Januar 2015


Dolora Zajick, eine Sängerin oberster Klasse mit einem eigenen Institut für junge Talente, hat die Hand gebrochen. Ihre Konzerte sind abgesagt. Sie besucht oft den Gottesdienst im Carmeliterinnen Kloster in Reno. Sie sitzt im Publikum und singt mit. Eine herzzerreissende Stimme. Mir kollern Tränen beim ersten Ton über die Wangen. Soooou schööön! Einmal bringt sie sieben Jungtalente mit. Sie gestalten ein Kommunionlied. Was für ein Geschenk zum Neujahrsanfang!

Craig führt mich mit seinen 240 Pferden im Honda S2000 spazieren. Unglaublich diese starke Bodenhaftung in den Kurven. Unweit abseits von Reno entdecken wir wild lebende Pferde. Ich kann sie nicht wilde Pferde nennen. Es sind vor Generationen den Spaniern und Indianern entlaufene Pferde. In Nevada allein gibt es tausende von diesen Mustangs. Ich sehe eine Gruppe von zwanzig Tieren. Sie lagern mit Fohlen. Behutsam gehe ich mit dem Fotoapparat auf sie zu. Wenige Meter entfernt bleibe ich mit Respekt stehen. Naja, mein Respekt überschreitet manchmal Grenzen. Zwei Pferde kommen auf mich zu. Sie beschnuppern mich. Sie hören gern meine Komplimente. Sie lassen sich auf der Stirn streicheln. Ich achte darauf, nicht zwischen oder hinter die Pferde zu geraten. Denn ich erinnere mich: In Kanada gibt es einen Pass namens kicking horse, ausschlagendes Pferd. Ich bin ja eben noch dabei vom Quad Unfall her meine Rippen zu ordnen. Die Berührung mit wildlebenden Pferden ist so berührend, soooou schööön!  

Seit zwei Tagen will Cora, Gerdas und Craigs Hund, nicht mehr spazieren gehen. Cora liegt traurig herum. Was fehlt ihr? Müssen sie mit ihr zum Tierarzt gehen? Eben jetzt weigert sie sich mit Craig zu gehen. Ich geselle mich zu ihnen. Cora kommt auf mich zu. Ich frage sie, wollen wir spazieren gehen?  Sie wedelt und wird überstellig. Cora ist sofort einverstanden. Diagnose ohne Arzt: Cora hat sich geweigert ohne mich zu gehen! Jetzt gehöre ich zur Familie, sagen Gerda und Craig! Cora, meine neue Freundin.

Mit Schneekanonen und Pistenfahrzeugen halten die Arbeiter die Pisten zum Skifahren am Mount Rose total in Ordnung. Es gibt ein paar steile Abfahrten, die  mir besonders liegen. 

Mitte Januar 2015 sind die Luftfederungsbalge mit Teilen aus Holland am Womo ersetzt. Piepsen tut die Karre dennoch unentwegt. Jetzt heult die Luftfederung an der Hinterachse. Was soll`s. Nach eineinhalb Monaten Reno ist es Zeit für mich zum Verreisen. Das eine Gefühl sagt: Hast hier bei Menschen Heimat, Betreuung und Sicherheit gefunden. Das andere Gefühl: Reiss dich los, auch wenn Unbekanntes und fehlende Bequemlichkeit dich verunsichert. Bei Sonnenaufgang (7.45) fahre ich am 15. Januar 2015 in Reno los. Nach fünfzig Kilometern auf dem Hwy 395 südwärts von Reno sind alle Gefühle wieder voll auf Fahrt!

Zweiunddreissig Kilometer von Bridgeport im gottverlassenen Hinterland verrottet die Goldgräberstadt Bodie. W.S.Bodey hat hier 1869 Gold gefunden. Es wuchs rasch eine Stadt mit zehntausend Einwohnern. Fünfundfünfzig Saloons und Rotlichtviertel. Die verruchtesten Existenzen trieben sich hier herum. Für Hundert Millionen Dollar wurde (damals!) Gold abtransportiert. Nach zwanzig Jahren war der Berg ausgehöhlt und Gold, Silber und andere Metalle abgeführt. Die Stadt verfiel zur Geisterstadt.

In den Yosemite National Park komme ich vom Osten her nicht rein. Der Sonora Pass und der Tioga Pass sind wintershalber gesperrt.

Das Mammoth MountainSkigebiet in der kalifornischen Sierra ist durch dutzende Bahnen und Lifte erschlossen. Eine prächtige Arena voll Schnee. Von 2500 geht’s auf 3369 müM. Versteht sich, dass ich hier ein paar Tage Ski fahren will. Die Dame vom Empfang am Camping warnt mich vor dem einbrechenden Menschenstrom. Es ist jetzt Freitag. „Am Montag ist grosser Hollyday“, sagt sie. „Martin Luther Kings Gedenktag.  Da wird das Skigebiet überlaufen sein und das Skifahren und  Campen noch teurer“. Wenigsten will ich noch diesen Freitag mit Skifahren geniessen. Mit voller Ausrüstung stelle ich mich vor den Skilift. Just jetzt wird der Betrieb einstellt. Wegen zu starken Windböen. So ein Pech. Aber ich lasse mich nicht runterkriegen. Dann komme ich während der Woche wieder. Ich begeistere mich sofort, auf Meereshöhe runter ins Death Valley (Todes-Tal) zu fahren. Bereits die kleinen, struppigen Palmen (Joshua Tree) in karger Landschaft auf tausendsechshundert Höhenmetern zeigen mir ihre Überlebenskraft und ihren Widerstand gegen alle Unbill. So karg und so einsam. Ich beginne mit diesen Schwestern und Brüdern zu sprechen. Beim Aussichtspunkt von Father Crowley geniesse ich die Sicht auf die nördliche Hälfte des Panamint Valley und auf die Strukturen der gegenüberliegenden Berge. Unten bei den Panamint Springsstelle ich mein Womo auf den Camping-Platz. Bumm! Und zwar heftig. Der neue Luftfederbalg auf der rechten Seite vorn ist wieder abgeplatzt. Es ist Freitagabend, darauf folgt das Wochenende, dann Martin Luther Kings Tag und zudem gibt es kein Internet im Tal des Todes. Was soll`s? Ich lasse mich doch wegen eines lecken Luftbalges nicht aus der Fassung bringen. Die Natur um mich herum ist viel zu schade, um durch Widerwärtigkeiten abgelenkt und verärgert, übersehen zu werden. Ich werde in diesen Tagen Klapperschlangen, Skorpione und Schildkröten aufspüren, oder sogar den Pupfisch. Der überlebt im Badwater in viermal salzigerem Wasser als dem Meereswasser bei Temperaturen von 40°Celsius im Sommer. Nach Sonnenuntergang deckt die volle Dunkelheit rasch das Panamint und Death Valley. Ausgerechnet im stockfinsteren Tal des Todes leuchten Sterne am Himmel wie ich sie in meinem ganzen Leben noch nie in dieser Fülle gesehen habe. Im Tal des Todes, wie tröstlich. Da, wo den Menschen im Sommer wegen der sengenden Hitze das Blut und der Atem stockt und die Zunge am Gaumen klebt, da öffnet sich dem Überlebenden nachts der prächtigste Sternenhimmel. Sooou schööön!   

In den Sanddünenbei Stovepipe Wells Village bestaune ich die Gestaltungskraft und Fantasie des Windes in den Sandhügeln und -Kämmen.

Der Golden Canyonvoll gelbem Lehm und rotem, braunem und grünem Fels zieht sich in vielen versteckten Windungen in eine tiefe Schlucht ohne Ausweg.

Die Badwater-Ebeneliegt 86 Meter unter Meereshöhe. Colmann hat hier 1883 Gold gesucht und Borax gefunden. Bis 1889 wurde Borax vor Ort recycelt und wieder zu Kristallen abgekühlt und mit bis zu zwanzig Mauleseln vor zwei Wagen gespannt abgeschleppt. Im Sommer konnte das gewonnene Borax wegen der zu grossen Hitze nicht kristallisieren. Darum wurde die Arbeit in den Sommermonaten eingestellt. Borax wird unter anderem zur Herstellung von feuerfestem Glas verwendet.

 

Das zweihundert Kilometer lange Death Valley wird von unglaublich brüchigen, vielfarbigen Gebirgsmassen gesäumt. Von beiden Seiten lagern Schotter und Geröll auf relativ flachen Kegeln weit in die Ebene hinein.

