2015 August

Klaus ist der Winner. Ich habe fälscherweise Anchorage als Hauptstadt von Alaska beschrieben und das beim Versand des Juli Berichtes nicht mehr korrigiert. Wer wird diesen Fehler entdecken, wundere ich mich? Postwendend kommt die Korrektur von Klaus Käppeli. Doch verflixt, wie heisst denn die Hauptstadt von Alaska? Es soll keine Strasse dorthin führen. Es gebe nur den Luft- und Wasserweg. Und das zu einer Hauptstadt eines amerikanischen Staates!

In Langeley laden Martha und Franz zusammen mit Antoinette zum Schweizer Nationalfeiertag am 1. August ein. Gelegenheit, mich von diesen freundlichen Gastgebern vom Vorjahr zu verabschieden.

Verabschieden tue ich mich auch in Vancouver. Mit dem Velo fahre ich noch einmal über die Lions Gate Bridge um den weiten Stanley Park und zurück. Mitten in der Stadt treffe ich auf eine Schwulen Parade. Würden da nicht Tausende am Wegrand stehen und zugucken, bekäme ich den Eindruck ganz Vancouver sei schwul und lesbisch. Der Riesenzug dauert über Stunden. Abgeordnete von Banken, Einkaufszentren, Gesundheitsinstitutionen, Sicherheitsleute, die Polizei und eine Polizeimusik nehmen an der Parade teil. Eine etwas andere  Botschaft von Kubanern sticht mir ins Auge. Sie begrüssen die gegenseitige Anerkennung einer Botschaft in Kuba und Amerika und bemerken, so gehört auch Guantanamo nicht mehr zu Amerika, sondern zu Kuba. Ist das die Lösung für die Kriegshäftlinge, die durch die amerikanische Überheblichkeit völkerrechtswidrig ohne Prozesse festgehalten werden?

Annemone aus Dresden klopft ans Womo. Sie möchte gern meine Gesellschaft zum Abendessen. Mit ihrem Vater, ihrem Mann und den drei Kindern ist sie ferienhalber unterwegs. Die junge Familie wohnt für ein paar Jahre in San Jose, Kalifornien. „Wie kannst du zu unserem kleinen Ben nur so ruhig sprechen und aus dem Bilderbuch erzählen?“ fragt Annemone zwischendurch. „Das kannst du, wenn du keine eigenen Kinder hast“, relativiere ich meine Fähigkeit auf junge und alte Menschen einzugehen. Ihr Vater erzählt mir authentische Familien- und Bau-Geschichten über Dresden vor und nach der Wende und über die heutigen Probleme in der Ukraine. Das höre ich mir gerne an. Obwohl, ich bin ja noch in Kanada.

Obwohl, ich habe während drei Wartetagen in Vancouver mit Spannung und Interesse das siebenhundertseitige Buch „Der Mann mit dem Fagott“ von Udo Jürgens gelesen. Familien- und tragische Kriegsgeschichten seiner österreichischen Verwandten. Der Musiker glaubte an sein Talent und brauchte viel Kraft, seinen Weg unbeirrt gerade aus zu gehen. Der grosse Erfolg stellte sich spät ein, hielt aber an, bis er mit achtzig Jahren von der Bühne weg verstorben ist.  Erst mit dem Erfolg eroberte er die Herzen mancher Verwandten, die sich früher wegen seines nutzlosen Treibens schämten. Berührende Geschichten. Durch dieses Buch gewinnt dieser Mensch meine Hochachtung.

Am 3. August nimmt mir die Agriculture-Beamtin am amerikanischen Zoll in Blaine zwei Päckchen Knorr Sauce für Züri Gschnetzlets weg. Begründung: die Zutaten sind nicht in Englisch deklariert. Ich habe mir diese Saucen einen Tag vorher bei einem deutschen Fleischer in Vancouver gekauft. Nun sind sie weg. Ich werde nie erfahren, wer sie geniessen wird. Hauptsache, nicht nur die Saucen, auch ich bin wieder in USA.

