos“! Sie gehören zu den Kamelen und sind die Vorfahren der Lamas.

 

Auf der Bootfahrt sieht man garantiert Südkaper-Wale und Delfine. Sooou schööön!

Die Magelanpinguine an der Ostseite der Halbinsel sind gar nicht scheu. Die gelegentliche Hitze kann ihnen offenbar nichts anhaben.

 

Die faulen Säcke von Seeelefanten hopsen gerade mal fünf sechs Mal am Stück weiter den Strand hoch, wenn das ansteigende Meerwasser sie am Schwanz kitzelt.  Dann sonnen sie sich wieder, bis das Wasser sie erneut einholt. Das wiederholen sie bis zum Höchststand der Flut.

 

Orcas ziehen gelegentlich hier vorbei. Zur Aufzucht ihres Jungen preschen sie bis auf den Sandstrand vor, um junge Seelöwen oder Seeelefanten zu schnappen.   

 

  

 

November 2019 TEIL2

 

Heute packe ich den Wagenheber und den Radschlüssel aus. In zehn Minuten ist das Rad gewechselt. Die Arbeiter, deren hinteres Rad am Bus geplatzt ist, führen zwar ein Reserverad, aber keine Werkzeuge mit. Sie bedanken sich für das Ausleihen meiner Instrumente herzlich.

Auf der Bootsfahrt zu verschiedenen Inseln auf dem Rio Deseado bei Puerto Deseado sehe ich Magelanpinguine, Austernfischer und nebst Möwen fünf verschiedene Arten Kormorane in den Steilküsten nisten. Delfine schwimmen neben dem Boot her. Das Meerwasser dringt von der Mündung bis vierzig Kilometer in den Fluss hinein.

 

Zwei Brüdern reisst es in voller Fahrt das Frontdachfenster aus der Fassung und zerschmettert es am Boden. Improvisation auf Dauer ist gefragt. Mangels besserer Stoffe entscheidet man sich für Täferbretter, die kunstvoll eingebaut werden. Walter, Sigi und Claus legen mächtig Hand an und verbringen den planmässigen Ruhetag mit Werken. Man witzelt, sie verpassen dem Womo einen Swiss Chalet Ausdruck.

 

Guanacos, diese Lamaahnen, grasen mit Vorliebe entlang den Autostrassen, wo Dank der geschürften Strassenränder ein feineres Gras wächst als in der Büschelpampa. So bekommen wir sie sehr oft zu Gesicht. Auch die Strausse sind da zahlreich. Sooou schööön!

 

Ab San Juliàn südwärts, oder anders gesagt, nach dreitausendvierhundert gefahrenen Kilometern, macht ein Steuerrad im Auto endlich einen Sinn. Hie und da führt die Strasse um eine Kurve und mal hügelrauf und hügelrunter. Nach der „Einöde“ bekommt das Auge wieder Lust am Schauen und lässt die Bilder auf den Grund der Seele sinken.

Kurz nach dem Kratersee Blaue Lagune stauen wir uns vor der argentinisch/chilenischen Grenze. Den Stromausfall beheben die Grenzer rasch und fertigen unsere zwanzig Wohnmobile flott ab. Das Wichtigste für sie ist die Futterkontrolle. Da darf keine frische Frucht und kein frisches Gemüse die künstlich verlegte Grenze passieren. Am nächsten Tag müssen wir umgekehrt bereits wieder über die chilenisch/argentinische Grenze raus. Dieses Procedere wird uns noch manchmal lästig treffen.

 

Eine Fähre schafft unsere Wohnmobile in vierzig Minuten bei Kirimi Aike über die Magelanstrasse. Feuerland ist betreten! Die Magelanstrasse wird heute durch Chile beherrscht. Durch diese Wasserstrasse hat Magelan 1520 die Durchfahrt vom Atlantik zum Pazifik gefunden, aber selber nicht mehr erlebt. Darwin hat hier seine Naturbeobachtungen niedergeschrieben und oh Graus: Die Franzosen haben zwei Ureinwohner von Feuerland nach Frankreich verschleppt und als Mitbringsel dem Volk in Käfigen zur Schau gestellt. Abscheuliches Gesindel, diese Entdecker.  

 

Die Salesianer haben Missionen erstellt. Den Einheimischen mit ihren Guanacofellen am Leib „zivilisierte Kleidung“ aus Europa übergezogen und Kultur beigebrach! Die Tuberkulose und andere Krankheiten eingeführt, das Volk seiner Eigenständigkeit beraubt und dem Untergang geweiht. Ureinwohner gibt es nicht mehr auf Feuerland. 1947 wurde die Missionsstation in Rio Grande aufgegeben.

 

Anderseits hat der Waisenknabe und Missionar… geschafft, ein Wörterbuch mit 30`000 indigenen Wörtern zu sammeln. Seine Finka ist die älteste europäische Siedlung auf Feuerland.

 

Auf Feuerland fahre ich eine Strecke auf chilenischem Territorium. Die Strassen sind noch perfekter wie die Argentinischen. Auf geschürfter Erde an Strassenrändern blüht im November der Löwenzahn. Frühling! Es gibt Gehöfte für Herdenbesitzer. Die bisher üblichen Büschelflächen sind meist durch karges Grasland mit Schafen bewirtschaftet. Knorrige Bäume voller Flechten bilden einen Sagenwald. Hügellandschaft und sogar ein kleiner Pass, der Paso Garibaldi (420m), führt in die Berglandschaft an der Magelanstrasse um Ushuaia.

 

Nach 4370 Kilometern von Buenos Aires bin ich in Ushaia, Argentinien angekommen (3070 Kilometer sind es auf direktem Weg auf der NR 3). Fünfzigtausend Einwohner zählt die südlichste Stadt in Südamerika. Baustil gibt es keinen. Jeder verwirklicht seine Idee und Farbe vom Eigenheim hangaufwärts.

 

Mit einer kräftigen Wanderung im Nationalpark bis zur Bahia Lapataia fasse ich sozusagen Fuss auf Feuerland, einem anderen Ende der Welt als auf all meinen bisherigen Reisen. Sooou schööön!

 

Ab heute, 25. November 2019 fahre ich zurück Richtung Schweiz. Aber der Weg wird noch sehr, sehr lang sein.

 

Mit der Fähre verlasse ich Feuerland über die Magelanstrasse, verlasse den Atlantik und quere über das Festland Patagonien entlang zum Pazifik.

 

Zu früh gefreut! Panne am argentisch/chilenischen Zoll. Mein Womo startet nicht mehr. Überbrücken hilft nichts, erst das Abschleppen, Anziehen durch ein zweites Womo, das von Bärbel und Hans. So komme ich wenigstens aus dem chilenischen Zoll raus auf den Parkplatz, auf dem alle Womos die Nacht verbringen. Mitreisende verharren starkem Wind und Kälte stundenlang bei mir und meinem kranken Womo. Siggi und Claus legen stundenlang Hand an, um das Ding wieder flott zu kriegen. Aber nichts geht. Die Fehlermeldungen und Fehlverhalten meines Womos werden immer komplexer. Schliesslich passt nur noch der dritte Gang rein, ohne auf Neutral schalten zu können. Aber 340 Kilometer in keinem anderen als im dritten Gang und während vierzig Minuten auf der Kupplung bleiben bei der Überfahrt mit der Fähre über die Magelanstrasse bis zur Werkstatt in Punto Arenas schaffe ich nicht. Jeanette, die Reiseleiterin, organisiert mir mit ihren Beziehungen einen Huckepack-Lastwagen und weil es schon tief Nacht geworden ist auch gerade noch ein Spaghettiessen in ihrem Womo. Die Hilfsbereitschaft von allen ist überwältigend. Menschlich gesehen sind wir eine feine Truppe.

 

Meine Mitreisenden fahren jetzt anderntags zu den Königspinguinen, die vergeblich auf mich warten. So schade! Ich bleibe vorerst mal an Ort und Stelle liegen. Draussen pfeift der Wind wie fast jeden Tag. Nachts fällt das Thermometer auf fünf Grad.

 

Königspinguine!! Wau!! Bärbel und Hans machen mir das Angebot einer Extrafahrt zu den Königspinguinen und zurück zum Womo. Das macht hundertzwanzig Kilometer Extra-Freundschaft-Bonus. Die Königspinguine, vom Eis der Antarktis ins Grüne verschlagen, sind wirklich eine Extraklasse. Sooou schööön!  

 

Matias kommt um 16.15 zum Zoll, wo ich immer noch stehe. Mit Hämmern unter meinem Womo und Biegen und Brechen am Schaltstock bringt er mittels Überbrückung das Ding zum Laufen. Jetzt drückt aber sein Fuss auf das Kupplungspedal, das ich nicht mehr loslassen darf, weil kein Neutral mehr reingeht und das Fahrzeug nur nicht bockt, wenn der Motor läuft! Also wechseln unsere Füsse zentimeterweise den Platz auf dem Kupplungspedal. Geschafft!

 

Matias stellt sein Fahrzeug vor meines hin und bereitet mit Brettern eine Entschärfung der steilen Rampe zum Aufzug vor, hängt sein Zugseil an mein Womo und nach einiger Zeit versuche ich meinen rechten Fuss auf dem Pedal durch den linken zu ersetzen, weil meine Wade bereits zittert. Während ich bei laufendem Motor auf der Kupplung das Ziehen ermögliche, schleppt mich Matias mit der Winde Zentimeter für Zentimeter auf sein kleines Cabriolet. Welchen Schaden das am Womo verursacht, klage ich dir nicht. Matias hat ja nur zwei Augen. Mit viel Improvisation hat er eine Holzbrücke vor die Rampe gebaut, damit ich mit meinem grossen Überhang hinten nicht am Boden kratze. Trotz seiner Vorsicht bleibt eine Wagenstütze in der Auffahrrampe hängen und reisst ein Loch in den Garageboden. Naja, jetzt habe ich es dir doch geklagt. Übrigens, nachdem das Auto verladen ist, bittet Matias mich, die Wagenhydraulik auszufahren, um ein grösseres Schwanken der Last zu verringern. Mache ich. Peng! Die Abschleppschraube an meinem Womo hat diese Spannung nicht ertragen und ist abgebrochen! Welche Gewalt!

 

Das Vertäuen braucht viel Zeit, damit wir möglichst sicher auf der Strasse sind. Jetzt geht’s los. Ich wage nicht in den Rückspiegel zu schauen, ob das Ding hält. Bei der Fähre werden nochmals Brücken unterlegt, damit des Schläppers Hinterteil mit der fünf Tonnen schweren Last nicht aufkratzt. Geschafft! Beim Entladen drängt der Schiffsbeamte mit Zeichen: komm, komm, komm. Es geht schon! Wir hören ein Knacksen. Zurücksetzen und etwas Abstand zur Schiffswand bekommen. Was ist kaputt gegangen? Es ist dunkel. Keiner sieht es. Am andern Tag entdecke ich, ein Warnlicht oben am Womo ist weg. Ok. Das können wir verkraften.

 

Weiter geht die Fahrt. Es sind noch hundertsiebzig Kilometer bis zur Werkstatt in Punta Arenas. Langsam kommen wir voran. Mitternacht ist vorbei. Mir fallen die Augen zeitweise zu, obwohl es im kleinen Laster hundekalt ist. Es gibt keine Heizung. Ab und zu sehe ich einen Hasen über die Strasse flüchten. Meist in falscher Richtung! Um ein Uhr macht`s Peng und Matias versucht sein Fahrzeug mit der schweren Last möglichst auf der Strasse zu halten und bleibt schliesslich stehen. Nachgucken! Hinten rechts sind beide Reifen geplatzt! Wir schauen uns an. Ich sage: „manana“. Matias sagt „manana“.

 

Glücklicherweise gibt es links von uns eine nicht benutzte Einfahrt zu der „Estancia Quatro Hermana“. Die „vier Schwestern“ brauchen die Einfahrt auch am Morgen nicht. Wir trinken einen Tee in meinem aufgebockten Womo, heizen den Innenraum und legen uns dann ruhig schlafen. Es ist ja Gott sei Dank nichts passiert! Die Schutzengel sind zur rechten Zeit aufgeschreckt!

 

Matias steigt um sechs Uhr lautlos aus dem Womo und installiert seinen Wagenheber. Er hat ein Reserverad dabei. Zwei sind kaputt. Als ich mich aufmache ihn zu wecken, arbeitet er bereits unter seinem Laster. Er bedeutet mir: „Dein Reserverad passt auf mein Auto“. Ich packe es aus, während er sein erstes Rad abnimmt. Beim zweiten hat er kein passendes Werkzeug für eine Vierkanntkopfschraube dabei. Wir sind aufgeschmissen. Dann entdecke ich, dass der Schraubenlöcher an meinem Reifen zwar gleich viele sind, aber der Durchmesser nicht passt. Matias überlegt mit nur einem Rad zu fahren und will noch meine Meinung. Wir entscheiden uns für „geht nicht!“. Jetzt ruft er mit meinem Handy, mit seinem hat er achtzig Kilometer vor der Stadt keinen Empfang, Hilfe von einer Garage herbei. Das bedeutet etwa zwei Stunden Warten. Macht nichts, so habe ich jetzt Zeit, dir diese Ereignisse frischerlebt aufzuschreiben. 

 

Just in diesem Moment kommt die Hilfe von Punto Arenas angefahren. Mal schauen, wie es weitergeht.

 

Ein mitgebrachter Reifen wird mit Manneskraft auf die mit ebenfalls Manneskraft reifenbefreite Felge gewuchtet, aufgepustet. Dann beide Räder abgenommen und die Neuen aufgesetzt. Was ich so locker schreibe dauert auf freiem Feld zwei Stunden.

Nach zwanzig Stunden erreichen wir um 13 Uhr, Matias und ich mit dem Schlepper und dem havarierten Womo, die Garage von Marcelo im chilenischen Punta Arenas.

 

Marcelo, der Chef-Mechaniker und Bastian, der sofort ans Werk geht, wagen keine Prognose, weder eine materielle noch eine zeitliche. Die Reparatur wird einige Tage dauern. So die Vermutung. Meine Truppe fährt nordwärts, auch die Reiseleitung nachdem sie mich empfangen, zum Geldziehen und Einkaufen begleitet haben. Die Aufmerksamkeit aller Beteiligten ist super!

  

Für mich ist das möglicherweise eine himmlisch verordnete, personenbezogene Übung zum Thema Warten im Advent, der jetzt beginnt. Sooou … himmlisch?

 

 

 

Dezember 2019

 

In Punta Arenas, Chile, wo mein havariertes Womo geflickt wird, bekomme ich beim sechsten Vermieter, ich will gerade die Suche aufgeben, mit Glück einen Toyota RAV 4. Damit verpasse ich wenigstens nicht den Anblick der Torres del Paine im Nationalpark im südlichen Chile. Vor dem Park, es will schon Abend werden, lege ich mich im Auto schlafen. Das geht recht ordentlich, bis es mir um halb vier zu kalt wird und ich die Motorheizung einschalte. Just da kommt auch schon die Gendarmerie und kontrolliert meine Ausweise. „Gute Nacht, schlafen Sie gut!“

 

Von der Südseite des Nationalparkes angegangen ist es der Greygletscher, der im Abendlicht leuchtet. Das Cerro Paine Grande Massiv (3247m) mit mächtigen Gletscherabhängen, schmeisst ab und zu mit dumpfem Donnern Teile ins Tal herunter. Die Painehörner sind interessant geschichtet, verdecken vom Süden her gesehen zusammen mit dem Monte Almirante Nieto die Torres del Paine. Um diese glatten Granitzähne zu sehen, fahre ich zum kleinen Wasserfall Cascada Paine. Jetzt offenbaren sich auch diese weltberühmten Schönheiten. Ja, das alles ist eine Reise wert und sooou schööön!

 

Der Greygletscher stösst pro Jahr viele Meter in den See vor. Abgebrochene Eisschollen werden zu einer kleinen Halbinsel herangetrieben, wo sie für uns Touristen stranden und wo einige Türme und Flanken mit dumpfem Geräusch bersten.

 

Gelegentlich ein Kondor, der seine Flügelspitzen spreizt. Guanakos, die mich nicht anschauen, sondern so tun, als seien sie an meinen Besuch nicht interessiert. Ein Hase, der in Gesellschaft davonhoppelt. Eine Maus, die erst meine Schuhgrösse misst und dann eiligst davonsprintet. Der Grey Fuchs, der witzig daher lugt und dann weitertrottet. Freche Raubvögel, die nachts auf dem Auto herumhacken, um die Gummis zu klauen. Spatzen mit ziemlich roten Halskrausen und mir unbekannte Vogelarten unterhalten mich stundenlang. Sooou schööön!

 

Frühlingsblumen und Orchideen am Wegrand reizen mit ihren Farben. Sooou schööön!

Im Pehoe Camping bin ich ganz überrascht, meine Leute und Womos zu sehen. Aufs Herzlichste werde ich wie der verlorene Sohn willkommen geheissen und mit auf eine Wanderung genommen. Da ist schon was Feines an Gemeinschaft gewachsen!

 

Wie kann das nur sein, beim Wechseln vom Fernglas zur Brille und Brille zum Fernglas verliere ich die Brille. Auf halben Weg eile ich zurück. Nichts mehr da. Ich schimmere beim Lesen und Schreiben durch die Buchstaben. Anderntags nehme ich diese vier Kilometer nochmals auf mich. Nichts zu finden. Wie auch, wo so viele Leute wandern. Am dritten Tag kann ich mir in Puerta Natales eine Lesebrille kaufen. Klarsicht im Nahbereich. Schlaftrunken beim Herumwursteln im Mietauto gibt meine Brille ihr Versteck auf dem Rücksackboden auf. Da bin ich wieder!

 

Die vor Jahrtausenden aus dem Mergel ausgewaschenen Höhlen sind gewaltig. Vor allem die des Milodòn. Das Milodòn ist ein Urtier auf vier Beinen. Reste eines Tieres wurden in der Höhle entdeckt. Es lebte vor vierzehn- bis zehntausend Jahren. Spuren von menschlichem Leben und der Vegetation vor Jahrtausenden finden sich auch in den Höhlen. Es könnte sich um die ersten Menschen auf dem südlichen Kontinent handeln.   

Zurück in Punta Arenas lade ich Leute in der Umgebung gern zur Womobesichtigung ein. Das Womo steht ja nun seit einer Woche hier rum. Nur der dreiundzwanzig jährige Mechaniker liegt meist unter dem Auto im Strassendreck und arbeitet. Flugs nehmen die Nachbarn das Angebot zur Besichtigung an. Ich bekomme zum Dank sofort Namen und Telefonnummern, sogar Küsschen und „wenn du was brauchst, ruf mich einfach an“. Sooou schööön!