Nach der Schneeschmelze in den Rocky Mountains überschwemmte der Colorado River jedes Jahr weite Teile des Landes und bedrohte die Anwohner und deren Besitz. Im Sommer hingegen blieb oft nur noch ein Rinnsal übrig, die Ernte vertrocknete und das Vieh verdurstete. Deshalb entschloss man sich in den 1920er Jahren, den Colorado River zu regulieren und einen Staudamm zu bauen.

1931 wurde mit dem Bau des Hoover Dam (benannt nach dem 31. Präsidenten der USA - Herbert Clark Hoover) im Black Canyon begonnen und 1935 konnte das gewaltige Bauwerk eingeweiht werden. Der Damm staut den Colorado River zum 640 km² großen Lake Mead. In den letzten Jahren ist der Wasserspiegel allerdings um dreissig Meter gesunken. Geringe Niederschläge! Der Staudamm versorgt 18 Millionen Menschen in Arizona, Nevada und Kalifornien mit Trinkwasser.

1931 wurden die Glückspiele im Bundesstaat Nevada gesetzlich erlaubt. Zehn Jahre später wurde das erste Hotel am Strip von Las Vegas, das El Rancho mit 63 Zimmern eröffnet. Heute besuchen pro Jahr 40 Millionen Menschen Las Vegas. Ich bin einer unter vielen.

Vom dem Plateau auf zweitausendzweihundert Metern schaue ich in den Abgrund. Der Grand Canyon. Er wurde tausendsechshundert Meter tief in die Landschaft gegraben. Der Colorado River ist immer noch am Werk. Er trägt ein braunes Arbeitsgewand. Mein Auge sucht in den unzähligen Seitentälern einen Ab- oder Aufstieg. Schwierig in diesen brüchigen Schotterhalden und senkrechten Wänden.

Der ohne Regen trockene Antelope Canyon bei Page am Lake Powell ist nur etwa zweihundert  Meter lang und ganz schön eng. Das Wasser hat sich hier einen Weg durch den roten Sandstein geschliffen. Enge Lichtungen lassen da und dort die Sonne in den dunklen Canyon strahlen. So entsteht ein aufregendes Licht-, Farben- und Formenspiel. Sooou schööön!

Der Lake Powell ist der zum zweiten Mal gestaute Colorado River. Der Glen Dam verhindert seinen freien Lauf. Vom Wahweap National Park aus werden Hausboote vermietet, um in die klippenreichen Canyons vorzustossen.  Klares Wasser. Fünf Kilometer westlich von Page bildet der Lauf des Colorado ein gewaltiges Hufeisen, den Horseshoe Bend. „Gib mir nur Zeit. Kein Fels ist mir zu hart, um ihn nicht zu bearbeiten,“ sagt das Wasser.  

Sonntagmorgen, 25. Januar 2015. Das Womo und ich, wir sind bereit zur Abfahrt. Der Lake Powell liegt spiegelglatt vor uns. Es ist knapp über null Grad kalt. Ich ziehe mir spontan warme Sachen an und Handschuhe. Verlasse das Womo und schnappe mir ein Boot. „Passen Sie auf. Da gibt es einen ganz engen Durchgang zum Navajo Canyon. Und achten Sie auf die Gefahrenzeichen.“ Anfangs ist mir schon etwas mulmig. Ich habe noch nie Kapitän gespielt. Immerhin ist es ein Schnellboot, was mich lockt! Was ist, wenn ich auf einen Felsen stosse und kopfüber ins Wasser plumpse? Es wird mich niemand sehen. Vier Stunden lang bin ich allein unterwegs. Der Navajo Canyon ist sagenhaft gewunden, durch senkrechte Felswände begrenzt. Hinter jeder Biegung eine neue Sicht. Sooou schööön!  

Etwa zwölf First Nation Familien leben im Monument Valley und viele darum herum, weit verstreut. Keine Dörfer. In vier Staaten rund herum leben und jagen sie (Utah, Colorado, Arizona, New Mexico). Die Spanier nannten sie Navajo. In Hogans, in niedrigen erdbedeckten Holzrundbauten, eine für Frauen, eine für Männer, feiern sie ihre Rituale. Natürlich nur noch die traditionsbewussten Navajo. Der Grossteil ist der Moderne verfallen und lebt durch die Christianisierung ein religiöses Gemisch.

Von 600 bis 1300 nach Christus haben Ureinwohner Siedlungen auf Felsbändern unter Felsvorsprüngen errichtet. 1888 haben Farmer sie wieder entdeckt und unter Schutz stellen lassen. Die faszinierenden Felsenwohnungen und -dörfer liegen heute zweiunddreissig Kilometer bis auf 2500m im Hinterland. Das Canyongebiet wird Mesa Verde genannt, grüner Tisch.

Mangels Schlafstellen am Hyw 160 fahre ich ungewollt weiter und weiter. Schliesslich geht’s auf den Wolf Creek Pass hoch. 3309 Meter über Meer. Bereits dunkle Nacht. Auf dem Pass beginnt es zu schneien. Keine guten Aussichten für Morgen. Ich lasse mich sicherheitshalber auf der anderen Passseite wieder runtertreiben, weiter und weiter, bis ich ungewollt dreihundert Kilometer auf Alpenstrassen gefahren bin. Das genügt!

Eine Stunde brauche ich für den Aufstieg auf die höchste Düne. Langsam gelaufen. Nein, die Dünen sind wirklich sehr hoch. Die höchsten in Nordamerika. Ihr Name unspektakulär: Great Sand Dunes. Die Winde haben über Jahrhunderte allen Sand von der riesigen Ebene bei Alamosa zu den Sangre de Christo Mountains hin abgelagert. Die Lage und Erscheinung der Dünen ist wieder ein Wunder der Natur.

Südlich von Fort Garland hunderte Elks in Gottes freier Natur! Sie haben sich mitten im Tal aufgereiht. Keine unübersichtlichen Haufen. Da gibt es im Notfall kein Durcheinander. Jedes Tier weiss sofort in welcher Richtung davonspringen. Sie sind alle sehr aufmerksam. Sooou schööön! 

Ich knipse keine Stadtbilder. Alle Städte und Dörfer, die ich jetzt landeinwärts durchfahre, sind hässliche Ansammlungen von Schrottvierteln. Die Menschen wohnen reihenweise in erbärmlichen Hüttenquartieren. Die Behausungen, nicht viel grösser wie mein Womo, sind von kürzerer Lebensdauer als ein Menschenleben.

Ich bin im Skigebiet von Taos angekommen. Noch fehlt der Schnee. 


Zu den Fotos

2015 Februar

Flucht nach vorn. Schnee ist angesagt. Ich habe keine Ahnung, welche Bedingungen ich im Taos Ski Valley (New Mexico) antreffen werde. Ich fülle meine Propantanks zum Heizen und Kochen und fahre los. Nach dreissig Kilometern von Taos entfernt in einem abgelegenen Seitental auf zweitausendachthundert Metern (Höhe Pizol 2844m, Höhe Säntis 2502m) erreiche ich den kleinen Skiort. Es gibt hier kein Camping, aber die Bahnen stellen etwa fünf Stellplätze für Wohnmobile zur Verfügung. Gratis. Jetzt kann es mich einschneien! Entspannt verbringe ich hier noch am 29. Januar den ersten Skitag. Ich kann es nicht Skigebiet nennen. Es sind einfach viele mehr oder weniger breite Pisten in den steilen Wald gehauen. Entdeckt und so zugerichtet wurde das Ski Valley vom Deutschen und Schweizer Skiathleten Ernie Blake, einst Ernst Blocher, dem allseits beliebten Förderer dieser Region. Er verstarb fünfundsiebzig jährig am 14. Januar 1989. Ureinwohner würden sich wundern über diese Pistenstreifen-Kultur im 20./21. Jahrhundert, so wie ich mich über ihre Felsenwohnungen wundere.  

Die Autos schlittern umher. Gut, dass ich stehenbleiben kann. Es schneit Tag und Nacht, zwei Tage lang, relativ feucht für dieses sonst trockene  Gebiet. Am Sonntag liegt dreissig Zentimeter Neuschnee. Der Himmel stahlblau. Ein genussreicher Skitag. Roger warnt mich aus der Schweiz, den Super Bowl nicht zu verpassen. Das ist der grösste Sport-Event Amerikas. Wie soll ich das nur anstellen? Ich begebe mich wie schon gewohnt in die Edelweiss-Bar (!!! Das in Amerika), wo ich Internet-Anschluss kriege, um meine Bilder hochzuladen. Ich starre auf den TV-Bildschirm. Das Sportereignis New England gegen Seattle ist im Gang. Ich kenne keine Regeln. So sehe ich nur, wie die Spieler mit Körpergewalt aufeinander „einpreschen und sich herumbalgen“. Kaum sind sie in Bewegung, wird das Spiel wegen irgendwelcher Regel unterbrochen. Dazwischen eine Menge Reklame für eine Million Dollar pro Minute. Michael quatscht mich an. Er sitzt mit seiner Freundin und noch einem Pärchen an der Bar. Auf die Frage, woher ich komme und was ich hier tue, zeige ich ihm die Fotos auf meiner Hompage. Er lobt einige Schüsse und gibt sich als Berufsfotograf speziell für Winter-Sportaufnahmen zu erkennen. Ups, wem zeige ich da meine Hobby-Fotos?! Michael drängt mich, mit ihnen in die nächste Bar zu wechseln. Da mache ich selbstverständlich mit.