Der Rainy Pass und der Washington Pass am Hwy 20 sind im Winter gesperrt. Unter bizarren Felsformationen fällt die Passstrasse südwärts ab.

Winthrop wurde vor hundert Jahren gegründet. An den Shops und Kneipen an der Hauptstrasse wackeln noch die alten Wildwest-Häuserfronten.  

Dem Methow River entlang werden die schmalen Flächen am Flusslauf besprenkelt. Obstbäume und Wiesen säumen den Bach saftig grün. Hangaufwärts wiegen die Gräser und Büsche strohtrocken im Wind. Dreissig Grad Celsius. Es herrscht extreme Brandgefahr. Die fruchtbare kanadische Wüste des Okanagan Valley setzt sich auf amerikanischem Boden gleichermassen fort und heisst  Okanogan Valley. Die Natur schert sich nicht um Grenzen und Namen.

Stell dir vor, du fährst von Freiburg nach St. Gallen. Rechts gibt es aber keine Alpen und links keinen Jura. Auf der ganzen Fahrt gibt es weit und breit nur Kornfelder. Grenzenlos erscheinen die Ebenen und sanften Hügel von Orondo über zweihundert Kilometer Richtung Spokane. Eine reiche Ernte ist bald abgeschlossen. Was bin ich glücklich den Hwy 2 gewählt zu haben. Sooou schööön!

Die Kornfelder lassen mich das Loch in der Windschutzscheibe vergessen, das mir ein mit Steinen um sich schleudernder Lastwagen in Orondo erneut zugefügt hat.

Von Spokane gleite ich ostwärts durch gleichmässige, liebliche Täler und immer bei einunddreissig Grad. Die letzten tausend Kilometer sind zudem praktisch autofrei. Ein bequemes Fahren.

Der Yellostone National Park. Das ist der eigentliche Grund, warum ich nochmals in die USA eingereist bin. Bei meinem ersten Besuch im November 2014 war der National Park bereits geschlossen. Begreiflich, denn das Zentrum ist ein Plateau mit einer mittleren Höhe von 2400 Metern. Zehntausend heisse Quellen, Schlammlöcher und Geysire brodeln im Park. Wo Wasser und Erde dermassen am Kochen sind, fühle ich mich der Entstehung der Erde sehr nahe. Geologen nennen das Gebiet einen Super-Vulkan. Dreitausend Bisons streunen umher nebst unzähligen Schwarzbären auch zweihundert Grizzlybären, um nur die aufregendsten Tiere zu nennen. „Dass ich das alles noch erleben darf!“  Sooou schööön!

In der Bisonherde mit zirka einhundert Tieren herrscht Bewegung. Stiere hetzen den erhitzten Weibchen nach und kämpfen um das Zeugungsrecht. Fällt der Kampf nach Tagen überzeugend aus, darf der Überzeugendste zeugen.

Der Old Faithfull Geysir schmeisst seine Fontäne zirka alle neunzig Minuten bis zu fünfundfünfzig Meter in die Höhe. Unverändert, seit Menschen von ihm erzählen! Ich staune über das Regelwerk im Innern der glühenden Erde, das Auslassventil und den immer gleichmässig sich bildenden Wasserpfropfen. 

Bei Blubbern amüsiere ich mich an den immer neuen, fantasievollen Formen der kochend heissen Erdblasen und ihrem Aufbrechen, teils Wegspritzen. Jedes dieser Kunstwerke überlebt keine kurze Sekunde. Wie verschwenderisch doch die Natur mit ihrer Kunst umgeht. So eindrücklich. Sooou schöön!