 

Die Regenschauer, sofern es sie gibt, sind in Argentinien und Chile bisher von kurzer Dauer. Aber der Wind peitscht, rüttelt und schreckt fast unaufhörlich und ungehindert über das flache Land.

 

Die lange Weile im weiten Land und der peitschende Wind sind zwei Dinge, die man auf dieser Reise aushalten können muss. Bisher schaffe ich das gut. Die Argentinier und Chilenen schaffen das ein ganzes Leben lang.

 

An Autostoppern kann ich kaum vorbeifahren. Bereits vier Mal habe ich welche mitgenommen. Die sind doch verloren so allein in der weiten Pampa? Askihundezüchter, Hotelkoch, Globetrotter aus Frankreich, Rezeptionistin im Hotel.  Interessante, dankbare Leute verkürzen mir gemütsmässig die Wegstrecken.

 

Von Renato Kusch werde ich spontan zum Mittagessen eingeladen. Monika, seine Frau, Katia und Javiera, ihre Töchter sind mit dabei. Das Womo steht eine Woche lang vor ihrem Haus. Eine spontane Einladung! Sooou schööön!

 

Um 16 Uhr am 5. Dezember 2019 verabschiede ich mich etwas wehmütig vom Mechaniker Bastian und seiner Schwester im Büro, Fernanda. Ihr Vater Marcelo holt mich auf der Autostrasse ein, um mir richtig tschau zu sagen. So tolle Menschen!

Freie Fahrt, die Gruppe einzuholen! In zwei Tagen kann ich das schaffen. Ausserhalb der Stadt geht es etwas bergauf. Was ich sonst im sechsten Gang schaffe, schaffe ich im Fünften nicht und nicht im Vierten. Die Kupplung stinkt. Anhalten. In Begleitung von Bastian zurück zur Werkstatt! 12 Kilometer im dritten Gang. Die Kupplung ist kaputt. Die muss ausgebaut, nach Möglichkeit repariert oder ersetzt werden. Bei allen Probefahrten war das kein Problem. Was soll`s. Ich fühle mich ja bei den Mechs und in der Nachbarschaft wie zu Hause. 

 

Was denkst du? Pech oder Glück? Beides. Pech, dass die Kupplung hin ist. Glück, dass ich nur 12 Kilometer von der Werkstatt, besser beschrieben vom Werkkiesplatz, weg bin. Für mich überwiegt Letzteres! Suerte!

 

Die Mechs liegen stundenlang auf dem Rücken und werken mit Brecheisen das Getriebe heraus. Ich höre kein einziges Stöhnen oder Fluchen. Dieselbe menschliche Qualität wie die Mechs bei Fürk AG in St. Gallen! Die Sicherheit gibt mir zu denken! Das Womo ist nur mit meinen Stabilisatoren aufgebockt und die darf man nicht einmal fürs Räderwechseln missbrauchen!

 

Um 19 Uhr ist das Getriebe auf abenteuerliche Weise runter und die Kupplungsscheibe ausgebaut. Der Kupplungsbelag ist total abgebaut. Marcelo fährt direkt zur Spezialwerkstätte für Bremsen und Kupplungen… Am andern Tag muss Bastian noch ein weiteres verkoktes Teil ausbauen, das Schwungrad. Weitere Tage warten sind die Folge.

Jedermann versucht mir das Warten attraktiv zu machen. Nachts bin ich bei den Nachbarn (Renato ist Manager von zwei städtischen Friedhöfen) zum heissen Ofen eingeladen. Fernanda fährt mit mir ins Skigebiet über der Stadt und zur Costa Nera in Punta Arenas runter. Gisela, eine künftige Reisebegleiterin von Lima bis Mexiko, wartet, bis ich Zeit finde, denn Renato lädt mich zur Fahrt in sein Landhaus ein. Janette informiert mich über eine Autovermietung, die Autos zur Verfügung stellt, mit denen ich über die chilenische Grenze zu den argentinischen Gletscherparks fahren kann. Mir genügt es aber völlig, dass ich so tolle Kontakte zu den Menschen vor Ort finde.

 

Die Messe in der Maria Hilf Kirche folgt ganz dem römischen Ritus. Manche mögen das als beheimatend empfinden. Auf der ganzen Welt derselbe Ritus. In mir bewirkt es eher das Gegenteil. Ich würde gern einen veränderten Ritus erleben, wo das Südamerikanische Ausdruck findet. Der römische Ritus scheint mir zu trocken für das Lebensgefühl hier. Freikirchen gehen lebensnaher damit um.

 

Was für ein kultureller Wandel im Begräbniswesen. Der historische Friedhof, eine Stiftung von Sara Braun von fünf Hektar Land ist vollbepackt mit Mausoleen, Erd- und Wandgräbern. Soweit so gut,  aber von der Stifterin sagt man, sie hat die Ureinwohner rücksichtslos mit Schafen ersetzt!

 

Immer mehr findet das Kremieren statt. Der moderne Friedhof ist ein weitläufiger Park mit gepflegtem Rasen. Eine kleine Platte mit dem/den Namen liegt auf der Erde. Dazu ein paar Plastikblumen gut befestigt wegen des immer starken Windes hierzulande. Patagonien ohne Wind ist nicht Patagonien, sagen Einheimische.

 

Einheimische? Ich begegne unter Freunden Menschen von urgrossmütterlicher und urgrossväterlicher Seite aus allen Staaten Europas. Spanier, Franzosen, Schweizer, Jugoslawen, Polen, Kroaten, Niederländern und mehr. 

 

Beachtliche Begrüssungskultur unter Jungen. Am Nachmittag versammeln sich wie immer Jugendliche auf der Plaza de Armas, um mit ihren kleinen BMX Fahrrädern neue Kunststücke einzuüben. Jeder, der neu ankommt, geht bei jedem vorbei, berührt die Handfläche des Andern und stösst dann mit der Faust symbolisch an die Faust des Partners. Ohne Ausnahme! Und es sind bis zu dreissig Jungen auf dem Platz! Keiner wird übergangen! Sooou schööön!

 

Weihnachtsbäume mit Kugeln behängt glitzern vom ersten Advent bis zu Weihnachten in den Stuben. Kerzen braucht es nicht. Die Tage werden immer länger. Nachts bleibt es schon jetzt nur noch vier Stunden dunkel.

 

Nach vierzehn Tagen Panne baut Bastian am 11. Dezember 2019 die Kupplung und das Getriebe mit Brachialgewalt wieder ein. Gute Neuigkeiten!

 

Mein Nachbar Renato bringt mir, während meine Mechs arbeiten, Krabben und Salat zum Mittagessen. Umwerfend diese freiwillige Betreuung. Sooou schööön!  

 

Um 18 Uhr drehe ich den Zündschlüssel für die Probefahrt. Das Kupplungspedal lässt sich nicht treten. Zündung. Nichts passiert. Morgen werden wir weiter schauen! Es klemmt das Kupplungspedal und der Startermotor tut keinen Wank. Wenn das so weitergeht, beginne ich Mailänderli zu backen. Bald ist Weihnachten!

 

Dem neuen Relais müssen grössere Gewinde gebohrt werden, damit das Teil an meinen Starter passt. In der Pressleitung der Kupplung ist Luft drin. Ein Spezialist weiss anderntags Rat, indem er das versteckte Gummi unter dem Deckel aus der Leitung herauszieht und dann Öl nachfüllt! Würden sich die Mechs nicht dauernd schon im Dreck winden, würden sie das jetzt aus Scham tun, nicht selber auf diese Gummiidee gekommen zu sein. Kann passieren!

 

Ein herbeigerufener Elektriker, Serjio, versucht mir die Scheibenwischeranlage zu reaktivieren. Weil alles elektronisch fehlgesteuert wird, weiss er nichts Besseres, als mir eine direkte Leitung zu legen, so dass ich dann per on/off-Schalter dem Regen trotzen kann. Er bohrt ein Loch, um das Kabel in die Führerkabine durchzuziehen. Kappt die Kabel und verlötet sie mit seiner Lösung. Viel Arbeit. In dieser Zeit prüft Bastian alle möglichen Kurzschlüsse und findet den Hund. Ein durchgescheuertes Kabel hinter einem Abblendlicht. Nach dem Reparieren dieser Leitung erlöschen alle Fehlermeldungen auf dem Panel und die Scheibenwischer und das Fenster, etc werken wieder. Serjio baut seine Zwischenlösung wieder aus und verlötet neu/alt. Was glaubst du, wie ich dreinschaue?

 

Am 13. Dezember verlasse ich Punta Arenas. Alles Ok? Nach zweihundert Kilometern beginnt das Kupplungspedal zu lahmen. Ich muss es mit den Fussspitzen hochziehen. Die Grenze passiere ich ohne Schwierigkeiten, denn meine Essensresten sind seit Tagen aufgebraucht. Die suchen immer nach Obst und Gemüse.

 

Morgens um eins fahre ich in Rio Gallegos ein. Auf der Hauptstrasse bin ich plötzlich blockiert. Ein Fussballfest tobt. Ich sitze in der Falle, denn der Rückwärtsgang lässt sich nicht einlegen. Ich warte ab und verhandle dann mit Leuten auf der Strasse. Sie lassen mich passieren. Um zwei bin ich vor der IVECO, aber es ist die falsche Adresse. Also wechsle ich nach wenigen Stunden Schlaf zum richtigen Ort. Keine Kapazität mir zu helfen! Auf intervenieren meiner Reiseleiterin vermittelt er mich an einen Kollegen, der mich abholt und zu seiner Werkstätte in die Pampa führt. Obwohl andere anstehen, beginnt er, es ist Samstag, seine Arbeit. Die Gänge lassen sich im Ruhestand gut einschieben. Toll. Nach einer Stunde Arbeit kann ich wieder einmal starten! Bei laufendem Motor lässt sich aber der Rückwärtsgang nicht einlegen!

 

Es werden Tage folgen und wir stehen irgendwo, was nur noch das GPS genau zu beziffern weiss. Ein halbes Dutzend Leute gehen da in der Einmannwerkstatt ein und aus. Zum Mittagessen bin ich - für sie selbstverständlich - zum Grill eingeladen. Es ist Samstag. Am Sonntag werden sie Rippen grillen. Das Grillen in der Werkstatt am Wochenende sei eine Tradition unter Freunden. Am Montag wird die Arbeit weitergehen… Ich bin jetzt zweitausend Kilometer hinter der Gruppe her und sie bewegt sich weiter. Ich mich nicht!

 

Die Argentinier leiden unter Arbeitsmangel und Geldentwertung. Für sechzehn Pesos hast du vor wenigen Jahren einen Dollar bekommen. Heute brauchst du sechzig Pesos hinlegen.

 

Ramòn, meinem Mech, tut der Kopf weh. Er hat gestern wie jedes Wochenende etwas viel Wein getrunken. Ich frage ihn beim Warten auf bessere Zeiten in Rio Gallegos nach seiner Familie. Seine Frau ist vor sieben Jahren an Krebs verstorben. Fünf Kinder. Seine jüngste Tochter ist zehn, sein ältester Sohn siebenunddreissig. Seine Frau musste während Jahren alle sechs Monate die dreitausend Kilometer nach Buenos Aires zur Behandlung und zurück gebracht werden. Was sind das für kleine Dinge, die mich mit meinem Womo umtreiben! Wirklich und lächerlich zugleich.

 

Am Montagabend um fünf hat Ramòn die Kupplungsgeber und –nehmerteile als Ganzes eingebaut. Jetzt starte ich nach einem emotionalen Abschied zur Probefahrt nach El Calafate (340km) durch. Das Seitenfenster lässt sich nicht schliessen. Ich fahre trotzdem Regenwolken entgegen. Ich muss da durch. Nach achtundsechzig Kilometern funktioniert es wieder. Es folgen zwei weitere volle Fahrttage mit tausend und neunhundertsechzig Kilometern. Dann bin ich nach drei Wochen Panne am 18. Dezember um Mitternacht wieder bei der Gruppe!   

 

Dazwischen überquere ich die argentinisch/chilenische Grenze. Bei jedem Grenzübertritt wird nach frischem Obst und frischem Gemüse gesucht, was nicht mitgeführt werden darf. Bei dieser Kontrolle die übliche Frage: „Fährst du allein, nicht verheiratet?“ „Nein, ich bin katholischer Priester“ und zeige ihnen entsprechende Fotos auf meinem Handy. „Bitte segne mich,“ sagt der junge Zöllner zwei Mal, bis ich verstehe, dass er es ernst meint. Dann mache ich ihm ein Kreuzzeichen auf die Stirn, spreche ein Segensgebet und lege ihm die Hand auf. „Bitte segne auch mich“, sagt die Beamtin. Ich habe noch nie - mit Tränen in den Augen - solch bewegende Momente beim Zollübergang erlebt. Erinnerst du dich an mein Segensgebet, das ich bei jedem Fahrtbeginn für mich spreche? „Gott segne die Welt in der ich lebe. Gott, segne den Weg, den ich jetzt gehe. Gott segne das Ziel, für das ich lebe. Gott segne mich, damit ich andere Menschen segne.“ und meine damit „anderen Menschen zum Segen werde“. Natürlich ist mir jetzt auch die Geschichte von Jesus mit dem Zöllner sehr nahe. Diese Geschichte hat sich gerade so ähnlich wiederholt. Nur bin ich beschämt. Ich bin der Sünder! Während die Beamten mich bitten, sie zu segnen, stehe ich auf dem Staufachdeckel, wo die Äpfel, Möhren und Tomaten versteckt liegen. Gott sei dem armen Sünder gnädig!

 

 

Weihnachten 2019 Neujahr 2020

Januar 2020 Teil 1

 

21. Dezember 2019: In Santiago de Chile parken wir unsere Wohnmobile fünfundzwanzig Kilometer vor der Stadt. Es gibt noch immer politische Unruhen. Die Volksdemo soll die Stadt total verändert haben. Roberto, ein Historiker und unser Stadtführer, zeigt uns das an Beispielen auf. Er hat Demos mit allen Wirren und seinen Kindern im Auto bedrohlich erlebt. Ganze Rabatten in der Innenstadt sind niedergetrampelt. Immigranten bewohnen sie mit und ohne Zelten in allem Müll. Der Sprayereien sind untilgbar viele. Eine Verwüstung! Das tut Roberto weh. Aber innerlich steht er auf der Seite des Volkes, hat selber mitdemonstriert und schimpft über die Polizei, die in das brutale Verhalten zu Diktator Pinochets Zeiten zurückgefallen ist. Er ist sichtlich und hörbar geschockt von dieser neuen Polizeigewalt.

 

Als Historiker ist er augenblicklich Zeuge nicht bloss einer Demonstration, sondern eines historischen Wandels, wie er sagt. Die Regierung muss endlich kleinbeigeben und dem Erarbeiten einer neuen, längst überfälligen Verfassung den Weg freigeben. Das Volk wird abstimmen, was in dieser Verfassung Platz haben wird und was nicht. Es überlässt das Erarbeiten nicht den Parteien. Ein Punkt, warum es so viele sind, die protestieren? Wer ein Leben lang Pension einbezahlt hat, bekommt wegen eines Berechnungssystem von hundertzehn Jahren Lebenserwartung, die Reichen bringen es auf achtzig Jahren, gerade mal so zweihundert Dollar pro Monat! Da platzt jetzt dem Volk der Kragen und Jung und Alt stehen fünfundsechzig Prozent zusammen. Bei dieser Dynamik weiss niemand, was er am andern Tag zu erwarten hat. Auch wenn wir am Sonntag ruhig durch die Stadt fahren, kann es am Montag wieder anders zu und hergehen. Jeweils an Freitagabenden ist besonders viel los.

 

Unser Weg führt mich am Montag, 23. Dezember 2019 durch Santiago de Chile und über den dreitausendzweihundert Meter hohen Paso Christo Redentor über die chilienische Grenze in das argentische Mendoza. Ein wunderschöner Passübergang mit über zwanzig totalen, weiten Kurven über eine Schutthalde angelegt. Nach der Passhöhe auf 3200m eröffnet sich auf einem kurzen Spaziergang der Blick auf den Cerro Aconcagua (6962m). Er streitet zusammen mit dem Denali in Alaska der höchste Berg ausser dem Himalaya Gebirgszug zu sein. Sooou schööön!

 

Ich stehe wieder einmal vor einer Grenze (Chile/Argentinien) und Grenzerfahrung! Das Womo springt nicht mehr an und wenn es anspringt, hat es keine Kraft. Gas geben hilft nichts. Claus und Telse schleppen mich durch das Zollgebäude. Ich versuche bergab rollend das Ding zum Laufen zu bringen. Geht nicht. Claus nimmt mich wieder an die Leine und schleppt mich sechzig Kilometer bis nach Uspallata in Richtung Mendoza.

 

Wegen einer Demonstration gegen die Vergiftung von Wasser durch den Abbau in Minen schickt uns die Polizei über eine chaotische Kiesgrube und zurück! Janette und Walter, beides Reiseleiter, bestellen ab Uspallata einen professionellen Abschlepper in Mendoza, harren bei mir aus und begleiten meinen Transport bis Mendoza.

 

Diesmal wird das Womo nur vorn auf Räder gebockt, weil die Tunnel für einen Tiefenlader mit meinem Womo darauf zu wenig hoch sind! Es kommt ein leichtes Nisan Pickup mit einer Rollachse angefahren. Die vorderen Räderabdeckungen an meinem Womo sind zu breit für den Rolli. Zwei Stunden lang versuchen Vater und Sohn diese Dinger wegzukriegen. Geht nicht! Also mitsamt auf den Rolli. Aber wie kommen wir da hoch. Gang einschalten und mittels Batteriekraft öfters zehnzentimeterweise die Rampe hochhüpfen. Oben angekommen sagt Don Raul: „Geht nicht. So kann ich keine Kurven fahren.“ Also wieder runter. Er hat eine Lanze dabei. Diese Stange kann er bei sich nicht einhängen. Er befestigt sie mit einer Kette und Klickschloss an der Anhängerkupplung. Ebenfalls bei mir mit einer Kette exzentrisch links um die Aufhängung der Vorderachse. Wir rüsten uns mit Funkgeräten aus. Um Mitternacht starten wir. Vater zieht mit dem Pickup. Neben mir sitzt sein Sohn Emanuel und mein Reiseleiter Walter  hinter mir. Janette zieht mit ihrem Womo beobachtend und wie sie später gesteht schwitzend hinterher. Walter bittet Don Raul etwas langsamer zu fahren. Walter sieht uns demnächst im Strassengraben!