 In der Martini Tree Bar hocken zweihundert Leute aufeinander. Ich werde da und dort als Lorenz from Switzerland vorgestellt. Alle Getränke gratis, auch ein Tshirt vom Sport-Event organisieren mir die Damen. Eine Medaille wird mir umgehängt. Auf dem Weg zur dritten Bar im St. Bernard oute ich mich als katholischer Priester, damit der Fall vor noch höherem Alkoholpegelstand geklärt ist. Meine Kidnapper, wie sie sich nennen, finden mich und meinen Beruf absolut bewundernswert. Im St. Bernard spricht sich das schnell herum. Und trinkfest ist er auch, dieser Priester! Das prüfen sie mit einigen Schnäpsen. Dazu tschüttelet er noch,  spielt Tischfussball. Auch wenn ich verliere wollen dauernd neue Teams mit mir und gegen mich spielen. Viele der Jungs waren schon in Deutschland oder in der Schweiz. Tränen werden an meiner Brust vergossen, weil ich mir Lebensgeschichten anhöre. Männer melden sich zu Glaubensgesprächen. Sie möchten mehr über meinen Glauben und meine Lebenserfahrung hören. Dazu muss ich meinen Aufenthalt im Ski Valley unbedingt verlängern.

Die Bardame im St. Bernard,  -das Hotel wurde vom Franzosen Jean Mayer gebaut-, eine wunderbare Frau mit einer klaren, weisen, wärmenden, mütterlichen, liebenden, vornehmen Ausstrahlung gibt sich mir als Professorin für Völkerkunde zu erkennen. Sie macht diesen harten Bar-Job nur nebenbei im Winter. Wir verstehen uns auf Anhieb. Andrea Heckman mit Namen schenkt mir eine DVD, die sie geschaffen hat, über ihre Völker-Urreligions-Arbeit „Bön in Dolpo“ in Nepal. So fein.  

Auf der Skipiste kenne ich nun einige Jungs. Die fordern mich mit ihrem Können heraus. Der Nachbar im Womo nebenan, Scott,  lädt mich zum Essen am Eingang des Valley in Arroyo Seco ins berühmte Restaurant Sabroso  ein. Ein Virtuose spielt Gitarre und Flügel. Ich unterhalte mich gern mit Tom. Tom`s Schwester Faith Whittlesey war in den achtziger Jahren Botschafterin in Bern. Tom hatte Wirtschaftsstudien an der ETH in Zürich angestellt und auch die amerikanische Wirtschaft beraten. Er selber hat in München studiert und spricht Chinesisch und Russisch. Nach einem weiteren gemeinsamen Skitag verbringe ich den Abend beim Dinner mit Joan und Tom in ihrer Villa in Taos.

Carson besteht aus einer kleinen Poststelle und einem unscheinbaren Supermarkt mit nahezu fünfzig Artikeln irgendwo im Nirgendwo. Total in der Wildnis jenseits des Rio Grande, der hier in einem tiefen Canyon eingezwängt dahinfliesst. Elisabeth warnt mich weiter als bis zur Poststelle zu fahren. Kein Durchkommen für mich zu ihrem Haus. Ich solle sie von der Post her anrufen. Ok. Ich bin da. Mein Handy findet kein Netz.  Die Supermarktfrau meint, ich könne schon hinfahren. Einfach langsam und vorsichtig. Es sei eng dorthin. Also mache ich mich auf den Weg. Nach zwei Kilometern sollte ich rechts abzweigen. Da liegt so viel Erdmatsch, Schneereste und tiefe Gräben und Wellen! Kein Durchkommen  für mich. Die hundert Kilometer, die ich heute im Kreise gekurvt bin, um Elisabeth und Jimmy zu besuchen, sind wohl vergebens und es wird bald Nacht. Umdrehen. Nach einem Kilometer Rückfahrt kreuze ich Elisabeth und Jimmy! Sie kommen in diesem Moment vom Skifahren und Einkaufen nach Hause. Was für ein Glück für mich. In wenigen Minuten hätten wir uns verpasst. Ich stelle das Womo wieder zur Poststelle zurück. Die Gastgeber pflotschen und schauckeln mich mit Allrad-Subaru zu ihrem Haus.

Elisabeth`s Haus ist ein Earthship, ein Erdschiff. Besonders ökologisch mit Recycling-Material gebaut. Die dicken Wände sind mit erdgefüllten Autopneus aufgebaut und aussen mit Adobe, einer Erd-Stroh Mischung verkleidet. Nordseitig sind die Räume durch einen Erdhügel abgedeckt. Das Blechdach mitsamt der Isolation wird durch kräftiges Rundholz getragen. Im Sommer füllt das Dachwasser die Zisterne. Im Winter wird es von einer Quelle hergeleitet. Die Räume liegen alle nebeneinander und bilden nach aussen hin eine einzige Glasfront. Das Haus beheizt sich auch im Winter praktisch nur durch Sonnenenergie. Solarzellen füttern sechs Auto-Batterien für den Hausgebrauch.  Ausserhalb von Taos nach der Brücke über den Rio Grande ist ein weites Gebiet mit diesen Earthship-Häusern verstreut überbaut. Der Architekt heisst Michael E. Reynolds.

Nach einem langen Skitag serviert Elisabeth ein feines Fischessen und ein Brot-Butter-Pudding mit einer traumhaften Whisky-Sauce zum Dessert. Woher ich Elisabeth und Jimmy kenne? Natürlich vom Skifahren. Sie haben sich für mein Schweizer Nummernschild und das europäische Womo interessiert. Elisabeth ist gebürtige Schweizerin. Sie hat in der Psychiatrie in Los Angeles gearbeitet und betreibt nun ihr Earthship als AirB&B. So einfach, so gastfreundlich!  

Rolf für die Empfehlung, das Ski Valley aufzusuchen, Roger für den Super Bowl-Hinweis, Michael für sein Kidnapping, Scott für die Einladung zum Dinner bei Musik, Joan und Tom für die Einladung zum Dinner in ihrer Villa, Elisabeth und Jimmy für das selbe in ihrem Earthship…und mir für meine Offenheit, mich einladen zu lassen sei Dank. Ich fühle mich nun im Taos Ski-Valley und fünfzig Kilometer darum herum total zu Hause. Eine wunderbare Skiwoche mit vielen Begegnungen. Dabei habe ich das Ski Valley vor einer Woche mit gemischten Gefühlen zögerlich angefahren. Flucht nach vorn. Was ist daraus geworden! Am Ende einer ganzen Skiwoche fühle ich mich nach rasanten Fahrten  topfit und kein bisschen müde. Das Knie hält allem Stand! Gott, was bin ich reich beschenkt! Sooou schööön!  

In Ojo Calientewurden die Warmwasserquellen bereits um 1880 in einem Bad gefasst. Ich suhle und  entkruste mich nach meiner Skiwoche unter freiem Himmel in den unterschiedlichen Mineralbecken.  

„Bevor des Tages Licht vergeht, hör Welterschaffer dies Gebet, du bist so milde und so gut, bewahre uns in deiner Hut.“ Bevor des Tages Licht vergeht, erreiche ich auf zwanzig Kilometer Schotter- und Lehmstrassen abseits im wilden Chama-Tal das Benediktiner „Monastery of Christ in the Desert“ bei Abiquiu. Zwanzig Kilometer können endlos erscheinen. Gerade angekommen ruht meine Seele bereits im Mönchsgesang und Weihrauch der Vesper. Nach der Vesper werde ich von einem Pater mit zwei anderen Gästen stillschweigend zum Abendessen mit den Mönchen im Refektorium geleitet. Es genügt dem Pater zu wissen, dass ich mein eigenes Bett dabei habe. Er macht grosse Augen, stellt aber keine weiteren Fragen. Die dreissig Mönche aus aller Welt pflegen hier das grosse Schweigen. Eine klare Sternennacht widerspiegelt die Stille in diesem mystischen Tal.

