2015 November
Allerheiligen verbindet mich beim traditionellen Totengedenken tief mit meinen Verwandten in Vilters und Freunden vielerorts. Ein wärmendes Gefühl in dieser herbstlichen Stille mit freiem Blick vom Friedhof auf den Falknis, das Gleckhorn und den Vilan. Berge und Geborgenheit seit meiner Jugend und ich bin immer noch da, dankerfüllt durch alle Erlebnisse.
Am 4. November fliege ich mit Martina und Marco nach Hamburg. Die Beiden haben die Verschiffung meines Womos nach Nordamerika erlebt und nun auch die etwas verspätete Rückkehr. Das Womo hat die Meerfahrt heil überstanden. Doch haben unliebsame Angestellte auf dem Schiff oder am Hafen das Innere nach Wertgegenständen durchsucht. Zwei Stablampen, eine Stirnlampe, eine Nagelschere, Wattestäbchen und ein Fotoapparat (heutiger Stand des Fehlenden) sind weg!
„Das Wunder von Bern“ wird in Hamburg als Musical aufgeführt und spielt seit November 2014. Die Jungs haben sich ins Zeug gelegt. Viele frische, spektakuläre Bilder und Szenen mit ganz neuer Technik begeistern mich. Dramaturgisch sehr knapp und aufwühlend erzählt.
„Liebe stirbt nie, Phantom II“. Die Lieder in diesem Musical sind mir noch nicht bekannt. Eine feine, eher traditionelle Inszenierung an der Reeperbahn. Für mich aber – warum auch immer - weniger packend wie Phantom I.
„Dom“ wird der überdimensionale Jahrmarkt an der Reeperbahn genannt. Das Feuerwerk zur Wintereröffnung sprüht gewaltig am Himmel.
Die Heimfahrt von Hamburg nach Vilters (920 km) übersteht das Womo, überstehen Martina und Marco nach dreizehn Stunden gut und ich glücklich.
Zwei Tage nach seiner Ankunft in Vilters steht das Womo zwecks Service und Reparaturen bereits bei IVECO, Fürk AG in St. Gallen. Marc listet mit scharfem Blick alle Mängel auf. Es wird eine lange Liste. Teile aus Holland, Deutschland und Italien bestellen. In vielen Tagen abarbeiten.
Nicht nur das Womo, auch meinen eigenen Körper bringe ich zum Medizinmann und zum Augenarzt. Ich fühle mich total gesund, lasse mir aber meinen Zustand von Ärzten bestätigen. Man weiss ja nie.
Die Zwischenzeit verbringe ich in St. Gallen mit Besuchen vor allem bei Menschen, die nicht mehr frei aus dem Haus gehen können. Bei Doris komme ich vier Tage zu spät. Sie hat nicht mehr länger warten können und ist nun von ihrem Leiden erlöst. Vom Altersheim gehe ich nach dieser Nachricht direkt in die Neudorfkirche. Die Fladenschüler sind um den Altar versammelt und feiern, wie damals mit mir, ihren Gottesdienst zum Thema „Lebensfreude, I have a dream“. Die Jungs tragen ihre Texte vor, die Mädchen singen und musizieren. Möge ihr Leben gelingen. Mein Lebenstraum hat sich im Beruf und in der Freizeit erfüllt. Sooou schöön.
Vierzig Jahre Halden. Die ökumenische Gemeinde, die ich während dreissig Jahren mit aufbauen und prägen durfte, feiert mit junger Kraft ihr Jubiläum. Die heute verantwortlichen SeelsorgerInnen schätzen unsere Pionierarbeit und setzen denselben Weg fort. Auf dem bunten, tausenderlei Angebote umfassenden Bazar und beim Festgottesdienst begegne ich vielen Bekannten.
Der Weg von Vilters in die offene Kirche in St. Gallen beginnt mit Schneegestöber. Jazz, Klassik, Improvisationen, östliche Musik und westliche hämmert und zupft das Trio Anderscht aus zwei Hackbrettern und einem Kontrabass. Eine überraschende und sehr gefällige musikalische Erweiterung auf den üblicherweise mit Ländler-Musik traktierten Hackbrettern. Anderscht begleitet auch die frechen und lustigen Lieder von Stimmix, so wie das kunstvoll arrangierte Lueget vo Berg und Tal unter der Leitung von Lukas Bolt. Das ganze Konzert ein grosser Genuss..
Eine Zerrung im Rücken zwickt mich tage- und nächtelang. Ich habe das Gefühl der Körper wird von den Hüften an abwärts mit Laserstrahlen abgeschnitten. Bereits eine kleine Bewegung heizt mir grausam ein.
Die mächtigen und zarten Stimmen der Bolschai Kosaken erklingen und schwingen in der Klosterkirche in Pfäfers. Alles Solo-Konzert-Stimmen in einem Chor vereint. Gewaltig. Nun habe ich in Europa doch Kulturelles nachgeholt, seitdem ich mir Zeit dafür nehme.