 

Drei Mal würgt unterwegs der Motor vom Nisan bei leichten Steigungen ab. Für mich bedeutet die Fahrt, nach allem, was die Abschlepperei mit Claus heute schon  gebracht hat, mit eineinhalb Meter Abstand während einhundertzwanzig Kilometern hochkonzentriert mit Bremsbereitschaft und nur mechanischem Bremsen und dem Drehen des Steuerrades nur mit Brachialgewalt ohne Lenkradhilfe im Dunkeln zweieinhalb Stunden am Stück zu fahren. Um halb zwei Uhr kommen wir in Mendoza vor dem IVECO-Werk an. Parken auf dem Mittelstreifen einer vierspurigen Autostrasse, wo auch nachts unaufhörlich die Lastwagen vorbeipreschen. Auf die lichtscheuen Frauen am Strassenrand haben wir keine Lust und legen uns, Walter und ich, im Womo schlafen. Öffnet niemandem die Tür, warnt uns Don Raul! Durch die Windstösse der Lastwagen und Autos werden wir fünf Stunden lang liegend, dösend bis zum Morgen durchgeputscht.

 

Es ist jetzt Weihnachten, 24. Dezember 2019. Die IVECO „arbeitet“ noch bis am Mittag. Wenigstens gucken sich etwa fünf Mechs den Motor an und meinen zu wissen, woran er leidet, nämlich an der Steuerkette. Einer meint, das sei eine regelmässige  Erscheinung nach 250000 Kilometern. Am 27. Dezember soll ich wieder vorbeischauen. Sie hätten dann die ganze Vorderverschalung und den Ventilator abgebaut und sich bis zur Steuerkette am Motor vorgearbeitet. Ich könne dann entscheiden, was ich machen lasse.

 

Ja, was denn? Das Ding muss laufen. Ich habe nämlich in dieser dunklen Nacht die Karte studiert und entschieden, die Reise abzubrechen und sobald das Ding fährt, nach Buenos Aires zurückzukehren. Das sind nur eintausend Kilometer in relativ flachem Gebiet. Mein Rückzug! Die Reiseleitung und meine Gruppe haben genug für mich getan. Ich will niemandem und auch das Womo nicht mehr mit weiteren möglichen Pannen belasten. Ich kann die fünf Tonnen bei diesen Verhältnissen nicht überall abschleppen lassen und nach kriminellen Fahrten sagen: „Es ist noch einmal gut gegangen.“

 

In zwei Tagen stünde der Passübergang über den Agua Negra (4779m) bevor! Und von da am Seil runterlassen? Zudem wäre ich danach auf der chilenisch/pazifischen Seite, dem Fährschiffsverkehr nach Europa abgewandt.   

 

Am Mittag werden Walter und ich bei der IVECO  von der Gruppe zum Mittagessen auf dem Weingut RUCA Malen bei Mendoza abgeholt. Die Betroffenheit durch meine erneute Panne und meinen Entschluss, die Reise abzubrechen, ist bei allen Mitreisenden sehr gross. Tränen fliessen beim Apéro. Bei mir ganze Bäche!

 

Es sind keine bitteren Tränen, die ich vergiesse. Es sind wieder Tränen der Rührung. Während Jahrzehnten habe ich das ganze Jahr hindurch, aber eben auch an Weihnachten den Menschen alles gegeben und nun bekomme ich so viel Anteilnahme, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft von meinen Freundinnen und Freunden vor Ort zurück. Das ist einfach umwerfend. Sooou schööön!

 

So erlebe ich hautnah die weihnachtliche Botschaft „Gott ist Mensch geworden“ und er tut es immer neu. In unserer Anteilnahme, Sorgfalt und Zuneigung steckt dieses Göttliche, Umfassende, Weihevolle dieser Heiligen Nacht und Tag für Tag. Sooou schööön!

 

Meinen Verwandten und Freunden wie auch dir, will ich das erst nach den Festtagen erzählen. Ich will euere Festtage nicht mit Kummer und Sorgen belasten und euch dem Gefühl der Hilflosigkeit in weiter Ferne ausliefern. Du verzeihst mir!

 

Das für alle Sinne hergerichtete Siebengänge Menu mit den auserlesensten Weinen auf den festlich geschmückten Tischen von Gastòn präsentiert und liebevollem Personal in dieser jungen Gemeinschaft serviert, schmeckt uns allen ausgezeichnet. Sooou schööön!

 

Am Heiligabend flüchten wir vor einem plötzlich aufkommenden Sandsturm in eine Camping-Baracke. Herberge suchen in Echtzeit!

 

Die Heilige Nacht und letzte Nacht mit der Gruppe verbringe ich in der Hängematte von Feusi; Kari schenkt mir ein Polizei-Schweizermesser mit Zapfenzieher; Alphonse eine Flasche Wein; Walda und Walter ein Stück selbstgebackenes Brot; Claus eine Rolle WC-Papier. All das kann ich ohne Zugang zu meinem Womo gut gebrauchen.

 

Am Heiligtag zieht die Gruppe ohne mich weiter. Ein beklemmendes Gefühl, mich alleine zu lassen, kriecht über ihre Herzen. Ein herzergreifender Abschied!

 

Bärbel und Hans fahren mich vom Camp in die Stadt. Hier installiere ich mich für die nächsten zwei, drei Wochen im Hotel Mendoza und beginne nach allen Turbulenzen mit dem Schreiben dieses Berichtes.

 

Das Womo weiss nichts von Sonn- und Feiertagen, sonst hätte es mich nicht über Weihnachten und Neujahr abgeworfen. Der Arbeitsprozess wird dadurch dreimal unterbrochen. Für mich eine besinnliche Zeit, aber nicht sooou schööön.

 

Heute ist der 27. Dezember 2019. Ich besuche die IVECO-Werkstatt, um mich zu informieren. Die Steuerkette - wie mehrfach angenommen – ist freigelegt, ist es nicht! Jetzt decken sie die Injektoren ab. Dazu müssen sie ein Spezialwerkzeug anfertigen lassen, weil sie keines zu diesem Teil meines europäischen Motors finden. Bis zum 2. Januar 2020 sollte die Anfertigung möglich sein. Vorher gibt es keine Diagnose!

IVECO St. Gallen macht ganz andere Überlegungen zum Ganzen.

 

3. Januar 2020: Fehlschlag! Das angefertigte Werkzeug passt nicht. Es muss ein Neues nach Originalmassen angefertigt werden!  

 

7. Januar 2020: Das Werkzeug ist angefertigt, angeliefert. Die Mechs fahren mit dem weiteren Ausbau der Injektoren fort.  

 

8. Januar 2020: Das neue Werkzeug ist auch abgebrochen.

 

9. Januar 2020: Am 24. Dezember hat uns bei IVECO ein Transportunternehmer namens Gustavo Mendoza auf Schweizerdeutsch angesprochen. Gustavo lebte fünfundzwanzig Jahre in Bern. Walter war geistesgegenwärtig, ihn nach der Telefonnummer zu fragen, falls ich Hilfe bräuchte. Jetzt nach vierzehn Tagen bitte ich Gustavo darum per whatsup. „In einer halben Stunde bin ich da,“ lautet seine Antwort. Diese megagrosse Hilfsbereitschaft haut mich einfach wieder um. Nein, die Nerven verliere ich bei allen Ungewissheiten nicht, aber meine hauchdünne Haut ist mit allen Sensoren auf Menschlichkeit ausgerichtet und die feiert hier und in der Gruppe ihre volle Entfaltung. Sooou schööön! 

 

Ramòn von der IVECO lässt einen Spezialisten für den Ausbau der Injektoren kommen. Die Injektoren sind (entgegen der Mitteilung vom 27. Dezember) nicht kaputt, aber müssen weg, damit die Mechs zum inneren Teil der Nockenwellen kommen, wo sie die Havarie vermuten.

 

(I am jealous of the rain) Ich bin eifersüchtig auf die weissen Wolken über den Anden. Ich könnte sie zerreissen! Sie sehen meine Freundinnen und Freunde am Pazifik weiterziehen! Das schmerzt oft! So oft ich ihre Fotos auf den Webseiten sehe und ihre Berichte lese!  

 

In Mendoza fehlt mir das Wohnmobil als Türöffner. Es steht bei IVECO versteckt in Quarantäne. Ich selber bin ein anonymer Hotelgast in Quarantäne. Ich kriege keine wirklich schönen Kontakte. Sehr ungewohnt!  

 

Ich bleibe zwei Tage ohne Informationen von der Werkstatt. Soll ich an Ramòns gutem Willen zweifeln? Warten!

 

11. Januar 2020: Welcher Teufel oder sonst gefallener Engel hat mein Internet lahmgelegt? Ramòn ist fein raus. Er hat mir gestern schon die Mitteilung geschickt, die Injektoren seien jetzt raus und man beginne mit dem übrigen Ausbau. Wau! Nach dreizehn Tagen!

 

Infolücken belasten das Warten. Belasten das menschliche Miteinander. Sind sogar gefährlich. So eine Infolücke hat wahrscheinlich im Iran zu einem Flugzeugabschuss geführt. Mir graut davor mir vorzustellen, wie Menschen bei Entführungen oft monatelang, jahrelang ohne Infos gefangen gehalten werden. Was für eine Lappalie bedeutet dagegen mein Warten, das allerdings noch nicht vorbei ist.

 

13. Januar 2020: Ramòn teilt mit, er sei jetzt 14 Tage in den Ferien. Ich solle mich an Nicolàs wenden. Mir werde bald einmal ein Kostenvoranschlag unterbreitet werden.

 

16. Januar 2020: Nicolàs hat einen abgebrochenen Federdeckel unter den Nockenwellen gefunden, will sich aber zur Sicherheit noch weiter in den Motor reingrübeln. Zerlegen! Warten!

 

  1. Januar 2020. Bei Leonard Cohen lese ich „There is a crack, a crack in everything. That`s how the light gets in.” “Es gibt einen Riss, einen Riss in allem. So kommt das Licht herein.“ Cohen tröstet mich mit diesen Worten und begleitet mich in das neue Jahr 2020.  
  1. Bitte beachte die Bilder und Kurztexte meiner Reiseleiterin Janette Emerich. Du wirst darin sehen und lesen wie die Gruppe durch Süd- und Mittelamerika weiterzieht. Du wirst immer tiefer in das Geheimnis eingeweiht, warum ich diese Reise angetreten habe. Ich selber bin jetzt auch Digitalreisender. Gönne dir diese Weiterreise auch ohne mich:

https://panamericanatour.de/panamericana-2019-reisebericht-gruppe-2/

auch bei Bärbel und Hans:

https://brandt-karls-reisen.jimdofree.com/2019-20-unterwegs-auf-der-panamericana/

auch bei Walda und Walti Rauber, im Haus auf Rädern und im Rollstuhl unterwegs!

https://www.walti-rauber.ch/

 

 

PS: NEUE ADRESSE für die Website           https://lorenz-unterwegs.jimdofree.com

Jimdo hat die Adresse meiner Webseite geändert. Diese Änderung nachzuvollziehen ist ratsam. Meine Berichte und Fotos werden aber auch auf der alten Adresse weiterhin gefunden und angezeigt.  

2020 Januar Teil 2 und Februar

 

Weisst du noch, wo ich mich seit Weihnachten 2019 unfreiwillig aufhalte? Genau, da wo viele hinfliegen für zwei, drei Tage, um den guten Malbec und die Steaks zu geniessen. In Mendoza/Argentinien.

 

Am 31. Januar 2020, vierzig Tage (biblische Zeitspanne) nach der Panne, schickt mir der Mech Nicolàs kommentarlos ein Video mit Motorengeräusch auf Whatapp. Roger identifiziert von der Schweiz aus den Motor und das Drumunddran gemäss Zuger Nummernschild als mein Wohnmobil. Der Motor läuft wieder! Sooou schööön!

 

Ein Schweizer Ehepaar meint beim Frühstück: „Mendoza gibt doch für so lange Zeit des Wartens nicht genug her.“ Diese Erfahrung mache ich auch. Selbst Einheimische tippen nur auf Wein und Steaks. Bei 35 bis 39 Grad im Schatten erhöht sich die Temperatur des Weines im Glas schnell auf Mateteewärme. Das ist kein Genuss!

 

Taxifahrer raten mir für ein paar Dollar eine hübsche Begleiterin zuzulegen. Sie sehen darin keine Erniedrigung der Frau, weil ich ja bezahle! Wenn ich dann erkläre, dass ich mein Zölibatsversprechen auch in der Pensionszeit halte, werfen sie mir sofort das Thema Kinderschänder an den Kopf und beschweren sich, dass der Papst - selbst der argentinische, der schon Einiges dagegen unternommen hat - die Schänder in den Priesterreihen decke.

 

Der Tisch in meinem Hotelzimmer ist an der Wand festgeschraubt. Ich halte mich fest daran. Ein kräftiger Erdstoss rüttelt, verunsichert und erinnert mich, dass ich in einem Vulkangebiet festsitze. Eben nicht fest sitze.

 

In der Schweiz können wir uns primitivste Anstandsregeln leisten. Zum Beispiel, dass man jemanden beim Essen nicht stört. Ich fühle mich wirklich gestört. Ich sitze öfter mal in irgendeinem Strassenrestaurant und verzehre eine Pizza. Da zwängen sich während dem Verzehr fünf-, sechsmal Bettler, Mütter mit Kindern auf den Armen und Kleinstwarenverkäufer zwischen den Tischen durch. Habt ihr denn keinen Anstand! Ich bin jetzt am Essen. Lästig sowas! – An ihren Hunger möchte ich während meinem Essen nicht erinnert werden!  

 

Nachts sehe ich junge Männer, arbeitsfähige, aufrechte Typen durch die Strassen huschen. Sie schlitzen die schwarzen Abfallsäcke auf und wühlen nach Essensresten. Andere sammeln auf klapperigen Anhängern Karton und nach ihrem Urteilen wiederverwertbare Sachen. Die aufgeschlitzten Säcke lassen sie liegen. Das ist eine Sauerei! – Ja, womit sollen sie denn Klebematerial kaufen, um unseren diskret verpackten Wohlstandsmüll wieder fein säuberlich zu deponieren?

 

Dienstag, 4. Februar 2020. Das neue Problem liegt an der Kühlwasserpumpe! Um mein Portemonnaie zu schonen, zerlegen die Mechs dieses Teil, statt für tausend Franken ein Neues einzubauen und hoffen auf Ersatzteile am Lager. Sehr zuvorkommend! Ja, die Probefahrt ist abgesagt! Für Morgen auch!

 

Samstag, 8. Februar 2020. Der Motor springt an. Er brummt ganz vornehm leise. Auf der kurzen Probefahrt zeigen sich nur noch kleine Mängel. Scheibenwischer geht nicht. Motorhaube klickt nicht ein. Da und dort eine Schraube mangelhaft an der Karrosserie angebracht. Ja klar. Das muss behoben sein. Aber was für ein Gefühl. Nach sieben Wochen und drei Tagen wieder selber fahren, wohnen, kochen!

 

Ich fahre den Weihnachtscampground an, wo mich die Gruppe verlassen hat. Ich spüre noch einmal alle hier Weihnachten feiern. Und sie stossen gleichzeitig in Equador auf mich an! Sooou schööön.

 

Auch Walter und Walda sind wieder bei der Gruppe. Die hatten ein speziell widerliches Erlebnis. An der Grenze von Peru nach Equador wurde Walter angehalten. Interpol! Es gibt hier aber hier keine Polizei. Also muss Walter dreihundert Kilometer zum Polizeiposten zurückfahren und sich dort melden. Es bleibt ihm und Walda nichts anderes übrig. Dort angekommen: Fehlanzeige! Der Grenzer hatte als Name Walter eingegeben, was aber sein Vorname ist. Ein gewisser Walter wird wegen Vergehen in Brasilien gesucht. Nicht aber unser Walter Rauber! An diesem ärgerlichen Tag fahren die Beiden fünfzehn Stunden, bis sie im Stockdunkeln wieder zur Gruppe aufholen!

 

Aufholen kann ich die Gruppe nicht mehr. Du fragst, was dann? Ich schreibe ungern über meinen Plan, weil vielleicht doch alles wieder anders kommt. Aber mal so viel: Für mich gibt es nur noch die Rückkehr in die Schweiz. Von Mendoza fahre ich über die Pampa von Argentinien nach Osten und dann über den Paranà-Fluss, um nach Montevideo in Uruguay zu gelangen. Dort versuche ich das Womo am 1. März 2020 auf die Grande Amburgia GHA 0120 zu bringen, um es nach Hamburg zu verschiffen. Ich selber werde danach mit einem Koffer voll Wintersachen in die Schweiz zurückfliegen und eines Tages das Womo in Hamburg in Empfang nehmen. Sofern....

    

 

 

 

 

2020 Februar Teil 1

 

Was für ein Hochgefühl. Der Motor startet auch am zweiten Tag nach der Reparatur in Mendoza! Mit Freuden fährt das Womo am 10. Februar 2020 dreihundertachtzig Kilometer ostwärts. Unterwegs bete ich natürlich meinen Reisesegen. Lass ihn dir nochmals wiederholen. „Gott segne die Welt in der ich lebe. Gott segne den Weg, den ich jetzt gehe. Gott segne das Ziel für das ich lebe. Gott segne mich, damit ich andere Menschen segne.“ Fällt dir an diesem Segensgebet etwas auf? Kein Wort davon, Gott möge einen Motorschaden verhindern! Er hat nämlich keine Ahnung von Iveco-Motoren, sonst würde ich längst die Bibel zu Hilfe nehmen.

 

Die Autobahngebühren kann man hierzulande nur mit Bargeld bezahlen. Um Bargeld zu ziehen führt mich das GPS, nachdem ich die Ausfahrt nach San Luis verpasst habe, nach Villa Mercedes, einer Stadt zehn Kilometer weg von der Autobahn. Ich begnüge mich mit dieser Fahrt und bleibe am Stadtrand bei einem riesigen, etwas verwahrlosten Park namens „Eva Peròn“ stehen. Die jungen Sportler versichern mir, hier ohne Weiteres stehen bleiben zu können. Sooou schööön!

 

Abends um halb acht klopft jemand draussen in die Hände: „Permeso! Sie erlauben!“ Jorge erklärt mir, dass dieser Platz für eine Übernachtung nicht sicher sei. Im Quartier hinter den Industriegebäuden sei der Teufel los, besser gesagt das Elend. Er zeigt mir auf dem GPS ein ruhiges und sicheres Quartier bei der Autorennbahn und gibt mir seine Telefonnummer, falls dort doch etwas schief gehen sollte. Siehst du, mein Reisesegen tut seine Wirkung. Er selber fährt mit seiner Frau zur Geburtstagsfeier einer Nichte.