In Santa Feinteressiert mich die Altstadt am Santa Fe Trail. Ich entschliesse mich aber vorher eine Werkstatt aufzusuchen. Ich weiss ja nie, wie lange ich hängen bleibe. Das Womo zieht bei jeder Strassenbeschaffenheit nach rechts. Seit seiner Geburt ist das so. Aber niemand will dem Problem auf den Grund gehen. Die beiden Vorderpneus sind rechts extrem abgebaut. Zwei Tage beansprucht das Prüfen in drei Werkstätten in Santa Fe. Schliesslich wird das Problem nicht behoben, sondern lediglich die Pneus von vorne und hinten ausgetauscht. Die Reifen vorn und hinten sind verschieden.  Darum müssen alle vier Pneus vom Reifen gelöst und auf den gegenteiligen Reifen aufgezogen werden. Die Luftfederung lasse ich mal kaputt sein!   

Damit die Altstadt von Santa Fe wegen der Werkstattaufenthalte nicht zu kurz kommt, buche ich zwei weitere Nächte auf der Trailer Ranch RV. RV (sprich arwi) ist ein gängiger Begriff für Wohnmobile und Wohnanhänger in Kanada und USA. RV heisst Recreation Vehicle, Erholungsfahrzeug. Das ist es doch bei allen Mängeln, mein Womo, ein Erholungsfahrzeug.

Sehr elegante Boutiquen für Cheramik, Silber, Gold, Kleider und Dutzende von Gallerien für Bilder und Skulpturen finden sich in erdbraunen Adobe-Bauten in Santa Fe. Die älteste Missionskirche der Franziskaner in den Staaten, St. Miguel, an der Route 66 und daneben das älteste Haus in Amerika, so um 1610. Hier in New Mexiko wird sehr oft mexikanisch-spanisch gesprochen. In dieser Gegend wird jedes europäische Klischee von Amerika und Amerikanern vernichtet.  In einem Supermarkt höre ich Kinder mexikanischer Abstammung in witzelnder Weise unaufhörlich rufen: Mein Vater ist Amerikaner. Die wollen nicht mehr abgeschoben werden und üben ihre Sätze zur Verteidigung.

Im Bandelier National Monument ersteige ich die Wohnungen und Felsnischen der Pueblo-Indianer  über einfache Holzleitern. Die Pueblo-Indianer haben etwa um 1400 n.Chr. hier gewohnt. Vor ihnen waren es die Anasazi, die prähistorischen Bewohner. Der Schweizer-Amerikaner Forscher Adolph Bandelier hat diese Wohnstätten im Frijoles Canyon im Oktober 1880 erstmals betreten und erforscht.

Red Rock bei Jemez Pueblo leuchtet in der Abend- und Morgensonne. Die rote Vulkanasche ist zu Tuff versteinert. Wie versteinert verweile ich vor dieser Schönheit.

Tausende Chaco Indianer haben vor tausend Jahren am Chaco Wash gelebt. Noch mehr Tausende sind zweitweise vom Land verstreut zu den Zeremonien und zum Handel hergekommen. Die runden, holz- und lehmbedeckten, im Boden eingegrabenen Steinhütten sind aussenrum durch Erdhügel oder quadratisch angeordnete Aussenmauern geschützt. Diese runden Kivas waren die Versammlungs- und Zeremonienräume. Über die Dachöffnung, wo auch der Rauch austrat, stieg man über eine Leiter ins Innere hinunter. Frischluft kam durch einen seitlich eingegrabenen Luftschacht auf Sitzhöhe in den sonst geschlossenen Raum. In jedem Rund-Haus gibt es ein kreisrundes Loch im Lehmboden, das Sipapu. Die Urahnen sollen durch dieses Sipapu die Welt betreten haben. Als Wohnraum dienten mehrstöckige miteinander verbundene, rechteckig angeordnete Räume.

In der schwarzen Sternennacht kreischen, jaulen und bellen Kojoten herzzerreissend in nächster Nähe. Das tun sie, wenn sie Beute gemacht haben. Ich stehe in dieser einsamen Gegend im Stockdunkeln vor meinem Womo und lausche. Soooou schöööön!  Als ich wieder einsteige, tue ich das schnell und nehme zwei Treppen auf einmal, schliesse rasch die Türe hinter mir, mit dem ängstlichen Gefühl, gerade noch einem Angriff von dieser Kojotenbande entflohen zu sein. Unheimelig schöööön!

Die Altstadt mit den Adobe-Häusern und der alten San Felipe de Neri Kirche in  Albuquerque lässt sich von meinem Campground acht Kilometer dem Rio Grande entlang bequem per Fahrrad erreichen.

Die White Sands Missile Range ist das Hauptquartier der Atomraketenforschung und -entwicklung. Die Amerikaner rühmen sich, hier die erste Atombombe gezündet zu haben. Diese flache Wüste ist ein riesiges Sperrgebiet. Es gibt darin aber eine Oase, wo Touristen sich tummeln: Die White Sand Dunes. Sie liegen dreissig Kilometer vor Alamogordo und dem Sacramento-Gebirge. Bis zu zwölf Kilometer darf ich mit dem Womo zwischen den Dünen eindringen. Danach geht’s zu Fuss weiter und weiter. Sooou schööön!

Gleich ostwärts von Alamogordo steigt das Womo auf dem Highway 82 wieder bis auf zweitausendsechshundertfünfzig Meter hoch und jagt nachher auf den Hochebenen dahin. Dreissig Kilometer südwestlich von Carlsbad, in White City fahre ich zehn Kilometer bis auf die Anhöhe mit einer herrlichen Weitsicht. Im Visiter Center lasse ich mich per Lift 230 Meter absinken in die Carlsbad Caverns. Es ist eines der bisher grössten, entdeckten Höhlensysteme weltweit. Gewaltig mit 78 m hohem Innenraum. Schritt für Schritt ändert sich das Märchenland von Stalagmiten und Stalaktiten. Ehrfurchtsvolles Schweigen da drin. Sooou schööön!

In den weiten Ebenen zwischen Carlsbad und Fort Stocktonflackern Feuerzeichen. Tag und Nacht. Keine Indianer zu erspähen. Hunderte kleiner Pumpen in der kargen Gegend verstreut schröpfen das Öl von Mutter Erde. Das Gas wird abgefackelt.

Mich fasziniert, wie über tausende von Quadratkilometern die Natur sich unattraktiv karg gibt, um vor dem hässlichen Geschunden- und Ausgebeutetwerden verschont zu bleiben. Da wo endlich in Texas die Büschel- und Steppenlandschaft in eine Baumlandschaft übergeht, wachsen selbst die Bäume so niederstämmig und verknorzt, dass keine Industrie Hand anlegt.

Ich zweige vom Hwy 10auf den schmalen Hwy 290 Richtung Austin ab. Während ich mit über hundert Stundenkilometern durch diese öde Wildnis presche, bleibt mir unvorstellbar, wie die Siedler diese Strecken mit Ochsen und Wagen geschafft haben. Unvermittelt eröffnet sich eine breite Strasse durch ein auffallend sauberes Städtchen. Fredericksburg. Aushängeschilder sind zum Teil deutsch angeschrieben. Patty, eine Schweizerin aus Buonas, spricht mich auf Schweizerdeutsch an. 1846, hundert Jahre vor  meiner Geburt, haben sich deutsche Siedler hier niedergelassen. Ihr Anführer aus dem preussischen Adel, Baron Johann Ottfried von Meusebach, soll schon wegen seines wallenden goldroten Bartes von den kriegerischen Komantschen respektiert worden sein. Gemeinsam unterzeichneten sie einen Friedensvertrag. In Fredericksburg geht`s echt deutsch-texanisch-amerikanisch zu und her, auf den Speisekarten wie zu den traditionellen Festzeiten. Zwischen Fredericksburg und Johnson City liegt die Lyndon B. Johnson Ranch  mit dem  Texas White House des damaligen Präsidenten.

Bei der Lamar-Brückein Austin gibt es den bestgelegensten RV-Campground. Leider voll besetzt!... Ich brauche keinen Strom, kein Wasser, nur Stehen…Zögern. Für eine Nacht kannst Du dich dort drüben hinstellen. Nachher ist wirklich Schluss… Du wirst mir wohl noch jemanden vom Platz weisen, damit ich bleiben kann… Zögern. Ja, wenn Du zufrieden bist, kannst Du dich vor meine Garage stellen. Da kannst Du auch Strom haben… Wau!!! Ich bezahle grad für fünf Nächte, denn in Austin gibt es gute Musik! Ich kann den Colorado River über die Fussgängerbrücke queren und dem River entlang laufen. Schildkröten sonnen sich am Ufer.