Das Grand Teton Massiv,  hundert Kilometer südlich des Yellowstone NP, ist erdgeschichtlich das jüngste Massiv der Rocky Mountains. Die höchste Spitze winkt mit 4197 Metern. Nach ein paar Stunden freier Sicht auf Ebenen und Berge prasselt der von der durstigen Erde ersehnte Regen nieder. In den Ebenen von Jackson Hole weiden Herden von Bisons, in kleinen Gruppen Antilopen, vereinzelt Mouse (Elche). Bären streunen um den Gros Ventre Campground.  

Im Yellowstone NP wurde vor ein paar Stunden (7.Aug.15) ein Wanderer  von einem Bären getötet und teils verspeist. In dieser Nacht überlebe ich dutzende von Bärenattacken in Kurzträumen.

Jackson Hole ist wohl der südwestlichste Ort, den ich auf meinem Rückzug nach Osten anfahre. Ein Wildwestdorf der Pelzhändler mit heute edlen Boutiquen und Kunstgalerien. Abends werde ich unvermittelt Zeuge einer wilden Schiesserei. Nach zehn Minuten ist der Spuck vorbei. Zehn Tote liegen auf einer Kreuzung. Unter dem Applaus des Publikums erheben sich die Toten wieder, um am nächsten Abend kurz nach Sechs erneut erschossen zu werden. Wildwest!  

Die Hochebenen im Yellowstone National Park sind wunderschön. Sie werden durch kleine bewaldete Hügel und Passübergänge begrenzt. Richtung Norden liegen die Mammoth Hot Springs. Über gewaltige Terrassen rieselt mineralhaltiges, heisses Wasser und formt die Terrassen geduldig weiter aus. Sooou schööön!

Die Fahrt über den Nordausgang des Yellowstone NP durch die heissen Täler zum Hwy 90 finde ich ebenfalls spektakulär schön. Ab und zu Farmer mit einem bewässerten Stück Land, Kühe und Pferde darauf. Antilopentrupps im trockenen Präriegras. Meine Seele und mein Gemüt tanzen über die Weidegründe von Wyoming.

Wie sind die vier Präsidentenköpfe bloss in die Felsen gehauen worden? Darauf bekomme ich am Mount Rushmore vor Ort Antworten. Gutzon Borglum, ein Sohn dänischer Einwanderer, war achtundfünfzig Jahre alt, als er 1925 begann, die Präsidenten zu designen. Zuerst hat er die Köpfe überlebensgross modelliert und dann haben seine Arbeiter mit tausenden genauen Lotmessungen an einem Dreharm die Daten auf die Felsen übertragen. Vierzehn Jahre lang hat die Schwerarbeit mit Hammer und Meissel und Sprengungen gedauert. Etwa dreihundert Menschen waren an diesem Werk beteiligt. Am frühen Morgen erst siebenhundert Stufen hoch und dann an die Arbeit. Wenn der Chef, Borglum, da war, gab es keine Kaffeepause, lächelt ein Mitarbeiter im historischen Film ergeben.   

In Oacoma am Missouri finde ich in meinem Amerika-Reiseführer fein eingeklebt die vermisste Adresse von Bekannten. Sie wohnen in Marshfield im Staate Wisconsin. Gerade rechtzeitig gefunden, um die Fahrt dorthin als Überraschungsbesuch auf dem Highway 90 zu planen.

Die südliche Gegend, die ich auf dem Highway 90 von South Dakota durchfahre, ist so flach wie der Zuckerguss auf einer überdimensionalen Crème-Schnitte von einem Quadratmeter Fläche. (Der unpassende Vergleich entspringt meinem Wunsch nach dieser längst vermissten Speise). Fruchtbar ist die Gegend, wohin ich schaue. Mais-,Sojabohnen- und Sonnenblumenfelder hauptsächlich. Üppig fruchtbar geht’s auch im Süden von Minnesota weiter. Die Natur ändert sich nicht merklich. Das Wetter auch nicht. Seit Tagen bin ich mit 33 Grad Celsius unterwegs.