Mein Womo verbringt seine Zeit bereits drei Wochen lang in der Garage. Servicearbeiten, Reparaturen, auf Ersatzteile warten…
Andreas Englisch deckt Machenschaften und Zerreissproben auf, mit denen sich Papst Franziskus im Vatikan herumschlagen muss. Der Journalist zeigt sein profundes Wissen über eine abgeschlossene Kardinals-Kleriker-Welt, die mich je länger je mehr befremdet. Das Buch ist selbst für mich eine happige Lektüre. Andreas Englisch, Der Kämpfer im Vatikan, Papst Franziskus und sein mutiger Weg. C.Bertelsmann-Verlag. Bitte nicht vor Weihnachten lesen. Das „Stille Nacht“ würde verzerrt tönen.
Zwei Dinge prägen sich mir im ersten Monat nach der Rückkehr aus Kanada und USA besonders stark ein: 1. Der Strassenverkehr in der Schweiz ist unvergleichlich aggressiver und hektischer als auf dem amerikanischen Nordkontinent. 2. Mit fast allen Menschen, denen ich hier begegnen will, ringe ich um Termine. Wir schreddern das Geschenk der Zeit und der Begegnung durch unser Getriebensein und unsere Planung.
2015 Dezember
Alte Bekannte im Heimatdorf treffen finde ich so schön und interessant. Eine gute Gelegenheit bietet mir dazu die Frauen- und Müttergemeinschaft zusammen mit dem Jodlerchor in Vilters. Sie laden zu einem kulinarisch und klanglich hübschen Advents-Sonntagnachmittag ein.
Im Kino ist der Film Schellen Ursli von Xavier Koller angelaufen. Da ich weder die Geschichte der Autorin Selina Chönz noch die Bilder des Künstlers Alois Carigiet aus meiner Jugendzeit kenne, benutze ich die Gelegenheit zur Weiterbildung. Der Film spricht mich wegen seiner durchkomponierten Einfachheit und der dramatischen Erzählung sehr an. Ein Meisterwerk von Schweizer Film.
Alexander Sennhauser musiziert mit Matthias Lincke, Rumi Hatt und Simone Anderwert in St. Gallen nördliche Weihnachtsmusik von Irland, Schottland, Schweden bis Finnland. Länder, die ich im 2013 bereist habe und deren Musik mich mit Erinnerung und Wärme erfüllt.
Die Blasmusik Vilters spielt in der Kirche ein sehr wohlgefälliges und fein vorgetragenes Weihnachtskonzert.
Der Chor der Kantonsschule Sargans wird im Januar 2016 in New York auftreten. Vorerst höre ich ihn in der Kirche von Heiligkreuz singen und musizieren. Ein Dutzend junge Frauen und Männer treten solistisch auf. Was mir auffällt: Fast alle der zirka zwanzig Frauen tragen schulterdeckend, wallendes, langes Haar. Sooou schööön.
Am 30. Dezember werde ich in Steinhausen ZG mit dem Womo bei der MFK zur Kontrolle aufgerufen. Es kann mir eigentlich nichts passieren, schliesslich habe ich während der letzten sieben Wochen zu Gunsten eines gründlichen Services auf mein Womo verzichtet. Nach einer halben Stunde entscheidet der Experte: Durchgefallen. Sie bekommen eine nicht vollständige Mängelliste. Im Februar treten Sie nochmals zur Kontrolle von vorne an. Soooou sch……..
An Silvester gucke ich mir den neuen Heidi Film mit Bruno Ganz als Alpöhi im Kino an. So wie der Schellen Ursli ist auch der Heidi Film ein kostbares, reifes Werk.
Einen Teil des Klosterplatzes in St. Gallen füllen die Turmbläser mit bodenständigen und jazzigen Melodien. Den Silvesterakt will ich hier erleben. Gegen Mitternacht rammeln immer mehr Menschen durch die Abzäunung. Die Ankommenden werden nach verbotenen Feuerwerkskörpern durchsucht. Das wenige, was gefunden wird, landet in einer Mülltonne. Das historische Viertel ist zu schützenswert, als dass es wegen einer Knallerei in Flammen aufgehen soll und schliesslich drohen bei grossen Menschenansammlungen überall auf der Welt Bomben zu detonieren. Die Domglocken läuten ein Jahr aus und eines ein. Keine mir Bekannten auf dem Platz. Fast alle Anwesenden datieren so zwischen achtzehn und dreissig Jahren. Laut zählen sie den Countdown und beginnen bei Null zu grölen und sich zu umarmen. Beim Glockenschlag bezeichnet sich ein einsamer Nigerianer mit einem Kreuzzeichen. Die Neujahrsgröler beachten ihn nicht. Er wendet sich suchend zu mir um, streckt mir die Hand entgegen und wünscht: Peace, Frieden... Meine einzige wirkliche Begegnung in dieser Stunde unter zweitausend Menschen.
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