Country Rock im The Continental Club. ---Musik,-Scetch- und Magic Show in Esther`s Folliers.--- Jede Menge Musikhallen, Türe an Türe an der 6th für die ganze Nacht.---Bobby Whithock & Coco Carmel im Saxon Pub. ---The Belleville Outfit im Saxon Pub. Die Jungens und eine Frau spielen nach vier Jahren Trennung erstmals wieder zusammen. Just in time für mich. Wauwau!!! Superspitzenmusiker. ---Gospel – Brunch mit Shields of Faith im Stubb`s. ---Wie hat sie nur gewusst, dass ich in Austin bin. Sie beehrt mich mit einem Concert: Diana Ross in der Bass Concert Hall. ---Austin bedeutet für mich eine Punktlandung in Sachen Musik! Sooooou schööön!

In der Schweiz seien viele Menschen an der Grippe erkrankt. In den Staaten wo ich reise, spüre und höre ich nichts davon. Aber der Musikvirus hat mich angefallen. Nachdem ich mich vom Colorado River in Austin verabschiedet habe, sitze ich nun in New Orleans am Mississippi, der in den Golf von Mexiko fliesst. Diese Städte liegen nur einen Tag auseinander, anders ausgedrückt 850 Kilometer.

Ich fahre über das Mississippi-Delta. (zur Erinnerung: Die Sturmflut Katarina hat im August 2005 New Orleans überflutet.) Ein immenses Sumpfgelände mit vielen hochgetürmten Brücken über schiffbaren Kanälen. Mich schaudert der Gedanke, da durchzuwaten, wo Schlangen und Alligatoren lauern. Tatsächlich haben Menschen es geschafft, vier Autobahnen sich über diesem Sumpf übereinander kreuzen lassen.  

Attraktiv in New Orleans sind ein paar Häuserzeilen mit bunten, niedrigen Häusern. Viele sind mit schmid-oder gusseisenvergitterten Balkonen verziert und mit Blumen behängt. Franzosen und Spanier haben sie vor rund zweihundert Jahren hier gebaut. Ein amerikanisches Gesetz hat die Europäer als Ankömmlinge zweiter Güte erklärt. So haben sich diese Menschen, Kreolen genannt, mit den afroamerikanischen Menschen zweiter Güte solidarisiert. Aus ihrem Zusammenhalt sind verschiedene Stilrichtungen im Jazz von New Orleans entstanden. Im French Quarter, wie dieser kleine Stadtteil genannt wird, hört man  Jazz in allen Gassen und Lokalen wie zu Zeiten von Louis Amstrong. Tom Fischer mit seinen Jungs macht dem Old Jazz in Fritzel`s an der Bourbon Street alle Ehre. Im Lafitte`s Blacksmith Shop fühle ich mich wie in einer Alphütte.

Nach 544km Küstenfahrt auf dem Hwy 98 lande ich in Mexico Beach, Florida. Marsha stammt ursprünglich von Irland und Don Borgeson von Schweden. Marsha vom Camp meint spontan, ich müsste länger bleiben. Das meint sie herzlich. Eine bezaubernde Frau. Auch Don ist dieser Meinung. Ich bin auch dieser Meinung. Diese Herzlichkeit der Campverwalter und der unendlich weite, weisse Sandstrand locken mich zu verweilen. Aber Zugvögel ziehen weiter…  

Nach weiteren 560 km heissen mich Loren und Janet willkommen. Ich besuche sie zu Hause in St. Petersburg in Florida. Kennengelernt habe ich sie schier am Anfang meiner Reise am 12./13. Juli 2014 in Nova Scotia in Kanada. Sie haben mich damals in das Frauenkloster bei Zather verschleppt. Erinnerst du dich? Morgen Sonntag nehmen sie mich mit in ihre Heimatkirche in St. Petersburg. Sooou schööön.


2015 März

Aufgeschlitzte Autopneus liegen überall an den Autobahnen herum. Die schwarzen Fetzen am Hwy 41sind aber meistens Alligatoren. Der Highway führt im südlichsten Zipfel von Florida durch die Everglades. Die Alligatoren sind völlig aufregend. Normalerweise bleiben sie auf der gegenüberliegenden Bachseite träge liegen. Ein Riesenviech erschrecke ich durchs Dickicht. In weniger als einer Sekunde schiesst das Tier ins Wasser. Diese Schnelligkeit! Da bleibe ich mit offenem Mund stehen.

Die Everglades, heute ein riesiges Schutzgebiet, ist grossenteils eine Steppe, die im Sommer überflutet wird. Im Winter liegt vieles davon trocken. Da leben noch etwa hundert Panther. Schwarzbären. Selbst Krokodile leben am Rande der Everglades im salzigen Meereswasser. Die Alligatoren dösen im Landesinneren im Frischwasser.  Zum Schaden der einheimischen Tierarten wurden chinesische Pythons eingeschleppt, die sich rasch vermehrt haben. Auf ihrem  Speisezettel stehen allzu viele einheimische Tierarten. Die Parkwärter und Jäger versuchen die Pythons wieder auszurotten. Anscheinend vergeblich.

Am 2. März verabschiede ich mich vom Golf von Mexico und noch am selben Tag begrüsst mich der Atlantische Ozean. Hundert Kilometer fahre ich auf einer fünfspurigen Autobahn Hwy 95 durch Stadtgebiet, das sich von Miamibis Palm Beach erstreckt.

Demnächst werde ich von Miami über Jacksonville – Auburn – nach San Francisco fahren. Wenn ich jeden Tag so viel wie von St. Gallen nach Genf zurücklege, das sind 359 Kilometer, werde ich von Miami bis San Francisco vierzehn Tage brauchen. Werde ich es, wird da Womo es schaffen?

Das Thermometer steigt auf dreissig Grad Celsius. Ich trinke vernünftigerweise viel. Das Womo lechzt nach fünfhundert Tageskilometern ebenfalls nach Flüssigkeit. Gestern habe ich ihm eine Gallone Coolant gebechert. Heute will es erneut eine Gallone. Oje, das Kühlmittel tropft unten gleich wieder raus. Ein Leck. Not-Halt in Port St. Lucie. Den ganzen Dienstag verbringe ich bei der Diagnose im RV Center. Bis am Freitagabend werden sie die Teile erhalten und eingebaut haben! Ab ins Hotel.

Und ab im Mietauto. Ich will die Wartezeit nicht unbenutzt lassen. Hundertsechzig Kilometer nördlich von Port St. Lucie liegt auf einer schmalen Inselgruppe das Kennedy Space Center  Cape Canaveral. Angesichts der überdimensionalen Raketen und Shuttle-Maschinen schaudert und fasziniert mich die Vorstellung, wie Tausende von Menschen über Jahrzehnte hinweg dermassen konzentriert haben rechnen, werken und zusammenspielen können. Die coolsten Berechnungen haben sie in Stoff umgesetzt. Träumer, Fantasten, Rechengenies, Materialkenner, Tophandwerker und Geldgeber waren engagiert! Am Ende haben sie Recht bekommen: Wir können auf dem Mond landen.

Als ich ein kleiner Junge war, habe ich meinen damals fast achtzigjährigen Onkel  Joseph  sagen hören: „Ich glaube, die Menschen bringen es eines Tages fertig, auf dem Mond zu landen!“ Das erschien mir wie eine unglaubliche Verheissung. Für mich war der Mond unerreichbar weit weg und verklärt. Von dieser Verklärung hat trotz allem, was ich im Kennedy Space Center betroffen bestaunt habe, das lyrische Bild des Mondes nichts eingebüsst. Dieser Gedanke berührt mich auf der nächtlichen Rückfahrt. Ausgerechnet Vollmond. Schwester Mond glänzt freundlich und vollgesichtig, als ob nie jemand sie je berührt hätte. Und doch haben ihr meine Mitmenschen über 350 Kilogramm Steine gestohlen und zur Erde beschleunigt. Ich entschuldige mich dafür bei Schwester Mond. „Guter Mond, du gehst so stille durch die Abendwolken hin. Deines Schöpfers weiser Wille hieß auf jene Bahn dich zieh'n. Leuchte freundlich jedem Müden in das stille Kämmerlein und dein Schimmer gieße Frieden ins bedrängte Herz hinein!…“

Hundert Kilometer südlich von Port St. Lucie liegt Delray Beach. Damals in Taos (siehe Januar-Bericht) habe ich in meiner Skiwoche Joan und Tom Ryan kennen gelernt. „Falls du bis nach Florida runterfährst“, hat Tom gesagt, „wirst du dort meine Schwester in Delray besuchen“. Jetzt bin ich da. Faith Whittlesey heisst die Dame. Sie war in den achtziger Jahren zur Zeit des kalten Krieges zwei Mal, unter Präsident Reagan betont sie, amerikanische Botschafterin in Bern. „Ich bin grad unterwegs nach New York“, mailt sie mir, „aber am Donnerstag können wir uns sehen. Ich bin zwar mit den Grosskindern beschäftigt, aber kommen Sie doch vorbei. Ich freue mich auf ihren Besuch“.