 

Nach der langen Quarantäne bin ich wieder ganz wach für menschliche Kontakte. Bei der Autorennbahn gehe ich darum unnötigerweise auf zwei Torsteher zu und erkläre ihnen, dass ich diese Nacht hier verbringen werde. Sie meinen, es sei hier nachts nicht erlaubt zu stehen. Sie schliessen um 21 Uhr und dann werden auch Parkierer vor den Schranken weggeschickt. Ich solle wieder acht Kilometer weiterfahren zu einem ruhigen Campground. Da mache ich grosse Augen und verbinde sie kurzerhand mit meinem Mittelsmann Jorge an die Geburtstagsfeier. Jorge erklärt den Türstehern, er sei in zehn Minuten vor dem Tor. Ich solle warten! Siehst du, man kann sich auch ohne Sprachkenntnisse verständigen.  

 

Die Torsteher? Sie schicken mich für eine Runde mit dem Womo auf die Rennbahn. Ich könne ungeniert eine Runde drehen, bis Jorge hier ankomme. Gesagt getan! Spinne ich? Ich befahre mit meinem Womo nach sieben Wochen Werkstatt das Autodrom von Villa Mercedes! Sooou irrrre!

 

Jorge kommt mit Frau und Kind angefahren. Er bietet mir zwei Möglichkeiten an. Entweder führt er mich zum Campground oder zu einem ruhigen Ort ausserhalb der Stadt, wo er eine Freizeitparzelle bewirtschaftet. Dort könne ich sicher stehen und das sei von den Quartierbewohnern auch akzeptiert. Kontaktfreudig, wie ich bin, lasse ich mich natürlich in sein Freizeitquartier einladen. Seine Frau fährt voraus und Jorge nimmt mit Fatima bei mir Platz. Wie geschieht mir? Viele Freundinnen und Freunde wünschen mir eine gute Fahrt und wiederum viel Freude mit den Menschen. Und jetzt sowas! Sooou schööön!

 

Die Toreinfahrt auf die grüne Wiese ist etwas eng, zumal sein Wohnmobil vor der Einfahrt steht. Danke, ich verbringe die Nacht gern hier draussen auf der Strasse! Kein Problem! Er ruft einen Nachbarn herbei. Sofort erhalte ich die Order, mein Womo vor seinem Grundstück zu parken. Ok. Das reicht jetzt an Menschenfreundlichkeit.

Hast du gern Fleisch, fragt Jorge? Na klar, ich liebe Fleisch. Dann bleibst du bei uns zum Grillen? Ja gern! Herzlichen Dank! Während er das Feuer entfacht, geht seine Frau mit Fatima einkaufen. Jorge schwatzt auf mich ein, weil er so vieles wissen möchte. Nebenbei telefoniert er häufig. Als seine Frau mit Fatima vom Einkaufen zurückkehrt, kommen weitere Autos angefahren. Spontane Einladungen!

 

Jorge findet jetzt auch heraus, dass ich nicht nur Schweizer, sondern auch Pfarrer bin. Erstaunen reihum! Wir sind neun Personen. Seine Frau Maru ist Lehrerin. Seine Mutter war Katechetin. Alle geben sie vor, mein Kauderwelsch zu verstehen. Ich greife immer wieder zum Laptop nach Übersetzungshilfen und schwatze den ganzen Abend. Um ein Uhr brechen wir nach einer feinen, reichhaltigen Grillade und guten Gesprächen auf. Die Leute müssen morgen wieder arbeiten. Ich gehe unverzüglich an die Arbeit, dir diese unglaublichen Erlebnisse niederzuschreiben. So unglaublich gesegnet! Sooou schööön!

 

Um zwei Uhr lege ich mich schlafen. Um neun Uhr telefoniert Jorge. Er will mir noch seinen Arbeitsplatz zeigen und mich seinem jungen Mitarbeiter vorstellen. Maru, seine Frau, kommt mit Fatima in der Werkstatt vorbei, um Tschau zu sagen. Ja, wie schaffe ich eigentlich solch wunderbare Kontakte. Das Womo schafft sie. Ich selber muss sie nur zulassen! Und das liegt mir und liegt mir am Herzen! Sooou schööön!

 

In Rio Cuarto liegt ein Walmart Einkaufszentrum direkt an der Durchgangsstrasse. Darauf habe ich gewartet. Grosszügig Essen einkaufen und einen Reisekoffer für den Rückflug in die Schweiz!

 

In Cordoba präsentieren sich Gebäude und Kirchen aus der Kolonialzeit. Einheimische empfehlen mir die neugotische Franziskanerkirche. Der Raum füllt sich mit meinen Gesängen. 

 

Ausserhalb von Cordoba auf dem Weg nach Santa Fe knallt es. Der Motor wird lauter, die Kraft schwächer. In wenigen Metern beginnt die Autobahn. Nichts wie rechts weg auf den Kiesplatz! Ich stehe vor dem letzten Gebäude der Stadt. Es ist eine Reifenwerkstätte. Der Wachpolizist kommt auf mich zu, holt dann einen Arbeiter. Der Arbeiter geht ein paar hundert Meter zu einem Nachbarn. Ich suche schon mal auf dem Handy nach einer IVECO-Werkstatt. Ein Hotel werde ich später suchen! Zwei Mechaniker kommen angelaufen, entdecken den Fehler sofort. Hinter dem Kühlaggregat ist eine acht Zentimeter grosse Bride gebrochen und der Kühlschlauch abgesprungen. Ein Mech kommt mit einer Bride zurück, fixiert den Schlauch und reicht mir eine Bride als Notvorrat. Nach einer halben Stunde ist der Fall erledigt. Kostet nichts! Was denkst du jetzt, habe ich Pech gehabt oder Glück? Für mich gilt bei dieser Panne am rechten Ort und bei dieser unbedingten Hilfsbereitschaft nur das Sooou schööön!  

 

Santa Fe gefällt mir beim Durchfahren. Endlich habe ich den Eindruck einer südländisch lebendigen Stadt, wo sich verweilen lässt. Ich muss da aber durch! Am Eingang der Stadt fängt der Motor an zu klopfen. Fehler 83! So eine Art trockener Husten bei 34 Grad. Ich tippe während der Fahrt auf Google Maps und suche die nächste IVECO. In dreissig Kilometern in Paranà, auf der Ostseite des gleichnamigen Flusses. Wenn das mal gut geht. Die Polizistin in der Stadtstrassenkreuzung pfeift alle zurück und gibt mir trotz meinem verbotenen Linksabbieger die Vorfahrt, statt mich zu bestrafen. Sehr nett von ihr! Ich kann mir nicht mehr leisten, beliebig in der Stadt herumzukreuzen. Ich muss Abkürzungen fahren.  

 

Unangenehm wird es für mich, als ich vor der Zahlschranke vor einem Unterwassertunnel am Paranà-Fluss stehe. Kurz überlegen, ob ich die Polizei, die da Wache steht, als Vorhut und Begleitschutz anheuern soll. Dann überlege ich mir, wo ich den Feuerlöscher finde und fahre mit ungutem Gefühl unten durch! Bei der IVECO in Paranà komme ich nach Werkschluss an und harre der Dinge, die da morgen Samstag kommen wollen. Sooou offft!

 

Abends um halb zehn werde ich nach ausgiebigen Gesprächen und einer Womo-Besichtigung von Nachbarn zum Essen eingeladen. Heute bin ich ehrlich gesagt etwas zu nachdenklich, als dass ich mich auf lange Gespräche einlassen möchte. Ich muss erst meine Gedanken ordnen. Zudem muss ich mich sprachlich auf die Mechaniker vorbereiten. Morgen will Adolfo, der Nachbar, mich einem Pfarrer deutscher Abstammung vorstellen. Er will mich bei ihm statt im Hotel unterbringen. Und wieder ist es das kranke Womo, gefolgt von meiner Offenheit und meinem Beruf, was mir am ersten Abend in Paranà alle Türen öffnet! Sooou schööön!  

 

Und es kommt doch alles anders. Der Mech findet eine lockere Bride am Auspuff beim Motorausgang. Und ein Injektor leckt. Da lässt er Hände davon. Ich kann fahren. Nicht bis ganz vor die Garage, als der Motor wieder unglaublich stark tacktet. Nochmals eine halbe Stunde untersuchen und eine halbe Stunde Gespräch mit Iveco Mendoza. Hilft alles nichts. Der Mech kommt nicht weiter. Ich auch nicht. Der Weg zurück nach Santa Fe ist mir huckepack verbaut wegen des zu niederigen Unterwassertunnels. Also versuchen sie mir einen Abschlepper für 40 Kilometer weiter nach Crespo zu organisieren. Sieben Telefonate bringen keinen fähigen Abschlepper oder Tiefenlader auf den Platz. Also schauen wir am Montag weiter! Die Mechs sind sehr hilfsbereit und entschuldigen sich, dass sie nicht gleich eine Lösung finden. Eilt nicht! Die Iveco in Crespo kann mich ohnehin erst am Mittwoch bedienen.

 

Der Abschlepper Hektor kommt am Samstag vorbei, um sich nach der Grösse des Womos zu erkundigen. Eine Nummer zu gross für ihn. Er hilft mir, einen passablen Parkplatz vor einer je zweispurigen Kreuzung an der Seite einer Bank gegenüber einer Tankstelle zu finden. Vierzig Grad im Womo wie draussen!

 

Am Sonntag lädt mich Hector mit seiner Frau Noemi und den Enkeln Philipe und Valentino zu einer Land- und Stadtrundfahrt ein. Wie aufmerksam! So sehe und höre ich etwas mehr von Paranà als bloss während der ganzen Nacht an dieser Kreuzung, wo die Machos bis vier Uhr morgens mit ihren lautstarken Motoren, mit Vorliebe ohne Auspuffrohren, dafür mit erschütternden Bässen und Hupen ihr Ding drehen.

Von allen Seiten ermahnt man mich, alles gut abzuschliessen. Ich stehe vor einem Elendsviertel. Diese Menschen sind nicht schlecht, nicht kriminell, sie suchen sich nur ihr Brot zusammen. Sie stehlen nicht. Sie nehmen.

 

Ich ziehe mir Handschuhe über und beginne um mein Womo herum Abfall zu sammeln. Das beobachtet ein Strassenverkäufer und erzählt es bei nächster Gelegenheit einem Polizisten. Das Problem des Elends bestehe darin, sagt der dreizehnjährige Valentino, dass die Regierung den Bolivianern und allen in den Elendsvierteln Geschenke mache, um so ihre Stimmen zu kaufen. Die Grenze von Bolivien nach Argentinien sei offen und die Immigranten seien stimmberechtig.

 

Bei 38 Grad schwitze ich wieder ordentlich. Es gibt clevere Hunde in Paranà. Zwei Hunde liegen ständig in der gekühlten Bankomathalle. Wenn sie aufs Klo müssen, gehen sie mit dem hundertsten Kunden raus und kommen mit dem hundertzwanzigsten wieder rein. Es gibt Tag und Nacht einen riesen Run auf diese Bankomaten. Ich selber habe es einige Male versucht und bleibe ohne Pesos. Nein, meine Karte sei nicht gesperrt, sagt man mir bei der Aufsicht in der Schweiz. Es liegt wohl an meinem Ausländerstatus. Ich solle am Montag mit seinem Freund Dario in der Bank sprechen, schreibt Hektor. Der werde das Problem lösen!

 

Ein Kutscher mit einem Pferdegespann trabt, den Wagen mit tausenden Eiern beladen, an mir vorbei. Aufmerksam werde ich durch die Landesmusik, die aus seinem grossen Lautsprecher ertönt. Die Eier lagern ungekühlt auf dem Wagen. Da werden wohl bald Kücken schlüpfen.

 

Am Montag stehe ich eine halbe Stunde mit anderen vor der Bank an. Nein, sie können mit meinen drei Karten nichts anfangen. Ich muss per Taxi zur Nationalbank in die Stadt fahren. Da klappt es, indem ich zwölf Mal den Höchstbetrag von zweitausend Pesos (je dreiunddreissig Franken) abheben kann.

 

Diego hängt am Tiefenlader sein Zugfahrzeug ab, damit ich auffahren kann. Die Fahrt durch den Unterwassertunnel zurück nach Santo Tomé mit oft 80 km/h empfinde ich als rasant. Eine Garagetüre öffnet sich an meinem Womo und stellt sich quer über die Überholspur!!! Nicht auszudenken....

 

Iveco Santo Tomé klärt mit Iveco Mendoza ab, ob Mendoza die neue Arbeit anerkennen wird, oder ob ich den Zylinderdeckel wieder auf eigene Rechnung abnehmen lassen muss.  Morgen kommt ein neuer Tag. Immerhin stellen sie mein Womo für diese Nacht vor die Hallentore aber im umzäunten Hof, damit ich nicht schon ein Hotel buchen muss. Sehr aufmerksam.

 

Nun ist es so weit. Am Dienstag bekommt Agosto in Santo Tomé von Iveco Mendoza die Antwort, er solle mal mit Ausbauen beginnen und prüfen, woran der Motor leidet. Gegebenenfalls werden sie sich in Mendoza an den Kosten beteiligen, damit ich nicht die ganze Last selber zu bezahlen habe.

 

Ich fahre per Taxi nach Santa Fe zurück und installiere mich im Hotel InterTower ganz im Zentrum. Eine Woche brauchen sie sicher für die Reparatur. Wenn alles gut läuft, kann ich am Samstag fahren. Wenn nicht, beginnen sie die Arbeit in der kommenden Woche erst am Mittwoch wieder. Denn am Montag und Dienstag steht in Argentinien alles still - sie feiern Fasnacht! 

  

 

 

2020 Februar/März

 

Es hat mich wieder erwischt. Die Arbeit am Motor bei IVECO in Santo Tomé dauert länger. Aber jetzt kommen erst mal die zwei arbeitsfreien Tage während der Fasnacht. Entgegen einer früheren Ankündigung kann ich im Hotel Inter Tower in Santa Fe liegen bleiben. Es kommen viele Familien mit Kindern und der Fussballclub CARP, der schon in Mendoza das Hotel mit mir geteilt hatte.

 

Von wegen Fasnacht spüre ich in Santa Fe gar nichts. Kein Kind hat ein bisschen Farbe im Gesicht. Es gibt keine Masken oder Fasnachtskleider zu kaufen. In den Strassen herrscht am Fasnachtsmontag und -dienstag - es sind zwei nationale Feiertage - Ruhe wie am Sonntag. In Argentinien wird das fasnächtliche Treiben hauptsächlich zwischen die Tribünen der Städte Gualequaychú und Corrientes delegiert.  

 

Jetzt geht`s hoch zu und her im Hotel Inter Tower. Drei Stockwerke in meinem Hotel sind abgeriegelt. Die besten Fussballer Argentiniens seien sie, die Boca Juniores (CABJ). Tobias wünscht sich schon mal so ein hübsches Dress. Weil ich nicht wissen kann, ob die Boca oder die Colon gewinnen werden, kaufe ich schon mal beide Dress. Die Colon spielen nicht schlecht, aber die Boca gewinnen 4:0. Tobias darf beide Dress mit Stolz tragen.  

 

Ausser während den Gottesdienstzeiten bleiben alle Kirchen in Argentinien tagsüber geschlossen und mit Gittern von der Strasse her verrammelt. Kein reisender Pfarrer kann sich darin mal um Gottes Willen besinnen oder ausruhen. Jammerschade.

 

Da beschenkt mich die Misa Criolla von Ariel Ramirez (1964), die wir in St. Gallen und andernorts öfters aufgeführt haben. https://www.youtube.com/watch?v=Ylob_oft6LY 

 

Meine Reisefreunde haben ihre Wohnmobile anfangs März schon mal zur Verschiffung von Cartagena in Kolumbien nach Panama durch den Zoll gebracht. Sie fliegen rüber und warten dort bis zur Freigabe ihrer Wunderkisten.

 

Die Reiseleitung und die Gruppe machen mir wiederholt und ernsthaft das Angebot, dass ich, sobald ich das Womo nach Hamburg verschifft haben werde, nach Panama fliegen solle. Beim Reisen tagsüber durch Panama, Costa Rica, Nicaragua, Honduras, Guatemala, Belize, Guatemala, Mexico würde ich in verschiedensten Wohnmobilen mitreisen dürfen. Nachts würden Hängematte, Zelt, Hostels und Hotels zur Verfügung stehen. Ich solle doch wieder zur Gruppe aufschliessen. Soooou lieb!

 

Aber niemand weiss seit vierzehn Tagen Warten in Santa Fe, wann ich meinen Motor in Santo Tomé aus der Schleiferei wieder zurückkriegen werde. Das Verschiffen hat Seabridge, mein Frachtbüro in Düsseldorf, schon vier Mal um vierzehn Tage verschieben müssen. Frau Grabo macht das mit viel Geduld und verständigt die Agenten in Montevideo. Danke, meine lieben Freundinnen und Freunde in Panama, für die Angebote, aber ich muss euch weiterhin ziehen lassen…

 

Angelika, eine allein reisende Frau unserer Gruppe, bricht sich in Cartagena/Kolumbien die Kniescheibe. Ein weiterer Grund für mich, mein Womo schnellstens zu verschiffen, nach Kolumbien zu fliegen, um sie und ihren VW-Bus weiter zu chauffieren, meint die Reiseleitung und die Gruppe.

 

Nach einer langen Liste Pro und Contra in einer Nacht erstellt,  lasse ich auch dieses „win win Erste Hilfe Angebot“ wieder fahren. Angelika entscheidet sich ihrerseits nach der Operation, und nachdem sie sich fürs Erste ausgeweint hat, schnellstmöglich nach Deutschland zurückzufliegen. Herr Krause, so nennt sie ihren zum Camper selber umgebauten VW-Bus, wird ihr auf dem Atlantik nachschaukeln. Darum kümmert sich Seabridge. Es wird für mich also wieder nichts daraus, auf der Pan Americana zur Gruppe aufzuschliessen, wobei wir uns doch gegenseitig nach wie vor vermissen.

 

Am 14. März 2020 teilt mir die Reiseleiterin Janette mit, sie sei mit der Gruppe in Costa Rica gestrandet. Guatemala, was noch ein paar Grenzen weiter weg ist, lässt wegen der Corona-Pandemie keine Europäer mehr in ihr Land, auch wenn sie schon seit November keinen Kontakt mehr mit Europa hatten und in Südamerika unterwegs sind!

 

Über die vielen Hoffnungen und Enttäuschungen meinerseits mag ich gar nicht mehr schreiben, weil in dieser Pandemie-Zeit jeder genug mit sich selber ringt. Nur so viel:

Brief an die Schweizerische Botschaft in Buenos Aires, die sich bemüht, mich zu orientieren und nicht im Stich zu lassen. Auch dieses Verhalten finde ich sehr erwähnenswert.