In Marshfield antwortet mir Paul Zimmernann am Telefon: „In einer halben Stunde fahren wir zu einem Verwandtentreffen in einem Restaurant. Wenn du gleich zu uns kommst, fährst du mit uns dorthin.“ Hätte ich bloss eine halbe Stunde später angerufen, hätten sie meinen Anruf nicht beantwortet und ich hätte nicht gewusst, wo sie wohnen. So steht mein Womo nun auf ihrem edlen Grundstück. So viel Glück. In totaler Gastfreundschaft verbringe ich meinen 69. Geburtstag bei Auswanderern aus meinem Heimatdorf Vilters. Ich habe sie bei ihrem Schweizer-Trip im Jahre 2014 kurz kennen gelernt. Ihre Wohngegend sei touristisch nicht dermassen attraktiv, als dass ich sie besuchen käme, meinten sie damals. Und ob! Marshfield ist eine sehr wohnliche, ruhige, hübsche Stadt mit so lieben Gastgebern. Mein Bruder Ernst ging in der dritten Primarschulklasse mit meinem derzeitigen Gastgeber Paul in Vilters zur Schule. Ernst ist ebenso überrascht, dass ich Paul in Wisconsin besuche und liest mir betroffen den Kalenderspruch zu meinem Geburtstag vor: „In jedem Menschen kann dir Gott begegnen“.  So passend, sooou schööön!

Am Sonntag versammeln sich noch Karl, Henry  und Tom mit ihren Frauen und Kathy mit ihrem Mann bei Marylinn und Paul zum Maiskolbenrallen, obwohl sie vor zwei Wochen erst ein Verwandtentreffen mit dreihundertneun Gästen (davon siebzehn aus der Schweiz) organisiert hatten. So viel Ehre für Father Lorenz und sein Womo!

Heute gehen ein paar Hitze-Gewitter nieder. Dreiunddreissig Grad. Ich erreiche trotzdem die Dreimillionenstadt Chicago und drängele durch die Strassen. Irgendetwas stimmt da nicht. Ich sehe weit und breit, stundenlang kein anderes Womo. Was mache ich bloss falsch. Mittels GPS beginne ich Campgrounds zu suchen. Kein Problem. Nur noch neunundzwanzig Kilometer. Passt doch zu den fünfhundert Kilometern, die ich heute gefahren bin. Die Cicero Avenue quert ein grosses Ghetto von Afroamerikanern. So gern ich die sehe, da möchte ich nicht stecken bleiben. Obama wird kaum da draussen gewohnt haben. Den Campground gibt es nicht. Auch den Zweiten nicht und nicht den Dritten. Alles Fehlanzeigen meines GPS. Gegen Abend rette ich mich auf den Walmart Parkplatz am Cicero.

Chicago empfinde ich wirklich als hübsch. Natürlich tragen Wasser und grüne Parks viel zu diesem Empfinden gegenüber der harten Architektur bei.

Früh um sechs presche ich, um den Frühverkehr nicht zu behindern, mit 100 statt der erlaubten 70 km/h wie alle Flüchtigen aus der Innenstadt von Chicago hinaus. Dem späteren Berufsverkehr-Gedränge kann ich so entkommen. Der kostenpflichtige Highway 90 (erstmals bezahle ich in den Staaten) bringt mich um den Südzipfel des Lake Michigan aufs Inland und von Toledo bis Buffalo dem Lake Erie entlang. Zwischen dem Lake Erie bei Buffalo und dem Lake Ontario liegen die Niagara Falls, die ich vor einem Jahr besucht habe.

Von Buffalo bis Albany wurde im Jahre 1825 der 588 Kilometer lange Erie Kanal eröffnet. Parallel dazu fahre ich heute auf dem Highway 90. Bei Albany mündet der Erie Kanal in den Hudson River. Nun konnte man auf dem Wasser von New York aus bis zu den grossen Seen gelangen. Das brachte einige Städtegründungen und wirtschaftliche Erfolge mit sich. 