Die Grosskinder und ihre Freunde und Freundinnen sind so zwischen zwanzig und dreissig Jahre alt. Sie zelten in Botschafterins Garten. Nicht einmal während dem Dinner kann ich alle Anwesenden zählen. Sie wirbeln durcheinander. Wir sind sicher über fünfzehn Personen. Da und dort erzählen sie mir von ihrer Abstammung aus der weiten Welt, ihren Studien, Arbeiten und Reisen. Faith Whittlesey nimmt sich vor dem Dinner eine Stunde Zeit zum Gespräch mit mir. Nach dem Essen hauen die Männer per Nachtzug ab nach Miami. Party. Sie werden mit dem ersten Zug am Morgen wieder zurücksein, am Strand von Delray Beach liegen und sich im blau-grünen Meereswasser tummeln. Die Frauen ziehen es an diesem Abend vor, hier zu bleiben. Faith setzt sich an ihren Flügel und begleitet verschiedene Solo-Gesänge, zu denen sie einzelne Frauen aufruft. Soooou schöön!!

Seit vierzehn Tagen lebt er in Port St. Lucie, der Carmeliter-Mönch, eben erst angekommen aus Kerala in Indien. Als ich mich in sehr freizeitlicher Kleidung, er ganz in schwarz, als sein Mitbruder zu erkennen gebe, umarmt er mich spontan. Ein Mitbruder, das bedeutet Heimat in der Fremde. Er findet die junge Pfarrei in der neuen St. Bernadette-Kirche sehr lebendig, mit grossem Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir erzählen uns beide unsere Berufungs- und Gemeindegeschichten. Father Antony wie ich träumten als Ministranten (Altarbuben) davon, Missionar zu werden, um mit einem Motorrad von einer Missionsstation zur andern zu fahren, gleichzeitig mehrere Berufe auszuüben. Architekt von Missionskirchen und Schreiner zugleich zu sein, Medizinmann im Busch, Geburtshelfer und Priester in einem.  Bestenfalls noch fliegender Bischof dazu. Wir haben uns der Realität gestellt. Wir beide sind brauchbare Priester geworden und erfüllen uns unsere Träume.

„Ist er da?“, ruft Celine, die ältere Schwester von Shania als ich Fränzi, ihre Mutter in Auburn, Alabama anrufe. Sie hat den Kindern erzählt, dass der Pfarrer, der Mama und Papa getraut und Celine und Shania getauft hat, sie besuchen wird. Wir haben denn auch sofort Spass miteinander und Shania erzählt Mama beim Schlafen gehen, Lorenz ist ganz lieb, fast so ein bisschen wie Papa. Papa, den sie zu kurz hat, hält sich ein paar Tage geschäftlich in der Schweiz auf.  

In Memphis, Tennessee würde ich mich gern mit Dr. Martin Luther King und Elvis Presley unterhalten. Aber nichts scheint mir einladend. Auf der Ebene um Memphis, Tennessee gibt es die weitesten und häufigsten Schlaglöcher auf den Strassen. An den Böschungen des Hwy 40 (früher Highway 66 genannt) liegt auf 80 MüM Schnee vom Vortag. Der Mississippi führt bedrohlich viel Wasser. Einzelne Felder sind überflutet. Dauerregen. Ich fliehe sicherheitshalber auf die Anhöhe von Forest City, obwohl ich im Dunkeln fahren muss.

In Oklahoma leben am meisten Indianer,  ca 250000, weil sie früher hierher zwangsübersiedelt wurden.

Vor vierundzwanzig  Jahren bin ich quer über die Staaten nach San Francisco geflogen. Diese schier endlosen Felder und Büschelwüsten wollte ich einmal durchfahren. Jetzt tue ich es und staune nicht weniger wie damals von oben. Von Memphis bis kurz vor Albuquerqueliegen diese unendlichen Weiten. Die Flächen setzen sich von Albuquerque westwärts fort, nur jetzt wieder auf tausendfünfhundert Höhenmetern.

Nach 835 km Tagesfahrt leuchtet das Warnsymbol „zu wenig Öldruck im Motor“. Der Ölstand zeigt keine Gefahr an. In Albuquerque will ich gleich vier Sachen richten lassen: Öldruck im Motor, nicht funktionierendes ABS-Bremssystem, nicht funktionierende Hydraulik-Stützen, Rechtsziehen in der Lenkgeometrie. Nichts von alledem können die Mechs anpacken. Es bleibt alles beim Alten. Einfach weiterfahren. 

In grau-blau-violet-grün-gelb geschichtetem Lehm-Wüstengebiet liegen sie da, kreuz und quer, die versteinerten Baumstämme im Petrified Forest National Park, 400km auf dem Hwy 40 westlich von Albuquerque. Petroglyphen wurden von Ureinwohnern wie Neuigkeiten in Stein gehauen.

Als die Propanlieferantin in Williams AZ mein Wohnmobil sieht, nennt sie mich Sugerdady, Zuckerpapa. „Pardon, ich bin Priester. Habe keine Kinder, die mich so nennen könnten.“  „Das hat nichts mit Vatersein zu tun, sondern mit Reichsein“, klärt sie mich auf. Also bin ich ein Sugerdady.

Ich nähere mich der Sierra Nevada. Herrlich diese gewaltige Landschaft, sanft ansteigende, öde Hänge, dahinter Gebirgszüge. Parallel zur Autobahn ziehen vier, teils fünf Loks die endlosen Ketten von Güterwagons.

An der Grenze von Arizona zu Kalifornien werden alle Fahrzeuge auf dem Highway 40 bei Needels zwecks Früchte-und Gemüseeinfuhrkontrolle gestoppt. Er: „Was führen sie mit?“ Ich: „Mandarinen“. Er: „Was ist das?“ Ich: „Das sind kleine Orangen“. Er: „Ich wünsche einen guten Tag!“ Ich: „Ebenfalls“. Der Officer stellt keine weiteren Fragen, also beharre ich nicht darauf zu ergänzen, dass ich noch Bananen, Äpfel, Zwiebeln, Knoblauch, Kartoffeln, rohe Eier und Salat mitführe und fahre los. Hoffentlich bringe ich damit keine Seuche übers fruchtbare Kalifornien.

Sind es Geier oder Schutzengel? Gleich nach der kalifornischen Kontrollstelle fahre ich von der Autobahn zum Tanken, denn es folgt noch eine weite Strecke durch die Wüste. Zwei Männer umkreisen mein Womo. Sofort beanstanden sie jene defekten Pneus, die ich vor 9393 Kilometern in Santa Fe nach hinten zu den Zwillingsrädern verschoben habe. Warum all diese zerfetzten Pneus wie Alligatoren auf den Autobahnen? Das würde mir auch passieren, meinen die Männer besorgt. Geier oder Schutzengel? Ich lasse mich auf den Handel ein. Sechs neue Pneus. Die Zahlungen mit der Mastercard habe ich durch die jüngsten Vorkommnisse mit dem Womo bereits überzogen. Per Telefon kriege ich eine Zahlungs-Erweiterung aus der Schweiz! Der Pneuwechsel hat mich samt Diskussion, warum es so viele Konfessionen und Religionen in der Welt gibt, nur zwei Stunden Zeit gekostet. Dreissig Kilometer weiter hängt am Rande des Highways 40/66 ein Wohnmobil mit Plattfuss. Die Mitfahrenden sitzen auf Klappstühlen im Schatten ihres Patienten bei dreissig Grad Celsius. Ich denke: meine Geier sind Schutzengel!   

Im Golden Valley und Valle Verde ist alles anders, als was ich seit Wochen zu Gesicht bekommen habe. Ein grünes Tal. Voll von reifen Zitrusfrüchten und Gemüseanbau. Es öffnet sich über fünfzig Kilometer hin bis zum Pazifischen Ozean. Das Womo lasse ich bei Venturaam Ufer stehen und schlafe die Ermüdung von 6200 Kilometern vom Atlantischen zum Pazifischen Ozean am helllichten Tag weg. Am Abend säubern anschwellende Wellen den Sandstrand von den Fussspuren des Tages und klatschen bis ans Ufer. Noch bevor die Abendsonne im Meer eintaucht, fischen Pelikane und ziehen Delfine vorüber. Soooou schööön!  