 

Die Schweizerische Botschaft in Buenos Aires erkundigt sich, nachdem ich sie zuvor kontaktiert habe, von sich aus am 20. März 20 nach meinem Befinden:

 

„ Sehr geehrter Herr Becker, 

Vermutlich haben Sie es mitbekommen - gestern Abend hat sich die Situation in Argentinien nochmals komplett verändert. Der argentinische Präsident Alberto Fernández hat zur Bekämpfung des Covid-19 die allgemeine Quarantäne angekündigt. Diese ist in der Nacht vom 19. zum 20. März in Kraft getreten, sie gilt also bereits jetzt und endet am 31. März. Während dieser Zeit darf man nur ausnahmsweise das Haus verlassen (Nahrungsmitteleinkäufe, Apotheke, wahrscheinlich Abreise etc.). Detaillierte Informationen finden Sie unter folgendem Link: https://www.argentina.gob.ar/coronavirus/medidas-gobierno. Diese Anordnungen müssen befolgt werden, Zuwiderhandlungen sind strafbar.

 

Derzeit halten sich knapp 350 schweizerische Touristen im Land auf. Die Botschaft ist im Rahmen Ihrer Möglichkeiten bemüht, Lösungen zu finden, damit alle in Argentinien gestrandeten Landsleute das Land verlassen können. In den meisten Fällen gibt es keinen raschen Ausweg. Falls trotz allen Bemühungen keine selbständige Rückkehr möglich ist, prüft das EDA eine organisierte Rückkehr.

 Falls Sie sich heute Vormittag dennoch entschieden haben, mit der Verschiffungsbestätigung nach Zarate zu fahren, geben Sie mir doch bitte Bescheid, wie es Ihnen ergangen ist.

 Passen Sie auf sich auf!  Freundliche Grüsse, 

Salome Lütolf  Centro Consular Regional Buenos Aires c/o Embajada de Suiza en la República Argentina”

 

Meine Antwort am 20. März 2020

 

„ Liebe Frau Lütolf. Ich habe eine ziemlich puzzleartige Nacht und den heutigen Tag hinter mir. Um sie kurz über das Endergebnis zu informieren Folgendes:

Mein Wohnmobil ist noch nicht ganz fertig. Ich hätte es auf dem umzäunten, gesicherten Areal von Iveco in Santo Tomé heute bis auf Weiteres bewohnen dürfen. Da ich aber die Nachricht erhielt, dass auch meine Zufluchtsorte, die Campingplätze gesperrt sind, habe ich mich für eine Appartement-Wohnung entschieden. Iveco Santo Tomé gesteht mir zu, mein Wohnmobil bis ich es abholen werde, auf ihrem Gelände stehen zu haben.

 

Beim ganzen Klären und wieder Verwerfen hat mir ein kurzfristig auf dem Reiseweg kennengelernter Argentinier namens Jorge per whatsapp geholfen. Heute um 8.30 habe ich den Anruf von der Hotelreception bekommen, bis um 15 Uhr müsse ich das Hotel verlassen. Ich war noch ihr letzter Gast. Die grosse Hotelcrew des Hotels InterTower hat mich dann an der Reception sehr hilfsberit empfangen. Sie haben in meinem Namen den Stand bei Iveco in Santo Tomé erfragt; in Erfahrung gebracht, dass die Campingplätze, die sie mir vorgeschlagen hatten, schliessen mussten. Und mir zuletzt eine Appartement-Wohnung in Santa Fe, organisiert,   (NN, Appartmentadresse…) zu der ich von einem Hotelangestellten hingefahren wurde.

Vor dem Verlassen des Hotels hat die Polizei meinen Namen, Aufenthaltsort und die PassNr aufgenommen und eine Notiz gemacht, warum ich mich noch immer hier aufhalte. Alles in bester Ordnung.

 

Zwei der leitenden Hoteliermitglieder haben mir auch ihre persönlichen Telefonnummern hinterlassen mit der Aufforderung, mich bei jeder Frage oder bei jedem Anliegen bei ihnen persönlich zu melden. Sie werden mich jederzeit anhören. Unglaubliche Hilfsbereitschaft, die mir da entgegenkommt.

 

Mein Plan: Ich werde so lange in der Appartementwohnung bleiben, bis sich ein relativ regulärer Flug zurück nach Europa/in die Schweiz ergibt. Vor diesem Abflug werde ich dann das Wohnmobil zuerst nach Zaraté zum Verschiffen bringen. Seabridge wird diese Buchung für mich vornehmen.

 

Ich bedanke mich herzlich für Ihre Rückfrage. Falls sich ein Rückflug, durch die Botschaft geklärt, so ergeben sollte, dass ich genügend Zeit und die Fahrerlaubnis haben werde, das Wohnmobil überhaupt nach Zaraté an den Hafen zu bringen und die Papiere zu erledigen, bin ich natürlich nicht abgeneigt. Das hat aber für mich keine Priorität mehr.

 

Meine morgen Samstag überzogene Aufenthaltsdauer von 90 Tagen ist noch nicht geregelt. Ich werde dem erst nach der Ausgangssperre nachgehen. Sollte laut meiner Hotelberatercrew kein Problem sein.

 

Mit dankbaren Grüssen   Lorenz Becker  Wau, ist das aber lang geworden!“

 

  

2020  März Corona-Virus

 

Mein letzter Reise-Stand-Corona-Bericht vom 21. März 2020 spricht noch davon, dass ich in Argentinien in der Appartementwohnung in Santa Fe bleiben werde.

 

Eine Nacht später wird alles wieder dramatischer. Ich lese Berichte, wie die Polizei hier in Argentinien uns Ausländer (sie alle sind einmal von irgendwoher eingewandert) als Killer sieht und uns „uncool“ behandelt. Mein Studienfreund Albert hält Rat mit einer Schweizer Ärztin in Buenos Aires. Sie lässt mich wissen, dass die medizinische Versorgung das eine Problem ist, das andere aber die Unberechenbarkeit der Behörden. Die Gefängnisse hierzulande seien bereits überfüllt. Sie rät mir dringendst abzuhauen, sprich in die Schweiz zurückzukehren.

 

Das bewegt mich, die Hotelmanagerin Eugenia, die sich mir beim Rauswurf aus dem Hotel mit ihrer Crew persönlich angenommen hat, anzurufen. Es gibt nämlich keine Inlandflüge, keine Busse und keine Züge von Santa Fe nach Buenos Aires. „Kannst Du mir einen privaten Chauffeur vermitteln, der bereit ist, mit mir die fünfhundert Kilometer zum Flughafen zu fahren?“. Eugenia antwortet sofort: „Gib mir etwas Zeit, ich organisiere das mit einem Angestellten vom Hotel.“ Nach kurzer Zeit bestätigt sie, dass Guillermo bereit sei. Sie hätte auch schon die nötigen Dokumente und Fotokopien, die mich als Hotelgast in ihrem Hotel in den letzten fünf Wochen ausweisen.“

 

Mit dieser Zusage, kann ich nun ziemlich erregt der Schweizer Botschaft schreiben, ich hätte einen Chauffeur gefunden und könne jetzt doch gern am Rückflug, vermittelt durch die Schweizer Botschaft direkt nach Zürich teilnehmen. Frau Hess von der Botschaft, sie wechselt sich in dieser stressigen Zeit mit Frau Lütolf ab, antwortet mir umgehend: „Wir erwarten die Buchungsbestätigung für Sie, die wir Ihnen dann per email zusenden.“ Die Buchungsbestätigung wird für die Strassenkontrollen wichtig sein, dass ich mitsamt dem Chauffeur durchgelassen werde, denn der Weg führt auch noch über eine Provinzgrenze mit anderen Corona-Regeln hinweg. Vorläufig ist noch nicht bekannt, an welchem Tag zu welcher Stunde der Rückflug startet. Also kann ich auch noch kein Datum für den Transfer aushandeln.

 

23.03, Montag. Das EDA rät, so schnell wie möglich zum Flughafen zu gehen, aber nur Leute, die noch keine Symptome einer Ansteckung zeigen. Ich verabrede mich auf einen Transfer am Dienstag mit einem Privatchauffeur. Der Chauffeur benötigt alle möglichen Dokumente von meiner Korrespondenz mit der Schweizer Botschaft, allerdings fehlt noch die Buchungsbestätigung, damit wir bei den Strassenkontrollen durchkommen. Ich trage sie zusammen und schicke sie der Hotelmanagerin, inzwischen meiner Freundin..   Sooou schööön!

 

Ich checke noch einmal bei Iveco, ob es in Ordnung ist, dass ich mein Wohnmobil bis auf unbestimmte Zeit im bewachten Hof in Santo Tomé stehen lasse. Augusto antwortet sofort: Du kannst das Wohnmobil ab heute fahren und nach Hause fliegen. Du kannst es aber auch bei uns stehen lassen, in die Schweiz fliegen und nach der Pandemie zurückkommen, um es abzuholen. Perfekt! Das verdient ein sooou schööön!

 

Kurze Zeit später: Eugenia schreibt: Guillermo ist bereit mit mir nach Buenos Aires zu fahren. Mir fehlt die Buchungsbestätigung! So können wir nicht fahren. Die Polizei hat schon etliche Autos von der Strasse geholt, weil Papiere fehlten.

 

Nächster Versuch. Eugenia hilft mir die Möglichkeit klären, ob ich selber mit dem Wohnmobil nach Buenos Aires fahren und ob ich das Womo auf dem Flughafen stehen lassen könnte. Einen entsprechenden Parkplatz gibt es für nicht einmal so viel Geld. Aber das Migrationsamt bleibt wegen Nationalfeiertagen bis und mit Dienstag geschlossen. Am Mittwoch kann ich nachfragen. Der Zug ist abgefahren! Besser, der Rückflug, organisiert durch die Schweizer Botschaft wird ohne mich stattfinden.

Meine Gedanken flattern wie Hühner gegen den Maschendrahtzaun und suchen einen Ausweg, weil das Gerücht rumgeht, der Fuchs sei ins Gehege eingedrungen. Ja, ich fühle mich an diesem Vormittag wie so ein flatterndes Huhn.

 

Der Fuchs hat nicht zugeschlagen. Das Huhn beruhigt sich wieder.

 

Im Laufe der Zeit spüre ich die innere Ruhe, dass es der richtige Entscheid ist, wenn ich jetzt (endgültig) hier bleibe (es sei denn, der Schweizer Konsul kommt mich persönlich hier abholen). Ich möchte mit den Klammern nicht Zweifel an meinem Entscheid andeuten, sondern nur in aller Bescheidenheit sagen: Du hast miterlebt, wie alle meine Entscheide immer durch neue Bedingungen überdacht werden müssen.

 

Am späten Nachmittag meldet sich der junge Concierge Maximillian vom Hotel Inter Tower. Er möchte mich mit seiner Freundin zum Barbecue in seinem Landhaus einladen. Wau! Wieder neue Freunde! Das Treffen verschiebe ich aber, um Corona auszuhungern, auf einen sehr viel späteren Zeitpunkt. Wir erkundigen uns gegenseitig nach dem Ergehen unserer Freunde und Familien. Er wohne nur sechs Häuserblocks weg von meinem Appartement. Er sei Fan von aller Technik. Wenn ich irgendein Problem hätte, solle ich nicht zögern, ihn anzurufen. Sooou schööön!

 

Am Abend will ich von Eugenia noch wissen, was ich mit der seit Samstag, 21. März abgelaufenen Aufenthaltsbewilligung machen soll. Ich selber sehe zwei Möglichkeiten. Entweder befördert mich das Migrationsamt mit oder ohne Handschellen gleich zum Flughafen oder es buchst mich als Kriminellen ein. Kein Problem, meint Eugenia, das Migrationsamt öffnet erst am Mittwoch wieder. Es sind zwei Feiertage!

 

24.03, Dienstag, 2. Feiertag. Daniel, der Eigentümer der Appartement-Wohnungen erkundigt sich per whatsapp nach meinem Befinden und ob ich was brauche. Er sei zu meinen Diensten! Auf meine Rückfrage schreibt er, seine 90-jährige Mutter sei wegen einer Herzschwäche bereits seit zehn Tagen im Spital. Anteilnahme ist auch hier angesagt!

 

Am Mittag, ich bin gerade dabei den ersten Bissen auf meinem Teller in den Mund zu schieben, kommt eine e-mail von der Botschaft. Ich zwinge mich zuerst zu essen und dann erst nach dem Inhalt zu schauen, weiss aber beim letzten Bissen nicht, ob mein Verhalten vielleicht Magenschmerzen verursachen wird.

 

Nun, die Botschaft schickt mir einen persönlichen Passierschein für die Strassenkontrollen und eine Buchungsbestätigung für Montag, 30. März. Dazu ein Formular, wo ich unterschreibe, dass die Botschaft für Nichts haftbar gemacht werden kann, dass sie nur eine Hilfe anbietet, die man selbst zu verantworten hat. Das dritte Dokument des argentinischen Staates informiert, dass man in Quarantäne gesteckt werden oder in sein Heimatland zurückreisen kann.  

 

Erneut bespreche ich diese Wendung wie alles täglich mit Theres und Hans in der Schweiz, um nichts zu übersehen. Dann frage ich die Managerin, ob mit diesen Dokumenten nicht doch jemand bereit sei, mich mit dem Auto auf den Flughafen zu bringen?

 

Dann kläre ich mit der Iveco-Werkstatt, ob nicht nur der Motor sicher läuft, sondern auch der Anlasser wieder funktioniert? Augusto sagt: Alles Bestens, du kannst fahren. Du kannst es aber wie versprochen auch hier lassen..

 

25. März, Mittwoch. Meine 90-tägige Aufenthaltsbewilligung für Argentinien ist am vergangenen Samstag abgelaufen. Ich muss das Migrationsamt aufsuchen, um eine Verlängerung zu bekommen. Werden die mich verpflichten abzuhauen?

 

Es ist noch Ausgangssperre und in Santa Fe gibt es keine Migrationsamt für meinen Fall. Also lasse ich das bleiben.

 

Daniel bringt mir den Ausdruck vom Passierschein und den anderen Dokumenten, die ich für einen Transfer zum Flughafen benötige. Alles da und unterschrieben!

 

Ich erkundige mich gegen Abend bei Eugenia, ob es eine Transfermöglichkeit für mich gibt. Und was passiert mit dem Chauffeur auf seiner Rückfahrt? Eigentlich möchte ich das keinem Hund und keinem Menschen zutrauen! In dem Moment läuft eine Meldung am Bildschirm. Eugenia schickt mir ein Bild davon, dass alle Repatriierungsflüge von Buenos Aires aus abgesagt sind. „Suspenderàn vuelos de repatriaciòn“. Jetzt brauche ich gar nichts mehr entscheiden. Ich bleibe in Santa Fe ohne das Gefühl gestrandet zu sein. Endlich, weiss ich, wo ich in Ruhe verweilen kann, ohne dem Chaos eines Rücktransportes ausgesetzt zu sein. Es werden wieder ruhigere Zeiten kommen.

 

Von den über fünfzig Einfallsstrassen nach Buenos Aires sind alle bis auf sechs oder sieben gesperrt. Kilometerlange Schlangen. Da hätte ich gestanden! Im Flughafen ein Flaschenhals. Nur tropfweises Durchkommen. Und es sind noch sechs Tage bis zum Abflug am Montag, 26. März. Wie verändert sich die ganze Situation in der Zwischenzeit?  Dieser Rückflug, so schön es gewesen wäre in der Schweiz anzukommen, wäre auch ein unglaublicher Energiefresser gewesen. So finde ich sofort wieder zur Ruhe in mir.

 

Ich will dir einige Reaktionen von meinen Freunden, die ich in Argentinien gewonnen habe, wiedergeben:  

Marcelo in Punta Arenas: „Ihr seid auch vorsichtig und versucht, euch zu schützen. Das ist das Wichtigste, was wir tun können. Ich wünsche euch angenehme Erfahrungen mit den Jungen der Hotelier-Familie.“

Juan in Rio Gallegos: Amigo. no salga (geh da nicht raus!). un abrazo gigante. 

Silvio in Rio Gallegos: „Du weisst, dass wir in der Nähe sind. Egal was... ...sag es einfach...“ 

Ramon in Mendoza/Iveco: „Ich bin froh, dass es dir gut geht. Pass auf dich auf. Wenn alles vorbei ist, kommst du zurück nach Mendoza, und wir werden einen guten Asado (Grill) haben! Wir werden feiern, dass es uns allen gut gehen wird!“

Nicolas in Mendoza/Iveco: „Was immer ich tun kann, um Ihnen zu helfen, zählen Sie auf mich. Ich bin für Sie da.“

Jorge in VILLA MERCEDES: „Lorenzo ich bin dankbar, von Dir zu hören. Ich bin wieder für dich da. Ich bewundere und respektiere dich, weil es schwierig ist, Menschen wie dich zu finden. Ich glaube, das Leben gibt dir etwas von dem zurück, was du getan hast. Du gehörst zu den Menschen, die Spuren hinterlassen. Ich hoffe, die Heilige Jungfrau und unser Herr werden dich weiterhin beschützen. Eine starke Umarmung. Was immer du hier brauchst, wir sind da.“

Eugenia in Santa Fe: Hotelmanagerin InterTower: „Ich hoffe, es geht dir gut, du ist gut und ruhst dich aus, mit Horacio sind wir zu Hause, in einigen Tagen werden wir zu den Wachen im Hotel zurückkehren. Ich erzähle meinen Söhnen deine Geschichte ... und dann sagen sie: ... bring Lorenz zum Essen nach Hause !!!!.  wir möchten ihn treffen  😆 ... Wie schön wäre es, wenn du uns irgendwann einmal 😊 mit uns teilen könntest ... und ich bin sicher, dass es so sein wird ...   wir schicken dir eine große Umarmung und ... bleiben in Kontakt. Ci vediamo presto mein Freund!“

Maxi in Santa Fe: „Halo Lorenz, ich bin der Concierge im Hotel InterTower. Wir haben uns nicht viel gesehen, weil ich in den Ferien war. Ich habe einen Freund in der Schweiz, der schickt mir einen Link, der dir in dieser Situation helfen könnte. Ich liebe die Technik sehr. Wenn du etwas brauchst, zögere nicht, mich anzurufen. … Hast du alles dort im Appartement? Was immer du brauchst, ich bin für dich da.“

„Ich wohne mit meiner Freundin nur sechs Blocks von dir entfernt. Sobald alles vorüber ist und du noch da bist, möchten wir dich zu einem Barbecue in unser Landhaus am Coronda River einladen.“

Augusto in Santo Tomé: Iveco Werkstatt:  „Wenn du wegen der gestrichenen Flüge entscheidest hier zu bleiben, kannst du kannst du zu uns kommen, um in „deinem Hause“ zu wohnen. Wenn es für dich in der Appartement-Wohnung oder im Hotel angenehmer ist, kannst du dort bleiben. Gerade was für dich besser ist. Ok, Lorenz, wenn du irgendetwas aus dem Wohnmobil brauchst, es steht geschützt bei Beta/Iveco.“

 

Alle Einladungen verschieben wir auf sicherere Zeiten. Diese Leute machen alle keine leeren Worte. Spürst du an diesen Beispielen, dass ich mich geborgen fühle? Verstehst du, warum sich meine Augen manchmal mit Tränen der Rührung füllen bei so viel menschlichem Feingefühl, das mir entgegengebracht wird. Und das ganz unverdient. Ich habe niemandem von denen was Gutes getan, als dass ich bin, der ich bin.