Albany ist die Hauptstadt des Staates New York. Im 19. Jahrhundert waren es vor allem irische Einwanderer, die wegen der jahrelangen Missernten von regennassen, faulen Kartoffeln aus Irland geflüchtet sind. Sie wurden von den Ansässigen im Staate New York wegen ihrer fehlenden Bildung und Schlichtheit gehänselt. Was kann man dagegen tun? Bischof John McCloskey liess mit viel Frondienst eine Kathedrale bauen, „um das Selbstbewusstein der Irländer und Katholiken überhaupt zu stärken“. Einweihung war am 21. Nov. 1852. Zur Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen oder so? Ach und zur Ehre des klerikalen Bauherrn.

Über grüne Hügel und durch Wälder führt mich der Weg der nächsten dreihundert Kilometer auf schmalen, einsamen Strassen nach Boston. Ein eigenartiges Gefühl, eine Weltstadt auf Nebenstrassen anzuschleichen. Im Wompatuck Staate Park kriege ich weit südlich von Boston einen Campingplatz. Eine Fähre tuckert von Hingham der Küste entlang nach Boston Downtown. Nachts dichter Wald mit zirpenden Grillen, tags Grossstadt, so erlebe ich Boston.

Nachdem ich in zwanzig Tagen bequem siebentausend Kilometer vom pazifischen zum atlantischen Ozean gefahren bin, lockt mich die Geschichte und Kultur im Osten nach Boston. Die Oststaaten der USA weisen logischerweise eine längere Okkupations- und Einwanderer Geschichte auf als die von Europa weiter entfernten, unzugänglicheren Weststaaten. Boston wird 1630 von Separatisten, den vertriebenen Pilgervätern aus England, gegründet. Bereits 1634 wird eine neunzehn Hektaren grosse Grünanlage erbaut. Zwei Jahrhunderte dient sie als Gemeindeweide, Exerzier- und Richtplatz. Heute dient sie immer noch unbebaut Open-Air-Anlässen.

Geschichte? Unabhängigkeits-Krieg: Frankreich verliert nach dem siebenjährigen Krieg in Europa Französisch-Kanada (1760) und fast den gesamten Besitz in Nordamerika (1763) an Grossbritannien. Die Briten erheben hohe Steuern. Die „Amerikaner“ protestieren. Die Briten eröffnen 1770 das Feuer auf die „Amerikaner“ (Boston Masacre). Bostoner Kaufleute dringen als Indianer verkleidet in den Hafen ein und werfen, erzürnt über das britische Teehandelsmonopol, drei Ladungen Tee der East India Company ins Wasser (Boston Tee Party, 1773). Im April 1775 beginnt in der Nähe von Boston bei Lexington und Concord der Unabhängigkeits-Krieg gegen die Briten. Mit Unterstützung der Franzosen gewinnen die „Amerikaner“ 1781 die entscheidende Schlacht bei Yorktown. Der Unabhängigkeits-Krieg wird 1783 mit dem Frieden von Paris beendet. Die neu gegründete USA bekommt 1783 eine provisorische und 1788 die eigentliche Verfassung mit zehn erweiternden Artikeln (zB. Rede-,Presse-, Religionsfreiheit) im Jahre 1791. USA umfasst zu diesem Zeitpunkt erst ein paar Oststaaten. Die Expansion nach Westen beginnt.

Die Indianer sind seit dem 16. Jahrhundert schon bis zu neunzig Prozent dezimiert und die überlebenden zehn Prozent in Reservate zwangsumgesiedelt.