Dick interessiert sich für mein Womo aussen und innen. Als er meinen Beruf vernimmt, holt er seine Frau Claudia dazu. Bis tief in die Nacht hinein erzähle ich diesem staunenden Ehepaar, sie protestantisch, er katholisch, von meiner ökumenischen und interreligiösen Arbeit und seelsorgerlichen Erfahrung und Reisebegegnungen. Sowas an Offenheit und Ökumene  würden sie sich auch wünschen!

Das Meer kräuselt und schäumt in immer neuen Wellen. An Land bricht es tosend das Schweigen  im Lob auf den Schöpfer, voll Dankbarkeit, über die Fülle von Lebewesen, die es in seiner weltumspannenden Tiefe bergen darf. Ich ruhe und lausche im Dunkel der Nacht, bis Körper und Seele dieses wogende Gebet fühlend und verstehend mitbeten.

Santa Barbara, so heisst die gepflegte Stadt, die um das 1786 gegründete Franziskaner Kloster entstanden ist. Das Kloster ist das Zehnte von damals einundzwanzig in dieser Pazifikregion gegründeten Klöstern. Landnahme im Namen des spanischen Königs, dazu im Namen der Kirche ein Kreuz einschlagen, im Namen Gottes, des Allmächtigen... Darum herum eine Missionsstation aufbauen und die Ureinwohner christianisieren. Das war das Erfolgsrezept der damaligen Zeit.

In Nipomo lebt Verena mit Pferden, Hunden und Katzen, in Arroyo Grande verkauft sie vornehmlich europäische Küchenutensilien. Verena ist die Schwester von Elisabeth, die ich damals in ihrem Earthship in Carson (siehe Januar-Bericht) besucht habe. Gus, ihr Partner, ist Gartendesigner und bepflanzt zusammen mit zwei Arbeitern die Gärten. In seiner ruhigen, meditativen, wissenden Art würde er glatt in einen Klostergarten passen.

Mit einem nackten Jungen im Maul kehrt das Erdhörnchen schon zum achten Mal seitdem ich es beobachte von der alten in die neue Wohnung zurück. Die buschige Steilküste von Cayucos, die sich auch für meine Wanderungen am Pazifik sehr eignet, ist ihr Zuhause. 

Kurz nach der Abzweigung von San Simeon zum Schloss Hearst, das sich der milliardenreiche Zeitungskönig hat erbauen lassen, nordwärts am Hwy 1 liegen hunderte von Elephant Seals immer in denselben Buchten. Nicht nur ihre Rüsselschnauze erinnert an Elefanten, sondern auch ihr Verhalten, sich in der sengenden Hitze Kühlung zu verschaffen. Mit ihren Flossen werfen sie Sand über sich. Einige puddeln sich regelrecht ein.

Weiter nordwärts auf dem Hwy 1 gibt es kein Entrinnen mehr. Die Strasse führt ein- bis zweihundert Meter über dem Meer in steile Hänge gehauen auf und ab, in kleine Seitentäler rein und wieder raus. Immerhin gibt es reichlich kleine Parkplätze, um Fotos zu schiessen. Wildes Campen ist leider, wegen des steilen, brüchigen Geländes begreiflich, auf der ganzen Strecke verboten. Erst in Big Sur ruhe ich mich unter riesigen Red Wood Bäumen aus.        

Sie könnten an Land gehen oder ein paar Meter weiter ins offene Meer hinaus. Aber nein, sie vergnügen sich beim Wellenreiten, die Seehunde am 17 Mile Drive bei Monterey.

Nach dem Erdbeben von 1989 haben ein paar Seelöwen am Pier 39 in San Francisco Schlafplätze belegt. Monate später waren es dreihundert. Den Rekord hielten tausendsiebenhundertundein Seelöwen im November 2009. Sie schlafen oder balgen sich auf den schwimmenden Bühnen.

Am 27. März feiert mein Firmpatenjunge Emanuel Geburtstag. Roger, ein weiterer Firmpatenjunge landet an diesem Tag in San Francisco. Meinen dritten Firmpatenjungen, Michael, hast du letztes Jahr mit seinem Papa bei mir in Kanada kennengelernt.

Du weisst, ich habe viel Geduld, was meine  Carthago-Womo-Pannen betrifft. Nun aber nenne ich vom Arbeiter bis zum Chef alle Beteiligten beim Hersteller Idioten, nicht als Beleidigung, sondern im Sinne von völlig bescheuert. Haben die mir eine Box unter das Womo für die Steuerungsgeräte der Hydraulic-Stützen so eingebaut, dass man sie nicht öffnen kann, was man aber unbedingt müsste tun können! Ich muss diese Black Box jetzt abtrennen und umbauen lassen. Dieser Einbau ist mindestens so genial wie der Eigenbau der Lady Winchester in San Jose. Sie hat Treppen bauen lassen, die ins Nichts führen, oder bis an die geschlossene Decke. Türen und Fenster, die sich zwar öffnen lassen. Davor aber steht eine glatte Wand. Eine Wahrsagerin soll ihr nach dem Tod ihres Mannes geraten haben, ein Haus zu bauen, um sich vor den Geistern aller Toten zu schützen, die durch Winchester-Gewehre ums Leben kamen. Offenbar haben die Geister der Toten bereits kräftig mitgebaut!  

Ich hätte nie gedacht, dass ich im Gefängnis landen werde. Aber Roger setzt alles daran, mich dort zu wissen. Die Gefängnisinsel Alkatraz wurde 1963 von Justizminister Robert F. Kennediy geschlossen. Die ständigen Renovationskosten des salzwassergeschädigten Gemäuers machten den Aufenthalt eines Insassen teurer, als ihm eine Unterkunft im besten Luxus-Hotel zu besorgen. Seit der Schliessung des Hochsicherheitsgefängnisses bringen Touristen wie wir Millionen in die Kassen. Alkatraz ist bereits Ende März für zehn Tage ausgebucht! Wir kriegen Tickets auf dem Schwarzmarkt. In zehn Minuten fährt unser Schiff dorthin! Zu Betriebszeiten hätten wir einen solchen Gefängnisort gemieden. Was ist bloss mit uns los? Wann wird uns endlich Guantanamo zum Begaffen freigegeben?  

Tausend Meter abweisende Felswand bietet der Granitklotz El Capitan im Yosemite National Park  den Extremkletterern. Der Half-Dome steht frei vor der mächtigen Gebirgskulisse. Beim Südeingang zum Park ragen tausend Jahre alte Red Wood Giganten in den Himmel. Umgestürzte Bäume geben einen Blick auf das gigantische Wurzelwerk frei.

Die letzte Nacht im März verbringe ich mit Roger über dem Eingang zum Panamint Valley, dem archaisch einfachen Paralleltal zum Death Valley. 

Die kleinen Oasen zwischen den Sanddünen im Death Valley, die scharfen Sandkanten der Dünen, die weichen Hügel, so schön. Das zerklüftete Golden Valley, die grün-braun-beige-violett-dunkelrot scheinenden Gebirgsablagerungen auf dem Künstler Drive. Alles, was ich mit Roger in wenigen Tagen erlebe: Soooou schöööön!  


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2015 April

Meine Firmpatenjungen habe ich dir im März-Bericht mit Namen genannt. Jetzt folgen die Taufpaten. Beat fliegt oft beruflich nach China, Korea und USA. Jolanda plant ihre Flitterwochen im Juni. Tobias landet einen Tag nach Rogers Abflug mit Nadine, Elin (4) und Mila (1 ½) am 4. April in San Francisco. Willkommen an Bord!

Meine Gäste hören mich in der U-Bahn über die untauglichen, nicht beleuchteten Anschriften in den unterirdischen BART- Bahnhöfen von San Francisco lästern. Ich solle doch auch mal diese Seite der USA zur Sprache bringen, meinen sie. Somit habe ich es getan und ergänze noch die superträge Datenübertragung von WiFi fast allerorts. Das ist die mühsame Seite, mit der ich als Reisender kämpfe.

In der Half Moon Bay finde ich einen Gartenhaag-,Geländerschlosser, der mir endlich die Stabilisatorenbox unter dem Womo abtrennt und neu zugänglich verschweisst. Das Problem ist noch nicht ganz gelöst. Die Stabilisatoren bewegen sich noch nicht. Später stellt sich heraus, der Schlosser hat eine neue Schraube tüchtig festgeschweisst, ich kann sie nicht wieder öffnen! Auch wollen die H&P Hydraulics kein neues Relais nach USA schicken! Das sei aus logistischen Gründen nicht möglich. Auf welchem Planeten dösen die denn? Da kämpft jemand gegen meine Bequemlichkeit.