 

Ich lasse mir viele Übungen einfallen, die ich zur Körperertüchtigung im Zimmer auf und ab, und hoch und tief machen kann. Das ist eine Menge. Zwischendurch schreibe ich dir und all meinen Freundinnen und Freunden. Das gibt zu tun. Aber es ist so schön, sich im sozialen Geflecht fallen zu lassen und Luftsprünge zu machen.

 

Ein besseres Bild dafür: Das soziale Netz durch meine Reisen über die Welt gespannt ist mein Trampolin. Du hältst es an einem Ende fest, damit ich springen kann! Danke für deine Freundschaft.

 

Bleib behütet und gesund bis wir uns wieder sehen! Sooou schööön!  

 

 

2020

ab Donnerstag, 26. März in Santa Fe

 

Tagsüber beantworte ich unentwegt alle whatsapp und emails von Freundinnen und Freunden, die mir auf den Reisebericht geantwortet haben. Hanaé, die Tochter eines Neffen, feiert in familiärer Isolation ihren neunten Geburtstag. Über Skype spielt Hanaé mir ein Klavierstück und ihr Bruder Janis ein Stück auf dem Altsaxophon, das ich ihm überlassen habe. Zum ersten Mal kann ich auch mit ihrem Opa Sepp in Vilters skypen, weil ihm sein Sohn ein Iphone in die Quarantäne zugeschickt hat, was diese Möglichkeit eröffnet. Alles zusammen sooou schööön!

 

Abends kommt Daniel, der Hausbesitzer zu mir und neben ihm steht eine wunderhübsche Frau. Ich erstarre vor Überraschung! Was will Daniel mit dieser Frau bei mir? „Ich will dir meine Frau vorstellen!“ Eine vornehme, grosse, schlanke Gestalt, hübsch hergerichtet. Bei denen darf ich später zu Gast sein? Unter coronafreien Umständen würde sie mich jetzt umarmen. Das machen alle Argentinierinnen und Argentinier mit Menschen egal welchen Geschlechts. Aber jetzt dürfen wir uns nicht einmal die Hände reichen.

 

Im zweiten Satz sagt Daniel: „Meine Mutter ist eben im Spital gestorben!“ Du erinnerst dich. Sie ist neunzig Jahre alt und litt an einem Herzversagen. Nicht Corona. Mir verschlägt es zum zweiten Mal die Sprache und das Wasser in meinen Augen lässt die beiden wissen, dass ich zu tiefst betroffen bin.

 

Eine Stunde nach ihrem Tod musste die Mutter bereits beerdigt werden. Anwesend durften nur die Söhne und Töchter und ihre Kinder sein. Man nenne das „virtuelle Totenwache“. Das schmerzt sehr, sagt Daniel. 

 

Auf das Whatsapp meiner Anteilnahme schreibt mir Daniel: „Meine Frau war begeistert von dir, sie sagte mir, welch ansteckenden Frieden dieser Mann hat!“ Das ist wohl auch ein Teil davon, was mir Türen und Herzen öffnet.

 

Ich hatte eine schlechte Nacht (26./27. März). Die Batterie von meinem Handy lässt sich seit gestern Nacht nicht mehr aufladen. Ich Dummkopf. Das Samsung hat beim Hülle-Reinigen Wasser abgekriegt. „Gerät überhitzt. Keine SIM Card“ und solche Meldungen! Telefonieren, sms, whatsapp geht nicht mehr. Ich habe keinen Zugang mehr zu den wichtigsten Notizen und nicht zum Kalender mit den vielen Geburtstagen. Alle Kontakte sind weg. Ich suche per email Hilfe im Hotel. Guillermo bringt mir um elf Uhr ein Ersatzhandy zum Appartement, bis Meines geflickt ist. Sehr hilfsbereit. Wie aber werde ich zu meinen wichtigsten Daten kommen? Dieses Problem hält mich tage-und nächtelang auf Trab. Aus Vorsicht vor Datenklau sind meine Daten auf keiner Wolke. Ausgangssperre, alle Geschäfte ausser Supermarkt und Apotheken geschlossen!

Sicherungen auf keiner Wolke! Es tönt recht laut auf meinem Blechdach. Am frühen Morgen hat ein Herbstregen eingesetzt. In der Werkhalle hatte ich fünf Wochen lang das WC-Dachfenster offen stehen. Jetzt steht das Womo in Santo Tomé draussen im Regen. Werden die Mechs das Fenster bemerkt und geschlossen haben? Ich kann nur per email nachfragen und bekomme auf diesem Weg von dort meist keine Antwort. Whatsapp und telefonieren wie bisher geht für mich nicht mehr. Vier Stunden später (sechs Stunden nach dem ersten Regen) Entwarnung! Die Mechs haben das Fenster schon am Montag beim Verlassen der Halle geschlossen. Wie aufmerksam!

 

Meine Reisegruppe war in Costa Rica unterwegs, als in Guatemala die Grenzen geschlossen wurden. Die Gruppe hat sich dafür entschieden, auf dem grossen Gelände des von Schweizern gegründeten Hotels Los Heroes auszuharren. Ein Paar ist bisher nach Holland ausgeflogen und zwei Paare und eine Frau zu verschiedenen Zeiten zurück in die Schweiz. Die Verbliebenen helfen im Hotel ein grosses Gemüse- und Kräutergartenbeet herzurichten, machen Umgebungsarbeiten, richten Maschinen her und kärchern was das Fass hält. Sie bauen einen Steg auf den See hinaus. Eine Lokomotive, die noch immer zu ihrem Aussichtsrestaurant hinauf wackelt, malen sie neu an. Sie belegen Spanischkurse bei der Reiseleiterin Janette und animieren sich zu Fitnessübungen. Für mich gibt es dort eine kleine Kapelle. Wie gerne würde ich meine Gruppe dorthin einladen! Es sei ihnen wohl vor Ort und eigentlich seien sie auch geschützt, da das Hotel für neue Gäste geschlossen wurde, sie aber gehören „zur Familie“, macht die Besitzerin den Behörden klar.. Lebensmittel werden individuell in Kisten verpackt angeliefert. Das Hotel kocht für sie jeden Abend. Fotos von ihrem Quarantänecamp guckst du unter: https://panamericanatour.de/panamericana-2019-reisebericht-gruppe-2/  Es lohnt sich reinzuschauen, da wo ich eigentlich wäre.

Mein Hausarzt verpfeift mich (nach Rücksprache mit mir) beim St. Galler Tagblatt. Ralf Streule meldet sich prompt. Wir unterhalten uns per skype. Streule hat meinen Abgang im 2011 und meine letzten Berichte gelesen, hat in meinem Blog gestöbert und mir viele Fragen gestellt. Am 31. März erscheint dieser Artikel in der Zeitung. Ich bin überrascht, wie Ralf Streule, ohne mich vorher zu kennen, meine Person erfasst und wiedergegeben hat. Tage danach habe ich sehr schöne geschriebene Begegnungen, die über St. Gallen bis in meine Anfängerzeit (1974) als Kaplan in Gossau zurückreichen.

 

7. April 20. In meiner Handy-Not erinnere ich mich an Maximilian, den Concierge vom Hotel InterTower. „Ich bin an aller Technik interessiert!“ sagte er mir einmal.  Jetzt sitze ich am Abend in meiner Appartementwohnung. Maxi nimmt in seiner Wohnung mein gewässertes Handy auseinander und schickt mir immer neue Fotos von den Innereien. Das sieht hässlich aus. Maxi bestellte neue Teile in Buenos Aires und baut sie jetzt ein. Die Arbeit geht voran! Maxi bringt mir anderntags ein voll funktionierendes Handy, aber leider bleiben alle Daten verschwunden. Keine Kontakte mehr, keine Kalendereinträge, keine Geburtstage, keine Memo`s mehr und das ist ein Schaden, der mich noch lange Zeit aufschrecken und belästigen wird.  

 

Während ich mit Maxi kommuniziere, schickt mir Eugenia die Nachricht, sie können am Ostermontag das Hotel für Gäste wieder öffnen. Ob ich wieder zu ihnen komme? Hektisch! Einmal antworte ich Maxi, das andere Mal Eugenia. Hin und her. Mein Gott, wie schwer fällt mir die Entscheidung zwischen Hotel und Appartement! Das Hotel tut alles für mich. Anderseits auch Daniel, der Appartementbesitzer. Ausschlaggebend ist für mich der Umstand, dass ich nach drei Monaten Fastfood im Appartement selber kochen kann. Sehr einfach zwar, aber was mir wirklich schmeckt. Pellkartoffeln mit Käse. Kartoffelsalat à la Lorenzo, Rösti. Teigwaren mit Spiegeleiern. Fische. Vorgekochtes aus dem Supermarkt im Microwellengerät aufheizen. Und es kostet mich nur die Hälfte einer Hotelübernachtung. Das fällt bei mir nach den Reparaturen am Womo stark ins Gewicht.  

 

9. April 2020. Hoher Donnerstag. Wir Christen gedenken des Letzten Abendmahles, das Jesus mit seinen Freundinnen und Freunden gefeiert hat. Das grosse Dankgebet. Die Eucharistie. Was mir persönlich und meinem Beruf seinen Sinn gibt. Solche Gedanken sind mir jetzt nahe. Zusammen sein mit Freundinnen und Freunden im Glauben. Virtuell. Auch das ist in dieser Corona-Zeit schön. Im selben Augenblick kommt eine email von der Schweizer Botschaft aus Buenos Aires herein: „Wir planen zusammen mit Deutschland einen weiteren Rückflug von Argentinien nach Europa am Freitag, 17. April 20! Sind Sie an einem Rückflug interessiert?“ Und ob! Ich schaue auf meinem Handykalender nach, wieviel Zeit mir bis dahin noch bleibt. O Wunder! Da erscheinen Geburtstage und Daten zu Hauf! Da erscheinen meine Memo`s! Da erscheinen alle meine Telefonkontakte! Wer will das glauben. Ich zittere vor Aufregung: Dieses Geschenk einsam im stillen Kämmerlein am Abend des Letzten Abendmahles! Ich lasse mir den ganzen Abend Zeit mit Dir und allen meinen Freundinnen und Freunden berührt und im Geist verbunden zu sein. Sooou schööön!

 

Mich treffen wichtige Entscheidungen immer an Festtagen und staatlichen Feiertagen. Da geht dann nichts mehr. In Argentinien sind der Hohe Donnerstag und der Karfreitag staatliche Feiertage. Dann folgt das Osterwochenende. Vier Tage, an denen ich nichts klären kann. Dazu ist die Ausgangssperre bis am 26. April verlängert. Nur Lebensmittel einkaufen, Medikamente und Geldziehen bei der Bank in nächster Nähe ist erlaubt. Ich bin gespannt, auf welch verschlungenen Wegen ich es zu diesem Rückflug nach Europa schaffen kann.

 

10. April 2020: Der Agent Pablo in Buenos Aires teilt mir mit, es gäbe für mich in letzter Minute eine Möglichkeit, das Wohnmobil am Donnertag, 16. April am Hafen in Zaraté abzuliefern. Allerdings müsse ich versuchen, Seabridge in Deutschland für eine Buchung bei Grimaldi zu erreichen. Die Hektik der Klärungen baut sich wieder auf. Die Gedanken drehen wie ein frisch angeworfener Kreisel. Pablo arbeitet trotz Feiertag. Seabridge meldet, sie haben eine dringende Buchungsanfrage an Grimaldi geschickt. Diese Büros arbeiten um die Not zu lindern auch an Feiertagen! Wenn die Schiffs-Buchung klappt, brauche ich einen Passierschein, damit ich die dreihundertfünfundsiebzig Kilometer von Santo Tomé zum Hafen in Zaraté fahren darf! Diesen Passierschein gibt es aber erst, wenn ich eine Schiffs-Buchung vorweisen kann. Und von dort brauche ich einen Passierschein, dass ich zum Flughafen fahren. Diesen Passierschein gibt es aber erst, wenn ich eine konkrete Reservationsnummer im Flugzeug vorweisen kann. So schön die Aussichten auch sind, die Belastung, bis ich im Flugzeug sitzen werde, ist enorm.

Aus der Schweiz erreichen mich in diesen Tagen Berichte von Freundinnen und Freunden, wie sie vorsichtig, aber locker abseits spazieren gehen und die blühenden Bäume und Blumen an der warmen Sonne geniessen. Ich vernehme nichts von Stress. Schön wär`s! 

 

11. April 2020: Die Schweizer Botschaft meldet: Es gibt so viele Interessenten für einen Rückflug.  Wir planen einen eigenen Rückflug ohne Deutschland mit Edelweiss oder Swiss direkt nach Zürich. Freitag oder Samstag wird der Flug sein, teilt die Botschaft andeutungsweise mit.

 

12. April 2020: Die Osterzeit erlebe ich im Autoparkplatz-Innenhof für mich allein. Mit zwei Eisenstangen und Holzspänen bastle ich mir ein Kreuz an eine freilehnende  Glastüre. Der Stein ist weggewälzt! Er ist auferstanden. Ich singe: Surrexit Dominus vere. Nada te turbe und andere Taizé-Lieder, während meine Reisegruppe in Costa Rica eine eigene Feier in Gemeinschaft in der hoteleigenen Kapelle, umringt von prächtigen Blumen gestaltet. Ein Altartuch wurde dazu genäht und Dekoration gehäkelt. Sooou schööön!

 

13. April 2020: Trotz Ostermontag kommt die Meldung rein: Du musst dein Wohnmobil spätestens am 15. April um 10 Uhr pünktlich in Zaraté abliefern. Der  Agent Franciso wird da sein. Herje, noch schneller! Wie soll ich das wieder schaffen? Ich bin noch 374 Kilometer von Zaraté entfernt. Also rufe ich Daniel an: Ich muss dein Appartement fluchtartig verlassen. Daniel bringt mir anderntags nach meinem Vorschlag die Hälfte vom nichtbelegten Betrag in Form von argentinische Pesos wieder zurück. Ich brauche dringend Bargeld und so habe ich jetzt genügend in der Tasche. Er nimmt auch gern zwei Taschen voll Lebensmittel, die ich nicht mitschleppen kann. So endet mein Aufenthalt, der meiner Vorstellung nach bis Ende Mai oder länger hätte dauern sollen.

 

14. April 2020: Mit einem Taxi fahre ich zwanzig Kilometer nach Santo Tomé zu meinem Wohnmobil. Als Erstes teste ich mit Augusto, der mich erwartungsvoll beobachtet mein Womo. Der Motor springt an, was will ich mehr? Testen kann ich jetzt das Fahrzeug in Echtheit auf der Strasse. Ich packe meine Koffern und bereite das Wohnmobil zur Verschiffung für vier Wochen auf dem Atlantik vor.

„Was redest du dauernd von Rechnung,“ fragt Augusto, „alle fünf Wochen Arbeit gehen auf das Garantie-Konto von Iveco Mendoza! Du brauchst gar nicht zu bezahlen.“ Ich bin platt. Jetzt verschaffen die mir in zwölf Wochen einen fast fabrikneuen Motor. Dafür bin ich nach Argentinien gereist! Sooou schööön!

 

Um elf Uhr juckt es mich, den Motor nochmals zu testen. Nichts geht mehr. Fünfmal nichts. Das Ladegerät wird angehängt. Nichts geht. In diesem Fall ist die Startermaschine kaputt. Blitze zucken in meinem Kopf hin und her: Das bedeutet die Verschiffung absagen. Ich muss, weil so kurzfristig, dennoch den vollen Betrag bis Hamburg bezahlen. Das Wohnmobil bleibt in Santo Tomé und ich werde am Sankt Nimmerleinstag wieder herfliegen, um es zu verschiffen und wieder zurückfliegen. Welche Katastrophe, die ich wieder ruhig einstecke und mir sofort den Rest in Gedanken zurechtlege.

„Ich habe ein Startergerät an Lager“, sagt Augusto. Wie lange brauchst du denn, diese Maschine einzubauen? „Eine Stunde.“ Ja, dann sofort rein damit. So kann ich die Verschiffung heute noch retten. Um halb zwei gehen alle Mechs in die Mittagspause und ich auf die Autobahn nach Zaraté.

 

Hei, wie ist das für mich ein tolles Gefühl. Endlich wieder mal selber am Steuer. Ich geniesse die Sicht auf die Felder, auch wenn die Frucht jetzt im landesweiten Herbst bereits eingebracht ist. Farblich verändert sich in Argentinien für mein Empfinden gar nichts.

 

Noch bevor es um sieben Uhr dunkel wird, erreiche ich Zaraté. Am Stadteingang misst die Armee mir die Temperatur. 34.7 Grad. Ok. Fahr dorthin zur Polizei und sprich mit ihr. Ok. Kehr wieder um, fahr ein paar Kilometer neben der Autobahn her und bei der ersten Strasse gehst du rechts rein zum Industriehafen, ohne die Stadt zu gefährden. Das mach ich gern. Danke.

 

Am Hafen wird es finstere Nacht wie immer hier nach Sonnenuntergang. Ich halte an und suche die genauen GPS Daten, um den Haupteingang in diesem riesigen Industriequartier zu finden. Ein Wächter des angrenzenden Autosilos kommt mit zwei Hunden vorbei. Du musst weg hier. Ich bewache das Areal. Ich würde ja gerne, aber ich kann nicht. Schau mal. Der Kontakt zur Batterie wird ständig unterbrochen. Beim siebten Mal Exerzieren klappt es. Ich fahre sogleich die fälligen zwei Kilometer zum Haupteingang des Industriehafens.

 

Ja, morgen sind Sie hier richtig, aber jetzt fahren sie ein Stück zurück und stell dich auf den bewachten Lastwagenparkplatz. Bei der dortigen Einfahrt wird mir an der Stirn die Temperatur abgelesen. 34.7 Grad. Ok. Du darfst rein. Bisher habe ich alles mit laufendem Motor absolviert. Jetzt aber stelle ich den Motor zum Schlafen ab und teste ihn gleich noch einmal, ob er anspringt. Das hätte ich für einen ruhigen Schlaf besser lassen sollen. Der Motor springt nicht mehr an.