Mehr Geschichte? Bürger-Krieg: Die USA entwickelt sich in zwei unterschiedlichen Welten. Im Nordosten entsteht eine Industriegesellschaft mit Finanzsystem und Tariflöhnen. Im Südosten hingegen eine Agrargesellschaft mit Sklaverei. Die Regierung überlässt es den einzelnen Staaten, über die Sklaverei zu entscheiden. 1860 setzen sich die USA aus 18 „freien“ und 15 „Sklavenstaaten“ zusammen. Aus Angst, der neu gewählte Präsident Lincoln könnte Gesetze gegen die Sklaverei erwirken, treten einige Staaten aus der Union aus und bilden die Konföderation der Vereinigten Staaten. 1861 fallen die ersten Schüsse zwischen Union und Konföderation. Dieser Bürgerkrieg dauert bis 1865. Die Union gewinnt. Doch, fast neun Millionen Soldaten haben gekämpft, 620 000 ihr Leben verloren. Viele Städte liegen in Schutt und Asche.

Noch mehr Geschichte? Rassentrennung: 1876 sanktioniert der US Supreme Court (der oberste Gerichtshof) die Rassentrennung mit dem Grundsatz: „separate but equal“ (getrennt aber gleich). Getrennt hat funktioniert, gleich nicht. Martin Luther King Jr. ist als Ermordeter der prominenteste Kämpfer gegen die Diskriminierung. 1954 erklärt der Oberste Gerichtshof der USA die Rassentrennung in öffentlichen Schulen als gesetzeswidrig. 1955 zwingt ein Busboykott in Montgomery, Alabama, die Busgesellschaft, die Rassentrennung aufzuheben. Zwischen 1957 und 1972 verabschiedet der Kongress sechs neue Bürgerrechtsgesetze, die die Rassendiskriminierung zumindest theoretisch ausschliesst. Langsam aber sicher…

„Motor kontrollieren lassen!“ Ich atme tief durch. Drei Tage lang finde ich keine Antwort und keine Garage, die mir hilft. Ignorieren, bis ich irgendwo total stecken bleibe? Was denn sonst? Am dritten Tag parkt neben mir ein Polizeistreifenwagen. Den Polizisten will ich um Rat fragen. Zuerst nochmals einen Probestart. Die Meldung ist weg und kommt nicht wieder! Nach drei Tagen können sich meine Schultern wieder lockern. Tief durchatmen!

Die hundert Kilometer auf der Halbinsel Cap Cod stelle ich mir anders vor. Statt Sicht aufs Meer auf beiden Seiten des dünnen, gebogenen Halbinselarmes gibt es nur eine Schneise durch dichten Wald. Aber die Spitze ist Spitze. Sanddünen, Sandküsten, Meer, ein Städtchen hinter Dünen versteckt, Princetown.

Etwas haben sie gemeinsam, die Pilgerväter und die Schwulen. Beide Gruppierungen waren geächtet und haben in Princetown auf Cap Cod Zuflucht gefunden. Die Pilgerväter anno 1620. Als religiöse Separatisten (von strengerer Lebenshaltung als Puritaner) mussten sie aus England fliehen. Mit der Mayflower, einem Dreimaster aus Holland, landeten einige im November 1620 in Princetown und siechten, kränkelten und zogen nach fünf Wochen weiter ans Festland.

Ausgerechnet da, wo 1620 diese Separatisten angeschwemmt kamen, schwemmt es heute Schwule an Land und das im mehrheitlich prüden Amerika. Ganz normale Bürger flanieren händehaltend zwischen den normalen Heteros durch die kurze Boutique-, Atelier-Restaurant-Strasse mit Dorfcharakter. Ein paar kunstvoll dekorierte, extravagante Typen werben für die Shows am Abend. Ein paar unbeholfene Nachahmer wirken lächerlich. Das Leben in Princetown pulsiert ganz normal und doch etwas anders, selbstverständlicher, farbiger, touristischer wie anderswo.

Am Festland angekommen nannten die Pilgerväter den Ort Plymouth. Einige kränkelten und starben an den Entbehrungen des Winters. Die Plimoth Plantation ist eine Nachbildung des Pilgerväterdorfes von 1627. Auch ein originalgetreuer Nachbau eines Mayflower Segelschiffes liegt im Hafen. Mit einiger Verklärung wird hier der Beginn der Siedlungsgeschichte Amerikas durch Weisse gefeiert.

 

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