Reisen mit kleinen Gästen eröffnet mir eine neue Dimension: Kinderspielplätze und Sandstrände in Kalifornien. Elin und Mila, aber auch ihre Eltern sind begeistert vom grossen Angebot in Monterey und anderswo.

Statt sechshundert fahre ich noch dreissig Kilometer weit pro Tag. Die Kinder überstehen die Fahrten mit Unterstützung ihrer Eltern durch Geschichten erzählen oder Futtern bestens.  

Carmel bietet lauschige Ecken im Städtchen. Die grüne Küste und das blaue Meer am Hwy 1 leuchten intensiv in aller Klarheit. In Big Surtauchen wir zwischen den Red Wood Bäumen im Campground unter. Mit etwas Flirten bekomme ich wieder (war am 20./21. März hier) einen letzten Stellplatz. Die Plätze sind durch Frühlingsferien in den USA von vielen Familien belegt. 

Von den Seeelefanten bei San Simeon bin ich fasziniert. Es sind hunderte, tausende Weibchen, die hier zum Sich-Häuten anlegen. In ein paar Wochen werden die letzten Hautfetzen abgetragen sein. Von den Seeelefanten dermassen fasziniert spüre und sehe ich erst nicht, wie Schlangen im Gebüsch hinter uns und über dem Gehweg zwischen uns kreuzen. Die Viecher kriechen direkt vor die Kamera. Selbst als ich die Dame, die an meinem Schuh entlanggleitet, am Schwanz streichle, zischt sie nicht davon, noch beisst sie mich rückwärts zischend. Soooou schööön!

Dich interessiert nebenbei, wie ich wohl eine ganze Familie bei mir im Womo unterbringe? Sie schlafen alle vier auf den zweieinhalb Betten hinten im Womo. Sie schlafen meist gut und lange. Ich klappe jeweils das Doppel-Bett über der Fahrerkabine herunter und schlafe noch länger und besser wie alle Vier hinter den zwei lärmschluckenden Türen.

Das nach dänischem Architektur- und Lebensstil erbaute Städtchen Solvangwirkt hübscher als viele amerikanische Zufallsdörfer. Als exotisches Dorf reisst es den Touristen den Geldbeutel auf.  

Den Geburtstag von Nadine feiern wir am 16. April auf dem Pier im Moby Dick in Santa Barbara.

Nach achthundertzweiundzwanzig stressfreien Kilometern, in kindergerechte Portionen geschnitten, erreichen wir nach vierzehn Tagen am 20. April Los Angeles. Im Dockweiler Beach RV Park wird umgeladen. Tobias, Nadine, Elin und Mila richten sich in ihrem gemieteten Womo ein. Mir weint das Herz bei der Trennung. So liebe Leute begleitet und tschüss!  

In Santa Barbara kenne ich mich inzwischen gut aus. Es gibt belebte Nebenquartiere und das mondäne Downtown, nachts hübsch beleuchtet. Ein teures Cola, das ich mir da in einem Shop leiste, denn in zehn Minuten unbewachten Augenblicks wechselt mein abgeschlossenes Elektrobike den Besitzer. Diese Nacht erwache ich ein paar Mal vor Ärger. Gibt`s denn sowas, einem Pfarrer das Fahrrad klauen! Soooooo dreisssst. Deine Feinde sollst du lieben: Ich überlege mir eine Zeitungsannonce: „Lieber Dieb, gerne überlasse ich dir das fehlende Bedienpanel, den Akku-Schlüssel, das Ladegerät und den Schlüssel zum Stahlseilschloss. Du kannst alles auf der Missionsstation in Santa Barbara abholen. Schliess das Fahrrad immer gut ab. Es gibt viele flinke Diebe wie du in Santa Barbara, sagt man. Ich wünsche dir gute Fahrt“. Meine Fantasien darüber, was ich dem Dieb antue, falls ich ihn vor meine Fäuste kriege, lasse ich hier unbeschrieben.

Karin, meine Navigationsassistentin, hat manchmal wunderbare Einfälle. Von Santa Barbara schickt sie mich in Arroyo Grande zu Verena, um „Adieu“ zu sagen. Dann über den fast autofreien Highway 101 bis King City. Hier zweigt sie auf den von sanften Hügeln begleiteten, einsamen Highway 25 bis Hollister. Jetzt wird`s noch abenteuerlicher: Über den Pacheco-Pass, den Roger bereits in der Gegenrichtung mit mir gefahren ist, gibt es eine Warnung wegen „gusty wind“! Ich spüre ihn im Rücken und komme gut davon. Mausallein verbringe ich die Nacht auf dem San Luis Reservat Campground an dem Wasserreservat für das Central Coast Gebiet. Seit Monaten keinen Regen. Wo das dürre Gras nicht geschnitten wird, steht es hoch und wogt wie Korn im Wind. Wie ich nach diesem Naturtrip die nächtlichen schattenhaften Formen der Hügel  und wenigen Bäume und die windflüsternde Stille liebe! Sooou schööön.

In diese köstliche Stille hinein empfange ich eine SMS. Tobias hat mit seiner Familie eben Las Vegas erreicht. Was für ein gegensätzliches Erlebnis.

Eloise erwacht gerade aus ihrem Mittagsschlaf als ich sie in Sacramento besuche. Das kleine Mädchen hat keine Berührungsängste und zeigt mir all ihre Spielsachen einzeln. Sie hat sich nach der Transplantation von Mamas Niere gut erholt und ist unternehmungslustig wie zuvor. Auch ihrer Mama Kristin geht es entsprechend gut. Am Abend trinkt sie, von einer Freundin und mir begleitet, nach zwei Jahren Abstinenz genussvoll ein Gläschen Wein. Oma Gerda organisiert indes für ihre Tochterfamilie einen Umzug in eine neue Wohnung. Die bisherige Umgebung an einem grossen Entenweiher mit vielen Mücken im Sommer ist zu gefährlich für das schwache Immunsystem ihrer Enkelin. 

Die letzten zweitausend Kilometer fahre ich sozusagen ungebremst durch die Gegend. Das Bedienpanel zeigt: „Bremsbeläge kontrollieren“. In Sacramento regnet es eine ganze Nacht lang. Ein Ereignis! Die dürstende Natur liebt es. Auf dem Donnerpass liegt Neuschnee von der vergangenen Nacht. Die Strassen sind freigepflügt. Ich komme gut durch. In Renomuss ich den Weg zu meinen Verwandten ohne Navigationsgerät finden. Das Elektrokabel leckt zum zweiten Mal und diesmal endgültig.

Die Nevada Auto Diagnostic in Reno, wo ich bereits die Air Suspension erfolglos habe ersetzen lassen, wechselt mir die Bremsklötze. Das bedeutet Warten und wie! Am zweiten Testtag erhalte ich die Nachricht, Bremsklötze samt Bremsscheiben muss ich mit hilfsbereiten Menschen in der Schweiz beschaffen. Adrian von der IVECO Fürk AG leistet ganze Arbeit! Mit Bernie, Craig, Hans, Adrian, Mark  und Kerry kommen wir nach mehreren klärenden Gesprächen und e-mails überein, nur die Bremsklötze und eine Nabe samt Lager an der rechten Vorderachse zu wechseln. Warten, bis die Teile in Reno ankommen. Der ganze Prozess von der Diagnose bis zum Einbau dauert eineinhalb Wochen.

Die  WC-Cassette aus Camping Caravan Center in Arbon trifft am 29. April rechtzeitig in Reno ein. Wendelin sei Dank. Fehlt noch das Relais für die Stabilisatoren. E&P Hydraulics in Deutschland ist nicht fähig, das Relais nach Amerika zu schicken, obwohl das Teil für sie in Amerika hergestellt wird! So muss ich meine Schwester Theres und meinen Schwager Hans bitten, mir das Relais persönlich zu bringen. Abwarten, ob und wo das möglich sein wird.

Im Übrigen muss mein Womo anfangs Mai wieder reisetauglich sein. Denn spätestens am 14. Mai 2015 läuft mein Halbjahres-Visum für die USA ab. Die dulden keinen Tag länger, obwohl ich dem Tourismus und der Industrie viel Geld bringe. Ich sitze also recht in der Klemme und versuche ein paar Tage lang meinen Nerven und meinem Gemüt gut zuzureden.  

Dem, der alle Zeit zur Verfügung hat, läuft die Zeit davon! Soooou blööd!