 

Zweimal muss ich nachts raus, weil die Blase ihr Anrecht darauf hat, sich zu entleeren. Das Einschlafen bei dieser Unsicherheit den Hafen, so nah er auch ist, rechtzeitig zu erreichen, wird mühsam.

 

15. April 2020: Der Motor springt nicht an, auch beim siebten Mal nicht. Ich suche Hilfe bei den Parkplatzwächtern. Nein, bei uns gibt es niemanden, der dir helfen kann. Fahr (nicht zum Teufel) zum Hafen. Ja, wie denn?

 

Es ist noch finsterer Morgen. Ich kann die Batterie nicht sehen und die Taschenlampen sind schon diebstahlsicher im Womo verstaut. Ich versuche es weiter mit Zerren und Bewegen am Batteriekabel und irgendwann klappt es. Abmelden, Temperatur messen. 34.7 Grad. Ok. Gute Fahrt.

 

Beim Hafen um acht  Uhr angekommen schalte ich den Motor nicht mehr aus, bis ich auf dem Hafenareal eingelassen bin. Will heissen: Ich versuche die zwei Propangastankflaschen auszubauen. Ich gebe schon fast auf, bis mir die Idee kommt, im selben System könnte es ja ein Rechts- und ein Linksgewinde geben. Punkt zehn sind die Flaschen ausgebaut und stehen am Strassenrand. Wie bitte soll ich denn diese Tanks voll mit Gas bloss entsorgen, um nicht noch von der Polizei am Flughafen aufgegriffen zu werden?

 

Ein halbe Stunde verspätet kommt mein Agent Franzisco an. Ein Arbeiter vom Hafen kommt dahergelaufen und erkundigt sich, was mit diesen Flaschen geschehen soll. „Du kannst sie gleich mitnehmen, selber was damit anfangen oder sie verkaufen.“ Schnell hole ich ihm die Rechnung, die ich im Oktober 2019 vor dem Verschiffen in Hamburg dafür bezahlt habe. Jetzt darf er einen stolzen Preis von fünfhundert Euro für die beiden Flaschen verlangen. Ich bin bloss froh, dass ich in dieser Zeitnot die Flaschen los bin, mit denen es keine Verschiffung bei Grimaldi gäbe.

 

Der Zollbeamte im Hafengelände wirkt für mich eine Spur zu pflichtbewusst. Er klopft Türen und Tore auf Doppelwände ab. Er fingert in alle Nischen und ist sich nicht zu schade, unter das Womo zu liegen. Aus der Garage stellt er ein zuckerkilogrosses Stück versteinertem Holz als Trophäe auf den Platz. Jetzt hat es mich erwischt, denke ich. Dieses Stück haben Renato und Monica mir ohne von Verbot zu wissen, in die Garage gestellt und ich habe es bis Dato nicht entfernt. Selber Schuld.  

 

Schliesslich hat es dem Zöllner mein Fahrersitz angetan. Eine halbe Stunde lang fingert und durchleuchtet er den Sitz von Innen und Aussen mit zwei Taschenlampen macht Innenaufnahmen vom Hohlraum mit dem Handy, damit er mein Versteck besser sehen kann, als hätte ich was zu verstecken. Da ist nichts drin. Schliesslich ruft er mich ins Innere zu Hilfe. Mir ist immer noch nicht ganz wohl bei diesem pflichttodernsten Ausdruck auf seinem Gesicht. Ich wage ihn darum nicht abzulenken, mit dem Hinweis, dass ich Pfarrer bin. Bei solchen Typen könnte ein Lockerungsversuch schnell als Verdachtsverhalten umgedeutet werden. Also lass ich das. Er kniet sich zwischen die beiden Sitze vor mich hin und beobachtet mich kniend, was ich unter dem Sitz hervorhole. Ein Wischblatt und eine kleine Tüte mit weiss nicht was, bringe ich trotz fingern aus der schmalen Ritze nicht mehr hervor. „Gut bricht er die Übung ab,“ ohne zu wissen, dass er genau da, wo er kniet auf dem Deckel jenes Staufaches kniet, wo meine Medikamente und Spritzen (wohl verstanden vom Arzt mir mitgegeben für die Asienreise) gelagert sind.

 

Du erinnerst dich jetzt an die Szene jener Zöllnerin, die genau auf dem Staufachdeckel über mitzuführen verbotenen Früchten stand und mich gebeten hat sie zu segnen, worauf ihr Kollege gesagt hat, segne auch mich.

 

Genau heute, wo der Zöllner auf meinem weiteren Geheimfach kniet, würde ich ihm so gern erzählen, dass ich an diesem Tag vor sechsundvierzig Jahren zum Priester geweiht wurde. Ich weiss nicht, ob er sich mit diesem Wissen dem Glauben abgewandt oder dem Glauben zugewandt hätte. Eine undurchdringliche Person.

 

Der Zöllner hat aber noch eine Waffe, um mich zur Strecke zu bringen. Den Drogenhund. Den setzt er jetzt nach allem vergeblichen Suchen ein. Um meinen Fahrersitz herum setzt er den Hund mehrmals an, ohne dass der Hund mein Geheimfach preisgibt. Sogar Hunde halten zu mir! Der ist mit total sympathisch, mehr wie ein Chef. Schliesslich unterschreibe ich ein ausdrückliches, vierfaches Testat, dass keine Drogen gefunden wurden.

 

Das versteinerte Holz nimmt er für seinen Garten mit. Ich bekomme dafür keine Strafe. Dabei habe ich damit gerechnet, dass er mich so behandelt wie türkische Zöllner ihre ahnungslosen Entwender bestrafen. Noch einmal gut gegangen!

 

Nachdem alle meine Engel diesen pflichtbewussten Zöllner an meinem Festtag geblendet haben, kann ich das Wohnmobil zum Verladeplatz fahren.

Dummerweise habe ich bei dieser einstündigen Zolluntersuchung reflexartig den Motor ausgeschaltet. Nichts geht mehr. Ein Platzwart bringt eine Überbrückungsmaschine. Das hilft nichts, es ist ein Wackelkontakt. Die Beamten entfernen sich. Ich öffne die Motorhaube und ziehe das verflixte Kabel ab. Ich weiss doch schon, woran das liegt. Habe ich doch mit Dominic schon in Schottland, mit meiner Schwester und Schwager in Kanada darunter gelitten und habe ich doch kabelschüttelnd die Asienreise von der Mongolei über China bis in die Schweiz hinter mich gebracht. Also jetzt beim Zoll, es ist nun die dritte Grenze, geht wieder gar nichts mehr.

 

Ich ziehe das lockere Kabel mitsamt den Verteilabgängen ab und entdecke, dass die Befestigung in dieser Art gar nicht mehr anziehen kann. Die wurde vom Mechaniker in Santo Tomé sträflicherweise einfach locker auf den Batteriepol gesetzt. Ich presse das Ding auf den Pol und setze mit einem passenden Schlüssel die Schraube neu an. Start auf Anhieb, wie es sein soll. In letzter Minute habe ich das Wohnmobil vor einem Abschleppen in Zaraté auf und in Hamburg von dem Fährschiff gerettet. Jetzt, wo ich endlich weiss, wieder ein tolles, fahrtüchtiges, treues Wohnmobil vor mir zu haben, muss ich es für vier Wochen den Meeresungeheuern im Atlantik überlassen.

 

Ein Taxi wartet schon vor dem Eingangstor zum Hafen. Fabian fährt mich  hundertfünfunddreissig Kilometer zum Hotel Howard Johnson. Drei grosse Kontrollen mit Staus auf der Autobahn kosten Zeit. An einer Stelle sind neben der Autobahn reihenweise Autos versiegelt abgestellt von Fahrern ohne Bewilligung. Die Autos bleiben während der Quarantäne dort stehen und die Fahrer erhalten eine hohe Busse. Ab heute ist Schutzmaskenpflicht. Mein Fahrer weist sich mit einem Papier als Taxichauffeur aus – er hat kein Taxischild auf dem Dach – und kommt damit flink durch, ohne dass ich mich im Fond sitzend meine Maske entfernen muss.

 

Was fühle ich mich jetzt froh, in diesem paradiesischen Hotel Howard Johnson, fernab der Stadt, drei ruhige Nächte und Tage zu verbringen. Nach diesen hektischen Entscheidungen und belastenden Erlebnissen hat das Wort Warten für mich wieder einen qualitativ hohen Rang. Ich warte gern, um dann am Samstag ausgeruht nach einem Direktflug mit Edelweiss – was für ein Luxus – am Sonntagmittag in Zürich zu laden.

Schmerzlich bleibt, dass viele private Einladungen von Freundinnen und Freunden, ihre Familien in Santa Fe kennen zu lernen wegen des Ausgangsverbotes nicht stattfinden konnten und ich mich von ihnen und vielen Menschen in Argentinien nicht mehr habe persönlich verabschieden können. Lebt wohl, ihr Lieben alle!

 

Und wer hat diesen unerwarteten Abgang möglich gemacht? Weil ich Pfarrer bin, geben Einige sofort die Antwort: „Der liebe Gott!“ Ja natürlich. Aber ohne sein Personal auf Erden scheint er mir weltweit ziemlich hilflos. Sein Personal auf Erden kämpft gegen Krankheit und Verlassenheit. Sein Personal gestaltet das Zusammenleben mit berührend fantasievoller, aufopfernder  Achtsamkeit. Sein Personal verschafft mir in Kürze eine Verschiffung und gleichzeitig den Rückflug.

 

Darum danke ich Seabridge mit deren Büro ich mich auf die Reise gemacht habe und das mein Wohnmobil und mich auch wieder nach Europa zurückbringt. Ihrem Partnerbüro ESADIN in Buenos Aires, das ebenfalls ausser Bürozeiten eine gute Arbeit geleistet hat. Der Schiffsgesellschaft Grimaldi, die Hals über Kopf ein Reservationsdokument auf Ihrer Grande Argentina ausgestellt hat, nachdem ich Buchungen zuvor schon drei Mal habe annullieren müssen. Der Schweizer Botschaft in Buenos Aires danke ich, die mir mit ihrer Organisation den Schlüssel überreicht hat, am Samstag, 18. April 2020 Gott sei Dank am Rückflug nach Zürich teilnehmen zu dürfen.

 

 

Meine Schwester Theres und meinen Schwager Hans habe ich täglich per skype sprechen und sie mit meinen Freuden und Belastungen bombardieren dürfen. Sie haben jeweils die Ereignisse an unsere Verwandten weiter transferiert. Mit vielen Freundinnen und Freunden stand ich per whatsapp und email in häufigem Kontakt. Und schliesslich hast auch Du meine Reiseberichte gelesen. Ihr alle haltet mein Trampolin, auf dem ich immer noch Luftsprünge mache. Sooou schööön!

 

 

TAGBLATT  vom 31. März 2020

Gestrandet auf 35 Quadratmetern: Warum ein pensionierter St.Galler Priester die argentinische Ausgangssperre in einem Appartement durchstehen muss

Lorenz Becker, pensionierter katholischer Priester, steckt in Argentinien fest. In einem Appartement in Santa Fe wartet der 73-jährige St.Galler auf das Ende der Corona-Ausgangssperre. Zwar hat das EDA Rückführungsflüge für Schweizer organisiert – der Weg zum Flughafen aber würde für Becker zum Spiessrutenlauf.

Ralf Streule 30.03.2020, 20.00 Uhr        

  Lorenz Becker ist per Skype erreichbar. Hinten ist eine weisse Wand zu sehen, kurz präsentiert der pensionierte katholische Priester den Blick aus dem Fenster des Hinterzimmers. Einige Palmen und einige wenig spektakuläre Bauten gibt es da zu sehen – ein Quartier des argentinischen Städtchens Santa Fe, fast 400 Kilometer nordwestlich von Buenos Aires. Hier steckt der 73-jährige Langzeitreisende seit einer Woche in einem 35 Quadratmeter grossen Appartement fest. Ein Ende ist nicht absehbar. Er sagt:

       ... Skype-Gespräch...

  

      «14 kleine Schritte kann ich hier machen von einer Wand zur anderen.»

Immerhin: Kurz einkaufen gehen im Supermarkt gegenüber darf er. Und: «Bei Luftsprüngen schaffe ich es nicht ganz zur Decke.» Beckers Lage ist delikat, die Corona-Ausgangssperre in Argentinien hat aus seiner Reise ein unerwünscht dramatisches Abenteuer gemacht. Dennoch lässt er im Gespräch immer wieder Schalk und Humor aufblitzen.

Seit neun Jahren im Wohnmobil unterwegs

Diese gewinnende Art Beckers kennen viele St.Galler: 37 Jahre lang war der katholische Priester in St.Gallen und Gossau tätig. Die meiste Zeit im Osten der Gallusstadt, zuletzt in der ökumenischen Gemeinde Halden. Becker, in Vilters aufgewachsen, war schon immer reiselustig. Als er sich 2011 pensionieren liess und im Neudorf in St.Gallen seine letzte Messe hielt, stand sein Wohnmobil schon bereit. Seither ist der 73-Jährige mit seinem Gefährt unterwegs, während fast zehn Monaten im Jahr. Zunächst hat er ganz Europa, dann die USA, Kanada, Russland und die Mongolei bereist – und in seinem Reiseblog lebendig beschrieben. Seit einigen Monaten ist Südamerika an der Reihe. Eine Reise von Feuerland nach Alaska war geplant. Aber eben: Das Coronavirus hat dieser Reise eine schnelle Wendung gegeben.

Die Viruskrise hat Argentinien im Schnellzugtempo heimgesucht. So schnell, dass auch viele Schweizer Touristen überrumpelt wurden. Kurz nach den ersten Infektionen im Land folgten Grenzsperrungen. Seit einer Woche gilt eine allgemeine Ausgangssperre, die von den Behörden mit harter Hand durchgesetzt wird. 150 Schweizer Touristen befinden sich noch im Land.

Motorpannen, Hotelschliessung, unberechenbare Behörden

Eine Verkettung von Zufällen hat dazu geführt, dass Becker hier gelandet und nicht bereits in Mittelamerika angekommen ist – oder längst zurück in der Schweiz. Becker sagt:

«Freunde, mit denen ich die Reise von Europa aus angegangen bin, sind unterdessen in Costa Rica – und kommen dort ebenfalls nicht weiter.»

Der Kontakt zu seinen ehemaligen Reisebegleitern ist weiterhin da. Er selber aber musste auf dem Weg von Patagonien nordwärts in Mendoza an Weihnachten einen Zwangshalt einlegen. Der Motor seines Wohnmobils war defekt, die Reparatur dauerte fast zwei Monate. Als sich Anfang Februar die Kunde des Virus verbreitet, entschliesst er sich zur Heimkehr. Sein Wohnmobil will er in Uruguays Hauptstadt Montevideo nach Europa verschiffen – doch unterdessen sind bereits die Grenzen geschlossen. Dazu kommt eine weitere fünfwöchige Motorenpanne. Bald darauf folgte die Ausgangssperre.

  Die Campingplätze sind inzwischen geschlossen, er lässt das Wohnmobil bei einer Autowerkstatt im bewachten Innenhof stehen, lebt zunächst in einem Hotel in Santa Fe. Als vor einer Woche auch dieses geschlossen wird, wechselt er ins Appartement.

Bald entscheidet sich Becker, die Krise in Argentinien auszusitzen. Doch ein Studienfreund hält Rücksprache mit einer Schweizer Ärztin in Buenos Aires und empfiehlt darauf die sofortige Rückreise. Einerseits aufgrund der medizinischen Situation – anderseits wegen der Unberechenbarkeit der Behörden. An gewissen Orten sollen die Touristen von der Polizei besonders hart angefasst werden, da sie als Coronaträger verdächtigt werden. Mit einem Augenzwinkern sagt Becker:

«Wohnmobile gelten jetzt als Coronamobile.»

An eine schnelle, einfache Heimreise samt Wohnmobil-Verschiffung ist wohl auch in den kommenden Wochen für ihn nicht zu denken.

Becker will den Chauffeur nicht in Gefahr bringen

Also doch die Frage: Sofort ohne Wohnmobil heimkehren oder nicht? Beckers Entscheide wankten vergangene Woche, wechselten stündlich, oder wie er es in einem seiner schönen Wortbildern im Blog formuliert: «Meine Gedanken flattern wie Hühner im Gehege immer wieder gegen den Maschendrahtzaun und suchen einen Ausweg.»

Also: Heimkehren! Doch wie soll er es nach Buenos Aires schaffen? Die Chefin des Hotels in Santa Fe, in dem er lange weilte, organisiert einen Chauffeur. Becker meldet sich bei der Schweizer Botschaft, dass er die Rückreise antreten möchte. Ein Flug sei geplant, heisst es. Doch noch fehlt Becker die Buchungsbestätigung, mit der er sich während der Ausgangssperre als Rückflug-Passagier ausweisen können muss, da die Polizei ihn auf dem Weg zum Flughafen sonst nicht passieren lassen oder sogar festnehmen wird.

Tage vergehen, bis der Passierschein da ist. Becker hört inzwischen von kilometerlangen Staus auf den wenigen noch offenen Zufahrtsstrassen nach Buenos Aires. Dazu kommt: Er will seinen Chauffeur nicht in Gefahr bringen, der bei der Rückfahrt Probleme haben dürfte, sich der Polizei zu erklären. Irgendwann macht die Meldung im argentinischen Fernsehen dem ganzen Hin und Her ein Ende: Alle Rücktransport-Flüge seien gestrichen – was sich später wiederum als Ente herausstellt.

Das Durcheinander ist perfekt. Tatsächlich spricht aber danach auch die Schweizerische Botschaft von Schwierigkeiten mit der Einreise nach Buenos Aires. Empfohlen werden für die Rückholung nun Flüge aus den Städten Bariloche, Mendoza, Cordoba. «Zu kurzfristig», sagt Lorenz Becker. Zudem verunsichern ihn Berichte von 6000 Festnahmen im Land aufgrund der Verstösse gegen die Ausgangssperre-Regeln – und die Meldung von knapp 1000 eingezogenen Fahrzeugen.

Er will «lieber in Ruhe hier verweilen, um nicht dem Chaos eines Rücktransportes ausgesetzt zu sein.» Er will Energie sparen, für das Ausharren in Argentinien.

«Wer sagt, dass ich hier die Sache schlechter überstehe?»

Der St.Galler Oberländer sieht während des Skype-Gesprächs entspannt aus, gewinnend, ausgeglichen. Wie ein Ferienreisender, nicht wie ein Gestrandeter. Und so fühle er sich auch. «Wer sagt, dass ich die ganze Sache hier schlechter überstehe als in der Schweiz?», fragt er. Er macht aber gleichzeitig klar: Hätte er den Absprung aus Argentinien rechtzeitig geschafft, wäre er gerne zurückgereist. Um den Verwandten und Bekannten näher zu sein.

Freundschaften hat er mit seiner gewinnenden Art aber auch in Argentinien geschlossen. Die Hotelchefin und der Appartementsbesitzer kommen hin und wieder vorbei. Langweilig ist es Becker bisher nicht geworden – das viele E-Mail-Schreiben braucht Zeit. Hin und wieder wird er mit Videoanrufen unterhalten, kürzlich sogar von einem Saxofon- und Klavierkonzert von den Kindern eines Neffen.

Der Glaube hilft mit

Hilft ihm sein Glaube, sich mehr oder weniger unbeschwert in die Situation zu geben? Wahrscheinlich habe es mit Gottvertrauen zu tun, ja. «Ich kann aber auch damit leben, wenn man es Grundvertrauen nennt», sagt er, als wolle er seine schon zu Pfarrerzeiten wenig doktrinär religiöse Einstellung zu spüren geben. Gott habe sich ihm auf den Reisen immer wieder gezeigt. Im Feingefühl der Leute, in der Lebensfreude. Keine Frage: Er fühle sich weiterhin geborgen hier in Argentinien. Auch wenn die medizinische Versorgung schlechter wäre als in der Schweiz. Dank guter Gesundheit aber habe er gute Chancen, nicht schwer zu erkranken.

«Erwischen kann es mich hüben wie drüben.»

Becker schmunzelt. Der Mann hat Nerven. Und Humor.

 

 

St. Galler Tagblatt  21. April 2020

Die Rückreise gelingt doch noch: Wie es der in Argentinien gestrandete St.Galler Priester zurück in die Schweiz schaffte

 

Eigentlich hatte sich Lorenz Becker Ende März in Argentinien mit seiner Situation abgefunden. In einem kleinen Appartement in Santa Fe wollte der 73-Jährige ausharren und die behördlich hart durchgesetzte Corona-Ausgangssperre abwarten. Am vergangenen Wochenende ist dem katholischen Pfarrer die Rückreise in die Schweiz doch noch geglückt - nach einigen dramatischen Wendungen.

Ralf Streule 21.04.2020, 19.50 Uhr

 

Gespenstische Ruhe am Flughafen in Buenos Aires. Ein Flugzeug aber startet - Destination Suiza.

Bilder: Lorenz Becker

Der Edelweiss-Direktflug über Quito und Buenos Aires vom vergangenen Wochenende war wohl einer der letzten Extraflüge in der gross angelegten Corona-Rückholaktion des Bundes.  310 Menschen, die in Südamerika gestrandet waren, sind am Sonntagabend in Zürich gelandet. 169 Schweizer waren dabei – unter anderem Lorenz Becker, der pensionierte St.Galler Pfarrer, dessen delikate Situation in Argentinien an dieser Stelle bereits einmal Thema war.

Mit einem Wohnmobil war der 73-Jährige Ende 2019 in Patagonien gestartet. Eine Panne in Argentinien hielt ihn mitten in der aufziehenden Coronakrise im Land. Tagelang wartete er danach auf einen Rückflug, um sich irgendwann zu entscheiden, während der Ausgangssperre auf eine risikovolle und hektische Reise zum Flughafen in Buenos Aires zu verzichten. Lieber wollte er einige Wochen lang auf 35 Quadratmetern im Appartement ausharren, als sich durch offenbar willkürliche Polizeikontrollen zu kämpfen.
Doch die Geschichte nahm noch einmal eine Wendung, wie Becker über Skype aus Flumserberg erzählt, wo er sich nach der Landung im Ferienhaus des Schwagers in «freiwillige Quarantäne» gesetzt hat. Becker, der St.Galler Oberländer, der jahrelang in Gossau und St.Gallen als katholischer Priester gearbeitet hat, sagt:

«Ich hatte mich in Argentinien auf eine Wartezeit bis mindestens Ende Mai eingestellt. Aber es kam anders.» 

Vor zehn Tagen, am hohen Donnerstag, sass er in seinem Appartement in Santa Fe, stellte sich fernab von Freunden und Bekannten auf seltsame Ostertage ein, die ihm als Priester doch so viel bedeuten. Da kam am Abend das Mail von der Schweizer Botschaft: «Wir planen  einen weiteren Rückflug von Argentinien nach Europa am Freitag, 17. April. Sind Sie an einem Rückflug interessiert?»
Viele Abklärungen und 24 Stunden später steht fest: Sein Wohnmobil kann am Donnerstag vor der Abreise von Zaraté bei Buenos Aires nach Hamburg verschifft werden.

Er schreibt in seinem Reiseblog: «Die Hektik der Klärungen baut sich wieder auf. Den Passierschein zum Hafen von Zaraté gibt es erst, wenn ich eine Schiffsbuchung vorweisen kann. Und von dort brauche ich einen Passierschein, dass ich zum Flughafen fahren darf. Diesen Passierschein gibt es aber erst, wenn ich eine Reservationsnummer im Flugzeug vorweisen kann.»
Alles ist terminlich und organisatorisch schwierig. Und eigentlich hatte er ja genau diesen Rückreiseaufwand gescheut und deshalb die engen vier Wände in Santa Fe vorgezogen. Aber, ja: Becker ist am Rückflug interessiert. Nun also doch.

Wohnmobilfahrt mit Hindernissen, Verschiffung in letzter Minute.

Diese Probleme meistert Becker. Die nächsten folgen bald. Die Ostertage verbringt er im Innenhof beim Appartement alleine: «Mit zwei Eisenstangen und Holzspänen bastle ich mir ein Kreuz an eine freilehnende Glastüre. Der Stein ist weggewälzt! Er ist auferstanden», schreibt Pfarrer Becker im Reiseblog, um gleich darauf weniger gute Nachrichten zu vermelden.
Am Ostermontag erfährt er, dass sein Mobil schon am Mittwoch in Zaraté sein muss. Knapp 400 km gilt es zurückzulegen, aufgrund der vielen Strassensperren und harten Polizeikontrollen ein schwieriger Weg. Er verabschiedetet sich auf die Schnelle vom Appartementsbesitzer, der ihm mittlerweile ans Herz gewachsen ist, lässt sich per Taxi zum Wohnmobil fahren, das im Innenhof einer Autowerkstatt auf ihn wartet. Ein Test zusammen mit Mechaniker Augusto zeigt: Der Wohnwagen läuft!
Doch kurz darauf, nachdem alles gepackt und vorbereitet ist, geht nichts mehr. Becker schreibt:

«Fünfmal nichts. Das Ladegerät wird angehängt. Nichts geht. Das bedeutet die Verschiffung absagen. Ich muss, weil so kurzfristig, dennoch den vollen Betrag bis Hamburg bezahlen. Das Wohnmobil bleibt hier und ich werde am Sankt Nimmerleinstag wieder herfliegen, um es zu verschiffen und wieder zurückfliegen.»

Die letzte Hoffnung liegt in einem Startergerät Augustos. «Nur so kann ich die Verschiffung heute noch retten.» Und tatsächlich: Eine Stunde später macht sich Becker auf in Richtung Meer.
Am Abend erreicht Becker Zaraté, am Stadteingang misst ein Soldat seine Temperatur, beim Hafen ein Polizist noch einmal. Wer Fieber hat, darf nicht weiter. Becker wird durchgelassen. Doch: Bei der zweiten Kontrolle geht der Motor wieder nicht an. Und am nächsten Morgen, als das Wohnmobil verschifft werden sollte, dasselbe Spiel. Als es endlich klappt, kommt - eine Temperaturmessung später - die nächste Prüfung. Der Zoll. Becker schreibt in seinem Reiseblog süffisant:

«Der Zollbeamte im Hafengelände wirkt für mich eine Spur zu pflichtbewusst.»


Was im Klartext heisst: Stundenlang wird Beckers Wohnmobil untersucht, der Beamte klopft Türen ab, legt sich unter das Auto, Drogenhunde kommen zum Einsatz. Medikamente, die Becker in einem «Geheimfach» gelagert hat und die er vielleicht nicht hätte mitführen dürfen, verpasst der eifrige Beamte aber haarscharf. «Nachdem alle meine Engel diesen pflichtbewussten Zöllner an meinem Festtag geblendet haben, kann ich das Wohnmobil zum Verladeplatz fahren.»  Doch: Wieder streikt der Motor.
Die Zeit wird knapp, es geht um Minuten. Endlich findet und behebt Becker das Problem: einen Wackelkontakt bei der Batterie. «In letzter Minute habe ich das Wohnmobil vor einem Abschleppen in Zaraté auf und in Hamburg von dem Fährschiff gerettet. Jetzt, wo ich endlich weiss, wieder ein tolles, fahrtüchtiges, treues Wohnmobil vor mir zu haben, muss ich es für vier Wochen den Meeresungeheuern im Atlantik überlassen.» Sein Gefährt ist verschifft, er selber macht sich mit obligatorischem Mundschutz auf die Taxifahrt zum Hotel in Buenos Aires, wo die in Argentinien steckengebliebenen Schweizer sich versammeln.

Berührende Szenen am Flughafen

Diese erzählen davon, dass sie zum Teil von der Polizei und der Bevölkerung sehr abweisend behandelt wurden und Rechtsschutz von der Botschaft brauchten, um sich zum Flughafen bewegen zu können. «Ich hingegen hatte auf meiner Reise nur Freunde angetroffen. Wie glücklich bin ich im Vergleich zu vielen anderen Gestrandeten», schreibt Becker. Wem er das ganze zu verdanken habe? «Weil ich Pfarrer bin, geben einige sofort die Antwort: ‹Der liebe Gott!› Ja natürlich. Aber ohne sein Personal auf Erden scheint er mir weltweit ziemlich hilflos. Sein Personal verschafft mir in Kürze eine Verschiffung und gleichzeitig den Rückflug...»
Mit einigen Stunden Verspätung geht die Reise zurück nach Europa für Becker schliesslich los. Berührende Szenen spielen sich am Flughafen ab, wie er sagt:

 

«Eine Norwegerin weinte über die Nachricht, dass für sie im Flugzeug kein Platz mehr ist. Später stellt sich heraus: Es wären noch vier freie Plätze da gewesen.»


Im Flugzeug dann ist viel Ruhe, alle hängen ihren Geschichten nach. Becker ist besonders darüber enttäuscht, dass er dem Land so schnell den Rücken zukehren musste, sich von Freunden nicht verabschieden konnte, die er in Santa Fe kennengelernt hatte und die ihn zu sich eingeladen hatten - für die Zeit nach der Ausgangssperre. Eine Rückkehr nach Argentinien aber nimmt er sich nicht vor.
Nach der Ankunft in Zürich dürfen alle zwei Minuten nur zwölf Leute aussteigen, bei der Gepäcksausgabe wird auf Abstände geachtet - die Vermischung der Passagiere soll, trotz gemeinsamem Flug, möglichst klein gehalten werden. Lob gibt es von Becker für alle Passagiere, die weder Verspätungen noch diese nötigen Umstände aus der Ruhe bringen. Und fürs Personal, dass vom Bund bewilligte Extraschichten einlegen musste, um diesen Direktflug in die Schweiz über Quito und Buenos Aires überhaupt möglich zu machen.
Sobald Becker aus seiner selbst gewählten Quarantäne kommt, wird er bei Schwester und Schwager wohnen. Doch sein Wohnwagen soll so bald als möglich wieder sein zuhause sein. Er wird es in Hamburg abholen, sobald die Grenzen wieder offen sind. Deutsche Freunde werden es unterdessen abholen und bei sich abstellen. Vielleicht wird Becker dann nicht sofort wieder auf Reisen gehen, sondern in Vilters auf dem Grundstück bei Verwandten im Wohnmobil leben. Eines ist aber im Gespräch gut zu spüren: Das Interesse an anderen Ländern und Völkern wird ihn, der seit seiner Pensionierung 2011 auf Reisen ist, bald wieder forttreiben

 

Vor dem Rückflug am 18. April 2020

mit Edelweiss in einem Direktflug organisiert durch die Schweizer Botschaft zurück in die Schweiz.

 

Mein Schwager Hans sagt, meine vielen Entscheidungen seien zu ihrer Zeit und bei ihrer Dynamik während vielen Wochen und Monaten immer richtig gewesen und hätten zu diesem guten Ende geführt. Das fühle ich so. Ich habe nie aus Angst versucht, etwas zu erzwingen, habe mich laufenden Veränderungen gestellt, mich  entschieden und mich wieder gefügt. Und es ist zu diesem fantastischen Ende gereift.

 

An meine Reisefreunde in Costa Rica

„Meine Lieben, Walda, Walti, Telse, Claus, Bärbel, Hans, Janette ich schreibe euch gleichzeitig, weil ich für alle von euch gleichzeitig dieselben Gefühle empfinde. Ich lese bei Bärbel, dass ihr euch als Familie wohl aufgehoben findet. Das erfreut mich so oder so und möchte am Allerliebsten diese Zeit, komme was da wolle, mit euch teilen. Jemand hat verhindert, diesen Weg bis zu euch fortzusetzen. Schade... Ihr seid mir dermassen ans Herz gewachsen. Ich wage euch fast nicht zu schreiben und adieu zu sagen, weil ich morgen wohl diesen Kontinent verlassen werde. Viele aufreibende Neuigkeiten und Entscheidungen haben mich hierhergebracht, morgen wohl in einem Direktflug, der von Edelweiss über Quito nach Buenos Aires führt direkt in die Schweiz zurückzufliegen. Meinen Gefühlen nach hatte ich mich damit abgefunden, ein paar Monate in Argentinien zu verbleiben. Nun habe ich wider alle Erwartung das Wohnmobil in Zarate abliefern können. Und morgen soll ich um 13 Uhr den Flug von 18.15 nach Zürich antreten. Ich weiss, dass ihr euch wohl fühlt und das mit allem Grund. Gleichzeitig habe ich  Hemmungen mich von euch auf diese Weise zu verabschieden, weil ich fühlen kann, dass trotz Wohlbefinden und Sicherheit in eurer Lage, es nochmals ein anderes Gefühl ist, man könnte sich in der Schweiz oder in Deutschland zu Hause freier und häuslicher bewegen. Nehmt es mir nicht übel, ich freue mich unter Tränen an dieser Möglichkeit morgen am Rückflug teilzunehmen und denke, euch würde es nicht anders ergehen. Traurig darüber, diese freundschaftsvertiefenden Erfahrungen nicht vor Ort in Costa Rica mit euch teilen zu können und feige von diesem Kontinent abzuhauen, grüsse ich euch ganz herzlich. Lorenz“

 

Im Hotel Howard Johnson, vierzehn Kilometer vom internationalen Flughafen Ezeiza in Buenos Aires entfernt, lerne ich tolle Reisende aus Deutschland und aus der Schweiz kennen. Aus Rotkreuz-Basel, aus Luzern und Kriens, aus Montreux und vielen anderen Gegenden. Alle haben wir uns sehr viel zu erzählen und tun das auch. Zum Teil wurden sie von der Polizei und der Bevölkerung sehr abweisend behandelt und brauchten Rechtsschutz von der Botschaft, um sich zum Flughafen bewegen zu können. Ich hatte nur Freunde angetroffen. Wie glücklich bin ich im Vergleich zu vielen Gestrandeten.

 

Das EDA schickt zwei Busse zum Hotel Howard Johnson (14km vom Flughafen Ezeiza entfernt). So viele sind es inzwischen geworden, die zum Flughafen gebracht werden wollen. Unsere Edelweiss kommt drei Stunden verspätet mit Passagieren von Quito. Schliesslich starten wir nochmals mit einer Stunde Verspätung, weil die Zahl auf dem Papier nicht mit der Zahl der Platzierten übereinstimmt. Der Kapitän entschuldigt sich und bittet um Geduld. Dieses Warten ist nicht ziellos. Das kann uns nicht bedrohen. Schliesslich ist die Crew vom Start in der Schweiz schon 37 Stunden unterwegs! Die Besatzung war auf einer Picketliste von Edelweiss. Jedes einzelne der Crewmitglieder konnte sich aber entscheiden, freiwillig oder nicht mitzufliegen. Sie benötigten eine Sonderbewilligung vom Bund, um diese Überzahl an Stunden und das Risiko für diese Bergungsaktion auf sich zu nehmen.

 

Das Flughafen- und Aufseher Personal wirkt entspannt. Keine Hektik, keine Panik. Alles in Ruhe und Ordnung. Fiebermessen und rein in den Flughafen.

 

Von den 310 Passagieren sind es 169 Schweizerinnen und Schweizer, die zurückgeflogen werden. 141 sind aus anderen Ländern. 49 davon sind wohnhaft in der Schweiz, der Rest sucht Anschlussmöglichkeiten für weitere europäische Länder. 4 Plätze sind leer geblieben, weil sich irgendwo ein Belegungsfehler eingeschlichen hatte.

Mein unmittelbarer Sitznachbar ist der dreijährige Borje.

 

Mein jüngster argentinischer Freund. Er fliegt mit seiner Mama allein. Sie wollen die Coronazeit bei ihrem Papa in Nyon absitzen. Der kleine Borje hat viele Interessen und Talente. Am Begeisterten erzählt er aber immer wieder vom Papa Noél und seinen Geschenken. Er verkleidet sich mit der Wärmedecke als Papa Noél und singt sein Liedchen. Borje verkürzt mir echt die Flugzeit von dreizehn Stunden.

 

In Zürich gelandet, warten wir im Flugzeug eine Viertelstunde, weil erst alles Gepäck entladen und auf die Förderbänder im Flughafen gebracht wird. Dies um einen Stau bei der Gepäckausgabe zu vermeiden. Dann dürfen alle zwei Minuten fünfzehn Leute das Flugzeug verlassen und ihr Gepäck abholen, erklärt der Kapitän mit ruhiger Stimme. Alles wird eingehalten. In der Schweiz müssen wir nicht zuerst in Quarantäne gehen, sondern uns wie Schweizer verhalten. Möglichst zu Hause bleiben, zwei Meter Abstand, Menschenansammlungen meiden.  

 

Per SBB fahre ich am Sonntagabend, 19. April 20 um 18.32 Uhr in Sargans ein. Mein Schwager steht zur Schlüsselübergabe bereit und bringt mich in seine Ferienwohnung in den Flumserbergen. Hier verbringe ich erst mal zehn Tage in freiwilliger Quarantäne, bevor ich meine Verwandten in Vilters und andernorts aufsuchen werde. Ich nehme an diesem Abend zahlreiche Willkommgrüsse entgegen! Sooou schööön!

 

 

Um mich auch seelisch zu beheimaten, höre ich über Internet das Abendgebet der Brüder aus Taizé und erwache erst um 23 Uhr aus diesem Gebet wieder. Zeit, mich müde und schläfrig ins Bett zu legen. Sooou friedlich!